15Os13/25p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 30. April 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski, Dr. Sadoghi und Mag. Riffel in Gegenwart des Madari LL.M. (WU), BSc (WU) als Schriftführer in der Strafsache gegen * H* wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 13. November 2024, GZ 9 Hv 15/24y 30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/ und II/2/) und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II/1/) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III/) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in P*
I/ im Juli 2021 an seiner unmündigen Nichte * (geboren am * 2009) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er sich nackt zu ihr legte, seinen erigierten Penis gegen ihren Körper drückte, ihre Vagina unter der Unterhose betastete, ihre Brust unter dem T Shirt massierte und ihre Hand auf seinen erigierten Penis legte, um den Handverkehr an ihm durchzuführen (US 4);
II/1/ am 28. Oktober 2021 außer den Fällen des § 201 StGB die Genannte mit Gewalt zur Vornahme und zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie am Handgelenk packte, festhielt, mit ihrer Hand seinen erigierten Penis umschloss, zunächst selbst mit ihrer Hand Auf und Abbewegungen durchführte, sie danach durch Aufforderung dazu brachte, ihre Hand selbstständig zu bewegen, und ihre Vagina unter der Unterhose betastete;
II/2/ durch die unter II/1/ dargelegte Tat außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen;
III/ durch die zu I/ und II/ beschriebenen Handlungen mit einer minderjährigen Person, die zu den Tatzeitpunkten seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von dieser Person an sich vornehmen lassen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die nicht berechtigt ist.
[4] Der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) zuwider ist den Entscheidungsgründen hinsichtlich beider Taten (I/ und II/ jeweils iVm III/) die eindeutige Feststellung des Bestehens und des Ausnützens des Autoritätsverhältnisses sehr wohl zu entnehmen. Zur Tat am 28. Oktober 2021 (II/ iVm III/) wurde im Urteil unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Angeklagte seine Autorität als zusätzliches Mittel zur Gewalt einsetzte (US 5, 12; zum Maßstab vgl RIS Justiz RS0089983 [insb T2]).
[5] Der Beschwerdeführer releviert die Außerachtlassung einer Mitteilung der psychologischen Sachverständigen zum Aussageverhalten des Opfers (Z 5 zweiter Fall). Dazu ist zu erwidern, dass diese – außerhalb der Hauptverhandlung an die Vorsitzende erstattete und von dieser in einer solchen dargestellte – Mitteilung Anlass dafür war, Befund und Gutachten zur Unterstützung bei der Klärung der Frage der Aussagefähigkeit und tüchtigkeit des Opfers einzuholen (vgl ON 22, 74 f). Bei der anschließenden, allein ihm zustehenden (vgl RIS Justiz RS0104976 [T1]) Beurteilung der Überzeugungskraft der Aussage des Opfers war das Schöffengericht nicht gehalten, sich mit dieser – keine eigenständige Beweismitteleigenschaft aufweisenden (vgl RIS Justiz RS0097540 [T1]) – initialen Einschätzung auseinanderzusetzen (vgl 11 Os 133/23b [Rz 12]).
[6] Entgegen dem weiteren Einwand der Unvollständigkeit berücksichtigten die Tatrichter die Angaben des Opfers und dessen Mutter jeweils in ihrer Gesamtheit und würdigten dabei aufgetretene Widersprüche (US 8 ff). Zur Erörterung sämtlicher Aussagedetails waren sie mit Blick auf das Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verpflichtet (vgl RIS Justiz RS0098778).
[7] Mit den Verfahrensergebnissen zum Zustand und zur Anwesenheit des * H* beim Tatgeschehen zu II/ setzte sich das Schöffengericht auseinander (US 9). Die ins Treffen geführten „Vorstellungen“ der Zeuginnen * He* und * F* zu einem in einer solchen Situation allfällig zu erwartenden Verhalten des Genannten waren dagegen keine Aussagen über Sinneswahrnehmungen, weshalb sie – der Rüge zuwider – nicht erörterungsbedürftig waren (vgl RIS Justiz RS0097545 [insb T14]).
[8] Die Feststellungen zum Ablauf der beiden abgeurteilten Taten (zum Begriff vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 516 ff) wurden auf die als glaubhaft beurteilte Aussage des Opfers gestützt, blieben also – entgegen dem Beschwerdevorbringen (Z 5 vierter Fall) – keineswegs unbegründet. Dass die Beurteilung der Glaubhaftigkeit dieses Beweismittels dem Standpunkt des Nichtigkeitswerbers nicht entspricht oder diesen nicht überzeugt, stellt keinen Begründungsmangel dar (RIS Justiz RS0118317 [insb T9]).
[9] Inwieweit die Überlegungen der Tatrichter (US 9 ff), aufgrund derer sie die Glaubhaftigkeit der Angaben des Opfers bejahten (ua Annahme sexueller Unerfahrenheit auf Basis des Alters und des persönlichen Eindrucks) und das Handlungskalkül des Angeklagten beurteilten (Tatbegehung zu II/ trotz Anwesenheit des als autistisch angenommenen * H*), mit dem Überraschungsverbot in Betreff der Feststellung gerichtsnotorischer entscheidender Tatsachen (zum Begriff vgl RIS Justiz RS0098570 [insb T2]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 463 – zB typische Reinheitsgehalte bestimmter Suchtgifte) konfligieren könnten, ist nicht ersichtlich.
[10] Auch die Feststellungen zum Bestehen und zur jeweils (zu II/ zusätzlich zur Gewaltanwendung) erfolgten Ausnützung des Autoritätsverhältnisses (III/) wurden – in Bezug auf (nicht nur II/, sondern) „sämtliche Tathandlungen“ – mit den jeweiligen äußeren (situativen) Umständen, dem persönlichen Verhältnis und dem Bedeutungsinhalt der verbalen und nonverbalen Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Opfer (US 6, 12) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit zureichend begründet (zum Maßstab vgl RIS Justiz RS0116732).
[11] Mit ihrer eigenständigen Analyse und Bewertung der Verfahrensergebnisse, insbesondere der Aussage des Opfers, gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen zu wecken (zum Maßstab vgl RIS Justiz RS0119583).
[12] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell teils Z 9 lit a – vgl aber RIS Justiz RS0095110 [insb T2, T3] zur Idealkonkurrenz im gegebenen Kontext) zu III/ das Fehlen von Feststellungen zum Bestehen und zum – hinsichtlich II/ zusätzlich zur Gewaltanwendung erfolgten (vgl RIS Justiz RS0108363) – Ausnützen des Autoritätsverhältnisses behauptet, übergeht sie prozessordnungswidrig (RIS Justiz RS0099775) die dazu getroffenen Konstatierungen (US 5, 12).
[13] Die Sanktionsrüge (Z 11) moniert die Berücksichtigung der Tatbegehung gegen eine Unmündige bei der Verweigerung gänzlich bedingter Strafnachsicht (US 15). Ihr ist jedoch zu erwidern, dass das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) nur für die Strafbemessung im engeren Sinn gilt, wozu die Entscheidung über die Gewährung (teil )bedingter Strafnachsicht (§§ 43, 43a StGB) nicht zählt (vgl RIS Justiz RS0090946, RS0113407).
[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[15] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.