Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER und den Verein SUARA gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland vom 04.06.2025, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.08.2025 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II. Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste unrechtmäßig ins Bundesgebiet ein und stellte am 27.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit einer Verfolgung durch Mitglieder eines Kultes begründete. Mit Bescheid vom 12.05.2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden als belangte Behörde oder BFA bezeichnet, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 02.10.2020, I413 2231488-1/8E, als unbegründet ab. Einen Verfahrenshilfeantrag für die außerordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29.04.2024, Ra 2024/18/0175, wegen Aussichtslosigkeit ab.
2.Am 30.06.2021 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, wobei er erneut auf eine Verfolgung von Mitgliedern des Kultes abstellte. Mit Bescheid vom 25.10.2022 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „besonderer Schutz“ nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Ihm wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 20.02.2024, GZ I417 2231488-2/30E, als unbegründet ab.
3. Am 22.05.2024 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen dritten Asylantrag. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte er dazu vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aus, dass er einen männlichen Partner habe, mit dem er in Österreich eine Beziehung führe. Er fürchte in Nigeria strafrechtliche Verfolgung aufgrund seiner Homosexualität.
4. Am 10.07.2024 erfolgte vor dem BFA eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers, in der er zusammengefasst ausführte, in Österreich im Oktober 2022 einen Mann gefunden zu haben, mit dem er eine Partnerschaft führte. Das sei in seiner Heimat nicht erlaubt. Es sei früher sehr schwierig gewesen, sich als sexuell zu outen. Sein Freund habe ihm geholfen und ihn ermutigt, sich zu outen und offen über seine sexuelle Orientierung zu sprechen.
5. Mit Bescheid vom 04.06.2025 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 22.05.2024 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ihm ein Aufenthaltstitel aus „berücksichtigungswürdigen Gründen“ nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.) und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ausgesprochen (Spruchpunkt VI.).
6. Dagegen richtet sich die mit 07.07.2025 datierte Beschwerde, in der zusammengefasst ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer homosexuell sei und deshalb befürchte, in Nigeria asylrelevant verfolgt zu werden. Am 10.07.2025 langte vonseiten des BFA die Beschwerde samt Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der Gerichtsabteilung I424 zugewiesen.
7. Aufgrund einer Unzuständigkeitsanzeige vom selben Tag wurde die Rechtssache am 14.07.2025 der Gerichtsabteilung I413 zugewiesen.
8. Am 04.08.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der der Beschwerdeführer im Beisein einer seiner Rechtsvertretungen und eines Dolmetschers für die Sprache Englische befragt wurde. Zudem wurde auch der Zeuge W. H. einvernommen. Eine Vertretung des BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern.
II Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Fluchtgründen
Der volljährige Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger von Nigeria und christlichen Glaubens. Seine Identität steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer ist homosexuell.
Homosexualität steht in Nigeria unter Strafe und werden die Gesetze in diesem Zusammenhang auch aktiv von den Behörden angewandt. Jedenfalls wäre der Beschwerdeführer gezwungen, seine Homosexualität im Falle einer Rückkehr zu verheimlichen bzw. könnte er diese nicht ausleben. Staatliche Behörden sind nicht schutzwillig und tritt der Staat auch selbst als Verfolger auf.
1.2. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Nigeria
Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat (Stand 08.08.2025) des Beschwerdeführers stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:
Homosexualität
Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar (AA 8.1.2025; vgl. ÖB Abuja 10.2024, EUAA 6.2024, HRW 16.1.2025). Nigeria ist eines der Länder, die auch Geschlechtsverkehr zwischen Frauen ausdrücklich unter Strafe stellen. In den Antidiskriminierungsgesetzen wird die sexuelle Ausrichtung nicht als eigener Schutzgrund genannt (EUAA 6.2024).
Der Criminal Code (Strafgesetz, südliche Staaten) aus dem Jahr 2004, das in den meisten südlichen Bundesstaaten als staatliches Gesetz gilt, sieht für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren und für „grobe Unsittlichkeit“ drei Jahre vor. In den nördlichen Bundesstaaten sieht der Penal Code (Strafgesetz, nördliche Staaten) von 1959 eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen vor (EUAA 6.2024). Darüber hinaus gilt in zwölf nördlichen Bundesstaaten das Scharia Recht, wo homosexuelle Handlungen mit Tod durch Steinigung bestraft werden können (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB Abuja 10.2024, EUAA 6.2024). Obwohl dieses Gesetz von den Behörden aktiv angewendet wurde, kam es im Laufe des Jahres 2023 zu keiner Hinrichtung (USDOS 23.4.2024).
Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor. Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB Abuja 10.2024; vgl. HRW 16.1.2025, USDOS 23.4.2024). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB Abuja 10.2024; vgl. AA 8.1.2025, HRW 16.1.2025).
Im Jahr 2022 wurde ein Gesetzesentwurf des Parlaments zum Verbot von Crossdressing in zweiter Lesung als „verfassungswidrig“ eingestuft. Im April 2024 zitierten Quellen den PR-Beauftragten der Polizei mit der Aussage, dass Menschen wegen Crossdressing nicht verhaftet werden können, da es sich nicht um eine Straftat handelt. In den nördlichen Bundesstaaten, in denen die Scharia gilt, ist Crossdressing jedoch nach wie vor illegal (EUAA 6.2024).
Insgesamt gibt es keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen sexueller Minderheiten (STDOK 15.9.2020; vgl. ÖB Abuja 10.2024). Die Rechtsänderung durch den SSMPA hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt (AA 8.1.2025). Von Zeit zu Zeit wird von Verhaftungen ganzer Feiergesellschaften auf "homosexuellen Geburtstagsparties" berichtet. In diesen Fällen kommt es auch zu Anklagen und Gerichtsverfahren, die jedoch nicht in Verurteilungen münden (ÖB Abuja 10.2024; vgl. EUAA 6.2024). Die Polizei geht häufig auch dann gegen Treffen von Homosexuellen vor, wenn es zu keinen sexuellen Handlungen gekommen ist und daher keine Rechtsgrundlage vorliegt (AA 8.1.2025). Die Anwendung von Strafgesetz und Scharia gestaltet sich schwierig, denn es gilt der Nachweis gleichgeschlechtlichen Sexualverkehrs. Auch unter dem SSMPA gab es kaum Anklagen. Üblicherweise verlaufen Gerichtsfälle unter diesen Gesetzen im Sand. Allerdings werden manchmal andere Vergehen vorgeschoben, um eine Verurteilung zu vereinfachen. Zudem schafft die Existenz der spezifisch auf sexuelle Minderheiten anwendbaren Gesetze die Basis dafür, dass Personen von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren drangsaliert, bedroht oder erpresst werden können. Verhaftungen wiederum ziehen kaum jemals Anklagen nach sich, sondern dienen in erster Linie der Erpressung (STDOK 15.9.2020).
Seit der Verabschiedung des SSMPA werden Angehörige sexueller Minderheiten noch häufiger Opfer von Mob-Angriffen und Polizeigewalt (AA 8.1.2025). Die Menschenrechtsverletzungen reichen von Massenverhaftungen unter dem Vorwand einer Ehe gleichgeschlechtlicher Partner, illegale Durchsuchungen, Erpressung, Entführung, Mob-Gewalt, Erpressung, Körperverletzung, Diebstahl, Vergewaltigung, Verletzung der Privatsphäre, Bekehrungspraktiken, gewaltsame Zwangsräumung, unrechtmäßige Entlassung, Diskriminierung in allen Bereichen der Gesellschaft bis zu verschiedenen Formen der Belästigung durch staatliche und nicht-staatliche Akteure. Der Standort und die sozioökonomische Schicht der betroffenen Personen haben einen erheblichen Einfluss auf den Umgang mit diesen und das Ausmaß dieser Übergriffe (TIERS 3.2024). Angehörige sexueller Minderheiten sind Gewalt durch die Polizei ausgesetzt, darunter willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, körperliche Misshandlungen und Erpressung (EUAA 6.2024).
Die überwiegende Mehrheit von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten geht jedoch von nicht-staatlichen Akteuren aus. Staatlicher Schutz ist diesbezüglich nicht zu erwarten (TIERS 28.6.2021; vgl. STDOK 15.9.2020). Im aktuellen TIERS-Bericht für das Jahr 2023 wird erwähnt, dass in 137 Fällen von Menschenrechtsverletzungen im Bereich sexueller Minderheiten staatliche Akteure die Täter waren, in 854 Fällen nicht-staatliche Akteure (TIERS 3.2024). Zu Ermittlungen kommt es nicht. Dieses Phänomen betrifft aber nicht nur Angehörige sexueller Minderheiten, vielmehr ist der Standard der Polizei allgemein niedrig. Allerdings kommt es bei dieser Personengruppe mitunter sogar zur Nötigung oder Verhaftung des Opfers (STDOK 15.9.2020). Laut TIERS zeigen staatliche Beamte, einschließlich der Strafverfolgungsbehörden, oft einen Mangel an Bereitschaft oder Kapazität, Fälle zu bearbeiten, die sexuelle Minderheiten betreffen. Opfer suchen keine Hilfe aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung oder aus Angst, angegriffen oder verhaftet zu werden (EUAA 6.2024).
Eine andere Möglichkeit, Gerechtigkeit zu suchen, besteht in der Anrufung der National Human Rights Commission (NHRC). Zwar bleibt der offizielle staatliche Diskurs bezüglich sexueller Minderheiten von Homophobie geprägt. Trotzdem gibt es in staatlichen Bereichen Anknüpfungspunkte – v. a. im Gesundheitsbereich und eben bei der NHRC. Positive Trends sind hier sichtbar im Bereich der Kooperation mit der NHRC und der Anerkennung von Menschenrechtsverletzungen durch diese Behörde (STDOK 15.9.2020). Im Jahresbericht der NHRC für das Jahr 2022 heißt es, dass sie mit NGOs zusammenarbeitet, um Schulungen für Strafverfolgungsbeamte zu Angelegenheiten sexueller Minderheiten abzuhalten, um deren Schutz zu verbessern (EUAA 6.2024).
Die Zustimmung der Bevölkerung zum SSMPA und anderen Strafmaßnahmen gegenüber sexuellen Minderheiten ist immer noch hoch, doch ist diese zugleich innerhalb weniger Jahre auch drastisch gesunken. Immer mehr Menschen sind zudem bereit, ein homosexuelles Familienmitglied zu akzeptieren. Mit vermehrter Toleranz sinkt die Radikalität der Homophobie. Allerdings ist die Gewaltschwelle in Nigeria generell niedrig. Während in den Medien eine negative Berichterstattung über sexuelle Minderheiten weiterhin vorherrscht, ist auch dort ein Trend zur Liberalisierung bemerkbar. Immer wieder kommt es nun zu sachlicher Berichterstattung, auch Filme zur Thematik wurden veröffentlicht (STDOK 15.9.2020).
Das Gesetz verbietet die Diskriminierung durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure aufgrund der sexuellen Ausrichtung oder der Geschlechtsidentität nicht. Angehörige sexueller Minderheiten berichten von Diskriminierungen bei der Beschäftigung, bei der Wohnungssuche und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität oder -ausdruck (USDOS 23.4.2024).
Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem Zurschaustellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖB Abuja 10.2024) bzw. "allgegenwärtig" (EUAA 6.2024). Das gesellschaftliche Klima Homosexuellen gegenüber ist feindselig (AA 8.1.2025). Konservative religiöse gesellschaftliche Normen werden als Hauptgrund für die Homophobie in Nigeria beschrieben. Religiöse Institutionen und Persönlichkeiten verbreiten homophobe Botschaften. Homophobe Einstellungen sind in der nigerianischen Gesellschaft tief verwurzelt (EUAA 6.2024).
Es kann nach wie vor riskant sein, sich gegenüber der Familie als homosexuell zu outen. Es kann zum Verstoßen, zum Einsperren, zu Gewalt oder zur Zuführung zu einer „Konversionstherapie“ („conversion therapy“) kommen. Allerdings sinkt die Ablehnung homosexueller Familienmitglieder und gleichzeitig steigt deren Akzeptanz. Generell gehen viele Nigerianer mit ihrer Sexualität nicht offen um. Das gesellschaftliche Umfeld führt zur Geheimhaltung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Zahlreiche Angehörige sexueller Minderheiten sind „normal“ verheiratet. Dies dient einerseits der Verschleierung, andererseits dem Entsprechen sozialer Normen (STDOK 15.9.2020).
Angehörige sexueller Minderheiten werden durch eine kriminelle Praxis namens Kito ins Visier genommen, bei der sie über Online-Dating-Apps angelockt und später, meist von einer Gruppe von Männern, angegriffen und ausgeraubt werden. Die Angriffe werden manchmal gefilmt und zur Erpressung der Opfer verwendet. Einige dieser Videos werden im Internet veröffentlicht und können zum Verlust des Arbeitsplatzes, zur Räumung der Wohnung, zur Ablehnung durch Familienmitglieder und zur Verschlechterung der psychischen Gesundheit führen. TIERS bezeichnete Zwangsräumungen im Anschluss an Erpressungen als einen „anhaltenden Trend“. Es handelt sich bei den Opfern meist um Schwule und queere Männer, aber auch Frauen, die sexuellen Minderheiten angehören, werden durch Kito ins Visier genommen, einschließlich Fälle, in denen der Täter vorgab, von der Polizei zu sein (EUAA 6.2024).
Praktiken zur Änderung der sexuellen Orientierung sind in Nigeria üblich, einschließlich medizinischer und religiöser Therapien. Laut TIERS praktizieren einige religiöse Führer Konversionstherapien, um homosexuelle Personen zu „heilen“, während CNN über die Geschichte einer lesbischen Frau berichtete, die von ihrer Familie in eine Kirche geschickt wurde, um sie „von Dämonen zu befreien“. Zwischen Dezember 2022 und November 2023 dokumentierte TIERS 15 Fälle von Konversionspraktiken. Es gibt auch Berichte über unangemessene Operationen, die an intersexuellen Menschen vorgenommen wurden, manchmal ohne deren Zustimmung (EUAA 6.2024). In Nigeria gibt es weder eine transgenderbezogene Gesetzgebung noch eine entsprechende gesellschaftsbezogene Sensibilisierung (AA 8.1.2025).
In mehreren Großstädten können Angehörige und Communities sexueller Minderheiten freier leben. Zudem gibt es dort ein größeres Ausmaß an möglicher Unterstützung. Der maßgebliche Vorteil ist die Anonymität. Diese sinkt naturgemäß im ländlichen Raum – aber auch in den Slums der Großstädte. Es gibt aber auch konträre Meinungen, wonach nämlich die Gesellschaft in bestimmten ländlichen Gebieten toleranter sei als in der Stadt. Die meisten dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen betreffen Städte. Dies kann aber freilich auch damit zu tun haben, dass dort Vorfälle eher gemeldet und dokumentiert werden (STDOK 15.9.2020).
Homosexuellen-NGOs arbeiten weiter, die Netzwerke sind sogar ausgebaut und sichtbarer geworden. Die Zahl an Organisationen hat sich nahezu verdreifacht. Nur in seltenen – dokumentierten – Ausnahmefällen kam es zu staatlichen Maßnahmen gegen NGOs. Fördergelder werden weiterhin gezahlt und sind nach Angaben einer Quelle sogar gestiegen (STDOK 15.9.2020).
Lokale NGOs sammeln Informationen zu Menschenrechtsverletzungen an Angehörigen sexueller Minderheiten. Ein Beispiel für eine umfangreiche Datensammlung dieser Art stellt der jährlich aktualisierte Menschenrechtsbericht von TIERs und kooperierenden NGOs dar. Einige NGOs betreiben Hotlines bzw. stellen Telefonnummern für Notfälle zur Verfügung. Die meisten Quellen gehen davon aus, dass etwa in Polizeigewahrsam geratene Personen wissen, wen sie zur Unterstützung anrufen können. Die Unterstützung wird in erster Linie zwecks Kautionszahlung („bail out“) geleistet (STDOK 15.9.2020). Dennoch sind Organisationen, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen, in Nigeria faktisch verboten, mit Ausnahme von Organisationen, die Rechtsberatung anbieten oder über HIV und AIDS aufklären. Die Initiative für Frauengesundheit und Gleichberechtigung (Women's Health and Equal Rights Initiative, WHER) bietet psychosoziale Unterstützung für lesbische, bisexuelle und queere Frauen, während Love Is a Crime auch rechtliche und psychologische Unterstützung für Angehörige sexueller Minderheiten bietet, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen sind (EUAA 6.2024).
Einige Anwälte und Vereinigungen stellen Angehörigen sexueller Minderheiten Rechtshilfe zur Verfügung. Diese kommt u. a. beim sogenannten „bail out“ aus dem Polizeigewahrsam zu tragen. Gelangt ein Fall tatsächlich vor Gericht, kommt es üblicherweise zur (juristischen) Intervention von NGOs (STDOK 15.9.2020).
Netzwerke sexueller Minderheiten sind v. a. in großen Städten präsent und aktiv. Vormals gab es im ländlichen Bereich wenn, dann aus dem Gesundheitsbereich heraus aktive Organisationen. Nunmehr versuchen einige städtische Netzwerke, ihre Arbeit auch auf ländliche Gegenden auszudehnen. Insgesamt hat sich die Reichweite der Netzwerke in den letzten Jahren verbessert. Sprachgrenzen und Infrastruktur stellen allerdings Barrieren dar. In den meisten Fällen wissen Angehörige sexueller Minderheiten, wen bzw. welche Organisation sie bei Bedarf kontaktieren können. Angehörige sexueller Minderheiten können sich durch einen Umzug in eine (andere) Stadt oder einen anderen Stadtteil aus einer direkten Risikolage befreien. Netzwerke und NGOs der Community unterstützen Personen bei diesem Schritt. In einigen Städten gibt es auch von NGOs organisierte Notquartiere (safe house / shelter). Es kommt mitunter auch zu „Zuweisungen“ bedrohter Personen von einer Stadt in eine andere (STDOK 15.9.2020).
Grundsätzlich ist weibliche Homosexualität weniger stark tabuisiert als männliche. Homosexuelle Frauen sind in geringerem Ausmaß von Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen bedroht und betroffen. Allerdings sind ihre Netzwerke schwächer. Mitunter kommt es zu Vergewaltigungen und anderen Formen von Gewalt. Manche Frauen werden von ihren Familien eingesperrt oder zwangsweise zu „Therapien“ gezwungen (STDOK 15.9.2020).
Sichtbarkeit im Auftreten und im Verhalten stellt einen Risikofaktor dar. Dies betrifft insbesondere Männer, die sich feminin geben, doch auch Frauen, die diesbezüglich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen, können betroffen sein. Das gemeinsame Wohnen alleine stellt für gleichgeschlechtliche Personen kein Problem dar, dies ist in Nigeria – von der Wohnung bis hin zum Hotelzimmer – aus Kostengründen nicht unüblich. Der Einfluss des Alters oder des Familienstandes auf die Frage des persönlichen Risikos von Angehörigen sexueller Minderheiten ist unklar. Einen maßgeblichen Einfluss hat hingegen der sozio-ökonomische Status einer Person. Mit zunehmender Finanzkraft, Bildung und Vernetzung – also mit zunehmenden Privilegien – sinkt das Risiko gegen null. Hauptrisikogruppe sind hingegen jene Personen, deren Alltag in einem Umfeld mit niedrigem sozialen und ökonomischen Status verankert ist (STDOK 15.9.2020).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.1.2025): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: September 2024), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nodes/30496494, Zugriff 23.5.2025 [Login erforderlich]
EUAA - European Union Agency for Asylum (6.2024): Nigeria - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2112320/2024_07_EUAA_COI_Report_Nigeria_Country_Focus.pdf, Zugriff 29.7.2024
HRW - Human Rights Watch (16.1.2025): World Report 2025 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2120043.html, Zugriff 20.1.2025
ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116558/NIGR_ÖB-Bericht_2024_10.docx, Zugriff 24.10.2024 [Login erforderlich]
STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (15.9.2020): Analyse zur Lage sexueller Minderheiten unter Hinzunahme der Informationen der FFM Nigeria 2019, Update der Analyse sexuelle Minderheiten vom 30.9.2016, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038276/NIGR_Analyse_Homosexuelle_2020_09_15_KE.pdf, Zugriff 24.7.2024
TIERS - The Initiative for Equal Rights Nigeria (3.2024): 2023 Human Rights Violations Report - based on real or perceived sexual orientation, gender identity / expression and sex characteristics in Nigeria, https://theinitiativeforequalrights.org/wp-content/uploads/2024/03/2023-Human-Rights-Violation-Report-2.pdf, Zugriff 24.7.2024
TIERS - The Initiative for Equal Rights Nigeria (28.6.2021): Answer via E-Mail
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria. Weiters wurde Einsicht genommen in die Vorverfahren zu GZ I413 2231488-1 und GZ I417 2231488-2. Daneben wurden Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, der Grundversorgung, ein Strafregisterauszug und ein Sozialversicherungsdatenauszug von Amts wegen eingeholt.
Weiters fand am 04.08.2025 eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, statt, in der der Beschwerdeführer im Beisein einer seiner Rechtsvertretungen und eines Dolmetschers für die Sprache Englisch befragt wurde. Zudem erfolgte die Einvernahme des Zeugen W. H. Eine Vertretung des BFA blieb dem Verhandlungstermin entschuldigt fern.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Fluchtgründen
Die Feststellungen zur Volljährigkeit sowie zur Glaubenszugehörigkeit des Beschwerdeführers basieren auf seinen diesbezüglichen Angaben (Erstbefragung am 22.05.2024, AS 3 f), die auch mit seinen Angaben in den Vorverfahren übereinstimmen. Mangels Vorliegens eines identitätsbezeugenden Dokumentes im Original – wie Reisepass oder Personalausweis – steht die Identität des Beschwerdeführers nicht fest.
Zwar hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen in Zusammenhang mit seiner sexuellen Orientierung erst in seinem mittlerweile dritten Asylverfahren erstattet. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch beachtenswert, dass – wie der EuGH bereits ausdrücklich darlegte – die Asylbehörden die Aussagen eines (behauptetermaßen homosexuellen) Asylwerbers nicht allein deshalb für nicht glaubhaft erachten dürfen, weil er seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht habe. Angesichts des sensiblen Charakters der Fragen, die die persönliche Sphäre einer Person, insbesondere seine Sexualität, betreffen, könne allein daraus, dass diese Person, weil sie zögerte, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren, ihre Homosexualität nicht sofort angegeben habe, nicht geschlossen werden, dass sie unglaubwürdig sei (vgl VwGH 25.10.2023, Ra 2023/19/0143 mit Hinweis auf EuGH 02.12.2014, Rechtssache A., B., C., C-148/13, C-149/13, C-150/13; insbesondere Rn. 69 und 72).
In Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung ist immanent, dass es sich um eine sensible Thematik handelt und der Umgang bzw. auch die Auseinandersetzung damit stark vom Umfeld geprägt ist, in dem man seine Sozialisierung erfahren hat und die dabei vermittelten Werte, Ansichten und Einstellungen nicht ohne Weiteres abgelegt werden können. Gerade diese inneren Schwierigkeiten hinsichtlich des Eingestehens der homosexuellen Orientierung, die ambivalenten Gefühlen in diesem Zusammenhang, die – nach wie vor bestehenden – Unsicherheiten hinsichtlich der Reaktionen des Umfelds sowie den Weg zu seiner eigenen sexuellen Identität konnte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar beschreiben und anhand seiner Lebensrealität in Nigeria einordnen. Der Beschwerdeführer legte in diesem Zusammenhang dar, dass es früher eben sehr schwierig gewesen sei, sich als homosexuell zu outen, weil es in seiner Heimat nicht erlaubt sei, in einer solchen Partnerschaft zu sein und auch in seinem familiären und sozialen Umfeld verpönt gewesen sei (Protokoll vom 10.07.2024, AS 137; Protokoll vom 04.08.2025, S 6), was in den Länderberichten gleichermaßen seine Deckung findet (vgl Punkt II. 1.2.).
Im Weiteren schilderte der Beschwerdeführer auch das Erkennen der eigenen Sexualität im Alter von 16 oder 17 Jahren stringent, ebenso den Versuch, Beziehungen mit Frauen zu führen, um der Norm zu entsprechen (Protokoll vom 10.07.2024, AS 141; Protokoll vom 04.082025, S 8 f). Auch die anfängliche Zurückhaltung gegenüber dem Zeugen sowie dann den Aufbau von Vertrauen mit der Zeit gab der Beschwerdeführer nachvollziehbar an (Protokoll vom 10.07.2024, AS 139 f und AS 143; Protokoll vom 04.08.2025, S 6 f). Sowohl der Beschwerdeführer als auch der Zeuge schilderten die Anfänge bzw Entwicklung ihrer zuerst Freundschaft, dann Beziehung korrespondierend (Protokoll vom 04.08.2025, S 6, S 10, S 12 und S 16 f). Gerade der Zeuge vermochte auch die Schwierigkeiten des Beschwerdeführers sowie Unsicherheiten in Zusammenhang mit dessen Homosexualität nachvollziehbar zu beschreiben (Protokoll vom 04.08.2025, S 15 f), wobei der Zeuge auch schlüssig erläuterte, eben selbst eher zurückhaltend aus seiner Biografie heraus mit seiner sexuellen Orientierung umzugehen, weshalb er gehofft hätte, die Beziehung nicht näher thematisieren zu müssen (Protokoll vom 04.08.2025, S 16). Schließlich belegen auch die vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Lichtbilder und Chatverläufe das Naheverhältnis zum Zeugen (AS 161 ff).
Im Ergebnis steht damit für den erkennenden Richter glaubhaft die homosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers fest.
2.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0210).
Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen auch im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert entgegen, sodass die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte nicht in Zweifel zu ziehen waren. Die obgenannten Länderfeststellungen konnten daher der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden.
Hinsichtlich der länderkundlichen Feststellungen älteren Datums im angefochtenen Bescheid bleibt anzumerken, dass sich in Bezug auf das konkrete, verfahrensgegenständliche Beschwerdevorbringen keine entscheidungswesentlichen Änderungen ergeben haben und sich die Lage in Nigeria in Zusammenhang mit Homosexualität – die einer ständigen Beobachtung des Bundesverwaltungsgerichtes unterliegt – in den gegenständlichen Zusammenhängen im Wesentlichen unverändert darstellt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Stattgabe der Beschwerde
3.1.1. Rechtslage
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder, wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Flüchtling iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die asylsuchende Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (Aktualität der Verfolgung; vgl VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0443; VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203).
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall
Im gegenständlichen Fall brachte der Beschwerdeführer vor, aufgrund seiner homosexuellen Orientierung in Nigeria der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt zu sein.
Verfolgung aufgrund der sexuellen Ausrichtung (Homosexualität) ist schon nach den eindeutigen ErläutRV zum AsylG 1991 unter den Tatbestand der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu subsumieren (270 Blg Nr 18 GP11, Putzer-Rohrböck, Asylrecht, S. 43).
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte in seinem Urteil vom 7. November 2013, C-199/12 bis C-201/12, klar, dass Homosexuelle eine bestimmte soziale Gruppe gemäß Art 10 Abs 1 lit d der Statusrichtlinie darstellen. Der EuGH wies darauf hin, dass die sexuelle Ausrichtung ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für die Identität ist, dass die Betreffenden nicht gezwungen werden können, darauf zu verzichten. Das erste Kriterium der Definition einer sozialen Gruppe sei daher bei Homosexuellen grundsätzlich erfüllt. Das zweite Kriterium, die wahrgenommene Andersartigkeit und abgegrenzte Identität, sei zu bejahen, wenn Homosexualität im Herkunftsland durch strafrechtliche Bestimmungen kriminalisiert sei. Das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen erfülle jedoch für sich genommen nicht die von Art 9 Abs 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen. Eine Verfolgungshandlung sei vielmehr erst dann zu bejahen, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt werde und sie dadurch zu einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung gemäß Art 9 Abs 2 lit c der Statusrichtlinie werde.
Es steht unbestritten fest, dass homosexuelle Kontakte in Nigeria strafrechtlich verboten sind. Laut EuGH erfüllt das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen für sich genommen nicht die von Art 9 Abs 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen – dies ist erst der Fall, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt wird. Das Gesetz in Nigeria gegen LGBTI-Personen wird aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung aktiv angewandt, mag es 2023 auch zu keiner Verurteilung gekommen sein. Daran vermag auch nichts ändern, dass keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen sexueller Minderheiten erfolgt, Homosexualität generell mittlerweile auch im privaten Bereich immer mehr Akzeptanz erfährt und auch Netzwerke sexualer Minderheiten vA in großen Städten präsent und aktiv sind und Homosexuellen-NGOs ausgebaut und sichtbarer wurden.
Art 9 der Statusrichtlinie definiert Verfolgungshandlungen im Sinne des Art 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention. Entscheidend für das Vorliegen einer Verfolgung ist die Schwere der Handlung, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein muss, dass sie eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellt. Alternativ kann die geforderte Schwere durch eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden. Verfolgungshandlungen sind etwa die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung.
Für das Bundesverwaltungsgericht steht aufgrund der oben zitierten Berichte fest, dass Homosexuelle in Nigeria – neben den strafrechtlichen Bestimmungen – mit verschiedenen Eingriffen konfrontiert sind: So wird offen gelebte Homosexualität in Nigeria gesellschaftlich nach wie vor nicht toleriert, werden Personen von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren drangsaliert, bedroht oder erpresst, sind Angehörige sexueller Minderheiten der Gewalt durch die Polizei ausgesetzt, ist staatlicher Schutz nicht zu erwarten und wird von Diskriminierungen bei der Beschäftigung, bei der Wohnungssuche und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität berichtet, mögen teilweise auch positive Trends erkennbar sein.
Es muss daher aufgrund der Kumulierung verschiedener Übergriffe davon ausgegangen werden, dass in Nigeria eine Verfolgung homosexueller Personen, welche ihre sexuelle Orientierung nicht verbergen, erfolgt. Bei einer Rückkehr nach Nigeria wäre der Beschwerdeführer zu seinem eigenen Schutz gezwungen, seine sexuelle Orientierung im Geheimen zu leben oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung zu üben. Der VwGH hat – unter Bezugnahme auf Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union – bereits wiederholt ausgesprochen, dass eine Verfolgung von Homosexuellen Asyl rechtfertigen kann und dass von einem Asylwerber nicht erwartet werden kann, seine Homosexualität im Herkunftsstaat geheim zu halten, um eine Verfolgung zu vermeiden (vgl. VwGH 08.10.2024, Ra 2024/14/0012 mwN).
In diesem Sinne wies (in Bezug auf einen Asylwerber aus dem Iran) auch der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfGH 21.06.2017, 3074/2016, darauf hin, dass eine Rückkehr des homosexuellen Asylwerbers – hier in den Iran – im Ergebnis dazu führen würde, dass der Beschwerdeführer gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung weiterhin im Geheimen – unter ständiger Angst entdeckt zu werden – zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen. Dies sei mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 07.11.2013 in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 (zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG), Minister voor Immigratie en Asiel gegen X ua., nicht vereinbar.
Bei einer Gesamtbetrachtung des vorliegenden individuellen Falles besteht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr dazu gezwungen wäre, seine Homosexualität geheimzuhalten, um nicht – sowohl von staatlicher als auch privater Seite ohne die Möglichkeit, staatlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können, einer Verfolgungsgefahr und aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen schwerwiegenden Eingriffen in seine zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt zu sein.
Es liegt daher im Sinne der oben zitierten Judikatur ein Fluchtgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention vor und bestehen vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II. 1. 2.) auch keinerlei Hinweise darauf, dass diese Verfolgungssituation nicht mehr aktuell wäre.
In Anbetracht des Umstandes, dass Homosexualität in ganz Nigeria per Gesetz unter Strafe gestellt ist, gibt es auch keinerlei Gebiete, in denen der Beschwerdeführer vor einer Verfolgung aufgrund seiner Homosexualität sicher wäre. Somit steht ihm fallgegenständlich auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
Asylausschluss- oder Endigungsgründe liegen nicht vor und war dem Beschwerdeführer im Ergebnis gemäß § 3 Abs 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs 5 AsylG ist mit dieser Entscheidung, mit der dem Beschwerdeführer der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, die Feststellung zu verbinden, dass ihm damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Aufgrund der Gewährung des Asylstatus waren die weiteren, auf einer negativen Entscheidung über den Status der Asylberechtigten aufbauenden Spruchpunkte ersatzlos zu beheben.
Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung in Zusammenhang mit Homosexualität, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.