JudikaturJustiz8Ob26/17g

8Ob26/17g – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Dr. M***** H*****, und 2) Mag. W***** H*****, ebendort, beide vertreten durch Dr. Peter Gatternig und Mag. Karl Gatternig, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1) P***** G*****, 2) W***** G*****, und 3) M***** G*****, alle vertreten durch die Schaffer Sternad Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 98.125,83 EUR sA über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. November 2016, GZ 39 R 170/16p 14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 9. Mai 2016, GZ 5 C 498/15b 10, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.837,09 EUR (darin enthalten 472,85 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Kläger sind Eigentümer eines Hauses in Wien. Am 5. 7. 1985 schloss der Rechtsvorgänger der Beklagten als Inhaber eines Einzelunternehmens einen Mietvertrag über das im genannten Haus befindliche Geschäftslokal. Der Mietzins wurde mit 7.300 ATS festgelegt; zudem wurde eine Wertsicherungsklausel vereinbart. Der Rechtsvorgänger der Beklagten verstarb am 3. 10. 2005. Die Verlassenschaft wurde den Beklagten eingeantwortet. Mit Schreiben vom 19. 7. 2012 forderten die Kläger die Beklagten auf, den gemäß § 46a Abs 2 MRG errechneten Mietzinsrückstand für die Zeit ab 1. 1. 2006 zu bezahlen.

Mit der im Vorverfahren erhobenen Mietzinsklage begehrten die Kläger von den Beklagten die Zahlung von 179.820,02 EUR sA als Mietzinsdifferenz für den Zeitraum vom 1. 1. 2006 bis 31. 12. 2013. Mit (rechtskräftigem) Urteil vom 25. 6. 2014 wurden die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, den Klägern für den genannten Zeitraum 171.985,20 EUR sA zu zahlen; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. In diesem Verfahren wurde davon ausgegangen, dass ab 1. 1. 2006 ein monatlicher Netto Hauptmietzins von 5.430 EUR angemessen ist.

Im vorliegenden Verfahren begehren die Kläger rückständige Mietzinsdifferenzen in Höhe von 98.125,83 EUR sA für den Zeitraum von 1. 1. 2014 bis 31. 12. 2015. Dazu brachten sie vor, dass im Vorverfahren der angemessene monatliche Hauptmietzins zum Todestag ihres Rechtsvorgängers und damit auch zum 1. 1. 2006 mit 5.430 EUR festgestellt worden sei. Auf dieser Basis seien die Erhöhungsbeiträge bis einschließlich Dezember 2013 zugesprochen worden. Die weiteren rückständigen Beträge ab dem Jahr 2014 seien von den Beklagten nicht bezahlt worden; diese hätten nur den Mietzins ohne Mietzinsanhebung geleistet. Sowohl die Kläger als auch die Beklagten seien Unternehmer.

Die Beklagten entgegneten, dass die Kläger durch ihre schrittweise Mietzinsanhebung insbesondere den nach Größe, Art, Beschaffenheit, Lage, Ausstattungs- und Erhaltungszustand angemessenen Hauptmietzins überschritten hätten. Die begehrten Mietzinserhöhungen beruhten auf einem unrichtigen Sachverhalt bzw einem unrichtigen Sachverständigengutachten. Die Entscheidung im Vorverfahren begründe keine Bindungswirkung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Auch im Anlassverfahren liege – so wie im Vorverfahren – eine Mietzinsklage über dasselbe Mietverhältnis zwischen denselben Parteien vor. Das Vorverfahren habe die Mietperiode der Jahre 2006 bis 2013 zum Gegenstand gehabt. Die Frage der Höhe des angemessenen Mietzinses sei im Vorverfahren bereits rechtskräftig entschieden worden. Die Feststellungen zum angemessenen Mietzins seien daher auch dem Anlassverfahren zugrunde zu legen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten statt, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Erstgericht sei zu Unrecht von einer Bindungswirkung des Urteils im Vorverfahren ausgegangen. Im Vorverfahren sei ausschließlich über den Mietzinsdifferenzanspruch für den Zeitraum Jänner 2006 bis Dezember 2013 entschieden worden. Von der Bindungswirkung würde nur die rechtskräftige Entscheidung über den Hauptgegenstand, nicht aber die Beurteilung einer Vorfrage erfasst. Aus diesem Grund entfalte der im Vorprozess in den Urteilsfeststellungen erwähnte angemessene Hauptmietzins zum Zeitpunkt des Todes des Rechtsvorgängers der Beklagten keine Bindungswirkung auf das nunmehr zu entscheidende Mietzinsverfahren. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil sich die Frage stelle, ob die Entscheidungsharmonie ausnahmsweise nicht doch eine Bindung an den im Vorprozess ermittelten angemessenen Mietzins erfordere und die Feststellung des angemessenen Hauptmietzinses im Vorverfahren „quasi“ eine Hauptfrage dargestellt habe.

Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Kläger, mit dem sie die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts anstreben.

Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragen die Beklagten, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs erweist sich als unzulässig.

1. In ihrem Rekurs stehen die Kläger auf dem Standpunkt, dass Grundlage der rechtskräftigen Vorentscheidung ein Anhebungsbegehren gemäß § 46a Abs 2 MRG gewesen sei. In diesem Verfahren sei der zu dem auf den Todesfall folgenden 1. Jänner angemessene Mietzins für das Bestandobjekt festzustellen gewesen. Daraus hätten sich die zulässigen Anhebungsbeträge für die Folgejahre zwingend ergeben. Mit der Entscheidung über den zum Stichtag ermittelten zulässigen Hauptmietzins sei letztlich auch die Höhe des in den folgenden Jahren um 1/15 pro Jahr anzuhebenden Hauptmietzinses festgestellt worden. Für die Bindungswirkung reiche es aus, wenn sich ein Urteil zwingend auf eine aus der Begründung ersichtliche Feststellung stütze, sodass die Bindungswirkung auch diese Feststellung erfasse.

Mit diesen Überlegungen zeigen die Kläger keine erhebliche Rechtsfrage auf.

2.1 Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung besteht eine Bindungswirkung nur in Bezug auf die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage, nicht aber an eine dort beurteilte Vorfrage (RIS Justiz RS0042554; RS0041180; RS0041342). Bindungswirkung im Sinn der Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess ist dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet. Jeweils im Einzelfall ist konkret zu prüfen, worüber im Vorprozess als Hauptfrage bzw Hauptgegenstand entschieden wurde. Dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an. Zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen (RIS Justiz RS0127052; 8 Ob 139/15x). Danach ist zu prüfen, ob die Entscheidung über den neuen Anspruch vom Inhalt der Hauptfrage der bereits rechtskräftig entschiedenen Streitsache erfasst und abhängig ist oder das Begehren das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs darstellt. Die Entscheidungsgründe sind nur zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen (RIS Justiz RS0043259; RS0041357).

Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass materielle Nahebeziehungen bzw Abhängigkeiten zwischen den Streitgegenständen, teleologische Sinnzusammenhänge der Entscheidungs gegenstände oder Rechtsverhältnisse, das Gebot der Entscheidungsharmonie oder das Bedürfnis nach Rechtssicherheit keine hinreichenden Gründe für eine Erweiterung der Bindungswirkung sind (RIS Justiz RS0039843; RS0102102; 8 ObA 19/11v).

2.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht keine Bindungswirkung zwischen der Verpflichtung zur Leistung des angemessenen Bestandzinses für bestimmte Zeitperioden und den entsprechenden Leistungsklagen für andere Perioden, ebenso zwischen der Bejahung der Titellosigkeit für einen bestimmten Zeitraum und der Frage der Titellosigkeit für einen davor liegenden Zeitraum (vgl 5 Ob 212/10b). Im Verfahren über eine Mietzinsklage betrifft die Frage nach der Angemessenheit des Mietzinses nur eine Vorfrage (RIS Justiz RS0070570). Im (Außerstreit-)Verfahren auf Überprüfung der gesetzlich zulässigen Mietzinshöhe nach § 37 Abs 1 Z 8 MRG betrifft die Beurteilung der Ausstattungskategorie ebenfalls nur eine Vorfrage (5 Ob 2152/96y; 5 Ob 12/99x). In einem Räumungsprozess betreffen die Qualifikation als Miet- oder Pachtverhältnis, die Frage der rechtswirksamen Übertragung der Hauptmietrechte auf den Beklagten oder die Frage der Rechtswirksamkeit einer Auflösungserklärung nur Vorfragen (5 Ob 212/10b).

Ist demgegenüber Hauptgegenstand der rechtskräftigen Vorentscheidung die Feststellung der Höhe des Mietzinses, und zwar unabhängig von konkreten Mietzinsperioden, so entfaltet die Entscheidung grundsätzlich Bindungswirkung auch für nachfolgende Mietzinsperioden insoweit, als der bei Vertragsabschluss zulässige Mietzins für alle weiteren Verfahren auf Mietzinsüberprüfung feststeht (5 Ob 128/01m). Auch dann, wenn in einem Zwischenurteil der Anspruch auf Benützungsentgelt auf Basis titelloser Benützung dem Grunde nach bejaht wird, erstreckt sich die Bindungswirkung hinsichtlich des Zeitpunkts der Auflösung des Vertrags auch auf den Streit um das Benützungsentgelt für nachfolgende Perioden (vgl 5 Ob 98/16x).

2.3 Im hier zugrunde liegenden Vorverfahren wurden die Beklagten laut rechtskräftigem Urteilsspruch zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, den Klägern 171.985,20 EUR samt Zinsen zu zahlen. Das Mehrbegehren von 7.834,82 EUR sA sowie das weitere Zinsenmehrbegehren wurden abgewiesen. Die Frage nach der Angemessenheit des Netto-Hauptmietzinses zum Zeitpunkt des Todes des Rechtsvorgängers der Kläger (74,72 EUR pro m², daher monatlich 5.430 EUR, ab 1. 1. 2006) wird nur in den Entscheidungsgründen des Urteils beantwortet.

Die Überlegung des Berufungsgerichts in der Begründung des Zulässigkeitsausspruchs mag von Praktikabilitätsgründen getragen sein, steht aber mit den dargelegten Grundsätzen zur Bindungswirkung nicht im Einklang. Für derartige Fälle sieht das Gesetz eine (andere) Möglichkeit für eine Erweiterung der Bindungswirkung vor. So wird eine im Vorprozess relevante Vorfragenbeurteilung dann von der Rechtskraft erfasst, wenn sie zum Inhalt eines Zwischenantrags auf Feststellung nach §§ 236, 259 ZPO gemacht wird und sie dadurch zum Gegenstand einer eigenen spruchmäßigen Sachentscheidung wird (RIS Justiz RS0041342; RS0039128). Ein solcher Antrag wurde im Vorverfahren allerdings nicht gestellt.

3. Insgesamt ist das Berufungsgericht von den zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Dem entsprechend steht der angefochtene Aufhebungsbeschluss mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang. Den Klägern gelingt es nicht, mit ihren Ausführungen im Rekurs eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Rekurs war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

Rechtssätze
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