JudikaturJustiz9Ob30/12w

9Ob30/12w – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. August 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers S***** W*****, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, gegen die Antragsgegnerin mj V***** W*****, geboren *****, wohnhaft bei der Mutter S***** P*****, vertreten durch den Kollisionskurator Dr. Helwig Keber, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung der Nichtabstammung, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 19. März 2012, GZ 1 R 77/12v 13, mit dem infolge von Rekursen der Antragsgegnerin und des Antragstellers der Beschluss des Bezirksgerichts Graz West vom 24. Jänner 2012, GZ 115 Fam 17/11v 8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird aufgetragen, den Antrag des Antragstellers, das Anerkenntnis der Vaterschaft zur Antragsgegnerin vom 7. 8. 2007 für rechtsunwirksam zu erklären, im Verfahren außer Streitsachen zu behandeln und zu erledigen.

Der Revisionsrekurswerber hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die im Jahr 2003 geborene Antragsgegnerin ist die außerehelich geborene Tochter der Mutter. Sie war zum Zeitpunkt der Geburt venezolanische Staatsbürgerin, der leibliche Vater des Kindes ist nicht bekannt. Der Antragsteller, ein österreichischer Staatsbürger, lernte die Mutter der Antragsgegnerin, die venezolanische Staatsangehörige ist, im November 2005 kennen und schloss mit dieser am 11. 3. 2006 in Österreich die Ehe. Kraft eines in Venezuela abgegebenen Anerkenntnisses vom 7. 8. 2007 ist der Antragsteller ehelicher Vater der Antragsgegnerin, die mittlerweile ebenfalls österreichische Staatsbürgerin ist.

Der Antragsteller beantragte die Feststellung, dass er nicht Vater der Antragsgegnerin sei. Hilfsweise beantragte er, das Anerkenntnis vom 7. 8. 2007 für unwirksam zu erklären. Die Mutter habe die Antragsgegnerin mit in die Ehe gebracht. Bei einem Aufenthalt in Venezuela sei dem Antragsteller das Anerkenntnis der Vaterschaft zur Unterschrift vorgelegt worden. Das Dokument sei in spanischer Sprache verfasst gewesen, eine Übersetzung habe nicht vorgelegen. Dem Antragsteller sei nicht bewusst gewesen, dass er ein Anerkenntnis der Vaterschaft der Antragsgegnerin abgebe, davon habe er erst im Sommer 2011 Kenntnis erlangt. Das vor einer ausländischen Behörde abgegebene Vaterschaftsanerkenntnis entspreche weder den Formvorschriften venezolanischen noch österreichischen Rechts. Es sei daher aus formalen Gründen unwirksam und ungültig.

Die Antragsgegnerin wandte die Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs ein. Der Antragsteller habe ein formgültiges Vaterschaftsanerkenntnis abgegeben und gewusst, dass er die Antragsgegnerin nicht gezeugt habe. Für die Anfechtung des Anerkenntnisses infolge eines behaupteten Willensmangels stehe lediglich der streitige Rechtsweg offen. Keine der von § 164 ABGB verlangten Voraussetzungen für eine Rechtsunwirksamerklärung des Anerkenntnisses läge daher vor. Darüber hinaus sei der Antrag verfristet.

Das Erstgericht sprach aus, dass für das Verfahren der außerstreitige Rechtsweg unzulässig sei. Es sei österreichisches Recht anzuwenden. Bereits aus dem Vorbringen des Antragstellers ergebe sich, dass er zu keinem Zeitpunkt der Meinung war, der leibliche Vater der Antragsgegnerin zu sein, weshalb es an einer Grundlage für ein Verfahren gemäß § 164 ABGB fehle. Die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit des Anerkenntnisses infolge eines behaupteten Willensmangels habe nicht im Verfahren außer Streitsachen zu erfolgen.

Das Rekursgericht wies den von der Antragsgegnerin gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs zurück und gab dem Rekurs des Antragstellers keine Folge. Nach dem anwendbaren österreichischen Verfahrensrecht seien Abstammungssachen nach den §§ 81 ff AußStrG grundsätzlich im außerstreitigen Verfahren abzuhandeln. Ob ein zustande gekommenes Vaterschaftsanerkenntnis unwirksam erklärt werden könne, richte sich nach den in § 164 ABGB taxativ angeführten Gründen. Der Antragsteller habe sich lediglich darauf berufen, dass ihm bei Unterfertigung der Urkunde infolge mangelnder Sprachkenntnisse nicht bewusst gewesen sei, dass es sich um ein Vaterschaftsanerkenntnis handle. Damit habe er keinen der in § 164 Abs 1 Z 3 lit a ABGB genannten Tatbestände geltend gemacht. Vielmehr habe er infolge schwerwiegender Verletzungen von Formvorschriften ein „Nichtanerkenntnis“ geltend gemacht, das jedoch nicht Gegenstand einer Unwirksamerklärung nach § 164 ABGB im Verfahren außer Streitsachen sein könne, sondern lediglich Gegenstand eines streitigen Feststellungsprozesses.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob der hier geltend gemachte Willensmangel unter die Bestimmung des § 164 Abs 1 Z 3 lit a ABGB subsumiert werden könne.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der von der Antragsgegnerin nicht beantwortete Revisionsrekurs des Antragstellers.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die hier zu beurteilende Frage nach der Rechtswegzulässigkeit ist, wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, ungeachtet der (in diesem Verfahrensstadium auch noch nicht zu prüfenden) Frage, ob materielles ausländisches Recht zur Anwendung gelangt, stets nach der lex fori zu beantworten (RIS Justiz RS0076618), sodass die österreichischen Prozessvorschriften anzuwenden sind. Ob ein Begehren im außerstreitigen Verfahren oder im Prozess zu entscheiden ist, richtet sich nicht nach der Bezeichnung durch die Partei, sondern nach dem Inhalt des Begehrens und dem Parteivorbringen (§ 40a JN). Ist zweifelhaft, in welchem Verfahren eine Rechtssache zu behandeln und zu erledigen ist, so hat das Gericht darüber zu entscheiden. Von Bedeutung ist vor allem der innere Sachzusammenhang des jeweils geltend gemachten Anspruchs mit einer entweder in die streitige oder in die außerstreitige Gerichtsbarkeit verwiesenen Materie (1 Ob 117/10b mwH). Ohne Einfluss ist hingegen, was der Gegner einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist (RIS Justiz RS0005861, RS0013639).

2. Das Verfahren über die Erklärung der Rechtsunwirksamkeit eines Vaterschaftsanerkenntnisses nach § 164 ABGB in der hier anzuwendenden Fassung des FamErbRÄG 2004, BGBl I 2004/58, ist grundsätzlich ein außerstreitiges Verfahren (§§ 82 ff AußStrG), das entweder von Amts wegen (§ 164 Abs 1 Z 1 ABGB), aufgrund eines Widerspruchs gegen ein Anerkenntnis (§ 164 Abs 1 Z 2 ABGB) oder über Antrag des Anerkennenden (§ 164 Abs 1 Z 3 ABGB) eingeleitet wird ( Hopf in KBB³ § 164 Rz 1). Ob der Antragsteller einen tauglichen Grund für die von ihm begehrte Rechtsunwirksamkeitserklärung des Vaterschaftsanerkenntnisses iSd § 164 Abs 1 Z 3 ABGB geltend macht (wie zB List, Furcht, oder in eingeschränktem Umfang Irrtum), spielt für die Beurteilung der Frage der Rechtswegzulässigkeit keine Rolle. Maßgeblich ist hier vielmehr, dass der Antragsteller vorbringt, er habe ein Vaterschaftsanerkenntnis abgegeben, welches jedoch aus unterschiedlichen Gründen rechtsungültig sei. Dass der Antragsteller entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts vom Vorliegen eines wenn auch seiner Ansicht nach ungültigen Anerkenntnisses ausgeht, ergibt sich schon aus seinem Hinweis, dass die Antragsgegnerin offenbar infolge dieses Anerkenntnisses seinen Nachnamen trage und die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Der Antragsteller strebt mit seinem Antrag daher ungeachtet der Formulierung des Feststellungsbegehrens das Verfahrensziel an, die Rechtsunwirksamkeit dieses Vaterschaftsanerkenntnisses zu erwirken. Für die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der Antragsteller habe das Vorliegen eines Vaterschaftsanerkenntnisses gar nicht behauptet, sodass von einem sogenannten „Nichtanerkenntnis“ (vgl dazu Stefula in Klang³ § 163c Rz 12 ff) auszugehen sei, weshalb sein Begehren im streitigen Verfahren durchzusetzen sei, fehlt es hingegen an einer Grundlage im Vorbringen des Antragstellers.

3. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben. Über den Antrag, das Vaterschaftsanerkenntnis vom 7. 8. 2007 für rechtsunwirksam zu erklären, wird im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden sein. Ob eine Veranlassung für ein amtswegiges Vorgehen zur Prüfung der im Revisionsrekurs aufgeworfenen Frage der inhaltlichen Berechtigung des Antrags iSd § 164 Abs 1 Z 1 lit a ABGB besteht, muss der Beurteilung des Erstgerichts überlassen bleiben.

Ein Kostenersatz findet im Verfahren nicht statt (§ 83 Abs 4 AußStrG).

Rechtssätze
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