JudikaturVwGH

Ra 2024/14/0012 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. Oktober 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätinnen Dr.in Sembacher und Mag. Bayer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kreil, MA, in der Revisionssache 1. des R M, 2. der L K, und 3. der Z M, alle vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2023, 1. W280 22730841/15E, 2. W280 2273082-1/11E und 3. W280 22730851/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die revisionswerbenden Parteien sind russische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen und des islamischen Glaubens. Der Erstrevisionswerber ist mit der Zweitrevisionswerberin verheiratet, beide sind Eltern der minderjährigen Drittrevisionswerberin.

2Die revisionswerbenden Parteien stellten am 14. März 2022 jeweils Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Zu seinen Fluchtgründen gab der Erstrevisionswerber an, er sei in Tschetschenien in einem Lager im Zeitraum von 8. bis 11. März 2021 sowie von 4. September bis 10. November 2020 inhaftiert worden, weil er homosexuell sei. Die Zweit und die Drittrevisionswerberin gaben an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben.

3 Mit den Bescheiden jeweils vom 7. März 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die von den revisionswerbenden Parteien dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung jeweils als unbegründet ab und sprach jeweils aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Das Bundesverwaltungsgericht führte in seinen Erwägungen aus, der Erstrevisionswerber habe in seinem Herkunftsstaat zuletzt als Jugendlicher sexuelle Kontakte zu einem Gleichaltrigen gehabt und diese vor seiner Hochzeit mit der Zweitrevisionswerberin im Jahr 2013 beendet. Weitere sexuelle Kontakte zu Männern habe der Erstrevisionswerber bis zu seiner Ausreise im Jahr 2022 nicht mehr gehabt. In Österreich sei es einmalig zu einem sexuellen Kontakt mit einem Mann gekommen. Die Zweitrevisionswerberin habe erst nach der Beschwerde von der bisexuellen Neigung ihres Mannes erfahren und stehe dieser nicht ablehnend gegenüber. Der Erstrevisionswerber habe sich niemals öffentlich zu seiner Bisexualität geäußert oder Werbung dafür betrieben. Außerhalb des Nordkaukasus sei der Erstrevisionswerber keiner konkreten oder individuellen Gefahr ausgesetzt. Bislang sei der Erstrevisionswerber keiner Verfolgung aufgrund seiner bisexuellen Neigung ausgesetzt gewesen.

6 In seiner Beweiswürdigung legte das Bundesverwaltungsgericht dar, dass es dem Erstrevisionswerber und seiner Familie aufgrund der sich aus den Länderberichten deutlich entspannteren Lage für sexuelle Minderheiten in urbanen Gebieten durchaus möglich und zumutbar sei, sich der lokal im Nordkaukasus begrenzten Gefährdung durch eine Niederlassung in Moskau, wo der Erstrevisionswerber bereits öfters erwerbsmäßig aufhältig gewesen sei, oder in St. Petersburg oder in einer anderen Region außerhalb Tschetscheniens zu entziehen. Der Erstrevisionswerber habe im gesamten Verfahren angegeben, dass er die bisexuelle Beziehung vor seiner Heirat im Oktober 2013 beendet hätte und sodann bis zur Ausreise nach Europa in seiner Heimat keine weiteren homosexuellen Kontakte gehabt hätte. Damit habe er seine sexuelle Orientierung während eines Zeitraumes von über neun Jahren nie öffentlich gemacht. Die Zweitrevisionswerberin zeige zumindest ein Verständnis für dessen Bisexualität und stehe dieser nicht ablehnend gegenüber. Vor diesem Hintergrund könne davon ausgegangen werden, dass der Erstrevisionswerber sich jedenfalls bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht zurücknehmen müsste und seine sexuelle Orientierung in einem für ihn ausreichenden Maß ausleben könnte. So habe er über Jahre trotz seiner sexuellen Orientierung im Familienverband gelebt und eine berufliche Tätigkeit ausgeübt, die ihn in Tschetschenien mit zahlreichen Personen täglich in Kontakt gebracht habe, ohne dass seine sexuelle Orientierung jemandem in seinem Herkunftsort aufgefallen, respektive dessen Orientierung Gegenstand von Gerüchten geworden wäre. Umso mehr wäre es dem Erstrevisionswerber möglich sich in einem anderen, gegenüber der Kaukasusregion liberaleren Teil der Russischen Föderation niederzulassen.

7 In der Folge erhoben die Revisionswerber die gegenständliche Revision.

8 Nach Vorlage der Revision samt den Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

11Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Die Revision stützt die Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst darauf, das Bundesverwaltungsgericht sei zum einen von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Asylrelevanz von Homosexualität abgewichen, weil es trotz der von ihm getroffenen Länderfeststellungen und der festgestellten Bisexualität des Erstrevisionswerbers keine Prüfung vorgenommen habe, ob der Erstrevisionswerber bei Rückkehr seine Bisexualität in der Russischen Föderation frei ausleben könne, und darauf aufbauend unzutreffender Weise von der zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Russischen Föderation ausgegangen sei. Dies obwohl Berichte vorlägen, wonach Homosexuelle nach Tschetschenien zurück entführt und dort verfolgt würden. Auch im Falle einer offiziellen Wohnsitzmeldung liefen die revisionswerbenden Parteien Gefahr ins Visier der tschetschenischen Behörden zu geraten, oder andernfalls vom Bezug von Sozialleistungen ausgeschlossen zu werden. Damit richtet sich die Revision ihrem Inhalt nach auch gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts.

13 Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:

Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Bezugnahme auf Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Unionbereits wiederholt ausgesprochen, dass eine Verfolgung von Homosexuellen Asyl rechtfertigen kann und dass von einem Asylwerber nicht erwartet werden kann, seine Homosexualität im Herkunftsstaat geheim zu halten, um eine Verfolgung zu vermeiden (vgl. VwGH 13.1.2022, Ra 2020/14/0214, mit Hinweis auf VwGH 23.2.2021, Ra 2020/18/0500). Gleiches gilt auch für Angehörige anderer sexueller Minderheiten, wie insbesondere Bisexuelle, Intersexuelle oder TransgenderPersonen (vgl. auch VwGH 25.3.2024, Ra 2024/20/0090, mwN). Entgegen den Ausführungen in der Revision prüfte das Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob es dem Erstrevisionswerber möglich sei, bei einer Rückkehr in die Russische Föderation seine sexuelle Orientierung in dem von ihm bis dato gelebten Ausmaß weiter auszuüben, und legte seinen Erwägungen entsprechende Feststellungen zugrunde. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vermag die Revision in diesem Zusammenhang nicht aufzuzeigen.

14Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz tätig ist und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 12.9.2022, Ra 2022/14/0219, mwN). Dass die den oben wiedergegebenen Erwägungen zugrunde liegenden beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts unvertretbar wären, vermag die Revision, die eine Unvertretbarkeit pauschal behauptet und etwa darauf stützt, dass die „SOGI Richtlinien“ des UNHCR zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer vorgebrachten Homosexualität nicht berücksichtigt worden wären, aber nicht aufzuzeigen.

15Soweit die Revision ihre Zulässigkeit mit einer Abweichung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 15.11.2023, Ra 2023/18/0031) begründet, ist dazu Folgendes festzuhalten:

Wird eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht, hat der Revisionswerber konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt einem der von ihm ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Dabei reicht es nicht aus, bloß Rechtssätze zu verschiedenen Erkenntnissen wiederzugeben oder Entscheidungen nach Datum und Geschäftszahl zu nennen, ohne auf konkrete Unterschiede in dieser Rechtsprechung hinzuweisen (vgl. VwGH 10.9.2019, Ra 2019/14/0258, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision, die ihr Vorbringen dazu lediglich auf ein Zitat aus der im zitierten Revisionsverfahren behobenen Entscheidung stützt, ohne die Vergleichbarkeit des Sachverhalts auch nur anzusprechen, nicht gerecht.

16 Schließlich bringt die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit auch vor, der Erstrevisionswerber habe zu befürchten, in Russland zum Militärdienst eingezogen und dann im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt zu werden:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen könnte (vgl. VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN; oder auch 21.5.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).

17 Unter Berücksichtigung aktueller Berichte zur Situation in dem Herkunftsstaat der revisionswerbenden Parteien und einer umfangreichen diesbezüglichen Beweiswürdigung kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Erstrevisionswerber die Asylrelevanz seines Fluchtvorbringens im Hinblick auf die behauptete Gefahr einer Zwangsrekrutierung nicht glaubhaft gemacht habe. Dabei stützte sich das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst weiters darauf, dass zum entscheidungswesentlichen Zeitpunkt keine allgemeine Mobilmachung bestehe, keine Hinweise auf eine Teilnahme Wehrpflichtiger an Kampfhandlungen in der Ukraine vorlägen, eine neue Rekrutierungswelle im kommenden Jahr unwahrscheinlich sei und der Erstrevisionswerber das Höchstalter für eine Einberufung zur Wehrpflicht bereits überschritten habe. Die Revision begegnet diesen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts lediglich mit einzeln aus Länderberichten herausgegriffenen Passagen und stellt damit eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios für den Erstrevisionswerber in den Raum und keine für ihn konkret vorliegende Verfolgungsgefahr.

18 Vor diesem Hintergrund vermag die Revision keine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und keine Mangelhaftigkeit der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts darzulegen.

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 8. Oktober 2024