10Bs209/25y – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Mag. a Tröster (Vorsitz), Mag. a Haas und Mag. Wieland in der Maßnahmenvollzugssache des A* B*wegen bedingter Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach § 47 StGB über die Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 22. Juli 2025, GZ **- 10, in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.
Text
BEGRÜNDUNG:
Der am ** geborene A* B* wurde im Verfahren des Landesgerichts Korneuburg als Geschworenengericht, AZ **, wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und zweier Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB zur Freiheitsstrafe von 17 Jahren verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB (aF) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (nunmehr: forensisch-therapeutisches Zentrum) eingewiesen.
Dem nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 28. November 2006 zu AZ 14 Os 118/06v rechtskräftigen Schuldspruch zu Folge hat er am 28. Jänner 2006 in **
Da A* B* die Taten, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung und zwar einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend paranoiden und schizoiden, aber auch zwanghaften und schizotypen Persönlichkeitszügen begangen hat und mit hoher Wahrscheinlichkeit nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten stand, dass er sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde, wurde er gemäß § 21 Abs 2 StGB eingewiesen (siehe sonstige Beilagen: Urteile).
A* B* befindet sich seit 12. Februar 2007 im Maßnahmenvollzug und seit 20. Februar 2023 in der Justizanstalt Graz-Karlau. Die Freiheitsstrafe ist infolge Anrechnung der Anhaltezeit seit 28. Jänner 2023 vollzogen (ON 2.2; 2.3; ON 2.4;).
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 3. September 2024, AZ **, wurde – nach persönlicher Anhörung – die Unterbringung in einem (nunmehr) forensisch-therapeutischen Zentrum (auch iSd Übergangsregelung des Artikel 6 Abs 2 erster Satz MVAG 2022), weiterhin als notwendig erachtet (siehe Beschlüsse im „Ordner Beilagen“).
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Vollzugsgericht als Senat von drei Richtern (§ 162 Abs 3 StVG) aus Anlass der alljährlichen amtswegigen Prüfung aus, dass die Unterbringung von A* B* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB weiterhin notwendig ist (ON 10). Dagegen richtet sich die Beschwerde (ON 11) des Untergebrachten, der keine Berechtigung zukommt.
Das Erstgericht stellte im bekämpften Beschluss das Relevante des Anlassverfahrens, das Vorleben des Untergebrachten, sein Verhalten in der Anstalt (ON 2.3 bis ON 2.6), die Stellungnahmen des Leiters der Justizanstalt Graz-Karlau (ON 2.2), des Departments Maßnahmenvollzug (ON 6 und ON 9.1), der Staatsanwaltschaft Graz (ON 1.3) und des Betroffenen (ON 2.7) sowie das eingeholte Sachverständigengutachten (ON 7) aktenkonform dar. Hierauf wird, ebenso wie zur maßgeblichen Bestimmung des § 47 Abs 2 StGB, auf deren jeweils zutreffende Darstellung im angefochtenen Beschluss (BS 2 ff) zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (zur Zulässigkeit vgl RIS-Justiz RS0119090 [T4], RS0098664 [T3], RS0098936 [T15]).
Die freiheitsentziehende Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB (idgF) darf nur aufrecht erhalten werden, wenn die einen maßgeblichen Einfluss auf die Anlasstat(en) habende schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung sowie die hohe Wahrscheinlichkeit (13 Os 116/24v), dass der Betroffene nach seiner Aufführung und Entwicklung in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner schwerwiegenden und psychischen Störung weiterhin Prognosetaten mit schweren Folgen begehen wird, noch bestehen und es keine Möglichkeit gibt, die unterbringungsrelevante Gefährlichkeit extra muros hintanzuhalten (§ 47 Abs 2 StGB; Haslwanterin WK2 StGB § 47 Rz 12 bis 14).
Nach dem mängelfrei zustandegekommenen, schlüssigen Gutachten der Sachverständigen Mag. a G*, MA vom 3. Juli 2025 (ON 7), die auf sämtliche im Akt befindlichen Vorgutachten Bezug nahm, in Verbindung mit den detaillierten forensischen (ON 2.7 und ON 9.1) Stellungnahmen des Departments Maßnahmenvollzug, wonach die schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung in Form einer schizoiden Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Anteilen und einer deutlichen paranoiden Reaktionsbereitschaft nach wie vor besteht und auf Grund dieser Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit weitere Taten mit schweren Folgen zu erwarten sind, ist die erstgerichtliche Annahme der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung des Betroffenen nicht zu kritisieren.
Die in der Beschwerde erhobene Kritik an der psychologischen Prognose des Departments Maßnahmenvollzug übersieht schon im Ansatz, dass die Prognose an Hand der in § 47 StGB normierten Prognosekriterien (Aufführung und Entwicklung in der Anstalt, Person, Gesundheitszustand, Vorleben und Aussichten auf ein redliches Fortkommen) vom Gericht zu erstellen ist (RIS-Justiz RS0120576 [T3], RS0114965; Ratz in WK 2StGB § 47 Rz 12 mwN), sodass Erwiderungen zur diesbezüglichen Beschwerdeargumentation auf sich beruhen können (OLG Graz, 10 Bs 89/22x). Lediglich der Vollständigkeit halber ist jedoch anzumerken, dass das Strafvollzugsgesetz (§ 167 Abs 1 StVG iVm § 152 Abs 2 StVG iVm § 17 Abs 1 Z 2 StVG) die Einholung einer solchen Stellungnahme ausdrücklich vorsieht, ist doch dem psychologischen Dienst der Justizanstalt zuzugestehen, dass dessen Mitarbeitende die Person des Rechtsbrechers am Besten kennen (OLG Wien, 19 Bs 89/25i; OLG Graz, 10 Bs 90/13f; OLG Innsbruck, 7 Bs 339/16k).
Es besteht bei A* B* daher weiterhin eine schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung im Sinne einer schizoiden Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Anteilen und einer deutlichen paranoiden Reaktionsbereitschaft (F 25.9). Nach der Aufführung und der Entwicklung des Betroffenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit (RIS-Justiz RS0090401) zu befürchten, dass er in absehbarer Zeit, nämlich innerhalb von Wochen oder Monaten, unter dem maßgeblichen Einfluss dieser Störung neuerlich mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, nämlich an sich schwere Körperverletzungsdelikte (siehe auch 15 Os 55/14y [§ 84 Abs 4 StGB]) durch Zufügen von Tritten und Schlägen, mithin solche Verletzungen, die wichtige Organe oder Körperteile in einer Weise beeinträchtigen, dass damit wesentliche Funktionseinbußen verbunden sind, aber auch willkürliche (bewaffnete) – dem Anlassdelikt gleichkommende (zur Indikationswirkung siehe RIS-Justiz RS0097777) – Angriffe gegen Personen, welche dadurch lebensgefährlich verletzt werden könnten (§ 86 StGB [siehe Lengauer/Nimmervollin Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch § 21 StGB Rz 77]), begehen werde.
Für die Fortsetzung der Maßnahme ist insoweit maßgebend, dass nach wie vor eine Vielzahl an dynamischen Risikofaktoren (zwischenmenschliche Aggression, emotionale Kontrolle, Gebrauch von Waffen, Gewalttätigkeit während der Anhaltung, Gewaltzyklus, Einsicht bzgl. Gewalttätigkeit, kognitive Verzerrungen, mangelnde stabile Beziehungen, mangelnder sozialer Empfangsraum, Einhaltung von Auflagen und Weisungen), vorliegen (ON 6,18; siehe auch ON 7,23), welche gepaart mit der – aus dem Krankheitsbild resultierenden – Ich-Zentrierung und der, wenngleich nunmehr verbesserten, jedoch noch immer eingeschränkten Krankheits- und Deliktseinsicht (ON 7,21), einschließlich einer limitierten Emotionalität, Empathiefähigkeit und sozialen Interaktionsfähigkeit (ON 7,23) samt dem teilweisen Durchbruch von Aggressionshandlungen selbst in der Anhaltung (ON 2.5; ON 6,16; siehe auch die hohe Ausprägung in ON 7,32 [„ Er ist schnell gekränkt und neigt dazu, schon bei Kleinigkeiten aggressiv und wütend zu reagieren.“) von den zweifellos erzielten Fortschritten in Form einer wiederaufgenommenen Therapie (ON 7,12) nicht aufgewogen werden können. Zudem gilt in Bezug auf die Therapie zu betonen, dass diese keinen Selbstzweck darstellt, sondern der Bewirkung einer Verhaltensänderung und dem damit einhergehenden Abbau der Gefährlichkeit dient (siehe auch § 164 StVG; OLG Graz, 1 Bs 20/25p), weswegen zum Ausschluss einer rein extrinsischen Motivation es weiterhin einer nachhaltigen Förderung der Delikts- und Störungseinsicht bedarf. Sowohl die Justizanstalt (ON 6,18) als auch die Sachverständige (ON 7,26) stimmen überein, dass aufgrund der schizoiden Persönlichkeitsstruktur, der Schwere des Anlassdeliktes sowie der mangelnden sozialen Unterstützung derzeit eine extra murale Betreuung risikoprognostisch noch nicht empfehlenswert ist, was insoweit auch mit der Rechtsprechung (siehe etwa OLG Linz, 8 Bs 172/23k) korrespondiert, wonach einer Entlassung in der Regel eine Erprobung vorausgeht, welche im gegenständlichen Fall noch nicht erfolgt ist. Aufgrund dieser Umstände kann die im unveränderten Ausmaß bestehende Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, weiterhin durch Maßnahmen im Sinn der §§ 50 bis 52 StGB außerhalb der Unterbringung nicht hintangehalten werden.
Die Kritik an dem Unterbleiben von vollzugslockernden Maßnahmen verfängt nicht. Zwar unterliegen Behörden der Verpflichtung, auf das Ziel hinzuarbeiten, die angehaltene Person auf ihre Entlassung vorzubereiten, etwa auch indem sie bestimmte Vergünstigungen zu gewähren haben, jedoch besteht diese Pflicht nur, wenn es die Situation gestattet (EGMR 20.7.2017, Bsw 11537/11, Lorenz gegen Österreich). In casu liegt ein solcher Fall jedoch gerade nicht vor, weil die Gründe, weshalb dem Angehaltenen bislang keine Erprobung im Rahmen einer Unterbrechung der Unterbringung geboten werden konnte, in seiner Person gelegen sind. Ein subjektiv-öffentliches Rechts auf eine den Vollzugszwecken nicht dienende Behandlung besteht jedoch nicht (OLG Wien, 32 Bs 51/21s mwN; OLG Graz, 1 Bs 20/25p). Es wird daher am Untergebrachten liegen die weiteren Voraussetzungen zur Gewährung von vollzugslockernden Maßnahmen in seiner Person zu schaffen, wofür die in der Beschwerde erwähnte „super Compliance“ einen Ausgangspunkt darstellen kann.
Da nach § 47 StGB im Wesentlichen die schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung sowie die daraus resultierende Gefährlichkeit samt einer allfälligen extra muralen Betreuung den Gegenstand des Verfahrens bilden, erklärt die Beschwerde nicht schlüssig, warum etwaige – im Übrigen gar nicht beantragte – Zeugen zu diesem Beweisthemen eine Aussage machen könnten (siehe auch RIS-Justiz RS0097540).
Somit entspricht der angefochtene Beschluss der Sach- und Rechtslage und ist eine bedingte Entlassung aktuell zu versagen.