Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. August 2020, G311 2233432 1/2E, betreffend Aufenthaltsverbot (Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG), mitbeteiligte Partei: S T, vertreten durch Mag. Armin Windhager, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5/9, zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein italienischer Staatsangehöriger, hält sich seit dem Jahr 1968, als er im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern in das Bundesgebiet einreiste, mit kurzfristigen Unterbrechungen in Österreich auf.
2 Mit Bescheid vom 30. Juni 2020 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn nach niederschriftlicher Einvernahme gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Das BFA erteilte gemäß § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.
3 Begründend berief sich das BFA darauf, dass gegen den Mitbeteiligten zwischen Oktober 1986 und März 2020 insgesamt 25 (im Einzelnen lediglich durch Wiedergabe des Strafregisterauszuges dargestellte) rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen ergangen seien. Den Straftaten seien ein massiver Suchtgiftmissbrauch (zunächst von Haschisch, dann vor allem von Kokain) sowie Beschaffungskriminalität des Mitbeteiligten, der wiederholt und rasch, selbst innerhalb offener Probezeit, Diebstähle begangen habe und dabei einschlägig rückfällig geworden sei, zugrunde gelegen. Der längste durchgehende Haftaufenthalt sei „von 05.10.2013 bis 05.02.2019 (Vollzug mehrerer unbedingter Haftstrafen)“ erfolgt. Dazu kämen schwerwiegende Verwaltungsübertretungen wie das alkoholisierte Lenken eines Fahrzeuges (laut „rk. Straferkenntnis vom 22.12.1997“). Sowohl der Strafvollzug als auch Therapien aufgrund des Suchtgiftmissbrauchs hätten keine Wirkung gezeigt.
Wegen näher angeführter langer Haftaufenthalte des Mitbeteiligten verneinte das BFA das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung des erhöhten Gefährdungsmaßstabes nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG und bejahte eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG.
Der aktuell mittel und unterkunftslose Mitbeteiligte sei nach zwei Anstellungen im Unternehmen seines (zwischenzeitig verstorbenen) Vaters vom 1. Juli 1987 bis zum 31. Oktober 1991 und vom 1. September 1994 bis zum 31. Dezember 1996 nicht nennenswert berufstätig gewesen. Vielmehr habe er seinen Unterhalt aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung, von Notstandshilfe, finanziellen Unterstützungen seiner in Italien (Palermo) lebenden Mutter und aus der Begehung von Straftaten finanziert. Ein Pflichtschulabschluss oder weitere Schulbesuche lägen nicht vor. Zu seinen zwei 1982 und 1989 geborenen, im Bundesgebiet bei der Mutter aufgewachsenen Kindern sowie zu seinem in Österreich lebenden Bruder bestehe kein maßgeblicher Kontakt. Abgesehen vom Erwerb der deutschen Sprache könne in Österreich keine Integration in beruflicher oder sozialer Hinsicht festgestellt werden.
In Italien bestünden Kontakte zu seiner Mutter, die ihn auch in Österreich finanziell unterstütze. Zudem beherrsche er Italienisch auf Muttersprachenniveau und habe Bindungen zum Herkunftsstaat durch Italienreisen aufrechterhalten. Es seien keine Umstände hervorgekommen, die eine Wiedereingliederung in Italien ernsthaften Willen vorausgesetzt erschweren würden. Bei Gesamtbeurteilung des bisherigen Verhaltens und der Lebensumstände des Mitbeteiligten habe eine Abwägung der dargestellten Gesichtspunkte ergeben, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erforderlich, verhältnismäßig und dringend geboten sei, um die Begehung weiterer Straftaten im Bundesgebiet zu verhindern.
4 Über dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den bekämpften Bescheid des BFA zur Gänze auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Das BVwG sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Begründend konstatierte das BVwG erhebliche Ermittlungsmängel des BFA. Im Rahmen einer Gefährdungsprognose sei nämlich nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Das BFA werde sich daher im fortgesetzten Verfahren nach Einholung der fehlenden, den Mitbeteiligten betreffenden strafgerichtlichen Entscheidungen (sofern diese noch erhältlich seien) sowie der herangezogenen verwaltungsstrafrechtlichen Entscheidungen, allenfalls auch durch Abfrage der verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen, mit dem konkreten Verhalten des Mitbeteiligten auseinanderzusetzen und darauf basierend eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu treffen haben. Eine erhebliche Zeit und Kostenersparnis im Fall einer Verfahrensergänzung durch das BVwG sei nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG seien somit erfüllt.
6 Über die gegen diesen Beschluss erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen:
7 Die Amtsrevision macht ein Abweichen des BVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG geltend. Das trifft zu, weshalb sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist.
8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weshalb die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, Punkte II.B.2.6.2. und 2.6.3. der Entscheidungsgründe).
9 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung ist somit nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch zu machen. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Sind hingegen lediglich ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die ergänzende Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit iSd § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, Rn. 14, mwN).
10 Es wäre daher Sache des BVwG gewesen, ergänzende Feststellungen jedenfalls zu den wesentlichen vom Mitbeteiligten begangenen Straftaten und dem diesen zugrundeliegenden persönlichen Verhalten zu treffen. Die Wiedergabe des Strafregisterauszuges, die sich im Bescheid des BFA findet, ist für sich genommen zwar nicht ausreichend. Jedoch hat das BFA hieran anknüpfend nach Einvernahme des Mitbeteiligten (zusammengefasst) mit näherer Begründung ausgeführt, dass dieser infolge seiner Suchterkrankung habituell zu Diebstählen zwecks Finanzierung seines Drogenkonsums neige. Es kann somit nicht gesagt werden, dass insofern völlig ungeeignete oder nur ansatzweise Ermittlungsschritte gesetzt wurden, die einer Vervollständigung durch das BVwG nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand zugänglich wären. Auch berechtigt eine ergänzend erforderliche Beischaffung (insbesondere) von Strafurteilen das BVwG jedenfalls nicht zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA (vgl. neuerlich VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, nunmehr Rn. 16).
11 Da das BVwG somit zu Unrecht mit einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG vorgegangen ist, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 15. Februar 2021
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