JudikaturJustizDs31/13

Ds31/13 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Mai 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Notare hat am 8. Mai 2014 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden und die Richter aus dem Notarenstande Dr. Hetfleisch und Dr. Lenhart sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher im Disziplinarverfahren gegen Dr. M***** über die Beschwerde des Disziplinaranwalts gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Disziplinargericht vom 30. September 2013, AZ Ds 101/11 9, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und es wird an das Oberlandesgericht Wien als Disziplinargericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 10. August 2012, AZ Ds 101/11 5, hatte das Disziplinargericht die Disziplinaruntersuchung eingeleitet (§ 170 Abs 1 [§ 123 Abs 2 RStDG] NO). Mit dem angefochtenen Beschluss erachtete es, dass kein Grund zur Fortsetzung des eingeleiteten Disziplinarverfahrens vorliege. Zu der dagegen erhobenen Beschwerde des Disziplinaranwalts (§ 170 Abs 1 [§ 118 Abs 1 RStDG] NO) hat der Generalprokurator wie folgt gutachterlich Stellung genommen:

Die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2011, AZ Os 10/11 (ON 3), gegen den öffentlichen Notar Dr. M***** gemäß § 161 Abs 2 NO das Ordnungsstrafverfahren eingeleitet und die Sache gemäß § 169 Abs 1 NO dem Oberlandesgericht Wien als Disziplinargericht abgetreten. Dabei wurden Dr. M***** zusammengefasst folgende Berufspflichtenver-letzungen zur Last gelegt: Die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland habe gemäß § 154 Abs 1 NO beim öffentlichen Notar Dr. M***** eine ordentliche Revision vorgenommen. Dabei sei festgestellt worden, dass dieser im großen Umfang für die „P*****“ tätig sei. Für den Erwerb einzelner Immobilien werde jeweils eine K(E)G gegründet, Komplementär sei die PR***** GmbH, Kommanditist Dr. M***** bzw einer dessen Substituten. In der Folge würden Anleger gesucht, mit denen Treuhandvereinbarungen abgeschlossen werden; diese würden jedoch nicht im Treuhandregister eingetragen. Auch habe Dr. M***** mit den Anlegern deren Gelder er entgegennehme und taggleich an die jeweilige Projekt-K(E)G weiterleite keinen direkten persönlichen Kontakt.

Die Mitwirkung des Dr. M***** an diesem Geschäftsmodell verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen die besonderen Sorgfaltspflichten des Notars im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung (§§ 36a ff NO) sowie gegen die Richtlinien der Österreichischen Notariatskammer über die Vorgangsweise bei notariellen Treuhandschaften (THR 1999). So liege in jedem Einzelfall eine registrierungspflichtige Treuhandschaft vor, ein Verzicht auf die Registrierung sei in den THR 1999 nicht vorgesehen, weshalb die hier erfolgte Nichtregistrierung Punkt 39 der THR 1999 zuwiderlaufe. Das von Dr. M***** verwendete „Anbot auf Abschluss eines Treuhandvertrages“ entspreche auch in weiteren Punkten nicht den im Einleitungsbeschluss konkret bezeichneten Bestimmungen der THR 1999. Darüber hinaus habe er keine ausreichende Identitätsfeststellung der Parteien im Sinne des § 36b Abs 2 und Abs 3 NO vorgenommen und sei auch den weiteren in § 36b Abs 3 und Abs 6 NO normierten Überwachungspflichten nicht nachgekommen. Entgegen den Treuhandvereinbarungen habe er Auszahlungen der Treuhanderläge vor Einträge der Kommanditisten (Anleger) im Firmenbuch durchgeführt. Zudem bestehe der Verdacht einer Vernachlässigung der Pflichten gemäß Punkt 8 der Richtlinien der Österreichischen Notariatskammer über das Verhalten und die Berufsausübung der Standesmitglieder (STR 2000), wonach der Notar nicht dulden darf, dass sein Amt und seine Tätigkeit zur Vortäuschung von Sicherheiten oder Eigenschaften, zur Geldwäsche oder zu Handlungen der organisierten Kriminalität benutzt werden. Ferner bestehe auch aufgrund der durch den Rechtsvertreter des Dr. M***** übermittelten Unterlagen der Verdacht, dass alle Zahlungen betreffend eine KG auf Sammelanderkonten für die jeweilige Projektgesellschaft erfolgen würden. Bei mehreren Gesellschaften sei auch der Notariatskandidat Mag. S***** als „Treuhandkommanditist“ eingetragen worden, obwohl es Notariatskandidaten verwehrt sei, im eigenen Namen Treuhandschaften zu übernehmen. Schließlich bestehe der Verdacht einer auftragswidrigen Auszahlung von Treuhandgeldern und damit einer zumindest fahrlässigen Verletzung von Berufspflichten, die geeignet sei, einen 3.600 Euro übersteigenden Schaden herbeizuführen, und somit eines in die Zuständigkeit des Disziplinargerichts fallenden Disziplinarvergehens nach § 156 Abs 1 Z 3 NO.

Mit Beschluss vom 10. August 2012, hat das Oberlandesgericht gemäß § 170 Abs 1 NO iVm § 123 Abs 1 RStDG die Disziplinaruntersuchung gegen den öffentlichen Notar Dr. M***** eingeleitet, weil dieser verdächtig sei, die oben aufgezeigten Standespflichtverletzungen (§ 155 Abs 1 NO) und damit Disziplinarvegehen im Sinne des § 156 Abs 1 Z 2 und Z 3 NO begangen zu haben (ON 5). Nach Vernehmung des Disziplinarbeschuldigten und Einsichtnahme in die von diesem vorgelegten Unterlagen (ON 8) wurde das Disziplinarverfahren gemäß § 130 Abs 1 RStDG iVm § 170 Abs 1 NO (richtig: gemäß § 176 zweiter Fall NO) eingestellt und unter einem ausgesprochen, dass die Sache nach Rechtskraft dieser Entscheidung an die Notariatskammer Wien, Niederösterreich und Burgenland abgetreten wird (ON 9).

In seiner Begründung weist das Oberlandesgericht zunächst darauf hin, dass es sich bei den vom Disziplinarbeschuldigten abgewickelten Geschäften um Finanztransaktionen handle, die die Gründung, den Betrieb bzw die Verwaltung einer Gesellschaft betreffen. Damit liege ein Fall des § 36a Abs 1 Z 3 NO vor und § 36b NO komme zur Anwendung. Abs 1 dieser Bestimmung sehe vor, dass der Notar bei den von § 36a Abs 1 NO erfassten Geschäften verpflichtet sei, die Identität seiner Partei und jene des wirtschaftlichen Eigentümers festzustellen und zu prüfen, wenn es um die Anknüpfung eines auf gewisse Dauer angelegten Auftragsverhältnisses geht sowie bei allen sonstigen Geschäften, bei denen die Auftragssumme mindestens 15.000 Euro beträgt. Diese Voraussetzungen seien gegeben, weil durch das Treuhandverhältnis jedenfalls eine längerfristige Bindung eingegangen werde. Gemäß § 36b Abs 2 NO sei die Identität der Partei grundsätzlich durch persönliche Vorlage eines amtlichen Lichtbildausweises festzustellen. Für den Fall eines sogenannten Ferngeschäfte (die Partei ist bei Anknüpfung der Geschäftsbeziehung oder Durchführung des Geschäfts nicht physisch anwesend) sieht § 36b Abs 3 vor, dass der Notar zusätzlich geeignete und beweiskräftige Maßnahmen zu ergreifen hat, um die Identität der Partei verlässlich festzustellen. Im vorliegenden Fall habe es sich zwar durchwegs um sogenannte Ferngeschäfte gehandelt, der Disziplinarbeschuldigte habe jedoch eine geeignete Maßnahme gewählt, um die Identität seiner Partei verlässlich feststellen zu können. Er habe sich von jedem einzelnen Anleger eine beglaubigt unterfertigte Spezialvollmacht unterschreiben lassen, wobei die Unterschrift von einem anderen Notar beglaubigt worden sei. Das bedeute aber, dass der andere Notar die Identität des Anlegers geprüft habe, indem er sich einen amtlichen Lichtbildausweis habe vorweisen lassen, sodass sichergestellt sei, dass jene Person, die die Spezialvollmacht unterzeichnet habe, ident mit der im Ausweis abgebildeten Person sei. Auch die zweite in § 36b Abs 3 NO genannte Voraussetzung sei erfüllt, weil der einzelne Anleger den von ihm gezeichneten Betrag von einem auf seinem Namen lautenden Konto weg überweise. Handle es sich dabei um eine österreichische Bank, die die Überweisung durchführe, so unterliege diese grundsätzlich dem Anwendungsbereich der EU-Richtlinien und erhebe bei Eröffnung des Kontos die Identität des Kunden. Eine Überprüfung, von welchen Banken die Überweisungen tatsächlich vorgenommen wurden, erfolgte jedoch nicht. Was die (fahrlässige) Nichteinhaltung der Treuhandrichtlinien betreffe, so wäre diese nicht geeignet, bei einem oder mehreren Treugebern einen 3.000 [gemeint: 3.600] Euro übersteigenden Schaden herbeizuführen. Eine Begründung für diese Annahme ist dem angefochtenen Beschluss allerdings nicht zu entnehmen. Der Vorwurf der auftragswidrigen Auszahlung von Treuhandgeldern blieb im Einstellungsbeschluss völlig unerörtert.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Disziplinaranwalts, der Berechtigung nicht abgesprochen werden kann. Denn in nichtöffentlicher Sitzung kann der Disziplinarrat nur dann mit Einstellungsbeschluss vorgehen, wenn nicht einmal der Verdacht eines als Disziplinarvergehen zu wertenden Verhaltens des Disziplinarbeschuldigten vorliegt. Sind daher Sachverhalte, die zur entsprechenden Beurteilung einer allfälligen disziplinarrechtlichen Verantwortung des Beschuldigten maßgeblich sind, ungeklärt, ist die Fällung eines Einstellungsbeschlusses unzulässig (vgl RIS-Justiz RS0056969). Der Disziplinaranwalt weist zunächst darauf hin, dass das Disziplinargericht im Einleitungsbeschluss vom 10. August 2010 von dem begründeten Verdacht ausgegangen ist, der Disziplinarbeschuldigte habe im Zusammenhang mit den inkriminierten Finanztransaktionen und Treuhandschaften Disziplinarvergehen im Sinne des § 156 Abs 1 Z 2 und Z 3 NO begangen, also vorsätzlich Berufspflichten verletzt, wobei die Verletzung nicht unbedeutende Schäden nach sich zu ziehen geeignet war, oder fahrlässig Berufspflichten verletzt, wobei die Verletzung geeignet war, bei einem oder mehreren anderen einen 3.600 Euro übersteigenden Schaden herbeizuführen. Die im Einleitungs- und Abtretungsbeschluss der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland erhobenen und im Einleitungsbeschluss des Disziplinargerichts übernommenen Vorwürfe sind wie der Disziplinaranwalt zutreffend aufzeigt aufgrund der bisherigen Ergebnisse des Disziplinarverfahrens nicht ausreichend entkräftet und wurden im angefochtenen Einstellungsbeschluss auch nicht umfassend behandelt. Liegt wie hier ein geldwäschegeneigtes Geschäft im Sinne des § 36a Abs 1 NO vor, so hat der Notar die in § 36b angeführten Sorgfaltspflichten wahrzunehmen. Demnach hat er die Identität seiner Partei und jene des wirtschaftlichen Eigentümers bei Anknüpfung eines auf gewisse Dauer angelegten Auftragsverhältnisses (Geschäftsbeziehung) vor Annahme des Auftrags festzustellen und zu prüfen (§ 36 Abs 1 Z 1 NO), über Zweck und Art der Geschäftsbeziehung oder des Geschäfts Informationen einzuholen und die Geschäftsbeziehung laufend zu überwachen (§ 36b Abs 6 NO). Die Modalitäten der Identitätsprüfung sind in den Abs 2 und 3 des § 36b NO geregelt. Ist wie im vorliegenden Fall die Partei bei Anknüpfung der Geschäftsbeziehung oder Durchführung des Geschäfts nicht physisch anwesend (Ferngeschäft), so hat der Notar zusätzlich (zu einem beweiskräftigen Vorgang im Sinne des Abs 2) geeignete und beweiskräftige Maßnahmen zu ergreifen, um die Identität der Partei verlässlich festzustellen zu können. Im Einstellungsbeschluss hat das Disziplinargericht die vom Disziplinarbeschuldigten gewählte Vorgangsweise der Identitätsprüfung als ausreichend erachtet, dabei jedoch übersehen, dass die Identitätsfeststellung vor Annahme des Auftrags zu erfolgen hat, die beglaubigten Vollmachten jedoch nach der Verdachtslage nicht zu Beginn, sondern erst im Lauf des Auftrags, und zwar offenbar erst nach Erlag des Treuhandgeldes an den Disziplinarbeschuldigten übersandt wurden, und somit keine geeignete und zweckentsprechende zusätzliche beweiskräftige Maßnahme im Sinne des § 36b Abs 3 NO darstellen. Dieser Umstand wird im Einstellungsbeschluss allerdings nicht erörtert und ist demnach bisher ungeklärt geblieben. Gemäß § 36b Abs 3 NO hat der Notar überdies dafür zu sorgen, dass die erste Zahlung der Partei im Rahmen des Geschäfts über ein Konto abgewickelt wird, dass im Namen des Kunden bei einem Kreditinstitut eröffnet wurde, das in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/60/EG fällt. Ob die Zahlungen der Anleger im Rahmen der hier zu beurteilenden Geschäfte immer über ein Konto bei einem derartigen Kreditinstitut abgewickelt wurden, blieb jedoch vom Disziplinargericht ungeprüft. Weshalb es daher davon ausging, dass auch die zweite in § 36b Abs 3 NO genannte Voraussetzung erfüllt sei, bleibt daher unerfindlich. Ebenso ungeprüft blieb die Frage, ob der Notar seiner laufenden Überwachungspflicht nach § 36b Abs 6 NO nachgekommen ist.

Der Verdacht, Dr. M***** hätte im Zusammenhang mit geldwäschegeneigten Geschäften Berufspflichten allenfalls vorsätzlich verletzt, ist daher keineswegs ausgeräumt. Auch der Vorwurf, der Disziplinarbeschuldigte habe entgegen den ausdrücklichen Treuhandbedingungen Auszahlungen der Treuhanderläge vor Eintragung der Anleger im Firmenbuch vorgenommen, wobei diese Berufspflichtenverletzung geeignet war, bei einem oder mehreren anderen einen 3.600 Euro übersteigenden Schaden herbeizuführen, blieb vom Disziplinargericht ungeprüft und wurde im Einstellungsbeschluss nicht erörtert. Damit besteht auch in diesem Zusammenhang weiterhin der Verdacht der Begehung zumindest eines Disziplinarvergehens im Sinne des § 156 Abs 1 Z 3 NO. Damit kann die Frage, ob die Verstöße gegen die Bestimmungen der THR 1999 bloße Ordnungswidrigkeiten darstellen, dahingestellt bleiben, weil dem Disziplinargericht auch die Ahndung der Ordnungswidrigkeiten obliegt, die wie hier im Zusammenhang mit dem Beschuldigten zur Last liegenden Disziplinarvergehen stehen (§ 157 Abs 1 NO). Da die zur Beurteilung der disziplinarrechtlichen Verantwortung des Beschuldigten maßgeblichen Sachverhalte ungeklärt geblieben sind, war die Fällung eines Einstellungsbeschlusses unzulässig und ist die Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung geboten. Nach Ansicht der Generalprokuratur wäre der Beschwerde des Disziplinaranwalts vom 21. Oktober 2013 gegen den Einstellungsbeschluss des Oberlandesgerichts Wien als Disziplinargericht für Notare und Notariatskandidaten vom 30. September 2013, GZ Ds 101/11 9, betreffend Dr. M*****, Folge zu geben, der Einstellungsbeschluss aufzuheben und die Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung zu beschließen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Erachtet das Disziplinargericht, dass “kein Grund zur Fortsetzung des bereits eingeleiteten Disziplinarverfahrens vorliegt“, so hat es „das Disziplinarverfahren einzustellen“ (§ 176 zweiter Fall NO), „im entgegengesetzten Fall“ aber „die Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung zu beschließen“ (§ 170 Abs 1 [§ 130 Abs 2 RStDG] NO). Die Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung ist demnach zu beschließen, wenn das Disziplinargericht erachtet (zur irreführend subjektiven Formulierung des indes schon angesichts von Beschwerdezulässigkeit objektiv gemeinten Bezugspunkts [„ist zu erachten“] treffend Bauer , WK-StPO § 450 Rz 2 f), dass gar wohl „Grund zur Fortsetzung des bereits eingeleiteten Disziplinarverfahrens vorliegt“.

Den Bezugspunkt der rechtlichen Beurteilung, ob „Grund zur Fortsetzung des bereits eingeleiteten Disziplinarverfahrens“ besteht, bilden die im Einleitungsbeschluss auf der Sachverhaltsebene bezeichneten Beschuldigungspunkte (§ 170 Abs 1 [§ 123 Abs 2 RStDG] NO), nicht der Abtretungsbeschluss der Notariatskammer (§ 169 Abs 1 NO). Im Einleitungsbeschluss gegenüber dem Abtretungsbeschluss nicht aufgenommene Beschuldigungspunkte sind Gegenstand einer dem Disziplinaranwalt eingeräumten Beschwerde (§ 170 Abs 1 [§ 124 RStDG] NO), die Entscheidung ist demnach insoweit der Rechtskraft fähig. Dem Disziplinaranwalt steht nämlich auch Beschwerde gegen die Ablehnung von ihm beantragter Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung auf neue Beschuldigungspunkte zu (§ 170 Abs 1 [§ 128 Abs 2 RStDG] NO).

Das ist vorliegend deshalb klarzustellen, weil der Einleitungsbeschluss sich in Betreff der bestimmt zu bezeichnenden Beschuldigungspunkte (§ 170 Abs 1 [§ 123 Abs 2 RStDG] NO) zum Teil mit einem pauschalen Verweis auf den Abtretungsbeschluss der Notariatskammer (§ 169 Abs 1 NO) begnügt und der Disziplinaranwalt aufgrund des nicht sachgerechten, weil die Übersicht erschwerenden Verweises diesen Bezugspunkt als Gegenstand der Beschwerdeführung zu wählen gezwungen war.

Wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, hat das Disziplinargericht nur einen Teil der Beschuldigungspunkte des Einleitungsbeschlusses konkret angesprochen, sodass hinsichtlich der anderen kein Sachverhaltssubstrat als Bezugspunkt für die anzustellende rechtliche Beurteilung vorliegt, ob dieses als wahr erwiesen eine Verletzung einer dem Beschuldigten in der NO oder in einer anderen Rechtsvorschrift für die Ausübung seines Berufes auferlegten Pflicht und in diesem Fall ein Disziplinarvergehen begründete (§ 155 Abs 1 Z 1 und Abs 2 NO; vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 4-6).

„Grund zur Fortsetzung des bereits eingeleiteten Disziplinarverfahrens“ (§ 176 zweiter Fall NO) besteht nur, wenn diese Rechtsfrage bejaht wird. Einen Verweisungsbeschluss (§ 170 Abs 1 [§ 130 Abs 2 RStDG] NO) zieht auch deren Bejahung nicht ohne weiteres nach sich, weil darauf auch mit Ergänzung der Disziplinaruntersuchung reagiert werden kann (§ 170 Abs 1 [§ 129 RStDG] NO). Ohne Sachverhaltsgrundlage aber ist eine Antwort auf die von § 176 zweiter Fall NO gestellte wie überhaupt jede Rechtsfrage nicht möglich.

Zu einer Entscheidung in der Sache sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst. Er hat jüngst grundlegend klargestellt, dass ihm (auch) im Disziplinarverfahren nach dem RStDG nur die einem Höchstgericht angemessene Rolle zukommt.

Da eine dem § 89 Abs 2b StPO vergleichbare Bestimmung dem RStDG fremd sei, bestehe im Rechtsmittelverfahren vor dem Obersten Gerichtshof Bindung an die Argumente des Beschwerdeführers (OGH 4. 3. 2014, Ds 26/13). Indem umgekehrt § 140 Abs 2 RStDG den Obersten Gerichtshof bei der Tatsachenkognition gezielt entlastet, wird klar, dass das die Pflicht zur Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache einschränkende Ermessen des § 89 Abs 2a StPO, welches es diesem in besonderen Fällen ermöglicht, statt selbst in der Sache zu entscheiden, vorerst eine grundlegenden rechtsstaatlichen Erfordernissen angemessene erstinstanzliche Entscheidung herbeizuführen, dem Obersten Gerichtshof als Disziplinargericht nicht verwehrt sein kann, schon um das Höchstgericht nicht ohne Not dem Vorwurf von Vorbefasstheit auszusetzen.

Entscheidungen nach § 176 NO, § 130 Abs 1 und 2 RStDG verlangen nämlich, was Wiederin im Zusammenhang mit der Ermittlungsfunktion der Staatsanwälte treffend hervorstreicht, die „Bildung von Hypothesen und damit von Vorurteilen“ ( Wiederin , Staatsanwalt und Bundesverfassung, in ÖJK-Tagung 2011, 22 [48]). Nicht zuletzt deshalb ist in Betreff der Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nach neuerer, indes ständiger Rechtsprechung, der Einfluss des Obersten Gerichtshofs auf das Fehlen von Sachverhaltsannahmen einerseits und die Anfechtungskategorien des Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO beschränkt (RIS-Justiz RS0114488, RS0120817; vgl dazu Ratz , Mit dem OGH in Strafsachen ins Gespräch kommen, RZ 2012, 158; ders , Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 415).

In sinngemäßer Anwendung des § 89 Abs 2a StPO steht es dem Höchstgericht demnach zu, von einer eigenständigen (Verdachts-)Würdigung von Tatumständen abzusehen und kassatorisch vorzugehen. Die vom Disziplinaranwalt zutreffend aufgezeigte Lückenhaftigkeit der Entscheidung des Disziplinargerichts (vgl § 89 Abs 2a Z 3 StPO) führt so zur Aufhebung und Verweisung an dieses zur neuen Entscheidung.

Teilrechtskraft der Einstellung von der Beschwerde nicht relevierter Beschuldigungspunkte (§ 170 Abs 1 [§ 123 Abs 2 RStDG] NO) scheidet angesichts des im Einleitungsbeschluss erkennbar angenommenen Zusammenhangs aus (§ 157 Abs 1 NO).

Im Fall eines Verweisungsbeschlusses wird das Disziplinargericht der ihm vom Gesetz ausdrücklich auferlegten Pflicht zu bestimmter, das heißt übersichtlicher und klarer Bezeichnung der Beschuldigungspunkte zu entsprechen haben, schon um dem Beschuldigten sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen (§ 170 Abs 1 [§ 130 Abs 3 RStDG] NO).

Rechtssätze
6
  • RS0129414OGH Rechtssatz

    16. April 2015·2 Entscheidungen

    Dem OGH kommt (auch) im Disziplinarverfahren nach dem RStDG nur die einem Höchstgericht angemessene Rolle zu. Indem § 140 Abs 2 RStDG den OGH bei der Tatsachenkognition gezielt entlastet, wird klar, dass das die Pflicht zur Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache einschränkende Ermessen des § 89 Abs 2a StPO, welches es diesem in besonderen Fällen ermöglicht, statt selbst in der Sache zu entscheiden, vorerst eine grundlegenden rechtsstaatlichen Erfordernissen angemessene erstinstanzliche Entscheidung herbeizuführen, dem OGH als Disziplinargericht nicht verwehrt sein kann, schon um diesen nicht ohne Not dem Vorwurf von Vorbefasstheit auszusetzen. Entscheidungen nach § 176 NO, § 130 Abs 1 und Abs 2 RStDG verlangen nämlich, was Wiederin im Zusammenhang mit der Ermittlungsfunktion der Staatsanwälte treffend hervorstreicht, die „Bildung von Hypothesen und damit von Vorurteilen“. Nicht zuletzt deshalb ist in Betreff der Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nach neuerer, indes ständiger Rechtsprechung, der Einfluss des Höchstgerichts auf das Fehlen von Sachverhaltsannahmen einerseits und die Anfechtungskategorien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO andererseits beschränkt. In sinngemäßer Anwendung des § 89 Abs 2a StPO steht es dem Höchstgericht demnach zu, von einer eigenständigen (Verdachts‑)Würdigung von Tatumständen abzusehen und nach Maßgabe dieser Vorschrift kassatorisch vorzugehen.