JudikaturJustiz9ObA134/16w

9ObA134/16w – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. November 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni in der Rechtssache der klagenden Partei R***** A*****, vertreten durch Mag. Dr. Stephan Medwed Rechtsanwalts KG in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei B***** AG, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wegen 8.200 EUR sA und Feststellung (32.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. August 2016, GZ 6 Ra 14/16z 19, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. November 2015, GZ 31 Cga 138/15w 14, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Der Kläger war von 17. 8. 1970 bis zu seiner Pensionierung am 1. 2. 2013 bei der Beklagten beschäftigt, davon seit 1997 als Gruppenleiter. Zudem war er seit 1987 Mitglied des Betriebsrats, teilweise des Zentralbetriebsrates der Beklagten. Seit 1. 2. 2013 erhält er eine Betriebspension.

Infolge der im Bankensektor durchgeführten „Pensionsreform 1997“ haftete die Beklagte den Besitzstandspensions-Anwartschaftsberechtigten wie dem Kläger für den bis zum Jahr 1997 erworbenen Pensionsbesitzstand, während für danach entstehende Pensionsansprüche Beträge in die Pensionskasse eingezahlt wurden. Im Zuge von Bestrebungen, auch die verbliebenen Ansprüche auszulagern, überwies die Beklagte am 29. 12. 2000 eine noch für das Jahr 2000 bilanzwirksame Akontozahlung an die Pensionskasse. Die entsprechende Auslagerungs-Betriebsvereinbarung wurde am 9. 3. 2001 rückwirkend zum 29. 12. 2000 abgeschlossen. Der korrespondierende Kollektivvertrag lag noch nicht vor. Es existierte lediglich eine unverbindliche Punktation vom 18. 12. 2000, die die einzelnen Parameter der Zielübertragung festhielt. Der Auslagerungs-Kollektivvertrag (Kollektivvertrag betreffend Änderung des Kollektivvertrages PR 1961 ab 1. Jänner 1999) wurde im August 2001 unterzeichnet und kundgemacht und rückwirkend mit 1. 12. 1999 in Kraft gesetzt. Die Rückdatierung erfolgte deshalb, weil es kollektivvertragsangehörige Banken gab, die die Pensionen schon im Jahr 1999 ausgelagert hatten.

Der Pensionskassenvertrag wurde am 3. 12. 2001 unterzeichnet und rückwirkend mit 1. 12. 2000 in Kraft gesetzt.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 8.200 EUR sA und die Feststellung ihrer Haftung für die Differenz zwischen seinen Pensionsansprüchen nach der PR 61 Neu idF 1997 und der um 33,7 % erhöhten Pensionskassenpension, die er ausbezahlt erhalte; eventualiter die Feststellung der Haftung der Beklagten für die sich aus der PR 61 Neu idF 1997 ergebenden Pension. Die Vorinstanzen erachteten das Klagebegehren als nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine für sein Begehren maßgebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Kläger die von ihm geltend gemachten Zahlungs- und Feststellungsansprüche auf die Geltung des Kollektivvertrages betreffend die Neuregelung der Pensionsrechte (KV PR 61 Neu idF 1997) stützt. Er sieht den Übertragungsvorgang als gesetzwidrig und nichtig an und vermisst eine ordnungsgemäße Kundmachung der Betriebsvereinbarung.

2. Zur Kundmachung der Auslagerungs-Betriebsvereinbarung weist der Kläger selbst richtig darauf hin, dass die Formerfordernisse für die Kundmachung einer Betriebsvereinbarung iSd § 30 Abs 1 ArbVG, insbesondere die Anforderungen an den späteren Nachweis ihrer Einhaltung nicht überspannt werden dürfen. Die konkret erforderliche Form ergibt sich aus den Bedürfnissen des jeweiligen Betriebes (RIS-Justiz RS0114617). Wesentlich ist, dass der Zweck des § 30 ArbVG erreicht wird. Dieser Zweck besteht darin, dass sich sämtliche Arbeitnehmer jederzeit problemlos Kenntnis vom Inhalt der Betriebsvereinbarung verschaffen können. Daher reicht ihre bloße Auflage – beim Betriebsrat oder beim Betriebsinhaber – zur wirksamen Kundmachung nicht aus; vielmehr wird auch eine in einer geeigneten Form zu erfolgende Mitteilung an die Arbeitnehmer verlangt, in der diese auf die Betriebsvereinbarung und auf die Einsichtsmöglichkeit hingewiesen werden (8 ObA 67/11b ua: nur „zufälliges“ Erfahren nicht ausreichend; 8 ObA 3/12t ua: Mitteilung in „geeigneter Form“ ausreichend; 8 ObA 71/14w: Information aller betroffenen Mitarbeiter ausreichend).

Eine ausdrückliche Information der Mitarbeiter wurde hier vom Berufungsgericht festgestellt. Mit der Argumentation des Klägers, dass die Betriebsvereinbarung erst nach Eintritt der aufschiebenden Bedingung (Abschluss des Auslagerungs-KollV) hätte kundgemacht werden dürfen, kann die Wirksamkeit der tatsächlich erfolgten Kundmachung nicht in Frage gestellt werden. Im Übrigen kommt es auf die von den Vorinstanzen angenommene aufschiebende Bedingtheit der Betriebsvereinbarung nicht entscheidend an (s Pkt 5.).

3. Der Kläger möchte die Unwirksamkeit der Auslagerungs-Betriebsvereinbarung auch mit einem Verstoß gegen Art V Abs 2 BPG begründen, der in der Festlegung des Auslagerungsstichtages mit 31. 12. 2000 liege.

Nach Abs 2 des Art V BPG (Übergangs- und Schlussbestimmungen) können Vereinbarungen nach § 3 BPG (Artikel I) den Stichtag für die Übertragung von Anwartschaften und Leistungen auf Pensionskassen rückwirkend, längstens aber auf den Beginn des laufenden Wirtschaftsjahres des Arbeitgebers festlegen.

Nach § 124 Z 4 EStG kann der Übertragungsstichtag – sofern dies in der Betriebsvereinbarung oder der Vereinbarung nach §§ 3 Abs 2 oder 6a Abs 2 des Betriebspensionsgesetzes vorgesehen ist – mit steuerlicher Wirkung auf einen Zeitpunkt vor der Unterfertigung des Pensionskassenvertrages oder des betrieblichen Kollektivversicherungsvertrages oder seiner Änderung, längstens aber auf den Beginn des Wirtschaftsjahres zurückbezogen werden. Das steuerrechtliche Motiv der Beschränkung des Übertragungsstichtages liegt darin, dass andernfalls für Altzusagen das gesamte Deckungserfordernis unter Umgehung der Versicherungssteuer angespart werden könnte ( Stupar , Die Übertragung von Betriebspensionen auf Pensionskassen 154 mwN).

Das Berufungsgericht ging unter Verweis auf die Literatur ( Farny/Wöss , Betriebspensionsgesetz – Pensionskassengesetz, Art V BPG Anm 2; Resch in ZellKomm² Art 5 BPG Rz 4) davon aus, dass es sich bei § 3 Abs 2 BPG um die arbeitsrechtliche Korrespondenzbestimmung zu § 124 EStG handle (ähnlich Schrammel, Betriebspensionsgesetz, Art V BPG Anm 6: „arbeitsrechtliche Absicherung“). Das Verständnis des Klägers, eine rein steuerrechtlich relevante Regelung im Übergangsrecht des BPG sei nicht anzunehmen, verkennt, dass die möglichen Inhalte einer Auslagerungs-Betriebsvereinbarung auch dann, wenn sie nur der steuerlichen Anerkennung der Übertragung von Betriebspensionen dienen, systematisch richtig im BPG eingeordnet sind. Die Aufnahme der Regelung (bloß) in die Übergangs- und Schlussbestimmungen des BPG lässt entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht darauf schließen, dass der Gesetzgeber des BPG normunterworfene Arbeitnehmer generell vor einer Benachteiligung durch eine weit in die Vergangenheit zurückreichende Auslagerung schützen hätte wollen (zu dieser Einordnung s Stupar , aaO). Eine zivilrechtliche Nichtigkeit der Auslagerungs-Betriebsvereinbarung bzw des Pensionskassenvertrages ist daraus nicht ableitbar.

4. Die Anordnung der Rückwirkung sowohl von Betriebsvereinbarungen (RIS-Justiz RS0028611 [T1, T3]) als auch von Kollektivverträgen (RIS-Justiz RS0075311 [T2]) ist nicht per se unzulässig. Dass dies auch im Fall der Auslagerungskonstruktion der Beklagten zutrifft, wurde bereits zu 9 ObA 100/16w ausgesprochen. Sofern der Kläger eine sachliche Rechtfertigung für die Rückwirkung vermisst, hat die Beklagte darauf verwiesen, dass damit dem Umstand Rechnung getragen werden sollte, dass es kollektivvertragsangehörige Banken gab, die die Pensionen schon im Jahr 1999 ausgelagert hatten. In diesem Zusammenhang ist auch die gesetzgeberische Vorstellung von der Funktion des Kollektivvertrages in den Fällen des § 3 Abs 1a BPG hervorzuheben, mit der vor allem eine – bis dahin nur in Betriebsvereinbarungen oder Einzelvereinbarungen nach einem Vertragsmuster mögliche – Vereinbarung von Pensionskassenzusagen mit normativer Wirkung vereinfacht werden sollte (s ErlRV 387 BlgNR 20. GP 12 f; Resch , ArbVG § 3 BPG Rz 23).

5. Die Wirksamkeit der Rückwirkung der Auslagerungs-Betriebsvereinbarung erübrigt eine Stellungnahme zu den Erwägungen des Klägers zur aufschiebenden Bedingung der Auslagerungs-Betriebsvereinbarung, weil sie damit zum Zeitpunkt ihres Abschlusses in Geltung war.

6. Der Kläger argumentiert, aufgrund der Terroranschläge vom 11. 9. 2001 und den damit verbundenen, behaupteten Verwerfungen auf den Finanzmärkten wäre die Geschäftsgrundlage der gesamten Auslagerung der Beklagten weggefallen. Die Beklagte wäre daher aus ihrer Fürsorgepflicht heraus verpflichtet gewesen, den Pensionskassenvertrag nicht abzuschließen, was sie schadenersatzpflichtig mache.

In erster Instanz brachte der Kläger vor, dass die Geschäftsgrundlage der Auslagerungs-Betriebsvereinbarung zwischen dem Zentralbetriebsrat und der Beklagten, die Sicherung der Pensionen in der Zukunft, bereits weggefallen gewesen sei (ON 5 AS 83 f). Wie bereits das Berufungsgericht erkannt hat, stellt der Wegfall der Geschäftsgrundlage gegenüber anderen Möglichkeiten eine subsidiäre Anspruchsgrundlage dar (RIS-Justiz RS0017454; zur Zweifelhaftigkeit seiner Anwendbarkeit auf den normativen Teil einer kollektiven Regelung s RIS-Justiz RS0104346). Den Parteien der Betriebsvereinbarung kann jedoch nicht unterstellt werden, dass bei einem derart langfristigen Projekt nicht mit – aus welchen Gründen auch immer – eintretenden Turbulenzen auf dem Kapitalmarkt zu rechnen gewesen wäre (vgl RIS-Justiz RS0129728); sie nahmen sie auch nicht zum Anlass einer Kündigung und Neuverhandlung (vgl 8 ObA 30/00w). Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass aus der Fürsorgepflicht im Allgemeinen keine Einschränkung der Gestaltungsbefugnisse der Kollektivvertrags- oder Betriebsvereinbarungsparteien abgeleitet werden kann (8 ObA 52/03k).

7. Der Revisionswerber bringt vor, nach § 4 Abs 4 der Auslagerungs-Betriebsvereinbarung sei Zielpensionsstichtag „der sich individuell für jeden Mitarbeiter gem. Versicherungsverlauf in der gesetzlichen Pensionsversicherung ergebende frühestmögliche Zeitpunkt für eine gesetzliche vorzeitige Alterspension gemäß ASVG idF BGBl I 2000/101“. Dies sei nach § 253b ASVG idF BGBl 2000/101 das 61,5. Lebensjahr. Hingegen sehe der Auslagerungs-Kollektivvertrag in § 4c Abs 5 für Männer bei Übertragungen im Jahr 1999/2000 als Zielpensionsstichtag das 60. Lebensjahr vor. Dies sei günstiger, weil sich die Beklagte so 1,5 Jahre Deckungszahlungen erspart habe, was zu einer niedrigeren Pension des Klägers führe.

Auch wenn man dem Kläger die Richtigkeit dieser Erwägung zugesteht, ist für ihn jedoch nichts gewonnen:

Für den Fall einer Konkurrenz zwischen Betriebsvereinbarung und dem höherrangigen Kollektivvertrag haben die normativen Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung nur insoweit Geltung, als sie für den Arbeitnehmer günstiger als die kollektivvertraglichen Regelungen sind (RIS-Justiz RS0111909). Eine ungünstigere Betriebsvereinbarung ist für die Dauer des Kollektivvertrages wirkungslos (RIS-Justiz RS0050868).

Mag die Auslagerungs-Betriebsvereinbarung hinsichtlich des Zielpensionsstichtages für Männer bei Übertragungen im Jahr 1999/2000 auch nicht dem Kollektivvertrag entsprechend differenzieren, ließe sich daraus keine (Gesamt-)Wirkungslosigkeit der Auslagerungs-Betriebsvereinbarung mit der vom Kläger angestrebten Folge einer Fortgeltung der PR 61 Neu idF 1997 ableiten. Nur diese liegt aber sowohl seinem Zahlungs- als auch seinem Feststellungsbegehren zugrunde.

8. Da der Kläger insgesamt keine entscheidungsrelevante Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO geltend macht, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Rechtssätze
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