Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, MA, über die Revisionen 1. des K Q, 2. der M M, 3. des mj. A M, und 4. des mj. A M, alle vertreten durch Mag. Hela Ayni Rahmanzai, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Invalidenstraße 11 Top 2, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. November 2021 (ausgefertigt am 10. Dezember 2021), 1. W113 2198193 1/17E, 2. W113 2198191 1/16E, 3. W113 2198177 1/14E und 4. W113 22228901/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Erkenntnisse werden im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien jeweils € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Mitglieder einer Familie und Staatsangehörige Afghanistans. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern des Drittund des Viertrevisionswerbers. Die Eltern stellten am 10. Februar 2015 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Für die beiden in Österreich geborenen Drittund Viertrevisionswerber wurden am 22. November 2016 (Drittrevisionswerber) und am 21. Juni 2019 (Viertrevisionswerber) ebenso jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 gestellt.
2 Mit den am 5. November 2021 nach Durchführung einer Verhandlung mündlich verkündeten und am 10. Dezember 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren diese Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status von Asylberechtigten ab, erkannte den revisionswerbenden Parteien den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Gegen die Nichtgewährung von Asyl wenden sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die Begründungsmängel sowie die Abweichung von näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Voraussetzungen für die Asylgewährung von Frauen aus Afghanistan rügen und sich weiters gegen die Beweiswürdigung im Hinblick auf das Vorbringen der Zweitrevisionswerberin und der von ihr vorgebrachten Lebensstiländerung wenden.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Akten ein Vorverfahren durchgeführt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
5Mit Beschluss vom 13. Oktober 2022, Ra 2022/14/0018 bis 0021, wurden die Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in den Rechtssachen C 608/22 und C609/22 über die mit Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 2022, EU 2022/0016 (Ra 2021/20/0425) und EU 2022/0017 (Ra 2022/20/0028), vorgelegten Fragen ausgesetzt.
6 Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 4. Oktober 2024, C 608/22 und C 609/22, diese Fragen beantwortet.
Der Verwaltungsgerichtshof hatin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Das Bundesverwaltungsgericht begründete die angefochtenen Entscheidungen in der Asylfrage, soweit für die vorliegenden Revisionsverfahren von Relevanz, unter anderem damit, dass im Verfahren nicht hervorgekommen sei, dass die Zweitrevisionswerberin einen Lebensstil pflege, „der die Anerkennung, die Inanspruchnahme bzw. die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck bringt und dieser Lebensstil einen derart deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, dass bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung zu rechnen ist. Auch ist der Lebensstil nicht derart verfestigt, dass er zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist.“
8Das Verfahren über den Antrag der Zweitrevisionswerberin gleicht in den entscheidungswesentlichen Punkten jenen Fällen, in denen sich der Verwaltungsgerichtshof mit den Erkenntnissen jeweils vom 23. Oktober 2024, zu Ra 2021/20/0425 und zu Ra 2022/20/0028 mit der Vereinbarkeit der österreichischen Rechtslage zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz im Falle weiblicher Staatsangehöriger Afghanistans mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU („Statusrichtlinie“) befasst hat. Es wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieser Erkenntnisse verwiesen.
9Daher erweist sich auch das eingangs genannte Erkenntnis über die Beschwerde der Zweitrevisionswerberin im angefochtenen Umfang als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
10Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (vgl. VwGH 20.4.2023, Ra 2022/19/0028, mwN), weshalb auch die angefochtenen Erkenntnisse über die Beschwerden der Erst , Drittund Viertrevisionswerber im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.
11Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 52 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. November 2024