Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Jänner 2022, W152 2148148 1/12E, betreffend Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und befristetes Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: A P), zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der 1996 geborene Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Thailands, reiste mit seiner Mutter am 6. April 2003 im Besitz eines österreichischen Visums in das Bundesgebiet ein. Ihm wurden in der Folge Aufenthaltstitel, zuletzt der unbefristete Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“, erteilt.
2 Mit Bescheid vom 23. Jänner 2017 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten mit Bezug auf wiederholt von ihm begangene Straftaten und deshalb erfolgte gerichtliche Bestrafungen gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung. Das BFA stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Thailand zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise des Mitbeteiligten. Überdies erließ das BFA gegen den Mitbeteiligten gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. Jänner 2022 hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über Beschwerde des Mitbeteiligten vom 16. Februar 2017 den Bescheid des BFA vom 23. Jänner 2017 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung warf das BVwG dem BFA vor, die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unterlassen zu haben und dadurch seiner Pflicht zur Erhebung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts nicht nachgekommen zu sein. Der Mitbeteiligte sei nämlich nie vor dem BFA einvernommen worden, um sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Vielmehr sei ihm lediglich eine Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung eingeräumt worden, sodass der Eindruck entstehe, das BFA habe darauf abgezielt, dass die wesentlichen Ermittlungen zu seinem Privat und Familienleben, insbesondere zum Integrationsgrad, und zur Gefährdungsprognose vom BVwG vorgenommen werden müssten. Im Übrigen hätten sich die vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen bereits zum Entscheidungszeitpunkt als veraltet erwiesen. Eine Nachholung der erforderlichen Ermittlungen durch das BVwG würde einen erhöhten Aufwand herbeiführen und könne insgesamt nicht im Sinn des Gesetzes liegen.
5 Über die gegen diesen Beschluss erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
6 Zur Zulässigkeit der Amtsrevision macht das BFA im Sinne des Begründungserfordernisses nach § 28 Abs. 3 VwGG zusammengefasst geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur eingeschränkten Möglichkeit einer Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen (Hinweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, und daran anschließende Judikate). Dieser Einwand trifft wie die weiteren Ausführungen zeigen zu, weshalb sich die Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt erweist.
7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung darf somit nur bei krassen, also besonders gravierenden, Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Sind hingegen lediglich ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit iSd § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. zum Ganzen aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0372, Rn. 7/8, mwN).
8 Das BVwG erachtete die Voraussetzungen für die von ihm ausgesprochene Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor allem deshalb für gegeben, weil das BFA den Mitbeteiligten nicht einvernommen habe. Dieser Umstand berechtigt aber schon deshalb nicht zur Zurückverweisung, weil es grundsätzlich immer auch Aufgabe des BVwG ist, sich vor Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist (vgl. dazu etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0105, Rn. 13, mit dem Hinweis auf VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, Rn. 15, und darauf Bezug nehmend VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0247, Rn. 8).
9 Auch hinsichtlich der vom BVwG im Übrigen angesprochenen Länderberichte zur aktuellen Situation in Thailand sind krasse (also besonders gravierende) Ermittlungslücken im Sinn der dargestellten Judikatur, die eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Durchführung notwendiger Ermittlungen rechtfertigen könnten, nicht gegeben. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann das bloße Erfordernis einer Ergänzung der Länderfeststellungen durch Einsicht in die aktuelle Staatendokumentation eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG nämlich jedenfalls im Regelfall nicht rechtfertigen (vgl. neuerlich etwa VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0372, nunmehr Rn. 10, mwN).
10 Soweit die mangelnde Aktualität der Ermittlungen und Feststellungen des BFA darauf zurückzuführen ist, dass das BVwG fast fünf Jahre lang nicht über die Beschwerde entschied, kann darauf eine Zurückverweisung keinesfalls gegründet werden.
11 Da das BVwG nach dem Gesagten somit zu Unrecht mit einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG vorgegangen ist, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 30. August 2022
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