9Ob119/24a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. H*, vertreten durch Pall Schwarz Rechtsanwälte GmbH in Leibnitz, gegen die beklagte Partei Pfarre *, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, sowie die Neben-intervenientinnen auf Seiten der beklagten Partei 1. U* GmbH, *, vertreten durch Dr. Hannes K. Müller, Rechtsanwalt in Graz, und 2. B* GmbH, *, vertreten durch Dr. Stefan Krenn, Rechtsanwalt in Graz, wegen 7.100 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. September 2024, GZ 70 R 66/24a 44, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Graz Ost vom 29. April 2024, GZ 223 C 409/22a 36, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 864,24 EUR (darin 144,04 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Nutzungsberechtigte eines Grabes am Friedhof der beklagten Pfarre. Diesem Grabnutzungsrecht liegt vereinbarungsgemäß die Friedhofsordnung 1995 zugrunde. Anlässlich des Todes ihrer Schwester W* im Jahr 2006 beauftragte sie die Beklagte mit der Herstellung eines Tiefgrabes, damit später auch ihre Mutter in diesem Grab beerdigt werden kann. Nach der Friedhofsordnung 1995 beträgt die Grabtiefe bei Tiefgräbern, die zur Bestattung von zwei Leichen übereinander benützt werden sollen, mindestens 2,20 m. Die Wiederbelegung eines Grabes ist nur nach Ablauf der Verwesungszeit zulässig. Die Verwesungszeit beträgt nach der Friedhofsordnung 1995 10 Jahre. Dass kein Tiefgrab hergestellt wurde, konnte das Erstgericht nicht feststellen.
[2] Am 12. 7. 2021 wurde in diesem Familiengrab die Mutter der Klägerin beerdigt. Die Erstnebenintervenientin führte über Auftrag der Beklagten die Totengräberarbeiten durch, die Zweitnebenintervenientin wurde mit den (sonstigen) Bestattungsleistungen beauftragt.
[3] Als der Totengräber nach der Beerdigung die ausgehobene Erde, die sich in einem über dem Grab befindlichen Container mit Motorsteuerung befand, ins Grab schüttete, sah die Klägerin zwischen der Erde auch Sargbretter und Teile der Kleidung der vorverstorbenen Schwester in das Grab rutschen und war schockiert. Diese Beobachtung teilte sie dem Totengräber, der auf der Rückseite des Containers stand und diesen bediente, nicht mit. In der Folge ließen die Klägerin und ihre beiden Schwestern – behördlich bewilligt – die verstorbene Schwester exhumieren, feuerbestatten und die Urne im Familiengrab beisetzen. Dafür liefen Kosten in Höhe des Klagsbetrags auf.
„Wenn die Totenruhe abgelaufen ist, kommen im Rahmen einer weiteren Beerdigung ausgegrabene Kleidungsstücke, Teile des Sarges oder auch Knochenteile der Verstorbenen beim Zuschütten des Grabes wieder in das Grab hinein, wobei die Totengräber darauf achten, dass ausgegrabene Sachen vorne in dem Container liegen und somit zuerst beim Zuschütten wieder ins Grab fallen.“
[4] Ein gegen die beiden Nebenintervenientinnen geführtes Verwaltungsstrafverfahren wegen des Verdachts, dass beim Einsargen nicht die Pietät und Würde der Toten gewahrt worden wäre und dies eine Übertretung gemäß § 43 Abs 1 Z 7 iVm § 19 Stmk Leichenbestattungsgesetz 2010 darstellen würde, wurde eingestellt.
[5] Die Schwestern der Klägerin haben ihre Schadenersatz- und Gewährleistungsansprüche aus diesem Vorfall der Klägerin abgetreten.
[6] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Kosten der Exhumierung und anschließender Feuerbestattung ihrer vorverstorbenen Schwester sowie – als vorprozessuale Kosten – die Kosten des durchgeführten Beweissicherungsverfahrens. Sie stützte diese Klage einerseits darauf, dass ihre Schwester im Jahr 2006 entgegen der Vereinbarung nur in einer so geringen Tiefe bestattet worden sei, dass eine Doppelbelegung unmöglich gewesen sei und andererseits darauf, dass durch das bloße Zurückkippen der im Jahr 2021 ausgehobenen Leichenteile der vorverstorbenen Schwester deren Pietät und Würde verletzt worden sei. Überdies sei das Rechtsgut der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Klägerin und ihrer Schwestern verletzt worden, weil diese im Rahmen der Grabpflege jederzeit auf Leichenteile stoßen hätten können.
[7] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete im Wesentlichen ein, die aufgetragenen Grabarbeiten im Jahr 2006 ordnungsgemäß ausgeführt zu haben. Dass einzelne Überreste im Rahmen der Grabaushebung für die Beerdigung der Mutter mitausgehoben worden seien, sei nicht unüblich. Zumal die Verwesungszeit im Jahr 2021 bereits abgelaufen gewesen sei, bestehe kein Anspruch auf Neubestattung. Auch ohne Ausgrabung wären einzelne Leichenteile aufgrund der Verrottung des Sarges frei im Erdreich verblieben. Bei der Grabpflege wäre die Klägerin nie auf Leichenteile gestoßen.
[8] Das Erstgericht wies die Klage ab. Da nicht festgestellt werden konnte, dass im Jahr 2006 kein Tiefgrab errichtet worden sei, bestünde der Klagsanspruch mangels rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens der Beklagten nicht zu Recht.
[9] Das Berufungsgerichthob über Berufung der Klägerin das Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Urteil leide an einem primären Verfahrensmangel, weil das Erstgericht den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass im Jahr 2006 kein Tiefgrab errichtet worden sei und die neuerliche „Beisetzung“ der Überreste der vorverstorbenen Schwester durch bloßes Zurückkippen ins offene Grab im Jahr 2021 gegen das Stmk Leichenbestattungsgesetz 2010 verstoßen habe, ohne Begründung abgewiesen habe. Wäre im Rahmen des vereinbarten Werkvertrags kein Tiefgrab ausgeführt worden, läge grundsätzlich ein Mangelfolgeschaden im Sinne des § 933a ABGB vor, dessen Ersatz die Klägerin mit ihrer Klage geltend mache. Würde und Pietät eines Verstorbenen seien grundsätzlich auch nach Ablauf der in der Friedhofsordnung normierten Verwesungszeit noch beachtlich. Die Frage, wie mit irrtümlich enterdigten Leichenteilen „lege artis“ umzugehen sei, um Pietätsüberlegungen Rechnung zu tragen, sei mit den Parteien und dem zu bestellenden Sachverständigen zu erörtern. Gegebenenfalls sei auch das für den Ersatz des Mangelfolgeschadens erforderliche Verschulden der Beklagten zu prüfen.
[10] Das Berufungsgericht hat den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zugelassen, weil Entscheidungen zu einem auch nur annähernd vergleichbaren Sachverhalt nicht vorlägen. Unklarheit bestünde bezüglich des Umgehens mit enterdigten Leichenteilen und deren Bestattungspflicht sowie darüber, wie und in welcher Form Persönlichkeitsrechte eines Verstorbenen „langsam schwächer würden“.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Klägerin beantwortete Rekurs der Beklagten, mit dem die Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils, hilfsweise die Rückverweisung an das Berufungsgericht beantragt wird.
Rechtliche Beurteilung
[12]Der Oberste Gerichtshof ist an den Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht gebunden (§ 526 Abs 2 Satz 2 ZPO). Ist keine erhebliche Rechtsfrage zu lösen, so ist der Rekurs zurückzuweisen (§ 526 Abs 2 Satz 1 ZPO). Dies ist hier der Fall.
[13] 1. Der Rekurs beschäftigt sich ausschließlich mit der Frage, wie mit enterdigten sterblichen Überresten nach Ablauf der – in der mit der Klägerin vereinbarten Friedhofsordnung der Beklagten festgelegten – Verwesungszeit umzugehen sei. Die Rekurswerberin vertritt dabei die Rechtsansicht, dass nach Ablauf der Verwesungszeit kein Anspruch mehr auf Ersatz für Kosten im Zusammenhang mit einer allfälligen Schlechterfüllung des Werkvertrags im Jahr 2006 bestünde. Ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der vorverstorbenen Schwester der Klägerin, weil deren Leichenteile nicht feierlich eingesargt worden seien, liege nicht vor. Es sei allgemein bekannter Usus, dass Knochenteile oftmals über Jahrhunderte hinweg nicht gänzlich verrotten. Die bloße Wiedereinbringung derartiger Knochen in das geöffnete Grab verstoße nicht gegen die Würde der Toten und es bestehe dafür nach dem Stmk Leichenbestattungsgesetz 2010 auch keine rechtliche Verpflichtung. Der Einholung des von der Klägerin beantragten Sachverständigengutachtens bedürfe es daher nicht.
[14] 2.Gemäß § 1167 ABGB kommen bei Mängeln des Werks die für entgeltliche Verträge überhaupt geltenden Bestimmungen (§§ 922 bis 933b ABGB) zur Anwendung. Eine Sache ist gemäß § 922 Abs 1 ABGB mangelhaft, wenn sie nicht die bedungenen oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat. Bei einem Werkvertrag hat der Unternehmer das vertraglich geschuldete Werk herzustellen. Eine Leistung ist nur dann mangelhaft im Sinne des § 922 ABGB, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem Geschuldeten, das heißt dem Vertragsinhalt, zurückbleibt (RS0018547). Welche Eigenschaften das Werk aufzuweisen hat, ergibt sich in erster Linie aus der konkreten Vereinbarung, hilfsweise – soweit eine Detailvereinbarung nicht besteht – aus Natur und (erkennbarem) Zweck der Leistung, letztlich aus der Verkehrsauffassung, sodass das Werk so auszuführen ist, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RS0021694 [T4]).
[15] 3.Nach der Rechtsprechung liegt ein Mangelfolgeschaden, für den nach den allgemeinen Regeln des Schadenersatzes Ersatz begehrt werden kann, vor, wenn der Schaden nicht im Mangel selbst liegt und auch nicht in den Kosten der Mangelbeseitigung besteht, sondern durch den Mangel – rechtswidrig und schuldhaft – ein weiterer Schaden verursacht wurde (RS0022885; RS0022916 [T1]).
[16] 4.1. Gelingt der Klägerin im Verfahren der Beweis, dass im Jahr 2006 vereinbarungswidrig kein Tiefgrab errichtet wurde, dieser Umstand kausal für die Enterdigung der Schwester im Jahr 2021 war und trifft die Beklagte ein Verschulden an diesem Umstand, dann ist eine Haftung der Beklagten für den dadurch adäquat verursachten Schaden, wenn das im Jahr 2006 errichtete Grab zum vereinbarten Zweck der (endgültigen) Bestattung der Schwester untauglich war, denkbar.
[17] 4.2. Ob die Klägerin auch nach Ablauf der in der Friedhofsordnung der Beklagten festgelegten Verwesungszeit einen Anspruch auf Ersatz für Kosten im Zusammenhang mit einer allfälligen Schlechterfüllung des Werkvertrags im Jahr 2006 hat, hängt primär davon ab, wie dieser Vertrag auszulegen ist. Sollte damit sichergestellt werden, dass unabhängig von der Nutzung des Grabes als Familiengrab auch nach Ablauf der in der Friedhofsordnung festgelegten Verwesungszeit keine Enterdigung der Schwester stattfinden soll, wäre das Argument der Beklagten, dass die Klägerin lediglich einen Anspruch gehabt habe, dass während dieser „Verwesungszeit“ keine Neubelegung stattfinden dürfe, unbeachtlich. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Erstgericht daher auch mit dieser Frage zu beschäftigen haben.
[18] 5.1.§ 16 ABGB anerkennt die Persönlichkeit als Grundwert und schützt in seinem Kernbereich die Menschenwürde (RS0008993). Zu deren Schutz gewährt die Bestimmung absolute, gegenüber jedermann wirkende Persönlichkeitsrechte, die auf die Wahrung der Würde des Menschen in seinem sozialen Umfeld gerichtet sind. Dieser Schutz kann auch nach dem Tod als sogenanntes postmortales Persönlichkeitsrecht fortwirken (9 Ob 38/23p Rz 15; RS0116720). Zudem trat mit dem Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz mit Wirkung vom 1. 1. 2021 § 17a ABGB in Kraft. Dessen Abs 3 Satz 1 hält nunmehr ausdrücklich fest, dass die Persönlichkeitsrechte einer Person nach dem Tod in ihrem Andenken fortwirken.
[19] 5.2. Dass auch Knochen(teile) eines Verstorbenen dem postmortalen Persönlichkeitsrecht unterliegen, wird im Rekurs nicht in Zweifel gezogen. Strittig ist zwischen den Parteien nur, wie mit diesen enterdigten sterblichen Überresten, die im Zuge einer Graböffnung nach Ablauf der in der Friedhofsordnung festgelegten Verwesungszeit zu Tage treten, „lege artis“ (so das Berufungsgericht) bzw „nach allgemein bekanntem Usus“ (so die Rekurswerberin) umzugehen ist. Dabei handelt es sich um eine Tatfrage, die nicht vom Obersten Gerichtshof zu beantworten ist. Zweck des Rekurses nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz durch den Obersten Gerichtshof (RS0042179 [T23]). Hält das Berufungsgericht, ausgehend von einer richtigen Rechtsansicht, die erstgerichtlichen Feststellungen für unzureichend und weitere Feststellungen für erforderlich, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanzist, dem nicht entgegentreten (RS0043414 [T12]; RS0042179 [T23]).
[20] 5.3.In diesem Zusammenhang hat jedoch bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass vom Erstgericht bislang gar nicht festgestellt wurde, dass auch Knochenteile der im Jahr 2006 beerdigten Verstorbenen anlässlich der Beerdigung der Mutter der Klägerin im Jahr 2021 enterdigt wurden. Fest steht lediglich, dass eine Schwester der Klägerin zwischen der Erde auch Sargbretter und Teile der Kleidung der vorverstorbenen Schwester in das Grab rutschen sah. Wenn das Berufungsgericht davon ausging, dass das Erstgericht – auch nicht disloziert in seiner rechtlichen Beurteilung – gar nicht festgestellt habe, dass die Totengräber auch hervorgekommene Knochen wieder in das Grab eingebracht haben, ist dies nicht zu beanstanden (vgl RS0118891). Auch aus diesem Grund ist die Aufhebung des Ersturteils durch das Berufungsgericht unvermeidbar.
[21]Die Zurückweisung des Rekurses mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 Satz 4 ZPO; RS0043691). Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht.
[22]Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Beklagten in ihrer Rekursbeantwortung hingewiesen (RS0123222).