JudikaturJustiz8Ob14/07b

8Ob14/07b – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. April 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Nadja K***** und der mj Tanja K*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie-Rechtsfürsorge 11. Bezirk, Enkplatz 2, 1110 Wien, wegen Unterhaltsherabsetzung, über den außerordentlichen Rekurs der mj Unterhaltsberechtigten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. Juli 2006, GZ 43 R 409/06z-38, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 3. Mai 2006, GZ 5 P 91/97p-U32, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidung wird, soweit sie über den Zeitraum 1. Juni 2005 bis 7. Oktober 2005 abspricht, als nichtig behoben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er zu lauten:

„Die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die beiden Minderjährigen wird ab 8. Oktober 2005 auf monatlich EUR 93 je Kind herabgesetzt."

Text

Begründung:

Der Vater der Minderjährigen war aufgrund von Vergleichen zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für minderjährige Tanja von EUR 484 und für minderjährige Nadja von EUR 556,67 verpflichtet. Am 26. 7. 2005 stellte er den Antrag aufgrund seiner prekären finanziellen Situation den Unterhalt ab 1. 6. 2005 je Kind auf EUR 93 herabzusetzen. Das Amt für Jugend und Familie sprach sich gegen diesen Antrag aus.

Der Vater der Minderjährigen war vom 1. 9. 2004 bis 31. 5. 2005 als gewerblich selbstständig Erwerbstätiger gemeldet. Seit 15. 6. 2005 bezieht er Notstandshilfe. Über sein Vermögen wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 7. 10. 2005, AZ 9 S 83/05v, das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 6. 3. 2006 wurde das Schuldenregulierungsverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Zahlungsplans aufgehoben.

Der Unterhaltsschuldner ist am äußerst angespannten unselbständigen Arbeitsmarkt auch bei intensiver persönlicher Arbeitssuche nicht vermittelbar. Üblicherweise werden am allgemeinen Arbeitsmarkt Stellenbewerber während eines sie betreffenden laufenden Konkurs- bzw Schuldenregulierungsverfahrens wegen nicht abschätzbarer Risken (Verschuldung mit Vielzahl an Gläubigern und damit verbundenem Verwaltungsaufwand durch Administration der Gehaltsexekution, strafrechtliche Verurteilung, vermehrte Abwesenheit vom Arbeitsplatz) nicht neu angestellt. Insgesamt sind die Arbeitsplatzfindungschancen des Vaters am Arbeitsmarkt derzeit nicht gegeben.

Das Erstgericht wies den Antrag, die Unterhaltsverpflichtung für minderjährige Nadja und minderjährige Tanja ab 1. 6. 2005 auf monatlich EUR 93 je Kind herabzusetzen, ab. Es sprach aus, dass das Unterhaltsherabsetzungsverfahren betreffend den Zeitraum vom 1. 6. 2005 bis 7. 10. 2005 unterbrochen sei, über diesen Zeitraum daher nicht entschieden werde. Im Übrigen vertrat es die Auffassung, dass der unterhaltspflichtige Vater auch unter Berücksichtigung des Gutachtens des berufskundigen Sachverständigen „nicht vollkommen unvermittelbar" sei. Es treffe ihn aufgrund des in § 140 ABGB verankerten Anspannungsgrundsatzes die Obliegenheit im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Der Vater habe den Verlust von zwei gut bezahlten unselbständigen Arbeitsverhältnissen verschuldet und durch seine selbständigen Tätigkeiten in der kurzen Zeit vom 1. 9. 2004 bis Sommer 2005 so hohe Schulden angesammelt, dass ein Schuldenregulierungsverfahren notwendig geworden sei. Ab Konkurseröffnung sei auch keine wirkliche Einschränkung der Arbeitsfindungsmöglichkeiten mehr gegeben, da ein Dienstgeber vom Konkursverfahren seiner Dienstnehmer nicht betroffen sei. Dennoch seien keine intensiven Bemühungen des Vaters um einen Arbeitsplatz zu erkennen. Die kurzfristig vielleicht gegebene, allerdings auch vom Vater verschuldete Unvermittelbarkeit rechtfertige nicht die Herabsetzung der Unterhaltsbeträge.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahingehend ab, dass „die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die beiden Minderjährigen ab 1. 6. 2005 auf monatlich EUR 93 je Kind herabgesetzt" werde.

Das Rekursgericht folgerte, dass die Arbeitsplatzfindungschancen des Vaters am Arbeitsmarkt derzeit nicht gegeben seien. Grundsätzlich stelle der Anspannungsgrundsatz eine Art Missbrauchsvorbehalt für jene Fälle dar, in denen schuldhaft die zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte versäumt werde. Der Unterhaltspflichtige könne aber nicht schon automatisch deshalb auf das frühere Einkommen angespannt werden, weil ihn am Verlust des Arbeitsplatzes ein Verschulden treffe. Vielmehr setze die Anspannung auf das frühere Einkommen voraus, dass der Unterhaltspflichtige den Verlust des Arbeitsplatzes in der Absicht herbeigeführt habe, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen. Dass der Vater seine Arbeitsplätze in der Absicht aufgegeben habe, sich seiner Unterhaltsverpflichtung zu entziehen, lasse sich dem Verfahren in keiner Weise entnehmen, insbesondere gebe es dazu auch keine Feststellungen des Erstgerichts. Die Anspannungsbeurteilung dürfe sich nicht in unbegründeten Fiktionen erschöpfen, sondern habe die realen Erwerbschancen auszuloten. Die Anspannung beruhe nämlich auf den realen Einkommenserwartungen des Unterhaltspflichtigen vor dem Hintergrund seiner beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten und der konkreten Arbeitsmarktlage im Zeitraum der Unterhaltsbemessung. Aus dem berufskundigen Gutachten ergebe sich nachvollziehbar und von den Minderjährigen auch unbestritten, dass eine Vermittelbarkeit des Vaters nicht gegeben sei. Das Einkommen des Vaters rechtfertige keine höheren Unterhaltsbeträge als die vom Vater im Rahmen des Herabsetzungsbegehrens angebotenen.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zu. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen ist wegen einer den Vorinstanzen unterlaufenen - partiellen - Nichtigkeit zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ansprüche auf rückständigen Unterhalt sind Konkursforderungen und nach Maßgabe der Bestimmungen der KO zu behandeln (RIS-Justiz RS0037149; ZIK 2001, 55; 9 Ob 40/03b). Ein Pflegschaftsverfahren, soweit es bis zur Konkurseröffnung geschuldeten, rückständigen Unterhalt zum Gegenstand hat, wird durch die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen unterbrochen (ZIK 2001, 55 [zum Unterhaltsherabsetzungsverfahren]; 8 Ob 527/93; 2 Ob 215/98a; Kodek, Privatkonkurs 108; 9 Ob 40/03b). Die Unterbrechung tritt ex lege ein. Diesem Umstand hat das Erstgericht grundsätzlich durch seinen deklarativen Beschluss Rechnung getragen. Der sich aufgrund der bisherigen Unterhaltstitel ergebende Rückstand ist als Konkursforderung im Schuldenregulierungsverfahren des Unterhaltspflichtigen anzumelden (ZIK 2001, 55). Bei Konkursforderungen, die der Anmeldung unterliegen, kann das Verfahren nur aufgenommen werden, wenn der Anspruch im Konkurs angemeldet, dort der Prüfung unterzogen und bestritten wurde (Schubert in Konecny/Schubert KO § 7 Rz 51). Dies gilt auch im Fall der Unterbrechung eines außerstreitigen Verfahrens (Schubert aaO Rz 19 und 51). Auch die Aufnahme eines gemäß § 7 Abs 1 KO unterbrochenen außerstreitigen Verfahrens bedarf eines Aufnahmeantrags und eines aufgrund eines solchen Antrags gefassten Gerichtsbeschlusses. Bis ein solcher Aufnahmebeschluss gefasst wird, besteht die durch die Konkurseröffnung eingetretene Unterbrechungswirkung fort. Daran ändert auch die Aufhebung des Konkurses nichts, weil auch in diesem Fall die Aufnahme des Verfahrens eines Parteiantrags und eines Aufnahmebeschlusses bedarf (Schubert aaO Rz 50; 9 Ob 40/03b). Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Erklärung des Vaters im Schuldenregulierungsverfahren, die angemeldete Unterhaltsforderung anzuerkennen, tatsächlich als vorbehaltlose Anerkennung der Forderung gewertet werden kann, da sich jedenfalls die Voraussetzungen für die Aufnahme des (hinsichtlich des rückständigen Unterhalts bis zum Schuldenregulierungsverfahren) unterbrochenen Herabsetzungsverfahrens - nämlich die Bestreitung der angemeldeten Forderung - aus dem amtswegig beigeschafften Akt des Bezirksgerichts Salzburg, AZ 9 S 83/05v, nicht ergibt. Weder hat einer der Beteiligten einen Aufnahmeantrag gestellt, noch hat das Erstgericht einen Fortsetzungsbeschluss gefasst. Vielmehr hat das Erstgericht grundsätzlich zutreffend unter Hinweis auf die Unterbrechung des Verfahrens ausdrücklich ausgeführt, dass über die Zeit vom 1. 6. 2005 bis 7. 10. 2005 (Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens) nicht entschieden werde. Inkonsequenter Weise hat das Erstgericht allerdings spruchgemäß im Sinn der Abweisung des Unterhaltsherabsetzungsantrags für den gesamten Zeitraum ab 1. 6. 2005 entschieden. Zwar muss der Aufnahmebeschluss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden (RIS-Justiz RS0037128), doch ergibt sich aus der erstgerichtlichen Begründung gerade das Fehlen eines Entscheidungswillens des Erstgerichts, das unterbrochene Verfahren fortzusetzen. Damit ist das Verfahren hinsichtlich des Zeitraums vom 1. 6. 2005 bis zum 7. 10. 2005 nach wie vor unterbrochen. Trotz eingetretener Unterbrechungswirkung unzulässiger Weise ergangene Entscheidungen sind nach herrschender Auffassung anfechtbar, wobei die Rechtsprechung unter Missachtung der Unterbrechung gefällte Urteile (regelmäßig nach § 477 Abs 1 Z 4 und 5 ZPO) als nichtig qualifiziert hat (9 Ob 40/03b mwH). Hier sind die Entscheidungen der Vorinstanzen schon deshalb teilnichtig, weil mangels wirksamer Bestreitung der Forderung im Schuldenregulierungsverfahren die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des außerstreitigen Verfahrens gar nicht vorlagen und die dessen ungeachtet erfolgte Entscheidung im Pflegschaftsverfahren der vom Gesetzgeber zwingend angeordneten Vorschaltung des konkursrechtlichen Prüfungsverfahrens widersprochen hat. Im Fall der Unterbrechung eines streitigen Zivilverfahrens wird bis zum Abschluss des außerstreitigen Prüfungsverfahrens Unzulässigkeit des (streitigen) Rechtswegs angenommen (Schubert aaO Rz 51). Im Fall der Unterbrechung eines außerstreitigen Verfahrens kann zwar nicht von einer Unzulässigkeit des Rechtswegs im üblichen Sinn des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO gesprochen werden, weil es sich nicht nur beim Pflegschaftsverfahren, sondern auch beim Konkursverfahren um ein außerstreitiges Verfahren handelt. Die Missachtung des zwingenden Vorrangs des konkursrechtlichen Prüfungsverfahrens vor der (erst im Fall der Bestreitung der Forderung zulässigen) Fortsetzung des nach § 7 KO unterbrochenen außerstreitigen Unterhaltsverfahrens stellt jedoch einen Verfahrensverstoß dar, der dem Grunde und auch nach seinem Gewicht der Unzulässigkeit des Rechtswegs iSd § 477 Abs 1 Z 6 ZPO gleichzusetzen und daher ebenfalls mit Nichtigkeit bedroht ist. In diesem Sinn erweisen sich daher die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit über den Zeitraum vom 1. 6. 2005 bis 7. 10. 2005 abgesprochen wurde, als nichtig.

Soweit die Entscheidung der Vorinstanzen den Zeitraum ab Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens betrifft, halten ihr die Rechtsmittelwerber inhaltlich lediglich entgegen, dass „aus dem Verhalten des Vaters eindeutig erschließbar sei, dass er den Arbeitsverlust in der Absicht herbeigeführt habe, den Unterhaltsanspruch der Kinder zu schmälern". Das Rekursgericht hat in diesem Zusammenhang die unbedenkliche Rechtsauffassung vertreten, dass sich aus dem vorliegenden Sachverhalt eine derartige Absicht gerade nicht ableiten lässt. Die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts, der die Rechtsmittelwerber nichts von Relevanz entgegenzusetzen vermögen, ist daher hinsichtlich des Zeitraums ab Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens nicht zu beanstanden.

Rechtssätze
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