JudikaturJustiz6Ob87/01i

6Ob87/01i – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am 12. September 2000 verstorbenen Leopold G*****, vertreten durch Mag. Dr. Rudolf Jirovec, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Franz S*****, vertreten durch Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwalt in Korneuburg, wegen Löschung des Eigentumsrechtes, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. Dezember 2000, GZ 14 R 62/00s-18, womit das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 2. Jänner 2000, GZ 3 Cg 312/98w-11, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 997,43 Euro =

13.725 S (darin enthalten 166,24 Euro = 2.287,50 S USt) betimmten

Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der während des Verfahrens (am 12. 9. 2000) verstorbene Kläger war Betreiber eines Sand- und Schotterabbauunternehmens. Er schloss am 5. 5. 1976 mit den Eltern des Beklagten einen als "Tauschvertrag" bezeichneten Vertrag, in dem vereinbart wurde, dass der Kläger die hier strittigen, in seinem Eigentum stehenden Grundstücke (nun Nr 1025, 1026/1, 1026/2 und 1026/3) an die Eltern des Beklagten übereignen sollte. Im Gegenzug sollten die Eltern des Beklagten drei ihrer Grundstücke an den Kläger "zum Zwecke der Ausbeutung aus Sand und Schotter" übertragen. Der Kläger verpflichtete sich, diese Grundstücke auf Verlangen der Eltern des Beklagten wieder an diese "zurückzuverkaufen", wobei der hiefür zu entrichtende "Kaufpreis" einer späteren Vereinbarung vorbehalten bleiben sollte. Im Vertrag wurde hiezu auch ausgeführt, dass der Kläger den Eltern des Beklagten insoweit ein "Wiederkaufsrecht" einräume. Es sollte lediglich die Eigentumsübertragung bezüglich der vom Kläger an die Eltern des Beklagten übergebenen Grundstücke verbüchert werden. Dementsprechend wurde das Eigentum der Eltern des Beklagten an den hier strittigen Grundstücken einverleibt, nicht jedoch das Eigentum des Klägers an den Grundstücken der Eltern des Beklagten. Nach dem Tod des Vaters des Beklagten wurde dessen Nachlass mit Einantwortungsurkunde vom 25. 10. 1984 der Mutter des Beklagten zu 3/4 und dem Beklagten zu 1/4 eingeantwortet, sodass die Mutter weitere 3/8-Anteile und der Beklagten 1/8-Anteil an den strittigen Grundstücken erhielt. Mit Übergabsvertrag vom 21. 12. 1984 übertrug die Mutter ihre 7/8-Anteile an den Beklagten gegen Einräumung verschiedener Ausgedingsleistungen und Übertragung eines 1/8-Anteils an einem anderen Grundstück. Seit der Verbücherung dieses Übergabsvertrages im Jahr 1986 ist der Beklagte daher bücherlicher Alleineigentümer der strittigen Grundstücke.

Im Verfahren 2 C 520/89h des Bezirksgerichtes Tulln begehrte der Kläger die Zustimmung des Beklagten zur bücherlichen Eigentumsübertragung an jenen Grundstücken, die ihm die Eltern des Beklagten im Wege des "Tauschvertrages" übereignet hatten. Das Klagebegehren wurde abgewiesen, weil das "Rückkaufsrecht" ausgeübt worden sei und der Kläger nach dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung auf die Verbücherung seines Eigentums verzichtet habe. Im Verfahren 2 C 2066/96x des Bezirksgerichtes Tulln begehrte der Kläger vom Beklagten und dessen Mutter unter anderem die Zahlung von 1 Mio S als Wiederkaufspreis für die von ihm im Tauschweg an die Eltern des Beklagten übertragenen Grundstücke. In diesem Verfahren stellte das Landesgericht St. Pölten als Berufungsgericht nach Beweiswiederholung fest, dass der für die Rückgabe der Grundstücke an die Eltern des Beklagten zu zahlende Preis einer späteren Vereinbarung vorbehalten bleiben sollte und keine Einigung über dessen Höhe erzielt worden sei. Es könnten auch keine sonstigen Vereinbarungen über die Grundlagen für die Ausmittlung des Wiederkaufspreises festgestellt werden. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, dass in Wahrheit kein Grundstückstausch, sondern ein Grundstückserwerb der Eltern des Beklagten gegen Einräumung des zeitlich beschränkten Schotterabbaurechtes und Leistung eines der Höhe nach noch ungewissen und einer späteren Vereinbarung vorbehaltenen Geldbetrages im Fall der Rückstellung der rekultivierten Grundstücke zustandegekommen sei. Es liege ein versteckter Dissens über dieses Entgelt vor, der sich im Wege der Auslegung nicht beseitigen lasse. Mangels eines rechtswirksamen Vertrages sei somit das Begehren auf Zahlung eines "Wiederkaufspreises" abzuweisen. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers wurde ohne nähere Begründung zurückgewiesen (1 Ob 174/98i).

Mit der nun vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Löschung des Eigentumsrechtes des Beklagten an den im Zuge des "Tauschvertrages" dessen Eltern übereigneten Grundstücken. Das Berufungsgericht im Verfahren 2 C 2066/96x des Bezirksgerichtes Tulln habe bindend festgestellt, dass infolge versteckten Dissenses über einen wesentlichen Vertragspunkt der der Eigentumseinverleibung der Eltern des Beklagten zugrundeliegende Vertrag nicht rechtswirksam zustandegekommen sei. Die Unwirksamkeit des Titels zur Eigentumsübertragung wirke auch gegen den Kläger.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Fristen der §§ 63 und 64 GBG für die Löschungsklage seien abgelaufen. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Vorverfahren entfalte für den vorliegenden Rechtsstreit keine Bindungswirkung.

Das Erstgericht erkannte die Einverleibung des Eigentumsrechtes des Klägers auf den strittigen Grundstücken zu Gunsten des Beklagten nur bezüglich eines 1/8-Anteiles für unwirksam und verpflichtete den Beklagten, die zu seinen Gunsten bestehende Eigentumseintragung bezüglich eines 1/8-Anteiles durch Löschung aufzuheben; das Mehrbegehren wies es ab.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Die hier entscheidungswesentliche Frage, ob für den Erwerb der strittigen Grundstücke durch die Eltern des Beklagten ein gültiger Titel vorgelegen sei, sei nicht Gegenstand des Vorprozesses gewesen, sodass diesbezüglich auch keine Bindungswirkung an die rechtliche Beurteilung des damals erkennenden Berufungsgerichtes bestehe. Die seinerzeitige Vereinbarung sei in einen sogleich zu erfüllenden Teil und in die spätere Rückübertragung der zur Schottergewinnung überlassenen Grundstücke zu teilen. Der versteckte Dissens über den Wiederkaufspreis betreffe nur den letzteren Teil. Die Gültigkeit des Erwerbes der Grundstücke des Klägers durch die Eltern des Beklagten gegen Hingabe ihrer Grundstücke zur Schottergewinnung und Leistung einer Aufzahlung von 90.000 S sei erhalten geblieben. Da dem Eigentumserwerb der Eltern des Beklagten ein rechtswirksamer Titel zugrundegelegen sei, könne die Löschungsklage schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage des Umfanges der Bindung an die Entscheidung im Vorprozess von erheblicher Bedeutung sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der Revision mangels erheblicher Rechtsfrage unzulässig. In der älteren Rechtsprechung wurde die Meinung vertreten, dass selbst mangels Identität des Begehrens das Urteil eines Vorprozesses zufolge seiner materiellen Rechtskraft zur inhaltlichen Bindung des später entscheidenden Gerichtes führen könne, insbesondere, wenn Parteien und rechtserzeugender Sachverhalt identisch seien und beide Prozesse in einem so engen inhaltlichen Zusammenhang stünden, dass die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben, in beiden Fällen entscheidenden Rechtsfrage nicht gestatteten. Diese von der überwiegenden Lehre (vgl die Nachweise in 6 Ob 59/99s) abgelehnte Ansicht wird von der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes eingeschränkt. Danach reicht es nicht aus, dass eine im Vorprozess relevante Vorfrage auch eine solche des späteren Prozesses ist. Bildet eine bestimmte Tatsache im Vorprozess nicht den Hauptgegenstand des Verfahrens, sondern stellt sie lediglich eine Vorfrage dar, dann kommt der Entscheidung dieser Vorfrage keine bindende Wirkung im folgenden Prozess zu. Die Möglichkeit einer rechtskräftigen Feststellung von Vorfragen eröffnet ausnahmsweise der Zwischenantrag auf Feststellung. Die Annahme, dass auch die Feststellungen über eine Vorfrage im Vorprozess selbständig rechtskräftig werden können, würde diesen Zwischenantrag auf Feststellung völlig entwerten und überdies § 411 ZPO widersprechen, wonach präjudizielle Rechtsverhältnisse dann rechtskräftig entschieden werden, wenn sie zum Inhalt eines Zwischenfeststellungsantrages gemacht wurden. Werden Vorfragen aber ohnehin bindend festgestellt, wäre dieser Halbsatz überflüssig (6 Ob 59/99s mwN).

Bei der Entscheidung über die Zahlungsklage im Vorprozess waren Fragen der Auslegung des "Tauschvertrages" und des vereinbarten "Wiederkaufsrechtes", der konkreten Vereinbarung eines "Wiederkaufspreises" und insbesondere auch der Rechtswirksamkeit der Vereinbarung jeweils Vorfragen. Das Klagebegehren hätte auch auf Grund anderer Erwägungen - etwa des Einwandes des Beklagten, als Wiederkaufspreis sei 1 S/m2 vereinbart worden, der auch bezahlt worden sei - abgewiesen werden können. Die Beurteilung der Vorfrage der Rechtsunwirksamkeit der Vereinbarung ist lediglich den Entscheidungsgründen zu entnehmen, die für sich allein aber nicht in Rechtskraft erwachsen können. Die Rechtskraftwirkung eines Urteiles erstreckt sich grundsätzlich nur auf den Spruch. Nur soweit es für die Individualisierung des Anspruches und dessen Tragweite erforderlich ist, sind auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen (RIS-Justiz RS0041357). Es bedarf aber keiner Auslegung des Spruches, wenn daraus der Inhalt der Entscheidung deutlich hervorgeht (SZ 41/103 ua). Dies gilt insbesondere für ein Zahlungsbegehren, das auch Gegenstand des Vorprozesses war. Eine Bindung bloß an die Entscheidungsgründe der Vorentscheidung, womit die Vorfrage der Rechtswirksamkeit der Vereinbarung behandelt wurde, besteht jedenfalls nicht (RIS-Justiz RS0041157). Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, vermag die bloße "Entscheidungsharmonie" die Grenzen der materiellen Rechtskraft nicht auszuweiten (2 Ob 99/00y mwN).

Das Berufungsgericht hat daher im vorliegenden Verfahren in Übereinstimmung mit der aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Bindungswirkung erkannt, dass die Rechtsunwirksamkeit der zwischen dem (verstorbenen) Kläger und den Eltern des Beklagten im Jahr 1976 getroffenen Vereinbarung der Eigentumsübertragung der strittigen Grundstücke an die Eltern des Beklagten für den vorliegenden Rechtsstreit nicht bindend festgestellt wurde. Die Frage, ob der Vertrag zur Gänze oder nur teilweise rechtsunwirksam ist, war im Übrigen im Vorprozess gar nicht entscheidend. Aus der Zurückweisung der außerordentlichen Revision mangels erheblicher Rechtsfrage (nach § 510 Abs 3 ZPO ohne nähere Begründung) im Verfahren 2 C 2066/96x des Bezirksgerichtes Tulln (1 Ob 174/98i) ist daher entgegen dem Rechtsstandpunkt des Klägers auch nicht abzuleiten, dass der Oberste Gerichtshof die Ansicht teilte, der der Einverleibung des Eigentums der Eltern des Beklagten zugrundeliegende Vertrag sei infolge Nichteinigung über einen wesentlichen Vertragspunkt zur Gänze unwirksam.

Bei Teilungültigkeit ist die Regel des § 878 ABGB über die Teilunmöglichkeit analog anzuwenden (RIS-Justiz RS0025085). Aus § 878 ABGB ist abzuleiten, dass bei einer Nichtigkeit, die nur einen Teil des Vertrages betrifft, der ganze Vertrag nur dann nichtig ist, wenn nach dem hypothetischen Parteiwillen angenommen werden kann, dass die Parteien den Vertrag auch ohne den von der Nichtigkeit betroffenen Teil gewollt hätten. Dabei ist zu beurteilen, welche Entscheidung die Parteien vernünftigerweise nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte getroffen hätten. Im Zweifel, also wenn sich ein solcher Parteiwille nicht feststellen lässt, ist von der Gültigkeit des vom Aufhebungsgrund nicht betroffenen Teiles des Vertrages auszugehen (3 Ob 562/95 = SZ 68/161; Rummel in Rummel, ABGB3 § 878 Rz 4).

Die Auslegung einer nach Form und Inhalt unbestrittenen Urkunde ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung. Nur dann, wenn zur Auslegung der einer Urkunde zugrundeliegenden Absicht der Parteien andere Beweismittel herangezogen werden, werden damit Tatsachenfeststellungen getroffen (RIS-Justiz RS0043422). Eine solche Beweisführung hat der Kläger im vorliegenden Verfahren aber nicht angetreten, sodass zur Frage, welche Vertragspunkte zum wesentlichen Inhalt des auf Eigentumsübertragung an den strittigen Grundstücken gerichteten Geschäftes gehören, ob sich der Vertrag teilen lässt und ob von der Restgültigkeit betreffend die vereinbarte Eigentumsübertragung auszugehen ist, der hypothetische Parteiwille durch die Auslegung der Vertragsurkunde zu ermitteln ist (vgl SZ 68/161).

Fragen der Vertragsauslegung kommt aber keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, sofern keine Verkennung der Auslegungsgrundsätze vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden müsste (RIS-Justiz RS0112106). Eine zur Korrektur Anlass gebende Fehlbeurteilung dieses Einzelfalles durch das Berufungsgericht ist nicht zu erkennen, war doch für den Kläger die sofortige Erlangung der Abbauberechtigung auf den Gründstücken der Eltern des Beklagten von entscheidender Bedeutung, weshalb er auch bereit war, einer sofortigen Eigentumseinverleibung zuzustimmen, weil er ansonsten keine Nutzungsmöglichkeit an deren Grundstücke erlangt hätte. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass zumindest von einer Restgültigkeit des Übereinkommens der seinerzeitigen Vertragsparteien auf Eigentumsübertragung an den strittigen Grundstücken auszugehen ist, ist durchaus vertretbar.

Die Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Revisionsbeantwortung des Beklagten war als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig zu honorieren, weil darin zutreffend auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen wurde.

Rechtssätze
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