JudikaturJustiz9ObA91/13t

9ObA91/13t – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. November 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Mag. Andreas Hach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** H*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Held Berdnik Astner Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 2.878,15 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. April 2013, GZ 7 Ra 4/13g 18, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom 17. September 2012, GZ 32 Cga 68/12m 14, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Urkundenvorlage der beklagten Partei vom 18. November 2013 und die Äußerung der klagenden Partei vom 20. November 2013 werden zurückgewiesen.

II. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf „M***** GmbH“ berichtigt.

III. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 2.878,15 EUR brutto samt 8,88 % Zinsen seit 17. 11. 2011 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark den mit 660 EUR bestimmten Aufwandersatz des Verfahrens erster Instanz und den mit 420 EUR bestimmten Aufwandersatz für das Berufungsverfahren sowie der klagenden Partei die mit 155 EUR (Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 697,68 EUR (darin 62,28 EUR USt und 324 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

ad.I. Die Urkundenvorlage der Beklagten und die Äußerung des Klägers verstoßen gegen das Neuerungsverbot (§ 504 ZPO) und sind daher zurückzuweisen.

ad II. Aus dem Firmenbuch (FN *****, Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz) ist ersichtlich, dass die Firma der Beklagten nunmehr „M***** GmbH“ lautet und sich deren neue Geschäftsanschrift in *****, befindet. Die Bezeichnung der Beklagten ist daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen zu berichtigen (9 Ob 5/11t; RIS Justiz RS0039666).

ad III. Der Kläger war ab 29. 8. 2011 bei der Beklagten als Rettungssanitäter beschäftigt. Mit Schreiben vom 24. 10. 2011 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis unter Einhaltung einer einwöchigen Kündigungsfrist auf. Der Kläger wurde bei der Beklagten vereinbarungsgemäß nach dem Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen entlohnt.

Die Beklagte hat einen Fuhrpark mit 10 Krankentransportwägen, die nach der Euronorm EN 1789 mit Sauerstoffgerät, Defibrillator, Schienen zur Ruhigstellung von Verletzungen, einer Fahrtrage, einem Tragestuhl und den nötigen Materialien für die medizinische Erstversorgung ausgestattet sind. Weiters hat sie 7 Mietwägen, das sind „normal“ ausgerüstete PKWs ohne Sonderausstattung, in Verwendung. Die Beklagte beschäftigt 20 Rettungssanitäter und 5 Mietwagenfahrer. Sie ist Mitglied des Vereins Grünes Kreuz Steiermark, einer vom Land Steiermark anerkannten Rettungsorganisation.

Die Beklagte führt ausschließlich Krankentransporte durch. Die Fahrten mit den Krankentransportwägen erfolgen von Pflegeheimen, praktischen Ärzten und Krankenhäusern zu einem im Vorhinein bekannten Fahrziel. Der jeweilige Anruf erfolgt bei der Zentrale der Beklagten. Bei der Mehrheit der Transporte übernimmt die Krankenkasse die Kosten, wobei hierfür ein ärztlicher Transportantrag erforderlich ist. In den Krankentransportwägen werden Personen transportiert, die krank, gebrechlich bzw nicht gehfähig sind. Sie sind mit dem Fahrer sowie mit einem Rettungssanitäter besetzt. Die Fahrten zu Strahlentherapien und Chemotherapien werden mit den Mietwägen, also den normal ausgerüsteten PKWs ohne Sonderausstattung nur mit einem Fahrer absolviert. Die Kosten dieser ausschließlich nach ärztlicher Verordnung durchgeführten Fahrten übernimmt die Krankenkasse.

Eine organisatorische Trennung zwischen den Fahrten mit den Mietwägen und jenen mit den Krankentransportwägen besteht nicht. Die wesentliche wirtschaftliche Bedeutung kommt der Durchführung von Krankentransporten mit den Krankentransportwägen zu.

Die Beklagte verfügt über mehrere Gewerbeberechtigungen, und zwar unter anderem für das Mietwagengewerbe (Beförderung mit Personenkraftwagen) mit PKW, für das Mietwagengewerbe (Beförderung mit Personenkraftwagen) mit fünf PKW eingeschränkt auf den Transport kranker Personen, für das Mietwagengewerbe (Beförderung mit Personenkraftwagen) eingeschränkt auf drei zur Beförderung kranker Personen eingerichteter Krankenwagen und für das Taxigewerbe.

Die aufgrund § 15 Wirtschaftskammergesetz 1998 erlassene Fachorganisationsordnung (FOO) errichtet in der Sparte „Transport und Verkehr“ unter § 6 folgende Fachverbände:

•1.) Fachverband der Schienenbahnen

•2.) Fachverband der Autobus-, Luftfahrt- und Schifffahrtunternehmungen

•3.) Fachverband der Seilbahnen

•4.) Fachverband der Spediteure

•5.) Fachverband für die Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen

•6.) Fachverband für das Güterbeförderungsgewerbe

•7.) Fachverband der Fahrschulen und des Allgemeinen Verkehrs

•8.) Fachverband der Garagen , Tankstellen- und Servicestationsunternehmungen.

Ein Fachverband für Krankentransporte existiert nicht.

Im Anhang 1 der FOO findet sich unter Punkt V „Sparte Transport und Verkehr“ folgende Beschreibung des Fachverbands für die Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen (Punkt V.5.):

„Umfassend: die Unternehmungen der Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder mit durch die Kraft von Tieren bewegten Landfahrzeugen sowie Kraftfahrzeugverleihunternehmungen“.

Der Bundeskollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) , der zwischen der Wirtschaftskammer Österreich, Sparte Transport- und Verkehr, Fachverband für die Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen, einerseits und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft VIDA, andererseits geschlossen wurde und mit 1. 1. 2009 in Kraft trat, grenzt seinen Geltungsbereich in Abschnitt II fachlich wie folgt ab:

2. Fachlich: für alle Betriebe, welche gewerbsmäßig mittels PKW,

a) das Taxigewerbe ausüben und Mitglied des Fachverbands für die Beförderungsgewerbe mit PKW sind;

b) das Mietwagengewerbe ausüben und Mitglied des Fachverbands für die Beförderungsgewerbe mit PKW sind.

Der Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes 2010 wurde wie folgt gesatzt (erstmals BGBl II 2011/98; zu den Änderungen 2011 BGBl II 2011/188; 2012 BGBl II 2012/254 und zuletzt 2013 BGBl II 2013/120):

§ 1a) Fachlich: für Anbieter von Rettungs- und Krankentransportdiensten, ausgenommen Berg-, Wasser-, Höhlen-, Flugrettung- und Rettungshundestaffel;

b) räumlich: für die Republik Österreich;

c) persönlich: Alle Arbeitgeber/Innen im fachlichen Geltungsbereich sowie von diesen Arbeitgeber/Innen im räumlichen Geltungsbereich beschäftigte Arbeitnehmer/Innen und Lehrlinge, sofern ihre Arbeitsverhältnisse nicht durch einen gültigen Kollektivvertrag (ausgenommen Kollektivverträge gemäß § 18 Abs 4 ArbVG) erfasst sind.

Nach § 13 Abs 1 des Kollektivvertrags des Österreichischen Roten Kreuzes kann der Arbeitgeber das Dienstverhältnis durch vorherige Kündigung zum 15. oder zum Letzten eines Kalendermonats lösen. Die Kündigungsfrist beträgt in den ersten beiden Dienstjahren des Arbeitnehmers 6 Wochen und erhöht sich nach Vollendung des 2. Dienstjahres auf 2 Monate, nach Vollendung des 5. Dienstjahres auf 3 Monate, nach Vollendung des 15. Dienstjahres auf 4 Monate, und nach Vollendung des 25. Dienstjahres auf 5 Monate.

Der Kläger begehrt den der Höhe nach unstrittigen Betrag von 2.878,15 EUR brutto sA als Kündigungsentschädigung (incl aliquoter Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung) für 17. 11. 2011 bis 31. 12. 2011. Er stützt sich zusammengefasst darauf, dass auf sein Arbeitsverhältnis der gesatzte Kollektivvertrag für das Österreichische Rote Kreuz anzuwenden sei. Die Beklagte führe überwiegend Krankentransporte durch und sei nicht vom Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen erfasst. Selbst bei Vorliegen eines Mischbetriebs wäre der gesatzte Kollektivvertrag anzuwenden. Danach hätte das Dienstverhältnis nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Wochen zum 31. 12. 2011 gelöst werden können.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass auf ihr Unternehmen der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW anzuwenden sei. Sie sei Mitglied der Fachgruppe für die Beförderungsgewerbe mit PKW. Dieser Kollektivvertrag gelte für alle Betriebe, die gewerbsmäßig mittels PKW das Taxigewerbe bzw das Mietwagengewerbe ausübten und zugleich Mitglied des Fachverbands für die Beförderungsgewerbe mit PKW seien. Sämtliche Tätigkeiten der Beklagten seien vom Mietwagengewerbe bzw dem Gelegenheitsverkehrs-Gesetz erfasst. Der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe stelle nicht auf allfällige Berufsgruppen des Fachverbands ab, sondern auf die Ausübung des Taxi- und Mietwagengewerbes. Die Berufsgruppe für Krankentransporte gebe es nicht. Da sämtliche Voraussetzungen für die zwingende Anwendung des Kollektivvertrags für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW erfüllt seien, sei eine Anwendung des Kollektivvertrags für das Österreichische Rote Kreuz durch die Satzungserklärung ausgeschlossen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging rechtlich zusammengefasst davon aus, dass die Beklagte Mitglied des Fachverbands für das Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen sei. Nach der FOO erstrecke sich die Wirksamkeit des Fachverbands für Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen auf die Unternehmungen der Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder mit durch die Kraft von Tieren bewegten Landfahrzeugen sowie Kraftfahrzeugverleihunternehmungen. An deren Organisation seien die Gerichte auch gebunden. Ein Berufszweig für Krankentransporte werde nicht erwähnt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts an. Der der Entscheidung 9 ObA 18/13m zugrundeliegende Sachverhalt sei mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar, weil hier die Beklagte nicht nur Krankentransporte mit entsprechend der Euronorm EN 1789 ausgestatteten Rettungswägen erledige. Sie verfüge vielmehr auch über sieben Mietwägen, also normal ausgerüstete PKWs ohne Sonderausstattung, mit denen keine Krankentransporte mit Rettungssanitätern durchgeführt, sondern Personen zu Strahlentherapien oder Chemotherapien gebracht würden. Beim Betrieb der Beklagten handle es sich daher um einen „Mischbetrieb“. In Anlehnung an 9 ObA 139/05i sei auf den gesamten Betrieb der Beklagten der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW anzuwenden. Der in § 19 Abs 2 ArbVG verankerte Grundsatz der Subsidiarität der Satzung gegenüber dem Kollektivvertrag bedeute auch, dass die von der Satzung zu erfassenden Arbeitsverhältnisse nicht schon unter einen Kollektivvertrag fielen. Damit schließe der grundsätzliche Vorrang der Kollektivverträge gegenüber der Satzung eine Kollisionen dieser beiden Rechtsquellen aus.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu, ob e in infolge Satzungserklärung nur subsidiär anzuwendender Kollektivvertrag einen anzuwendenden Kollektivvertrag, der für den fachlichen Wirtschaftsbereich von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung gelte, verdrängen könne, nicht vorliege.

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe. Ein „Mischbetrieb“ liege nicht vor. Der Transport einer einzelnen Person werde weder vom Mietwagengewerbe, wofür ein geschlossener Teilnehmerkreis erforderlich sei, noch vom Taxigewerbe (§ 3 Gelegenheitsverkehrs Gesetz) erfasst. Die Durchführung von Krankentransporten falle in den fachlichen Anwendungsbereich des gesatzten Kollektivvertrags des Österreichischen Roten Kreuzes. Selbst ausgehend vom Vorliegen eines Mischbetriebs käme analog § 9 Abs 3 ArbVG auch für den untergeordneten Betrieb des Transports kranker Personen mit Mietwägen der auf den für den wirtschaftlich bedeutenderen Betrieb von Fahrten mit Krankentransportwägen anwendbare gesatzte Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes zur Anwendung.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Verfügt ein mehrfach kollektiv-vertragsangehöriger Arbeitgeber über zwei oder mehrere Betriebe, so findet auf die Arbeitnehmer der jeweilige dem Betrieb in fachlicher und örtlicher Beziehung entsprechende Kollektivvertrag Anwendung (§ 9 Abs 1 ArbVG). Dies gilt sinngemäß auch dann, wenn es sich um Haupt- und Nebenbetriebe oder um organisatorisch und fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen handelt (§ 9 Abs 2 ArbVG; 9 ObA 46/10w mwN). Liegt eine organisatorische Trennung in Haupt und Nebenbetriebe oder eine organisatorische Abgrenzung in Betriebsabteilungen nicht vor, so findet jener Kollektivvertrag Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat; durch Betriebsvereinbarung kann festgestellt werden, welcher fachliche Wirtschaftsbereich für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat (§ 9 Abs 3 ArbVG).

Zunächst ist zu prüfen, ob es sich im Anlassfall überhaupt um einen „Mischbetrieb“ iSd § 9 Abs 3 ArbVG, also um mehrere Betriebe handelt, die nicht organisatorisch getrennt sind und die in den fachlichen Anwendungsbereich verschiedener Kollektivverträge oder entsprechenden Substitutionsformen fielen. Die vorliegende Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass der sowohl einen Rettungsdiensttransport mit Krankentransportwägen als auch einen „normalen“ Krankentransport mit Mietwägen umfassende Betrieb der Beklagten nicht weiter gegliedert ist, dh eine organisatorische Trennung in Haupt- und Nebenbetrieb bzw in Betriebsabteilungen nicht gegeben ist. Die Frage ist aber, welche kollektivvertragliche Normen auf diese Betriebe zur Anwendung gelangen.

Der fachliche Geltungsbereich des hier maßgeblichen Kollektivvertrags für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) umfasst alle Betriebe, welche gewerbsmäßig mittels PKW a) das Taxigewerbe ausüben und Mitglied des Fachverbands für die Beförderungsgewerbe mit PKW sind oder b) das Mietwagengewerbe ausüben und Mitglied des Fachverbands für die Beförderungsgewerbe mit PKW sind.

Entscheidend ist damit, ob und gegebenenfalls für welche Betriebe hier ein Taxigewerbe oder ein Mietwagengewerbe vorliegt.

Die Frage, ob die Durchführung von Transporten mit besonders ausgestatteten Rettungswägen als Taxigewerbe bzw Mietwagengewerbe verstanden werden kann, hat der Oberste Gerichtshof jüngst in der Entscheidung 9 ObA 8/13m beantwortet:

III. 4. 2. 1. Die Erfassung von Rettungs- und Krankentransporten im Begriff des Taxigewerbes scheidet schon nach der Definition des § 3 Abs 1 Z 3 Gelegenheitsverkehrs Gesetz 1996 aus, da die PKW ja nicht zu jedermanns Gebrauch bereit gehalten werden, sondern die Krankentransporte auch nach dem Vorbringen der Beklagten im Rahmen einer Vereinbarung eines Verrechnungsvertrags mit der Sozialversicherung erfolgten.

III. 4. 2. 2. Gegen die Erfassung im Begriff des Mietwagengewerbes spricht nun der Umstand, dass es nicht nur um die Beistellung eines Lenkers und eines Kraftfahrzeugs geht, sondern um Krankentransporte, bei denen immer auch ein Rettungssanitäter eingesetzt wird. Auch der Kläger war ja als Rettungssanitäter ausgebildet und tätig. Zufolge § 3 Abs 1 des Bundesgesetzes über Ausbildung, Tätigkeit und Beruf der Sanitäter (Sanitätergesetz SanG) findet die Gewerbeordnung auf die Ausübung des Sanitäterberufs keine Anwendung (ähnlich § 3 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes). Die Tätigkeit des Rettungssanitäters umfasst zufolge § 9 SanG unter anderem die Übernahme sowie die Übergabe der Patienten oder der betreuten Personen im Zusammenhang mit einem Transport. Ferner gehören dazu lebensrettende Sofortmaßnahmen wie etwa die Beurteilung, Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Körperfunktionen, Defibrillationen oder die Herstellung der Transportfähigkeit sowie die sanitätsdienstliche Durchführung des Transports, solange und soweit ein zur selbstständigen Berufsausübung berechtigter Arzt nicht zur Verfügung steht. Die Berufs- und Tätigkeitsberechtigung ist in §§ 14 ff SanG geregelt. Diese spezifische, auf gesundheitliche Rettungsmaßnahmen abgestellte Ausrichtung gibt der erbrachten Leistung die wesentliche Prägung. Dies spricht aber dafür, dass Rettungs- und Krankentransporte nicht im Begriff des Mietwagengewerbes iSd Kollektivvertrags für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) erfasst sind. Dieses differenzierende Verständnis ergibt sich auch aus den von der Wirtschaftskammer gewählten Bezeichnung für die 'Berufszweige', die ebenfalls die 'Krankentransporte' herausnimmt.

III. 5. Es ergibt sich damit schon aus der eigenen Definition des fachlichen Anwendungsbereichs dieses Kollektivvertrags, dass diese Tätigkeit nicht vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags erfasst ist.

Schon deshalb bleibt es bei der Anwendung des gesatzten Kollektivvertrags des Österreichischen Roten Kreuzes 2010, BGBl II 2011/188. Die Satzung bezieht sich ja ausdrücklich auf Rettungs- und Krankentransporte.

Damit ist jedenfalls für den Betrieb des Rettungsdienstransports der Beklagten der gesatzte Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes anzuwenden.

Die Frage, ob die Kollektivvertragsparteien ausgehend vom Text des Kollektivvertrags (RIS Justiz RS0010089, RS0010088) den Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) auch auf Betriebe angewendet wissen wollten, die Transporte kranker Personen mit normal ausgerüsteten PKWs (ohne Sonderausstattung) und ohne Begleitung eines Rettungssanitäters durchführen, muss hier nicht abschließend beantwortet werden. Wie in 9 ObA 8/13m ausgeführt, scheidet zwar die Erfassung von Krankentransporten im Begriff des Taxigewerbes schon nach der Definition des § 3 Abs 1 Z 3 Gelegenheitsverkehrs Gesetz 1996 (GelverkG 1996) aus, weil die PKW ja nicht zu jedermanns Gebrauch bereit gehalten werden, sondern die Krankentransporte ausschließlich nach ärztlicher Verordnung und im Rahmen einer Vereinbarung eines Verrechnungsvertrags mit der Sozialversicherung erfolgten. Für die Erfassung von (reinen) Krankentransporten im Begriff des Mietwagengewerbes spricht jedoch der Umstand, dass es beim Transport einer bestimmten „kranken“ Person, wie auch bei einer gesunden, nur um die Beistellung eines Lenkers und eines Kraftfahrzeugs geht, bei der kein Rettungssanitäter eingesetzt wird. Im Gegensatz zu Rettungsdiensttransporten gibt daher beim „normalen“ Krankentransport nicht die spezifische, auf gesundheitliche Rettungsmaßnahmen abgestellte Ausrichtung der erbrachten Leistung die wesentliche Prägung. Dagegen könnte ins Treffen geführt werden, dass auch diese „normalen“ Krankentransporte nur nach ärztlicher Verordnung durchgeführt und die Beklagte die Kosten aufgrund einer Vereinbarung mit der Gebietskrankenkasse direkt verrechnet. Auf die vom Revisionswerber aufgeworfene Frage des geschlossenen Teilnehmerkreises nach § 3 Abs 1 Z 2 GelverkG 1996 (vgl dazu aber 4 Ob 59/89 unter Hinweis auf die EB) musste daher nicht mehr eingegangen werden.

2. Das Klagebegehren ist nicht nur dann berechtigt, wenn beide Betriebe des Beklagten dem gesatzten Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes unterliegen, sondern auch dann, wenn der Betrieb des „normalen“ Krankentransports mit Mietwägen grundsätzlich vom fachlichen Bereich des Kollektivvertrags für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) erfasst wäre.

Liegt ein Mischbetrieb iSd § 9 Abs 3 ArbVG vor, dann findet jener Kollektivvertrag Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. In diesem Fall gilt also anders als nach § 9 Abs 1 und 2 ArbVG das Prinzip der Tarifeinheit (9 ObA 11/10y; RIS Justiz RS0050908; Reissner in ZellKomm² § 9 ArbVG Rz 11 mwN).

Fest steht und dies ist zwischen den Parteien auch nicht weiter strittig, dass die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung der Durchführung von Krankentransporten mit den Krankentransportwägen, also dem Betrieb der Rettungsdiensttransporte im Gegensatz zu den (reinen) Krankentransporten zukommt.

Der Oberste Gerichtshof hat zwar schon zum Aufeinandertreffen von Kollektivvertrag und Mindestlohntarif Stellung genommen und die analoge Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG bei einem Zusammentreffen eines von einem Mindestlohntarif erfassten Wirtschaftsbereichs von maßgeblicher Bedeutung mit einem von einem Kollektivvertrag erfassten untergeordneten Teilbereich bejaht (9 ObA 83/89; 9 ObA 11/10y), bislang aber noch nicht ausdrücklich zum Aufeinandertreffen von Kollektivvertrag und einer Satzung. Bereits in 9 ObA 11/10y wurde jedoch unter Hinweis auf die Lehre ( Tomandl , Zur Problematik des kollektivvertragsfreien Raumes in ZAS 1995, 152 f; Runggaldier in Tomandl ArbVG § 9 Rz 15; diesbezüglich zustimmend auch Weiß , Tarifeinheit oder Tarifvielfalt im ungegliederten Mischbetrieb, JBl 1999, 781 f) festgehalten, dass die Analogiefähigkeit des § 9 Abs 3 ArbVG wohl auch auf die Substitutionsform der Satzung auszudehnen sei.

Tomandl (Zur Problematik des kollektivvertragsfreien Raumes, ZAS 1995, 152 f) begründet die analoge Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG auch auf die Substitutionsform der Satzung mit der Schutzfunktion und Kartellfunktion des Kollektivvertrags.

Runggaldier (in Tomandl ArbVG § 9 Rz 15) verweist darauf, dass mit der analogen Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG auch auf die Satzung das Prinzip der Tarifeinheit gewahrt und gleichzeitig sichergestellt werde, dass im Mischbetrieb einheitliche Arbeitsbedingungen herrschten.

Weiß (Tarifeinheit oder Tarifvielfalt im ungegliederten Mischbetrieb, JBl 1999, 781 f) sieht im Zusammenspiel der beiden Grundsätze der Tarifeinheit und Betriebsnähe einen überzeugenden Grund für die Durchbrechung des Grundsatzes „Kollektivvertrag bricht Satzung“. Dazu komme, dass der Satzung gemäß § 18 Abs 3 Z 2 ArbVG jedenfalls ein Kollektivvertrag zugrunde liege, der „überwiegende Bedeutung erlangt habe“. Es sei daher davon auszugehen, dass dieser von einer „starken“ Arbeitnehmer-Interessenvertretung ausgehandelt worden und mit dieser Lösung im Wesentlichen keine Schlechterstellung für den betroffenen Arbeitnehmer zu erwarten sei.

Jabornegg (DRdA 2012/31, 404) und Resch (ÖZPR 2011/32, 36 f) pflichten der Entscheidung 9 ObA 11/10y in Bezug auf die analoge Anwendung der Kollisionsregel des § 9 Abs 3 ArbVG vollinhaltlich bei. Nach Jabornegg füge sich die Entscheidung in ein schlüssiges Gesamtkonzept, das den einschlägigen Normzwecken verpflichtet sei. Unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber in § 9 Abs 3 ArbVG vorgegebenen Grundsatzes der Tarifeinheit erscheine angesichts des völlig identischen Ordnungsproblems und der offensichtlichen Gesetzeslücke die analoge Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG geradezu zwingend.

Für Friedrich (ZAS 2007/5, 38 ff) sprechen hingegen die klaren gesetzlichen Vorgaben zum Verhältnis des Kollektivvertrags zu seinen Substitutionsformen wie auch systematische Überlegungen eindeutig dafür, dass weder eine unmittelbare noch eine analoge Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG beim Zusammentreffen eines Kollektivvertrags mit einer seiner Substitutionsformen im Mischbetrieb möglich sei.

Ohne sich mit der Frage der Analogiefähigkeit des § 9 Abs 3 ArbVG beim Zusammentreffen eines Kollektivvertrags mit einer seiner Substitutionsformen im Mischbetrieb auseinanderzusetzen, geht Strasser (in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG § 19 Rz 7) vom grundsätzlichen Vorrang des Kollektivvertrags gegenüber der Satzung aus. Kollisionen dieser beiden Rechtsquellen seien daher ausgeschlossen.

Der erkennende Senat hält mit der überwiegenden Lehre an seiner bereits im obiter dictum zu 9 ObA 11/10y geäußerten Rechtsansicht fest: Liegt ein Mischbetrieb im Sinne des § 9 Abs 3 ArbVG vor, dann verdrängt ein für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender gesatzter Kollektivvertrag in analoger Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG einen für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich untergeordneten Bereichs geltenden Kollektivvertrag.

Da die unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von bloß einer Woche ausgesprochene Kündigung der Beklagten somit fristwidrig war, weil sie n ach § 13 Abs 1 des hier anzuwendenden gesatzten Kollektivvertrags des Österreichischen Roten Kreuzes unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Wochen nur zum 31. 12. 2011 erfolgen hätte dürfen, bestehen die mit der Klage geltend gemachten und der Höhe nach unstrittigen Ansprüche zu Recht. Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass die Beklagte bei Anwendbarkeit des Kollektivvertrags des Österreichischen Roten Kreuzes den Kläger frühestens mit 31. 12. 2011 kündigen hätte können.

Der Revision ist daher Folge zu geben.

Die Entscheidung über den Zuspruch der verzeichneten Aufwandersätze gründet sich auf § 58a ASGG iVm §§ 41, 50 ZPO, diejenige über den Ersatz der Pauschalgebühr für das erstinstanzliche Verfahren sowie der Kosten des Revisionsverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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