Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A*wegen § 269 Abs 1 erster Halbsatz dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufungen des Angeklagten wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld und Strafe und der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 28. März 2025, GZ ** 9.3, nach der am 20. Oktober 2025 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Hahn, im Beisein der Richterinnen Dr. Steindl und Dr. Hornich LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Salfelner LL.M. sowie in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Stangl durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 (erster Halbsatz) dritter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung der §§ 39a Abs 1 Z 4 iVm Abs 2 Z 2 StGB und 43a Abs 2 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB zu einer unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 5 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* am 10. Dezember 2024 in ** dadurch, dass er mit seinem PKW auf den in der Fahrbahnmitte stehenden Polizeibeamten B*, der im Begriff war, ihn anzuhalten, um eine Verkehrskontrolle durchzuführen, mit einer Geschwindigkeit von rund 80 km/h zufuhr, weshalb dieser zur Seite springen musste, um nicht vom Fahrzeug erfasst zu werden, einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung gehindert.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht keinen Umstand als erschwerend, mildernd den bisherigen ordentlichen Lebenswandel. Davon ausgehend hielt es eine Kombination aus unbedingter Geldstrafe und bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe spezialwie auch generalpräventiv erforderlich, aber auch ausreichend. Einem Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO wären die fehlende Verantwortungsübernahme, das Vorliegen schwerer Schuld als auch generalpräventive Erwägungen entgegengestanden.
Gegen dieses Urteil richten sich die jeweils mit umfassendem Anfechtungsziel rechtzeitig angemeldeten (ON 10; ON 11.2) und fristgerecht ausgeführten Berufungen des Angeklagten wegen Nichtigkeit und des Schuldund Strafausspruchs, mit der er eine Urteilsaufhebung bzw eine zur Gänze bedingte Strafnachsicht anstrebt (ON 13), sowie jene der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, die nach Zurückziehung in den Punkten Nichtigkeit und Strafe (ON 12, 1) wegen des Schuldausspruchs erhoben wurde, mit der sie sich gegen die Nichtannahme der Subsumtion nach den §§ 15, 84 Abs 4 StGB; §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB; 15, 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB wendet (ON 12).
Den Rechtsmitteln kommt keine Berechtigung zu.
Wenn A* in seiner zunächst zu behandelnden Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (vgl Ratz, WKStPO § 476 Rz 9) die dem Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen aufgrund verfehlter Beweiswürdigung kritisiert, gelingt es ihm nicht, Bedenken an der erstrichterlichen Beweiswürdigung zu wecken. Der Tatrichter stellte den Geschehensablauf in einleuchtender und nachvollziehbarer Weise dar und gelangte insbesondere aufgrund der Angaben der vernommenen Zeugen unter Verwerfung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten zur Überzeugung, Letztgenannter hätte die dem Schuldspruch zugrundegelegte Tathandlung in objektiver und subjektiver Hinsicht begangen.
Der Tatrichter setzte sichdem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe folgend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO)mit allen wesentlichen Beweisergebnissen auseinander und legte ausführlich dar, aus welchen Gründen er den als Schutzbehauptung und in sich widersprüchlich gewerteten Depositionen des Angeklagten (ON 9.2, 2 ff) keinen Glauben schenkte, sondern diese vielmehr als durch die Aussagen von B* (ON 9.2, 13 ff) und C* (ON 9.2, 19 ff) sowie den damit in Einklang zu bringenden, gemäß § 252 Abs 2a StPO in der Hauptverhandlung vorgekommenen (ON 9.2, 26) Amtsvermerk vom 11. Dezember 2024 (ON 2.10.) widerlegt ansah.
Insgesamt beruhen die erstgerichtlichen Feststellungen auf aktenkonformer und lebensnaher Beweiswürdigung und vermag die Schuldberufung, die der erschöpfenden Erörterung der Verfahrensergebnisse durch den Erstrichter im Wesentlichen bloß die Verantwortung des Angeklagten entgegenhalten kann, keine Zweifel an der zutreffenden Beweiswürdigung des Erstgerichts und die auf dieser Basis zu den objektiven sowie subjektiven Komponenten des Anlassfalls getroffenen Feststellungen hervorzurufen. Wenn der Berufungswerber aus den Aussagen der genannten Zeugen, wonach sich B* beim Anhalteversuch nicht auf die Gegenfahrbahn begeben hätte, zu einem für ihn günstigeren Beweisergebnis zu gelangen versucht, ist er auf die Angaben des genannten Polizeibeamten zu verweisen, der dezidiert aussagte: „Wenn ich nicht auf die Seite gehupft wäre, hätte er mich gepackt“ (ON 9.2, 15). Da es seinen Angaben zufolge schon ziemlich knapp gewesen sei (ON 9.2, 16) und auch Insp C* bestätigte, dass ihn der Autofahrer erwischt hätte, wenn er nicht weggesprungen wäre (ON 9.2, 20), kann wohl nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass A* durch sein Zufahren mit hoher Geschwindigkeit auf den amtshandelnden Beamten diesen ungeachtet seines Standorts zu einem Sprung auf die Seite veranlasst hatte.
Aber auch der Anklagebehörde gelingt es im Rahmen ihrer Schuldberufung nicht, Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstrichters zu wecken. In ihrem Rechtsmittel moniert die Staatsanwaltschaft zwar zu Recht, dass das Erstgericht konkrete Feststellungen in Bezug auf die Wollenskomponente betreffend der Körperverletzung zu treffen unterließ, wobei die Berufungswerberin selbst einräumte, dass disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung Negativfeststellungen auch zur Wollenskomponente getroffen wurden (vgl. ON 9.3, 4 dritter Absatz; siehe auch ON 9.3, 5 zweiter Absatz sowie die rechtlichen Erwägungen zum Verletzungsvorsatz ON 9.3, 6 vierter Absatz).
In ihrem Rechtsmittel erachtet die Staatsanwaltschaft die erstgerichtliche Annahme, wonach sich der Angeklagte einerseits damit abgefunden habe, er könne mit seinem Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit auf B* frontal zufahren, sodass dieser ausweichen müsse, jedoch andererseits nicht einmal in laienhafter Weise eine wie auch immer geartete Kollision in Kauf nehme, als lebensfremd und unlogisch. Denn wer auf eine Person mit seinem Fahrzeug in dem Wissen, dass eine Kollision nur durch Ausweichen dieser Person verhindert werden könne, zufahre, müsse es zwangsläufig zumindest billigend in Kauf nehmen, dass es auch tatsächlich zur Kollision kommen könnte, weil es nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine Vielzahl von Umständen gebe, die einem erfolgreichen Ausweichen entgegenstehen könnten, wie etwa Reaktionsverzögerung, suboptimale Ausweichbewegungen, „Schockstarre“, Fehleinschätzung der Bremsbereitschaft des Fahrers oder Übermut.
Der Erstrichter gelangte jedoch nach Durchführung des Beweisverfahrens zur Erkenntnis, dass nicht festgestellt werden konnte, dass es der Angeklagte auch ernstlich für möglich gehalten hätte, dass B* seinem Fahrzeug nicht ausweichen, es zu einem Zusammenstoß kommen und der Genannte dadurch am Körper verletzt würde oder der Angeklagte daran gedacht hätte, dass B* durch das Ausweichen seines Fahrzeugs am Körper verletzt werden könnte (US 2 f). Die in diesem Zusammenhang getroffene Negativfeststellung ist nach der Aktenlage vertretbar, zumal A* (auch) angab, er habe sich gedacht, der gehe eh auf die Seite (ON 9.2, 12) bzw er habe ihn auf jeden Fall nicht zusammenführen wollen (ON 9.2, 24). Darüber hinaus räumte auch der Polizeibeamte ein, dass der Angeklagte wahrscheinlich versucht haben werde, dass er von ihm wegkomme, weil er sonst nicht auf die Gegenfahrbahn gefahren wäre (ON 9.2, 16) bzw er wäre glaublich sogar teilweise am Bankett gewesen und hätte „bestimmt wahrscheinlich“ wegfahren wollen (ON 9.2, 18).
Mag es auch naheliegend erscheinen, dass aufgrund der äußeren Umstände der Angeklagte billigend den Eintritt einer (schweren) Körperverletzung in Kauf nahm, begründete der Erstrichter jedoch unter Einbeziehung des von allen Vernommenen gewonnenen persönlichen Eindrucks durchaus nachvollziehbar die von der Staatsanwaltschaft kritisierte Negativfeststellung zur subjektiven Tatseite, sodass der befasste Berufungssenat keine Bedenken gegen die erstrichterliche Beweiswürdigung und die darauf gegründeten Konstatierungen hegt.
Die Berufungen wegen des Ausspruchs über die Schuld mussten sohin erfolglos bleiben.
Die auf § 281 Abs 1 Z 10a StPO gestützte Nichtigkeitsberufung des Angeklagten ist nicht im Recht. Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge erfordert nämlich eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RISJustiz RS0124801, RS0116823). Das Erstgericht verneinte die Voraussetzungen diversionellen Vorgehens unter anderem wegen mangelnder Verantwortungsübernahme des Angeklagten für das ihm zur Last gelegte Tatgeschehen (zu diesem Kriterium RISJustiz RS0116299, RS0126734; Schroll/Kert, WKStPO § 198 Rz 36 ff). Ohne an den Urteilsaussagen zur vom Gericht als unglaubwürdige Schutzbehauptung gewerteten Verantwortung (US 3) festzuhalten, bestreitet die Rüge das Vorliegen dieses spezialpräventiven Diversionshindernisses, wobei der Angeklagte selbst im Rechtsmittel das vorsätzliche Entziehen von einer Verkehrskontrolle einräumt und bloßes Flüchten vor der Polizei behauptet (vgl. ON 13.1, 5 f).
Weiters setzt eine intervenierende Diversion voraus, dass die Schuld des Angeklagten nicht als schwer anzusehen ist. Der in der Strafzumessungsschuld zum Ausdruck kommende Vorwurf umfasst das vom Angeklagten verwirklichte Handlungsunrecht, die eigentliche, vielfach als Gesinnungsunwert bezeichnete täterspezifische Schuld und darüber hinausgehend alle für die Bestimmung der Strafe sonst noch bedeutsamen Umstände im Sinne der §§ 32 ff StGB. Es ist in Art einer Strafzumessung eine Gesamtbewertung aller Faktoren vorzunehmen, wobei nach der Intention des StRÄG 2015 durch den neu formulierten Erschwerungsumstand nach § 33 Abs 2 StGB die Beurteilung der Frage, ob die Schuld als schwer anzusehen ist, eine veränderte Akzentuierung erfahren soll ( Schroll/Kert aaO Rz 13, 14, 24, 24/1). Aufgrund der Begehung der Tat unter Einsatz einer (im funktionalen Sinn - RISJustiz RS0134002) Waffe (§ 33 Abs 2 Z 6 StGB) sowie dem Zurasen auf eine amtshandelnde Person mit einer Geschwindigkeit von rund 80 km/h (US 2) liegt schweres Verschulden und somit ein weiteres Diversionshindernis vor.
Die Berufung wegen Nichtigkeit musste daher erfolglos bleiben.
In der Straffrage ist das Rechtsmittel ebenso wenig berechtigt.
Der Ansicht des Berufungswerbers zuwider ging das Erstgericht unter Anwendung des 39a Abs 1 Z 4 StGB von einer geänderten Strafdrohung aus. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Anwendung von Gewalt oder (gefährlicher) Drohung unter Einsatz oder Drohung mit einer Waffe strenger sanktioniert werden. Als „Waffe“ ist im Kontext der Bestimmung zur Strafbemessungwie in § 143 StGB eine solche im funktionalen Sinn zu verstehen (RISJustiz RS0134002). Dass ein mit hoher Geschwindigkeit bewegter PKW (zum Gewaltbegriff vgl RIS-Justiz RS0093608) in Form, Wirkungsweise und Anwendbarkeit in einem Kampf einer Waffe im Sinne des Waffengesetzes gleichwertig ist (vgl RISJustiz RS0093928), kann wohl nicht bezweifelt werden.
Ausgehend von diesen Erwägungen sind auch die Strafzumessungsgründe zum Nachteil des Angeklagten um den Erschwerungsgrund nach § 33 Abs 2 Z 6 StGB zu ergänzen. Die Annahme dieses Erschwerungsgrunds verstößt auch bei gleichzeitiger Anwendung des § 39a Abs 1 Z 4 iVm Abs 2 Z 2 StGB nicht gegen das Verbot der Doppelverwertung, weil Umstände, die nicht den Strafsatz (Subsumtion), sondern den Strafrahmen (Strafbefugnis) bestimmen, nach der von der überwiegenden jüngeren Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung zusätzlich als Strafzumessungsgrund in Anschlag gebracht werden dürfen (RISJustiz RS0130193; Ratz, WKStPO § 281 Rz 668/4).
Demzufolge ist die verhängte Strafenkombination im Sinne des § 43a Abs 2 StGB keinesfalls überhöht und demgemäß keiner Reduktion zugänglich. Insbesondere liegt in spezialpräventiver Hinsicht vor allem aufgrund des Handlungsunrechts, das eine Unwerthöhe erreicht, die im Wege einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist, ein so hoher Schuldgehalt vor, sodass es an den Voraussetzungen für eine zur Gänze bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe fehlt.
Die Berufungen mussten sohin erfolglos bleiben.
Der Kostenausspruch gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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