JudikaturJustiz8Ob81/13i

8Ob81/13i – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Mai 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W***** AG *****, 2. D***** AG *****, beide vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. T***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Rechtsanwälte in Wien, 2. O***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, 3. K***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Karin Wessely, Rechtsanwältin in Wien, 4. S***** GmbH, *****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte GmbH in Wien, 5. H***** GmbH, *****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 928.493,67 EUR sA, über die Rekurse der erstbeklagten Partei (Rekursinteresse 680.810,67 EUR), der zweit , viert und fünftbeklagten Partei (Rekursinteresse je 503.432,87 EUR) und der drittbeklagten Partei (Rekursinteresse 28.552,24 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. April 2013, GZ 4 R 351/12k 71, mit dem das Teil und Zwischenurteil des Handelsgerichts Wien vom 31. August 2012, GZ 51 Cg 80/11p 63, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Rekurs der erstbeklagten Partei wird im Umfang der Anfechtung eines Teilbegehrens von 131.144 EUR (erstklagende Partei) und 46.232,91 EUR (zweitklagende Partei), insgesamt 177.377,80 EUR sA, als absolut unzulässig zurückgewiesen.

2. Im Übrigen werden die Rekurse der beklagten Parteien mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 526 Abs 2 ZPO).

Die Kosten der Rekursbeantwortung bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagenden Parteien begehrten von den beklagten Parteien (zuletzt) zur ungeteilten Hand die Zahlung von insgesamt 677.860,63 EUR (Erstklägerin) und 250.633,15 EUR (Zweitklägerin) sA als Ersatz für Schäden, die ihnen aus der Teilnahme bzw Mitwirkung der Beklagten am sogenannten „Aufzugskartell“ (16 Ok 5/08) erwachsen seien.

Die Kartellverstöße hätten dazu geführt, dass die Beklagten gegenüber den Klägerinnen zwischen 1985 und 2005 in zahlreichen Fällen überhöhte Preise für gelieferte Aufzüge und Fahrtreppen sowie für deren Montage und Wartung durchsetzen hätten können. Den Klägerinnen sei dadurch ein Schaden in Höhe der kartellbedingten Preisaufschläge entstanden, die jeweils zumindest 20 % der Rechnungssummen ausgemacht hätten. Hilfsweise erklärten die Klägerinnen, die einzelnen Verträge wegen arglistiger Irreführung anzufechten und Rückzahlung der überhöhten Entgelte aus dem Titel der ungerechtfertigten Bereicherung zu begehren.

Das Erstgericht schränkte die Verhandlung zunächst auf jenen Teil der beiden Klagebegehren ein, der von den Klägerinnen aus überteuerten Wartungs- und Montageverträgen abgeleitet wird. In diesem Bereich setzte sich das mehrfach geänderte Begehren der Erstklägerin zuletzt aus insgesamt 74 Positionen in Höhe von insgesamt 514.066,13 EUR, jenes der Zweitbeklagten aus 31 Positionen in Gesamthöhe von 166.744,54 EUR zusammen. Jede Klagsposition beträgt pro Objekt jeweils 20 % der behaupteten Gesamtwartungskosten des streitgegenständlichen Zeitraums.

Die Beklagten brachten vor, das Klagebegehren sei unschlüssig. Es umfasse auch Zeiträume, in denen es keine nach seinerzeit geltender Rechtslage verbotenen Absprachen gegeben habe. Die Wirkung des Kartells habe von vornherein nur etwa 30 % des einschlägigen Gesamtmarkts betroffen und lediglich eine Regulierung der Marktanteile verfolgt, jedoch nicht die Preisgestaltung beeinflusst. Die einzelnen Forderungen der Klägerinnen würden nicht auf Belegen, sondern überwiegend auf Schätzungen oder Hoch- und Rückrechnungen beruhen. Tatsächlich sei ihnen kein Schaden entstanden. Da die bezahlten Wartungskosten bereits als Betriebskosten auf die Mieter überwälzt worden seien, seien die Klägerinnen zur Geltendmachung allfälliger Kartellzuschläge nicht aktiv legitimiert. Das Klagebegehren sei außerdem verjährt.

Das Erstgericht verwarf in seinem Teil und Zwischenurteil den Verjährungseinwand, im Übrigen wies es die vom eingeschränkten Verfahren umfassten Klagebegehren ab.

Das Vorbringen der Klägerinnen sei zu allen geltend gemachten Rechtsgründen unschlüssig geblieben. Sie würden allein aus der Existenz eines Kartells, das nach der gerichtlichen Geldbußenentscheidung nicht einmal den gesamten Markt betroffen habe, Schadenersatz oder Bereicherungsansprüche ableiten. Sie könnten sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf den Anscheinsbeweis berufen, da ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass alle Kartellabsprachen zu Preiserhöhungen führen, nicht existiere. Konkrete Behauptungen dazu, dass gerade die klagsgegenständlichen Projekte von Kartellabsprachen erfasst waren, seien aber nicht aufgestellt worden. Die Klägerinnen hätten nicht einmal ausgeführt, welche der von ihnen aufgelisteten Projekte über eine Ausschreibung vergeben wurden, ob daran auch dritte Unternehmen teilgenommen haben und wieso auch in solchen Fällen kartellbedingte Preiserhöhungen wirksam geworden sein sollten. Den Berechnungen lägen in vielen Fällen nicht einmal die in der Vergangenheit tatsächlich bezahlten Preise, sondern bloße Schätzungen zugrunde.

Eine Umkehr der Beweislast komme nicht in Frage. Schwierigkeiten für die Klagsführung seien zwar aufgrund der schieren Masse der Einzelforderungen nachvollziehbar, hätten jedoch nichts mit einer größeren Beweisnähe der Beklagten zu tun. Solange eine berechtigte Forderung der Klägerinnen nicht wenigstens dem Grunde nach feststehe, könne auch § 273 ZPO nicht angewendet werden. Einer rein fiktiven bzw abstrakten Schadensberechnung im Sinne von „punitive damages“ stünden § 1323 ABGB und die höchstgerichtliche Rechtsprechung entgegen.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerinnen Folge und hob das erstgerichtliche Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil Fragen des zivilrechtlichen Kartellschadenersatzes schon im Hinblick auf zahlreiche Parallelverfahren erhebliche Bedeutung zukomme.

Das Berufungsgericht erachtete das Vorbringen und Begehren der Klägerinnen für hinreichend schlüssig. Da sie sich auf eine durch das Kartell bewirkte allgemeine Preiserhöhung berufen hätten, sei es nicht erforderlich gewesen, preiswirksame Absprachen zu jedem einzelnen klagsgegenständlichen Auftrag zu behaupten und zu beweisen. Die Frage der Schlüssigkeit des Vorbringens sei generell von der Frage seiner Beweisbarkeit zu trennen. Das Berufungsgericht ging auch allgemein auf die Beurteilung der Beweislastverteilung, die Frage einer allfälligen Beweislastverschiebung sowie der Anwendung des § 273 ZPO ein, ohne aber dazu wegen des für ergänzungsbedürftig erachteten Verfahrensstandes abschließend Stellung zu nehmen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Rekurs der Erstbeklagten ist im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang absolut unzulässig.

Im Übrigen sind die Rekurse der beklagten Parteien entgegen der den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Begründung des Berufungsgerichts - zurückzuweisen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung erheblicher, über die Umstände des Einzelfalls hinaus richtungsweisender Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO abhängig ist.

1. Absolute Unzulässigkeit

1.1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen, also wenn die Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RIS Justiz RS0053096). Der von § 55 Abs 1 Z 1 JN geforderte Zusammenhang wird verneint, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann (vgl RIS Justiz RS0042766; RS0037648 [T19]). Dies ist auch hier der Fall.

1.2. Die Klägerinnen stützen ihr Begehren auf eine Vielzahl von individuellen Verträgen, geschlossen mit jeweils nur einer der Beklagten oder deren Rechtsvorgängern. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass auf Kartellvergehen gegründete Ansprüche der Kläger nicht auf demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhen, wenn sie nicht aus einem einzigen, sondern lediglich aus gleichartigen Verträgen abgeleitet werden, die jeweils für sich auch unterschiedlich beurteilt werden könnten (7 Ob 127/10t; 3 Ob 1/12m; 5 Ob 123/12t). Die Inanspruchnahme der beklagten Parteien als Solidarschuldner reicht zur Begründung eines rechtlichen Zusammenhangs der Ansprüche nicht aus.

1.3. Der Rekurs der Erstbeklagten, der sich gegen den zweitinstanzlichen Beschluss in seiner Gesamtheit richtet, ist daher bezüglich jener Ansprüche, deren Geldbetrag 5.000 EUR nicht übersteigt (insgesamt 177.377,80 EUR sA) gemäß § 502 Abs 2 iVm § 519 Abs 2 ZPO absolut unzulässig.

2. Schlüssigkeit

2.1. Die Schlüssigkeit von Prozessbehauptungen kann immer nur anhand des konkreten Klagsvorbringens im Einzelfall geprüft werden. Ihre Beurteilung kann regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründen (RIS Justiz RS0037780, RS0116144; vgl RS0113563). Auch wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist und ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, sind Fragen des Einzelfalls (RIS Justiz RS0042828 [T3]).

Eine geradezu unvertretbare Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit zu korrigieren wäre, vermögen die Rekurswerber nicht aufzuzeigen.

2.2. Schlüssig ist eine Klage, wenn sich aus den behaupteten Tatsachen die begehrte Rechtsfolge ableiten lässt. Zum Problemkreis von Schadenersatzansprüchen aus Kartellverstößen hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Wettbewerbsregeln des nationalen Rechts und des Unionsrechts neben wettbewerbsrechtlichen Zwecken gerade auch den Zweck haben, Übervorteilungen der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite durch Absprachen von Kartellanten zu verhindern, weshalb sie als Schutzgesetze im Sinn des § 1311 ABGB zu qualifizieren sind (5 Ob 39/11p mwN; 4 Ob 46/12m mwN). Die Beteiligung an einem verbotenen Kartell kann die gesamtschuldnerische Haftung der Kartellanten für daraus abgeleitete Schadenersatzansprüche begründen (RIS Justiz RS0127672).

2.3. Auch bei Verletzung eines Schutzgesetzes hat der Geschädigte den Eintritt des Schadens und dessen Höhe zu behaupten und zu beweisen (vgl RIS Justiz RS0022561 [T2] zur Beweislast). Der von den Rekurswerbern für ihren Standpunkt zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 3 Ob 1/12m (mit der eine Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen wurde) lag kein völlig gleichartiger Sachverhalt zugrunde, weil die Klägerinnen im vorliegenden Fall die „historischen“ von ihnen bezahlten Preise bestimmt behauptet haben; ob sie das Gericht von der Richtigkeit dieser Behauptung zu jedem einzelnen Geschäftsfall überzeugen können, ist aber keine Frage der Schlüssigkeit, sondern der Beweisbarkeit des Klagsvorbringens.

2.4. Die Klägerinnen behaupten, dass sie aufgrund der allgemein preiserhöhenden Auswirkung verbotener Kartellabsprachen zwischen den Beklagten jeweils um 20 % höhere Preise für die aufgelisteten Leistungen bezahlen mussten als es im Fall rechtmäßigen Marktverhaltens, ohne verbotene Absprachen, der Fall gewesen wäre. Jeder Auftrag wurde von den Klägerinnen individualisiert und der kausal auf die Wirkung des Kartells zurückgeführte Entgeltanteil beziffert.

Entgegen den Rekursausführungen leiten die Kläger ihren Schaden daher nicht bloß abstrakt aus der Existenz eines Kartells ab, sondern stellen konkrete, einem Sachverständigenbeweis grundsätzlich zugängliche Behauptungen zu dessen Wirkung auf. Darin liegt der Unterschied zum bloßen Erkundungsbeweis, der darauf abzielt, aufgrund seiner Ergebnisse erst die rechtlich erheblichen Tatsachen vorbringen zu können (RIS-Justiz RS0039881).

2.5. Das Berufungsgericht hat in seiner Begründung zutreffend zwischen den Fragen der Schlüssigkeit der Klagsbehauptungen und ihrer Beweisbarkeit differenziert. Es liegt nahe, dass ein hinreichender Beweis der behaupteten Kartellwirkung aus mehreren Gründen wenn überhaupt äußerst schwer zu erbringen sein wird; als vollkommen ausgeschlossen kann dies nach dem bisherigen Verfahrensstand aber noch nicht gelten.

Soweit die Klägerinnen Schadenersatz auch für Zeiträume begehren, die nicht Gegenstand des Bußgeldverfahrens waren oder in denen das Marktverhalten der Beklagten nach deren Behauptungen (noch) nicht gesetzwidrig war, begründet dies keine Frage der Schlüssigkeit, sondern der Beweisbarkeit der Klagsbehauptungen.

2.6. Das eingeschränkte Klagebegehren umfasst nur mehr erhöhte Wartungsentgelte, die behauptetermaßen nicht als Betriebskosten auf Mieter überwälzt werden konnten, sodass ein Schaden unmittelbar bei den Klägerinnen eingetreten wäre.

Soweit Verträge nicht direkt von den Klägerinnen, sondern von Hausverwaltungen oder Bauträgern in ihrem Auftrag und auf ihre Rechnung abgeschlossen wurden, schließt dies ihre Aktivlegitimation nicht von vornherein aus. Falls überhöhte Wartungskosten bei den Klägerinnen aufgrund eines derartigen Innenverhältnisses zum unmittelbaren Vertragspartner, das bereits bei Schadenseintritt bestanden hat, wirksam geworden sein sollten, wäre von einer Schadensverlagerung auszugehen, die eine Drittschadensliquidation ermöglicht (vgl 4 Ob 46/12m).

2.7. Zusammenfassend kann in der Beurteilung der Schlüssigkeit des Klagsvorbringens durch das Berufungsgericht nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls keine grobe Fehlbeurteilung erblickt werden.

Soweit sich der rechtserhebliche Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten nicht mehr klären lassen sollte, werden entsprechende Negativfeststellungen zu treffen sein. Auf die weiteren in den Rekursen angesprochenen Rechtsfragen, insbesondere die Grenzen des Anscheinsbeweises, Beweiserleichterungen, Mitwirkungs-pflichten der Beklagten oder die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 273 ZPO, ist beim gegenwärtigen Verfahrensstand noch nicht einzugehen.

3. Da der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist, bleibt es ihm verwehrt, die Anordnungen des Berufungsgerichts zur Verfahrensergänzung auf ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen, wenn die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht als solche nicht zu beanstanden ist (RIS Justiz RS0042179).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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