JudikaturJustiz5Ob256/08w

5Ob256/08w – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Dezember 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eigentümergemeinschaft des Hauses *****, vertreten durch Charim, Steiner Hofstetter, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Urzula R*****, vertreten durch Mag. Florian Zeh, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1.601,06 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Februar 2008, GZ 36 R 441/07f 80, womit die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 7. August 2004, GZ 4 C 658/03i 22, zurückgewiesen wurde, nachstehenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Rekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht fällte am 7. 8. 2004 ein der Klage stattgebendes Urteil, das der Beklagten nach der Aktenlage sowohl am 18. 8. 2004 als auch am 8. 9. 2004 jeweils durch Hinterlegung zugestellt wurde.

Am 15. 9. 2004 - somit jedenfalls rechtzeitig - erhob die rechtsanwaltlich nicht vertretene Beklagte dagegen eine Berufung, in der sie ausführte, warum sie zur Zahlung des Klagsbetrags zu Unrecht verpflichtet worden sei, ihr vielmehr aus Überzahlungen eine Gegenforderung gegen die klagende Partei zustehe. Die Berufung war nicht rechtsanwaltlich gefertigt und enthielt keinen Berufungsantrag. Gleichzeitig mit der Berufung stellte die Beklagte den Antrag, ihr die Verfahrenshilfe samt Beigebung eines Rechtsanwalts zu bewilligen.

Mit Beschluss vom 11. 2. 2005 (ON 27) wies das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag ab. Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen.

Am 4. 4. 2007 (ON 66) erteilte das Erstgericht der Beklagten einen Verbesserungsauftrag hinsichtlich der am 15. 9. 2004 erhobenen Berufung und setzte hiefür eine Frist von 14 Tagen. Unter Hinweis auf § 463 Abs 2 ZPO wurde die Beklagte darüber belehrt, dass die von ihr erhobene Berufung einer anwaltlichen Unterfertigung bedürfe. Auch wurde die Beklagte auf die Folgen des Fristablaufs hingewiesen. Die Zustellung des Verbesserungsauftrags an die Beklagte erfolgte am 10. 4. 2007 und ein weiteres Mal am 8. 5. 2007 (diesmal mit der Urschrift der Berufung ON 24).

Innerhalb der ihr gesetzten Frist bewirkte die Beklagte zunächst keine Verbesserung, sondern stellte neuerlich einen Verfahrenshilfeantrag. Dieser Verfahrenshilfeantrag wurde vom Erstgericht mit Beschluss vom 10. 7. 2004 (ON 74) bewilligt, wobei auch die Beigabe eines Rechtsanwalts erfolgte.

Der vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer bestellte Verfahrenshelfer erhob am 17. 10. 2007 - damit jedenfalls innerhalb der 14 tägigen Verbesserungsfrist - Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht dieses Rechtsmittel als verspätet zurück.

Das Berufungsgericht stellte den Gang des Verfahrens dar und erachtete in rechtlicher Hinsicht, dass mit rechtskräftiger Abweisung des ersten Verfahrenshilfeantrags, also mit 3. 2. 2006 die Berufungsfrist zu laufen begonnen habe. Zutreffenderweise sei der Beklagten jedoch hinsichtlich ihrer Berufung vom 15. 8. 2004 (richtig: 15. 9. 2004) eine 14 tägige Verbesserungsfrist zur anwaltlichen Fertigung eingeräumt worden. Diese Frist habe mit 10. 4. 2007 zu laufen begonnen und sei mit Ablauf des 24. 4. 2007 abgelaufen. Eine neuerliche Zustellung dieses Verbesserungsauftrags habe zu keiner Verlängerung geführt. Der von der Beklagten am 21. 5. 2007 eingebrachte neuerliche Verfahrenshilfeantrag sei somit bereits nach Ablauf der gesetzten Frist erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt sei das erstinstanzliche Urteil bereits in Rechtskraft erwachsen. Selbst wenn man aber den Beginn der Verbesserungsfrist erst ab der zweiten Zustellung des Verbesserungsauftrags am 8. 5. 2007 zu Grunde lege, wäre der am 21. 5. 2007 gestellte zweite Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht geeignet, neuerlich eine Unterbrechung der Berufungsfrist zu bewirken. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das Erstgericht in der Folge noch der Beklagten die Verfahrenshilfe bewilligt habe. Die vom Verfahrenshelfer erhobene Berufung sei jedenfalls verspätet.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne der Aufhebung der unberechtigten Zurückweisung ihres Rechtsmittels. Die klagende Partei hat eine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist analog § 519 Abs 1 Z 1 ZPO unabhängig vom Wert des Streitgegenstands und dem Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (vgl RIS Justiz RS0043882; RS0098745).

Der Rekurs der Beklagten ist auch berechtigt.

Zunächst ist festzuhalten, dass die von der Beklagten am 15. 9. 2004 erhobene Berufung rechtzeitig erfolgte.

Nach rechtskräftiger Abweisung des gleichzeitig mit der Berufung gestellten Verfahrenshilfeantrags erwies sich die anwaltlich nicht gefertigte Berufung, bei der es sich nicht um eine inhaltsleere Berufung handelte, als verbesserungsbedürftig im Sinn der §§ 84, 85 ZPO (RIS Justiz RS0109506). Sie war durch das Fehlen einer Anwaltsunterfertigung mit einem Formfehler und durch das Fehlen eines Rechtsmittelantrags mit einem Inhaltsmangel behaftet (vgl Gitschthaler in Rechberger ZPO2 Rz 3 und 11 zu §§ 84, 85 ZPO mwN).

Zu Recht hat daher das Erstgericht der Beklagten unter Fristsetzung einen Verbesserungsauftrag erteilt, der allerdings nur auf die Bewirkung einer Anwaltsunterfertigung gerichtet war. Unter Anschluss der originalen Berufungsschrift (§ 85 Abs 1 ZPO) wurde der Beklagten der Verbesserungauftrag ein zweites Mal zugestellt. Damit wurde ihr defacto eine neue Verbesserungsfrist eingeräumt. Unabhängig von der Notwendigkeit oder Richtigkeit eines weiteren Verbesserungsauftrags gilt nämlich, dass der innerhalb der zweiten gesetzten Verbesserungsfrist erhobene Schriftsatz nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden darf, sondern auf den letztlich verbesserten Schriftsatz Bedacht zu nehmen ist (2 Ob 141/07k mwN).

Zu Recht hat daher das Erstgericht den innerhalb der zweiten Verbesserungsfrist von der Beklagten erhobenen Antrag auf Verfahrenshilfe zur Beseitigung des Formmangels nicht zurückgewiesen.

Ein Antrag auf Verfahrenshilfe ist auch dann rechtzeitig im Sinne des § 464 Abs 3 ZPO, wenn er innerhalb einer gemäß § 85 Abs 3 ZPO vom Richter gesetzten Frist zur Verbesserung des rechtzeitig eingebrachten Berufungsschriftsatzes gestellt wird (vgl 3 Ob 187/01y = EvBl 2002/224).

Dieser Verfahrenshilfeantrag war auch geeignet, die Verbesserungsfrist zu unterbrechen:

Nach § 85 Abs 2 letzter Satz ZPO beginnt, sofern der ursprüngliche Schriftsatz befristet war, wie dies § 464 Abs 3 ZPO für die Berufung vorsieht, die Verbesserungsfrist erst mit Zustellung des Bescheids über die Bestellung eines Rechtsanwalts oder mit Rechtskraft des Abweisungsbeschlusses (vgl Kodek in Fasching/Konecny Rz 265 zu §§ 84, 85 ZPO, 3 Ob 130/05x = EvBl 2005/194) zu laufen.

§ 85 Abs 2 letzter Satz ZPO verweist wie § 464 Abs 3 letzter Satz ZPO auf § 73 Abs 3 ZPO, der wie folgt lautet:

Wird nach dem Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Beigebung eines Rechtsanwalts versagt wird, von derselben Partei neuerlich ein Antrag gestellt, ihr einen Rechtsanwalt kostenlos beizugeben, so bleibt hievon der weitere Ablauf der schon einmal nach dem Abs 2 unterbrochenen Frist unberührt.

Das bedeutet, dass mehrmals gestellte Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe weder zu einer wiederholten Unterbrechung einer Verbesserungsfrist (§ 73 Abs 3 iVm § 85 Abs 2 ZPO) noch zur wiederholten Unterbrechung einer Berufungsfrist (§ 464 Abs 3 letzter Satz ZPO iVm § 73 Abs 3 ZPO) führen.

Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob eine Verbesserungsfrist noch durch einen Verfahrenshilfeantrag unterbrochen werden kann, wenn zuvor im selben Verfahren bereits einmal ein Verfahrenshilfeantrag abgewiesen worden war.

Das ist im Ergebnis zu bejahen:

Schon der Wortlaut des § 73 Abs 3 ZPO macht deutlich, dass damit ein Verbot neuerlicher Unterbrechung des Ablaufs einer „schon einmal" unterbrochenen Frist bewirkt werden soll.

Im vorliegenden Fall wurde aber durch den ersten (abgewiesenen) Verfahrenshilfeantrag keine Frist unterbrochen, weil die Beklagte schon rechtzeitig eine - wenn auch mit Form- und Inhaltsmängeln behaftete, aber doch nicht „leere" - Berufung erstattet hatte.

Es liegt daher kein dem § 73 Abs 3 ZPO zu unterstellender prozessualer Sachverhalt vor, weil trotz eines bereits einmal abgewiesenen Verfahrenshilfeantrags erstmals eine Fristunterbrechung, und zwar im Verbesserungsverfahren bewirkt werden soll.

Eine extensive Auslegung des § 73 Abs 3 ZPO dahin, dass jede frühere Abweisung eines Verfahrenshilfeantrags einer erstmaligen Fristunterbrechung durch einen zweiten Verfahrenshilfeantrag entgegenstünde, ist als Einschränkung des Rechtsschutzes abzulehnen.

Einer erstmaligen Fristunterbrechung durch einen zweiten Verfahrenshilfeantrag stünde nur die prozessuale Unzulässigkeit des zweiten Verfahrenshilfeantrags entgegen.

Nur ein inhaltlich zu erledigender, wenn auch unberechtigter Verfahrenshilfeantrag unterbricht nämlich überhaupt den Fristenlauf (1 Ob 82/08b). Das ist hier zu bejahen, weil die Beklagte keine Neubeurteilung eines unveränderten Sachverhalts anstrebte, sondern sich in ihrer vermögensrechtlichen Situation Änderungen ergeben hatten. Sie war inzwischen arbeitslos geworden, was eine Neubeurteilung der Voraussetzungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe erforderte.

Damit löste erst die Zustellung an den in Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt den Lauf der Verbesserungsfrist aus. Diese Frist wurde durch die nun vorliegende verbesserte Berufung, die zulässigerweise von einem Rechtsanwalt verfasst wurde (vgl 2 Ob 331/00s), auch eingehalten.

Damit erweist sich die Zurückweisung des Rechtsmittels der Beklagten durch das Gericht zweiter Instanz als verfehlt.

Das hatte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zu führen.

Das Rekursverfahren blieb jedoch einseitig, was zur Zurückweisung der Rechtsmittelbeantwortung zu führen hatte (vgl RIS Justiz RS0098745 [T1, T3]).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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