JudikaturOLG Wien

7Rs56/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter des Oberlandesgerichts Mag. Nigl und Mag. Zechmeister sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Böhm und ao. Univ.Prof. Mag.Dr. Monika Drs in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. A* , **, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, vertreten durch Mag. B* und andere, ebenda, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 19.2.2025, **-14, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben und das angefochtene Urteil mit der Maßgabe bestätigt, dass es lautet:

„1. Der Unfall vom 30.4.2024 wurde als Arbeitsunfall anerkannt. Festgestellte Verletzung nach diesem Versicherungsfall: Zerrung des linken Kniegelenks

2. Das Klagebegehren, es werde festgestellt dass der von der Klägerin erlittene Riss des vorderen Kreuzbandes links Folge des Arbeitsunfalls vom 30.4.2024 sei; die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.4.2024 eine Versehrtenrente ab 1.5.2024 zu gewähren, wird abgewiesen.

3. Die klagende Partei hat ihre Verfahrenskosten selbst zu tragen.“

Die klagende Partei hat auch die Kosten ihrer Berufung selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Mit dem Bescheid vom 20.9.2024 sprach die Beklagte aus, dass der Unfall vom 30.4.2024, den die Klägerin als Dienstnehmerin erlitten habe, als Arbeitsunfall anerkannt worden sei.

Festgestellte Verletzung(en) nach diesem Versicherungsfall:

Zerrung des linken Kniegelenkes

Unabhängig von diesem Versicherungsfall festgestellte Verletzung(en) bzw. Erkrankung(en):

Vorbestehender Riss des vorderen Kreuzbandes links

Es bestehe kein Anspruch auf Versehrtenrente.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass der von der Klägerin erlittene Riss des vorderen Kreuzbandes links Folge des Arbeitsunfalls vom 30.4.2024 sei. Die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab 1.5.2024 zu bezahlen.

Die Beklagte bestritt.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.4.2024 eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, abgewiesen. Es sprach weiters aus, dass die klagende Partei ihre Verfahrenskosten selbst zu tragen habe.

Es traf folgende Feststellungen (die in der Berufung gerügten Feststellungen werden durch Fettdruck gekennzeichnet):

Die am ** geborene Klägerin ist Lehrerin. Während des Turnunterrichts am 30.4.2024 demonstrierte sie vor ihren Schüler:innen eine Übung, wobei sie vom Boden absprang. Dabei erlitt sie eine Giving-Way-Attacke, dies bei bekanntem Vorschaden des vorderen Kreuzbandes, welcher mittels MRT bereits im Dezember 2023 diagnostiziert wurde. Die Klägerin erlitt am 30.4.2024 eine Zerrung des linken Kniegelenkes, dies bei Instabilität des linken Kniegelenkes infolge einer veralteten Rissbildung des vorderen Kreuzbandes.

Nach einem plastischen Ersatz des vorderen Kreuzbandes am 6.6.2024 besteht eine geringe Schwellung des linken Kniegelenkes, dies ohne Muskelverschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links. Die aktive Beweglichkeit des linken Kniegelenkes ist nicht eingeschränkt. Es besteht eine geringe Restinstabilität, diese Instabilität ist allerdings der Vorverletzung und nicht dem verfahrensgegenständlichen Unfall zuzurechnen. Zerrungen pflegen längstens binnen weniger Wochen folgenlos abzuheilen.

Es lag ab dem Unfallstag 30.4.2024 eine unfallkausale MdE von 0% vor.

Rechtlichfolgerte das Erstgericht, gemäß § 203 Abs 1 ASVG bestehe Anspruch auf Versehrtenrente, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 % vermindert sei. Wie festgestellt habe ab 30.4.2024 keine unfallkausale Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bestanden. Die Voraussetzungen einer Versehrtenrente seien bei der Klägerin nicht gegeben und sei das Klagebegehren abzuweisen gewesen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und wegen eines primären Verfahrensmangels mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1.) Zur Tatsachenrüge:

1.1.) Die Klägerin begehrt anstelle der von ihr bekämpften Feststellungen nachstehende Ersatzfeststellungen:

„Die Klägerin erlitt am 30.4.2024 eine Zerrung des linken Kniegelenkes sowie einen Riss des linken Meniskus“.

„Es lag bei der Klägerin über drei Monate nach dem Unfall vom 30.4.2024 hinaus eine unfallkausale MdE von zumindest 20 % vor“.

1.2.) Um eine Beweisrüge gesetzmäßig auszuführen ist es erforderlich anzugeben, a) welche konkrete Feststellung bekämpft wird, b) aufgrund welcher unrichtigen Beweiswürdigung diese getroffen wurde, c) welche (ersatzweise) Feststellung begehrt wird und d) aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese zu treffen gewesen wäre (RS0041835; Pimmer in Fasching/Konecny³ § 467 ZPO Rz 40; A. Kodek in Rechberger/Klicka 5 § 471 Rz 15 mwN).

Für eine gesetzmäßig ausgeführte Beweisrüge reicht es nicht, bloß auf einzelne für den Prozessstandpunkt des Berufungswerbers günstige Beweismittel zu verweisen; vielmehr muss dargelegt werden, warum das Erstgericht diesen und nicht anderen Beweismitteln hätte Glauben schenken sollen. Erforderlich ist eine kritische Auseinandersetzung mit der gesamten Beweislage. Für eine wirksame Bekämpfung der Beweiswürdigung genügt es auch nicht aufzuzeigen, dass auf der Basis der Ergebnisse des Beweisverfahrens auch andere Feststellungen möglich gewesen wären; es ist vielmehr darzulegen, dass die getroffenen Feststellungen zwingend unrichtig sind, oder wenigstens bedeutend überzeugendere Ergebnisse für andere Feststellungen vorliegen.

Dies gelingt der Berufungswerberin nicht.

1.3.) Das Regelbeweismaß der ZPO ist die hohe Wahrscheinlichkeit (RS0110701), wobei es aber letztlich immer auf die subjektiven Komponenten der richterlichen Überzeugung ankommt. Hohe Wahrscheinlichkeit stellt keine objektive Größe dar. Jedem Beweismaß wohnt eine gewisse Bandbreite inne, sodass es sowohl von den objektiven Umständen des Anlassfalls, aber auch von der subjektiven Einschätzung des Entscheidungsorgans abhängt, wann dieses die erforderliche Wahrscheinlichkeit als gegeben ansieht.

Unter Anwendung dieser Prämissen und nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 272 ZPO) hat das Gericht nach seiner persönlichen Überzeugung zu beurteilen, ob ein Beweis gelungen ist oder nicht.

1.4.) Mangels Sonderregelung im ASGG sind auch auf das sozialgerichtliche Beweisverfahren die Bestimmungen der ZPO samt den darin enthaltenen Grundsätzen anzuwenden und gelten auch für die Behauptungs- und Beweislast grundsätzlich die allgemeinen Regeln ( Neumayrin ZellKomm³, § 87 ASGG Rz 1; 10 ObS 70/05z; 10 ObS 42/11s; 10 ObS 6/12y; RS0086050).

Nach der allgemeinen Beweislastregel muss jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen behaupten und beweisen, sodass derjenige, der einen Anspruch behauptet, für alle anspruchsbegründenden (rechtserzeugenden) Tatsachen die Behauptungs- und Beweislast trägt (RS0039939 [T4, T6, T12], RS0106638, RS0109832). Dass in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren die subjektive Beweislast nicht gilt, bedeutet nur, dass der Beweis nicht schon dann als misslungen anzusehen ist, wenn die von der objektiv beweispflichtigen Partei beantragten Beweise nicht ausreichen, sondern dass es auch darauf ankommt, ob der Beweis allenfalls durch andere von Amts wegen aufzunehmende Beweise hätte erbracht werden können. Den Versicherten trifft aber auch in Sozialrechtssachen die objektive Beweislast für den rechtserzeugenden Sachverhalt, sodass ein Anspruch nur bejaht werden kann, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen sind (RS0086045 [T1, T3], RS0086050 [T9, T17], RS0103347 [T5]).

Der Sachverständige Univ. Prof. Dr. C* führte in seinem schriftlichem Gutachten aus, dass die Klägerin am 30.4.2024 eine Giving-Way-Attacke erlitt, dies bei bekanntem Vorschaden des vorderen Kreuzbandes. Die Klägerin erlitt am 30.4.2024 allenfalls eine Zerrung des linken Kniegelenkes, dies bei Instabilität des linken Kniegelenkes infolge einer veralteten Rissbildung des vorderen Kreuzbandes.

Im Rahmen der mündlichen Gutachtenserörterung führte er aus, dass es bei der Klägerin zwar zwischen Dezember 2023 und Mai 2024 zu einer Verschlechterung gekommen ist, ob das Unfallereignis dazu geeignet war oder ob dies allein aus degenerativen Gründen entstanden ist, konnte er jedoch nicht beantworten. Wann jetzt genau ein Riss des Meniskus eingetreten ist, sei nicht genau nachvollziehbar, man könne das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, jedoch nicht mit einer hohen Wahrscheinlichkeit angeben.

Er verwies noch auf den den ersten Untersuchungsbefund vom 1.5.2024 und dass sich daraus ergibt, dass die Klägerin damals das Bein gestreckt gehoben hat und heben und halten konnte. Ausgehend davon bezeichnete er es als äußerst unwahrscheinlich, dass die Klägerin beim Unfall am 30.4.2024 einen Riss des Meniskus erlitten hat. Insbesondere werde im Befund auch nicht eine Druckschmerzhaftigkeit über den inneren Gelenkspalt dokumentiert. Es sei anzunehmen, dass es bereits einen Tag nach dem Unfall zu solchen Schmerzen führt, wenn ein solche Verletzung gegeben wäre.

1.5.) Die in der Berufung angeführten „Unsicherheiten“ des Sachverständigen gehen jedenfalls zulasten der beweisbelasteten Klägerin. Sie müsste nachweisen, dass der Unfall mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Riss des Meniskus geführt hat. Dass der Sachverständige eine solche Kausalverbindung bloß nicht ausschließen kann bzw eine gewisse, aber keinesfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit konstatieren kann, reicht nicht hin.

Die Berufung übersieht auch, dass das wesentliche Argument, warum der Sachverständige zu dem Schluss kam, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass die Klägerin beim Unfall am 30.4.2024 einen Riss des Meniskus erlitten hat, nicht das Fehlen einer dokumentierten Druckschmerzhaftigkeit über den inneren Gelenkspalt ist, sondern der Umstand, dass die Klägerin am 1.5.2024 das Bein gestreckt gehoben hat und heben und halten konnte.

1.6.) Insgesamt gelingt es der Berufung damit nicht, eine unrichtige Beweiswürdigung aufzuzeigen. Dass das vom Erstgericht eingeholte Sachverständigengutachten letztlich nicht das von der Klägerin gewünschte Ergebnis erbrachte, macht weder das Verfahren mangelhaft, noch die Beweiswürdigung unrichtig.

Das Berufungsgericht sieht damit keinen Grund, von den vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen abzugehen (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO).

2.) Zum Verfahrensmangel :

2.1.) Nach der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte bildet das Unterbleiben der Einvernahme der Klägerin als Partei zu ihrem Gesundheitszustand keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Die Aussage einer Partei eignet sich nämlich nicht zur Lösung von Fragen, deren Beurteilung einer besonderen Sachkunde – hier medizinischen Fachwissens – bedarf (SVSLG 64.753, 64.864, 64.872 uva; Neumayr in ZellKomm 3§ 75 ASGG Rz 8 mwN). Dieser Grundsatz hat auch im vorliegenden Fall Gültigkeit. Er hat vor Augen, dass die Partei die für ihr Leiden maßgeblichen Umstände ohnehin durch die vom Sachverständigen aufzunehmende und im Gutachten festzuhaltende Anamnese in das Verfahren einbringt. Mangels medizinischer Fachkenntnisse der Partei können sich deren Angaben immer nur auf die Schilderung der subjektiven Seite des bestehenden Leidenszustandes beschränken. Damit fehlt es der Einvernahme der Partei über ihren Gesundheitszustand aber an der erforderlichen abstrakten Tauglichkeit, als Beweismittel für die allein relevante objektive Einschätzung des gegebenen Gesundheitszustandes und von dessen Ursachen zu dienen. Es obliegt daher ausschließlich dem (den) gerichtlichen bestellten Sachverständigen, Auskunft über Ursache, Schwere und medizinische Folgen des Leidenszustandes des Versicherten zu geben (OLG Wien 9 Rs 90/23f).

Damit stellt es keinen Verfahrensmangel dar, wenn eine Einvernahme der Partei zu medizinisch relevanten Umständen unterbleibt, sofern die Partei – wie hier – die maßgeblichen Umstände auf andere Weise in das Verfahren einbringen konnte. Regelmäßig genügen die Angaben der Partei bei der Anamnese, die als Grundlage eines medizinischen Sachbefunds durchgeführt wird, um den Sachverhalt in dieser Hinsicht ausreichend aufzuklären. Dann ist es vertretbar, dass die Aufnahme dieses Beweises durch das Gericht unterbleibt (OLG Innsbruck 23 Rs 40/24i mwN).

2.2.) Im Hinblick auf die Verfahrensergebnisse war es auch nicht erforderlich, den Sachverständigen nach dem Ausmaß der bei der Klägerin eingetretenen Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit infolge des Unfalls vom 30.4.2024 ausgehend davon zu befragen, dass die Klägerin infolge dieses Unfalls auch einen Meniskusriss links erlitten hätte. Gerade dies liegt nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt nicht vor. Es ist nicht Aufgabe des Sozialrechtsverfahrens, hypothetische Fragen zu klären, die keine Deckung in den Verfahrensergebnissen finden und damit nicht entscheidungsrelevant sein können.

2.3.) Auch die primäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist damit zu verneinen.

Eine Rechtsrüge wurde nicht erhoben.

3.) Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die angefochtene Entscheidung war mit der Maßgabezu bestätigen, dass die bereits im Bescheid vom 20.9.2024 festgestellten Verletzungsfolgen des Arbeitsunfalls, die iSd § 71 Abs 2 zweiter Satz ASGG als unwiderruflich anerkannt gelten, von Amts wegen in den Urteilsspruch aufzunehmen waren (RS0132708, RS0089217, RS0085721). Das gilt auch bezüglich der Feststellung des Unfallversicherungsträgers, wonach ein Arbeits-(Dienst-)unfall oder eine Berufskrankheit vorliegt (10 ObS 111/15v mwN). Weiters war in den Spruch der Entscheidung das gesamte Klagebegehren mit dem gewählten Inhalt, über das das Erstgericht erkennbar entscheiden wollte, aufzunehmen.

4.) Die Kostenentscheidungberuht auf § 77 ASGG. Für einen Kostenzuspruch an die zur Gänze unterliegende Klägerin nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 2 Z 1 lit b ASGG ergaben sich keine Anhaltspunkte. Die Klägerin hat daher die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

5.) Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhing, zumal eine in der Berufung unterlassene oder nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden kann (RS0043573), wobei dieser Grundsatz ungeachtet § 87 Abs 1 ASGG auch im Verfahren in Sozialrechtssachen gilt (RS0043480).