Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und die Hofrätin Dr. in Oswald sowie den Hofrat Mag. Pichler als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. Juni 2024, G315 22923281/7E, betreffend Aufhebung und Zurückverweisung in einer Angelegenheit nach dem FPG (mitbeteiligte Partei: M F, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz), zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ mit Bescheid vom 15. April 2024 gegen den Mitbeteiligten, einen deutschen Staatsangehörigen, gemäß § 67 Abs. 1 und 3 FPG ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, erteilte ihm in Anwendung des letzten Halbsatzes des § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.
2 Das BFA begründete die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Wesentlichen damit, es lägen stichhaltige Gründe vor, der Mitbeteiligte gehöre einer kriminellen Organisation an. Er sei seit September 2023 wiederholt und über einen mehrmonatigen Zeitraum im Rahmen einer auf längere Zeit ausgerichteten und arbeitsteilig organsierten Personenmehrheit, welche sich zumindest seit dem Jahr 2018 zum Zweck des betrügerischen Anbietens von „Aufsperrdienstleistungen/Schlüsseldiensten bzw. Installations- und Monteurarbeiten“ zusammengeschlossen habe, „polizeilich in Erscheinung getreten“. Die bisherigen Ermittlungen im näher bezeichneten „Stammverfahren“ der Staatsanwaltschaft Wien erstreckten sich auf knapp 700 gleichartige Betrugsstraftaten derselben Tätergruppe. Der Mitbeteiligte sei zuletzt jedenfalls vor dem 20. September 2023 in das Bundesgebiet eingereist, um sich durch die Begehung von Betrugsdelikten eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Beweiswürdigend stützte sich das BFA insbesondere auf aktenkundige polizeiliche Berichterstattungen, mit Geschäftszahlen bezeichnete Faktenberichte und Abschlussberichte unterschiedlicher Polizeidienststellen und Abfragen aus unterschiedlichen Registern. Aufgrund der mehrfachen Delinquenz des Mitbeteiligten und der von ihm ausgehenden kriminellen Energie sei mit einer Fortsetzung seiner Straffälligkeit zu rechnen, weshalb sein Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle. Ein der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes entgegenstehendes schützenswertes Privat- oder Familienleben in Österreich liege nicht vor.
3Mit dem angefochtenen Beschluss vom 6. Juni 2024 hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in Erledigung der vom Mitbeteiligten gegen den Bescheid des BFA vom 15. April 2024 erhobenen Beschwerde den bekämpften Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung führte das BVwG aus, das BFA habe nicht tragfähig begründet, aus welchen Gründen es davon ausgehe, dass der Mitbeteiligte im Rahmen einer kriminellen Organisation Betrugsdelikte begangen habe. Ein „begründeter Verdacht“ sei nicht ausreichend, um von einer Tatbegehung auszugehen. Das BFA habe seine Feststellungen weder auf eine gerichtliche Verurteilung noch auf Verwaltungsstrafen bezogen und auch selbst keine nachvollziehbare Beurteilung der den Mitbeteiligten zur Last gelegten Taten bzw. seiner Gefährlichkeit aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts vorgenommen. Die Ausführungen des BFA könnten sich „nicht aus der Aktenlage heraus erklären“ oder „ohne ein aufwändiges Verfahren des Gerichtes verifiziert werden“. Im völlig ungeordneten Behördenakt seien zahlreiche Polizeiberichte über laufende, sich in unterschiedlichen Stadien befindliche Ermittlungsverfahren enthalten, die gegen den Mitbeteiligten oder andere Personen anhängig seien. Das BFA habe keine Ermittlungen dazu getätigt, wie viele dieser Verfahren konkret in Bezug auf den Mitbeteiligten geführt worden seien.
5 Mangels ausreichender Ermittlungen könnten noch keine konkreten Feststellungen zur Delinquenz des Mitbeteiligten getroffen werden. Das BFA werde den Ausgang der gegen den Mitbeteiligten geführten Strafverfahren abzuwarten haben, bis eine solide Beurteilung im Hinblick auf seine Gefährlichkeit aus fremdenrechtlicher Sicht möglich sei.
6 Darüber hinaus habe es das BFA verabsäumt, dem Mitbeteiligten Parteiengehör zu wesentlichen Fragen zu gewähren bzw. ihn persönlich zu befragen.
7 Schon aufgrund des organisatorischen Aufbaus des Gerichtes sei im Falle einer Weiterführung des Verfahrens durch das BVwG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten oder mit einer wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens zu rechnen. Es sei auch zu beachten, dass das BFA eine „Spezialbehörde“ sei, zu deren Aufgaben es gehöre, den „für die Beurteilung von Rechtssachen erforderlichen Sachverhalt“ festzustellen. Eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BVwG sei nicht im Sinne des Gesetzes.
8Gegen diesen Beschluss richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
9Zur Zulässigkeit der Amtsrevision macht das BFA zusammengefasst geltend, das BVwG sei mit dem angefochtenen Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen.
10Im Hinblick auf dieses Vorbringen erweist sich die Revision entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.
11Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung darf somit nur bei krassen, also besonders gravierenden, Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Sind hingegen lediglich ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit iSd § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa VwGH 30.8.2022, Ra 2022/21/0045, Rn. 7, mwN).
12 Im gegenständlichen Fall liegen wie in der Amtsrevision aufgezeigt wirddie Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor.
13 So hat das BFA entgegen den Ausführungen des BVwG seine Feststellungen auf die von ihm herangezogenen und in der Bescheidbegründung näher bezeichneten Beweismittel, darunter eine Auskunft aus dem Kriminalpolizeilichen Aktenindex, Abschlussberichte der Landesdirektion Steiermark und ein Faktenbericht der Landespolizeidirektion Wien sowie durchgeführte Registerabfragen, gestützt, sodass nicht gesagt werden kann, es habe jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt.
14Ob der Verdacht, der Mitbeteiligte sei Mitglied einer kriminellen Vereinigung gewesen und habe die vom BFA festgestellten Taten begangen, aus den vom BFA herangezogenen Beweismitteln abzuleiten und daraus der rechtliche Schluss einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu ziehen gewesen wäre, wäre vom BVwG im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung zu beantworten gewesen. Eine gegebenenfalls ergänzend erforderliche Beischaffung von weiteren Unterlagen berechtigt das BVwG jedenfalls nicht zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA (vgl. etwa VwGH 15.2.2021, Ra 2020/21/0399, Rn. 10, mwN; siehe in diesem Zusammenhang im Übrigen auch VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, Rn. 17, wonach selbst eine dürftige Begründung keine Zurückverweisung rechtfertigt, solange brauchbare, vom BVwG allenfalls zu vervollständigende Ermittlungsergebnisse vorliegen).
15Soweit das BVwG in der Begründung des angefochtenen Beschlusses ins Treffen führt, das BFA hätte den Mitbeteiligten einvernehmen müssen, übersieht es, dass dieser Umstand nicht zur Zurückverweisung berechtigt, weil es grundsätzlich immer auch Aufgabe des BVwG ist, sich vor der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist (vgl. etwa VwGH 22.2.2022, Ra 2021/21/0308, Rn. 9, und erneut VwGH 30.8.2022, Ra 2022/21/0045, nunmehr Rn. 8, jeweils mwN). Dazu kommt, dass das BFA dem Mitbeteiligten ohnehin eine schriftliche Äußerungsmöglichkeit eingeräumt hatte.
16Im Übrigen wurde das vom BVwG ergänzend herangezogene Argument, das BFA sei als „Spezialbehörde“ eingerichtet, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits als untauglich angesehen, um eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu begründen (vgl. etwa VwGH 1.7.2021, Ra 2020/19/0177, Rn. 12, mwN). Ebenso ist aus dem Hinweis des BVwG darauf, eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BVwG sei nicht im Sinne des Gesetzes, nichts zu gewinnen, hat doch der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach festgehalten, dass es der Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht, einen neuerlichen Instanzenzug durch kassierende Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes zu vermeiden (vgl. erneut VwGH 22.2.2022, Ra 2021/21/0308, nunmehr Rn. 11, mwN).
17Soweit das BVwG dem BFA noch die Rechtsansicht überbindet, der Ausgang des gerichtlichen Strafverfahrens sei abzuwarten, übersieht es im Übrigen, dass es bei der Erstellung der für das Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose auch zulässig ist, das Vorliegen eines Verhaltens, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, selbständig zu prüfen und auf Basis entsprechender Feststellungen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen (vgl. etwa VwGH 9.6.2022, Ra 2021/21/0157, Rn. 11/12, unter Bezugnahme auf VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0081, Rn. 13, mwN).
18Da nach dem oben Gesagten die Voraussetzungen für die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht gegeben waren, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 14. Oktober 2025
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