JudikaturJustiz4Ob77/06m

4Ob77/06m – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Juni 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Pepelnik, Rechtsanwalt in Wien, unter Beitritt der Nebenintervenientin P***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Maria Brandstetter, Rechtsanwältin in Wien, wegen 22.197,80 EUR sA, über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Dezember 2005, GZ 3 R 140/05p-55, mit welchem über Berufung beider Parteien das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. Jänner 2005, GZ 16 Cg 118/03g-46, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen einen mit 466,74 EUR bestimmten Anteil an den Kosten des Berufungsverfahrens (darin 77,79 EUR USt) zu ersetzen.

Die Beklagte ist schuldig, der Nebenintervenientin binnen 14 Tagen die mit 583 EUR bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung (darin 97,20 EUR USt) zu ersetzen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen einen mit 1.356,76 EUR bestimmten Anteil an den Kosten des Revisionsverfahrens (darin 80,24 EUR USt und 875,32 EUR Barauslagen) zu ersetzen. Die Beklagte ist schuldig, der Nebenintervenientin binnen 14 Tagen die mit 374,76 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 62,46 EUR USt) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte, ein Eisenbahnunternehmen, transportiert für die Klägerin regelmäßig Zucker. Zucker ist ein hoch sensibles Lebensmittel, das leicht Gerüche anziehen kann. Für den Transport können daher nur neutrale und nicht verschmutzte Waggons verwendet werden. Durchschnittliche Waggons der Beklagten eignen sich dafür. Die Nebenintervenientin betreibt für die Klägerin ein Distributionslager.

Ende Mai 2002 transportierte die Beklagte Zucker vom Lager der Nebenintervenientin in Wien zu einer Betriebsstätte der Klägerin in Tulln. Die Nebenintervenientin war laut Frachtbrief Absenderin, die Klägerin Empfängerin des Transportguts. Die zuständigen Mitarbeiter der Beklagten wussten, dass Zucker transportiert werden sollte, auch der Frachtbrief enthielt einen entsprechenden Hinweis. Die Beklagte stellte für den Transport mehrere Waggons zur Verfügung. Einer davon war - offensichtlich durch einen Vortransport - mit Phenol verunreinigt. Phenol strömt einen charakteristischen, intensiven Geruch aus. Auch die Bodenflächen und die Wände wiesen die charakteristischen Verfärbungen dieser Chemikalie auf. Eine oberflächlich sichtbare Verunreinigung gab es allerdings nicht. In diesen Waggon verluden Mitarbeiter der Nebenintervenientin am 28. 5. 2002 trotz Erkennbarkeit des üblen Geruchs 25 Paletten mit 24.000 Ein-Kilo-Säcken Zucker. Am Bestimmungsort wurde der Waggon zunächst einige Tage nicht geöffnet. Bei Öffnen der Schiebetüren ging vom Laderaum und vom Zucker ein intensiver übler Geruch aus. Der Zucker war verdorben. Da er auch nicht als Tierfutter verwendet werden konnte, musste ihn die Klägerin vernichten lassen. Der Zucker hatte einen Wert von 14.412 EUR, die Entsorgung kostete 7.338 EUR. Weiters hatte die Klägerin anteilige Frachtkosten für den verschmutzten Waggon von 105,80 EUR und Ein- und Auslagerungskosten von 342 EUR zu tragen.

Schon bei früheren Transporten hatte die Beklagte immer wieder mangelhafte Waggons zur Verfügung gestellt (vergessene Stückgüter aus vorherigen Transporten, Säcke mit Unrat, Mist, Abfälle von Palettenstücken, Kunststoffabfälle usw). Einmal befand sich in einem für den Transport von Zucker bereitgestellten Waggon ein lebender Hund. In diesen Fällen nahm die Beklagte nach Reklamation des Ladepersonals die Waggons regelmäßig zurück und stellt gereinigte zur Verfügung. Eine Verunreinigung mit Phenol hatte es bis zum strittigen Vorfall noch nicht gegeben. Während des Verfahrens stellte die Beklagte aber neuerlich einen so verunreinigten Waggon für einen Zuckertransport bereit.

Die Klägerin begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes 22.197,80 EUR samt Zinsen. Der Kapitalbetrag setzt sich zusammen aus dem Warenwert von 14.412 EUR, den Entsorgungskosten von 7.338 EUR und den Fracht- und Einlagerungskosten in Höhe von 105,80 bzw 342 EUR. Der Zucker sei bei der Beladung in einwandfreiem Zustand gewesen. Die Nebenintervenientin habe bei der Beklagten ausdrücklich einen Waggon für Zuckerbeladung bestellt. Bei der Beladung sei der üble Geruch aus dem Waggon nicht feststellbar gewesen. Auf Grund der starken Kontaminierung sei eine weitere Verwertung nicht möglich gewesen. Der verdorbene Zucker habe daher zur Gänze entsorgt werden müssen. Wie es zur Kontaminierung des Waggons gekommen sei, habe nicht festgestellt werden können; die diesbezügliche Darlegungspflicht treffe die Beklagte. Da diese ein grobes Verschulden an der Kontaminierung der beförderten Ware treffe, hafte sie für den gesamten Schaden der Klägerin.

Die Nebenintervenientin schloss sich diesem Vorbringen an. Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Sie sei nach § 94 Abs 2 und 3 EBG von der Haftung befreit, wenn die Beschädigung auf ein Verschulden des Berechtigten, insbesondere in Zusammenhang mit der Verladung, zurückzuführen sei. Die Absenderin habe die Ware selbst verladen. Die Beklagte habe lediglich den Waggon beigestellt, ohne zu wissen, welches Gut befördert werden sollte. Der von ihr bereitgestellte Waggon sei für die Beförderung von Gütern grundsätzlich geeignet gewesen. Sollte er tatsächlich einen intensiven Geruch aufgewiesen haben und daher für die Beförderung von Zucker nicht geeignet gewesen sein, so wäre es Sache der Klägerin bzw der Nebenintervenientin gewesen, die Verladung zu unterlassen. Bei entsprechender Sorgfalt hätte die Nebenintervenientin, deren Verhalten der Klägerin zuzurechnen sei, den für die Ware ungeeigneten Waggon zurückweisen müssen. Der Schaden sei entweder vor oder während der Beladung des Waggons eingetreten, nicht aber während der Beförderung.

Die Klagsforderung bestehe auch der Höhe nach nicht zu Recht, weil die Beklagte jedenfalls nur die Wertminderung des Gutes zu ersetzen habe. Hingegen hafte sie nicht für Entsorgungskosten. Sie selbst hätte überdies wesentlich günstigere Beseitigungsmöglichkeiten gehabt.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des halben Klagsbetrags (11.098,90 EUR) samt 5% gestaffelter Zinsen und wies das Mehrbegehren ab. Die Beklagte habe ihre Verpflichtung zum mangelfreien Transport nicht erfüllt. Da nach dem Frachtvertrag Lebensmittel transportiert werden sollten, sei die Beklagte verpflichtet gewesen, ordentlich gereinigte Waggons bereitzustellen. Die Nebenintervenientin treffe ein Mitverschulden, da ihre Leute die Verschmutzung des Waggons hätten erkennen müssen. Dieses Mitverschulden sei der Klägerin zuzurechnen. Es wiege gleich schwer wie das Verschulden der Beklagten, sodass der halbe Schaden zu ersetzen sei. Die Beklagte habe zwar das Klagebegehren der Höhe nach bestritten, aber nicht konkret vorgebracht, inwiefern sie selbst den Zucker preisgünstiger vernichten hätte können. Der Klägerin sei daher auch diese Schadensposition zuzusprechen. Nach dem Eisenbahnbeförderungsgesetz (EBG) gebührten ihr nur Zinsen von 5 %. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des gesamten Klagsbetrags (abgesehen vom nicht mehr strittigen Zinsenmehrbegehren). Die Beklagte hafte nach § 94 EBG. Die Klägerin treffe kein eigenes Verschulden iSd § 94 Abs 2 EBG; auch die besondere Gefahr der Verladung nach § 94 Abs 3 lit c EBG sei nicht vorgelegen. Ein allfälliges Verschulden der Nebenintervenientin müsse sich die Klägerin nicht zurechnen lassen. Diese sei nämlich nicht ihre Erfüllungsgehilfin gewesen. Die Beklagte habe grobe Fahrlässigkeit zu vertreten, weil sie mehrfach verschmutzte Waggons für (heikle) Zuckertransporte zur Verfügung gestellt habe. Zudem habe es während des Verfahrens einen weiteren Vorfall mit einem mit Phenol verschmutzten Waggon gegeben. Die Beklagte habe nicht dargelegt, warum ungeachtet dieser Umstände keine grobe Fahrlässigkeit iSd § 102 EBG vorgelegen sei. Das schließe - in Analogie zu Art 29 CMR und § 438 HGB - den Mitverschuldenseinwand aus.

Die auf Verminderung des Zuspruchs auf den halben Warenwert und die halbe Fracht (dh auf gänzliche Abweisung des Begehrens auf Ersatz der Entsorgungskosten und der Einlagerungskosten) gerichtete Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Wegen der groben Fahrlässigkeit gebe es keine Haftungshöchstsummen.

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil es zur Haftung des Empfängers für schuldhaftes Verhalten des Absenders im Bereich des Eisenbahnfrachtrechts und zum Entfall von Haftungsbefreiungen bei grobem Verschulden des (Eisenbahn )Frachtführers keine höchstgerichtliche Rechtsprechung gebe. Ungeklärt sei auch die Frage, ob § 94 Abs 3 lit c EBG eine von Verladefehlern unabhängige besondere Gefahr der Verladung anerkenne, die nach § 95 Abs 2 EBG zu einer Beweislastumkehr führen könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.

1. Die Beklagte ließ bereits in der Berufung den Zuspruch des halben Warenwerts und der halben Frachtkosten unbekämpft. Für den Restbetrag begehrt sie auch in der Revision Klagsabweisung. Sie stützt sich dabei im Wesentlichen auf zwei Punkte: Zum einen sei ihr kein grobes Verschulden vorzuwerfen, weswegen die Haftung auf den Wert der verdorbenen Ware beschränkt sei (§ 100 EBG). Zum anderen müsse sich die Beklagte das Verhalten des Verladepersonals nach § 94 Abs 2 oder Abs 3 lit c EBG als (zumindest) gleichteiliges Mitverschulden anrechnen lassen.

2. Das Berufungsgericht hat zutreffend grobe Fahrlässigkeit der Beklagten angenommen (§ 102 EBG).

2.1. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn eine Sorgfaltspflicht in außergewöhnlicher und auffallender Weise vernachlässigt wird und der Eintritt des Schadens dadurch als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (RIS-Justiz RS0030644, RS0030477). Der Sorgfaltsverstoß muss auch subjektiv in besonderer Weise vorwerfbar sein (RIS-Justiz RS0030272, RS0031127).

Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit müssen auch im Transportrecht grundsätzlich vom Geschädigten behauptet und bewiesen werden. Die besondere frachtrechtliche Situation kann jedoch dazu führen, dass der Geschädigte mit dem Beweis von Umständen belastet wird, die in der Sphäre des Frachtführers liegen und die er ohne ausreichende Aufklärung nicht kennen kann. Den Frachtführer trifft in diesen Fällen nach Treu und Glauben eine Darlegungspflicht über seine Organisation zur Sicherung des übernommenen Gutes und über die im konkreten Fall getroffenen Maßnahmen (7 Ob 540/93 = SZ 66/89:

RIS-Justiz RS0062591; zum Eisenbahnfrachtrecht Schütz in Straube, Kommentar zum HGB3, Anhang zu § 453 HGB, § 102 EBG Rz 2).

2.2. Im konkreten Fall hat die Klägerin von Anfang an grobe Fahrlässigkeit behauptet. Dafür sprechen gute Gründe: Der Beklagten war bekannt, dass Zucker transportiert werden sollte. Dass ein Lebensmitteltransport saubere Waggons erfordert, ist auch für einen Laien offenkundig. Dennoch wurden immer wieder verschmutzte Waggons bereitgestellt. Auch im konkreten Fall war der intensive Geruch erkennbar. Das lässt darauf schließen, dass die Beklagte den Zustand der Waggons nicht systematisch kontrolliert, sondern darauf vertraut, dass das Verladepersonal Verschmutzungen bemerkt. Ein solches Verhalten muss als auffallend sorglos qualifiziert werden; die Gefahr, dass ein Schaden eintreten kann, ist offenkundig. Die Beklagte hätte daher schon in erster Instanz darlegen müssen, weshalb ungeachtet dieser Umstände kein grob fahrlässiges Verhalten vorlag. Das wäre etwa der Fall, wenn zumindest vor erkennbar heiklen Transporten eine systematische Reinigung und Kontrolle erfolgte, die nur in Einzelfällen versagte. Dass solche an sich selbstverständliche Maßnahmen, wie in der Revision vertreten, katastrophale Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft hätten oder die Bahn zum ultimativen Defizitbetrieb machten, kann der Senat nicht nachvollziehen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, welche Maßnahmen sie zur Vermeidung derartiger Vorfälle ergriffen hat. Vielmehr hat sie zunächst (trotz des Vermerks auf dem Frachtbrief) bestritten, überhaupt davon gewusst zu haben, dass Zucker transportiert werden sollte. Auch ihr Vorbringen in der Revision kann nicht überzeugen. Nach den Feststellungen des Erstgerichts können Zuckertransporte mit normalen Waggons durchgeführt werden, sie müssen nur ordentlich gereinigt sein. Der Beklagten wird also nicht vorgeworfen, keine besonderen Zuckerwaggons zu haben. Dass gewisse Zwischenfälle (wie auch jener mit dem lebenden Hund) nach dem Gesetz der Zahl unvermeidlich sind, mag zutreffen. Das ändert aber nichts daran, dass die Beklagte darlegen hätte müssen, was sie systematisch - zumindest vor heiklen Transporten - dagegen unternimmt. Das gilt insbesondere angesichts der neuerlichen Bereitstellung eines mit Phenol verunreinigten Waggons während des Prozesses.

2.3. Die Revision rügt als Mangel des Berufungsverfahrens, dass das Berufungsgericht die von ihm angenommene Darlegungspflicht zur groben Fahrlässigkeit nicht nach § 182a ZPO erörtert habe (vgl RIS-Justiz RS0120056). In einer solchen Verfahrensrüge muss der Rechtsmittelwerber aber jedenfalls ausführen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er auf Grund der von ihm nicht beachteten Rechtsansicht erstattet hätte. Denn er muss dartun, dass der Verfahrensmangel erheblich ist, sich also auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken kann; das kann er nur durch Anführung jenes Vorbringens, das er, über die relevante Rechtsansicht informiert, erstattet hätte (1 Ob 215/05g; Schragel in Fasching2, § 182a ZPO Rz 10). Ein solches Vorbringen fehlt in der Verfahrensrüge der Revision, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

2.4. Da sich die grobe Fahrlässigkeit schon aus dem offenkundigen Fehlen einer systematischen Reinigung und Kontrolle vor heiklen Transporten ergibt, muss nicht entschieden werden, ob das Stellen eines evident untauglichen Waggons schon an sich als grob fahrlässig anzusehen ist (so im Ergebnis Koller, Transportrecht5 [2004] § 435 dHGB Rz 10; vgl auch Spera, Internationales Eisenbahnfrachtrecht, Art 44 CIM Rz 8, und Ob II 139/27 = SZ 9/60: grobes Verschulden liegt danach vor, wenn dem betreffenden Angestellten der Bahn der schadhafte Zustand des Wagens bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit hätte auffallen müssen und er trotzdem sich über die Bedenken, die gegen die Benutzung eines solchen Wagens bestehen, hinweggesetzt hätte).

2.5. Da die Beklagte grob fahrlässig gehandelt hat, kann sie sich nach § 102 EBG nicht auf die Beschränkung der Haftung auf den Wert des Transportguts (§ 100 Abs 1 und Abs 2 lit a EBG) berufen. Die Revision bleibt in diesem Punkt erfolglos.

3. Die Beklagte hat ein Mitverschulden der Klägerin eingewendet, da die Leute der Nebenintervenientin den Geruch hätten bemerken müssen. Das Berufungsgericht hat diesen Einwand aus zwei Gründen verworfen. Zum einen sei er schon durch die grobe Fahrlässigkeit der Beklagten ausgeschlossen, zum anderen sei die Nebenintervenientin nicht Erfüllungsgehilfin der Klägerin. Beide Gründe können nicht überzeugen.

3.1. Nach § 102 EBG hat die Bahn dem Berechtigten bei grober Fahrlässigkeit den vollen nachgewiesenen Schaden zu ersetzen. Das Berufungsgericht leitet daraus unter Hinweis auf Art 29 CMR und § 438 HGB ab, dass auch der Mitverschuldenseinwand ausgeschlossen sei. Es trifft zwar zu, dass Art 29 CMR vom Obersten Gerichtshof dahin ausgelegt wird, dass sich der Frachtführer bei grober Fahrlässigkeit (auch) nicht auf Haftungsbefreiungsgründe, wie etwa ein Mitverschulden des Berechtigten, berufen kann (5 Ob 521/77 = SZ 50/43; 6 Ob 664/81 = SZ 55/20). Das ist aber in Art 29 CMR ausdrücklich so angeordnet. Dort heißt es nämlich, dass sich der Frachtführer bei dem Vorsatz gleichzuhaltendem Verschulden nicht auf die Bestimmungen dieses Kapitels berufen kann. Dazu gehören nicht nur die Haftungshöchstbeträge, sondern auch die Haftungsbefreiungsgründe nach Art 17 Abs 2 und 4 CMR und die Verschuldensteilung nach Art 17 Abs 5 CMR. Dennoch wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der Mitverschuldenseinwand zumindest bei grobem Verschulden (auch) des Berechtigten dennoch möglich sei (Basedow in Münchener Kommentar zum HGB, Transportrecht, Art 29 CMR Rz 33 mwN).

§ 102 EBG enthält demgegenüber keinen ausdrücklichen Ausschluss der Haftungsbefreiungsgründe. Er kann daher durchaus auf den Wegfall der Höchstbeträge eingeschränkt werden. Das entspricht der Rechtslage im internationalen Eisenbahnfrachtrecht. Art 44 CIM idF des Protokolls 1990 ordnet (nur) an, dass bestimmte Vorschriften bei grobem Verschulden des Frachtführers nicht anzuwenden sind. Dazu gehören insbesondere die Haftungshöchstbeträge, nicht aber die Haftungsbefreiungen nach Art 36 § 2 und § 3 CIM, die jenen des § 94 Abs 2 und 3 EBG im Wesentlichen entsprechen. Da das EBG grundsätzlich der Übernahme des internationalen Eisenbahnfrachtrechts dient (so die EB zur RV, 436 BlgNR 17. GP 35), ist auch § 102 EBG in diesem Sinn zu verstehen. Zwar beruhte das EBG noch auf der CIM idF vor dem Protokoll 1990; auch in dieser Fassung ließ sich dem Art 44 aber schon entnehmen, dass er nur bestimmte Haftungsbeschränkungen erfasste. Die Änderung mit dem Protokoll 1990 brachte im Wesentlichen nur eine vollständige Gleichstellung von Vorsatz und - wenngleich nicht so bezeichneter - grober Fahrlässigkeit (EB zur RV, 238 BlgNR 18. GP 13); eine Änderung von § 102 EBG, der von vornherein beide Verschuldensformen gleich behandelt hatte, wurde vom Gesetzgeber offenbar nicht als erforderlich angesehen.

Auch aus allgemeinen frachtrechtlichen Grundsätzen lässt sich nicht ableiten, dass die Berufung auf ein Mitverschulden des Berechtigten bei grober Fahrlässigkeit ausgeschlossen wäre. Sogar die eindeutige Vorschrift des Art 29 CMR wird, wie dargestellt, auch anders ausgelegt; der vom Berufungsgericht zitierte § 438 HGB ist nicht einschlägig. Demgegenüber bezieht sich Art 25 des Warschauer Abkommens (Lufttransport) ähnlich dem Art 44 CIM nur auf Haftungshöchstsummen; Haftungsbefreiungsgründe, insbesondere ein Mitverschulden des Berechtigten (Art 21 WA), werden vom groben Verschulden des Luftfrachtführers nicht berührt. Auch § 430 Abs 3 HGB erfasst nur die Haftungshöchstbeträge (vgl Schütz aaO, § 430 HGB Rz 22).

Die grobe Fahrlässigkeit der Beklagten schließt daher den Mitverschuldenseinwand nicht von vornherein aus.

3.2. Die Frage, ob die Absenderin (Nebenintervenientin) als Erfüllungsgehilfin der Empfängerin (Klägerin) angesehen werden kann, ist falsch gestellt. Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass der Frachtvertrag ein Vertrag zugunsten Dritter ist (Schütz aaO § 425 HGB Rz 26 mwN; speziell zum Eisenbahnfrachtvertrag Mutz in Münchener Kommentar zum HGB, Transportrecht, Art 11 CIM Rz 1). Vertragspartner sind der Absender und der Frachtführer (RIS-Justiz RS0116125, RS0106763), begünstigter Dritter ist der Empfänger (4 Ob 525/78; 6 Ob 664/81 = SZ 55/20; für Vertrag [nur] mit Schutzwirkung zugunsten des Empfängers 1 Ob 603/95 = wbl 1996, 410 [dazu krit Jesser-Huss, ecolex 2000, 22]).

Wer Absender ist, ergibt sich im Allgemeinen aus dem Frachtbrief, diese Vermutung kann aber im Prozess widerlegt werden (3 Ob 257/03w = ecolex 2005, 372). Im vorliegenden Fall wurden die Waggons von einem Mitarbeiter der Nebenintervenientin bestellt, die Nebenintervenientin scheint auch im Frachtbrief als Absenderin auf. Damit ist der Vertrag zwischen ihr und der Beklagten zustande gekommen, die Klägerin ist begünstigte Dritte.

In solchen Fällen kann der Schuldner gegenüber dem Dritten aber ganz allgemein ein Mitverschulden seines unmittelbaren Vertragspartners einwenden. Denn der Dritte kann keinesfalls besser stehen als jene Person, von der er seine Rechte ableitet. Das wurde ausdrücklich zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ausgesprochen (1 Ob 580/94 = ÖBA 1995, 314; RIS-Justiz RS0013961, zuletzt etwa 8 Ob 42/05t); um so mehr muss es nach § 882 Abs 2 ABGB für Verträge zugunsten Dritter gelten (vgl 1 Ob 580/94). Die vom Berufungsgericht für seine gegenteilige Auffassung zitierte Entscheidung (6 Ob 215/02i = RdW 2003, 83) betraf nicht einen solchen Fall, sondern (umgekehrt) das Einstehenmüssen des Vertragspartners (Absenders) für das Verhalten des Dritten (Empfängers).

Dieses Ergebnis folgt auch aus dem Wortlaut von § 94 Abs 2 EBG. Demnach führt ein Verschulden des Berechtigten zur Befreiung von der Haftung. Das entspricht Art 36 § 2 CIM. Dort wird der Hinweis auf den Berechtigten als Bezugnahme auf die Verfügungsberechtigung über das Frachtgut verstanden (Csoklich, Einführung in das Transportrecht [1990] 213; Mutz aaO Art 36 CIM Rz 8; Koller aaO Art 36 CIM Rz 5, alle mwN). Die Verfügungsberechtigung lag aber bei der Absendung und auch danach unstrittig bei der Nebenintervenientin (§ 79 EBG). Die Beklagte kann sich daher nach § 94 Abs 2 EBG auf ein Verschulden der Berechtigten (des Verladepersonals) berufen. Ob sie daneben auch den bevorrechteten Haftungsbefreiungsgrund des § 94 Abs 3 lit c EBG in Anspruch nehmen könnte (dagegen für Art 36 CIM etwa Koller aaO Rz 11), ist irrelevant. Auf die damit verbundene besondere Kausalitätsvermutung des § 95 Abs 2 EBG kommt es nämlich nicht an. Dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn das Verladepersonal richtig auf die erkennbare Verschmutzung reagiert (dh den Waggon zurückgewiesen) hätte, ist offenkundig.

3.3. Wurde der Schaden - wie hier - durch ein Verschulden sowohl des Berechtigten als auch des Frachtführers verursacht, kommt die Mitverschuldensregelung des § 1304 ABGB zur Anwendung. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von § 94 Abs 2 EBG, folgt aber aus der völlig herrschenden Lehre zur entsprechenden Bestimmung in Art 36 § 2 CIM (Mutz aaO Rz 8, Koller aaO Rz 5, beide mwN). Für Befreiungsgründe nach § 94 Abs 3 EBG ergibt sich diese Rechtsfolge sogar ausdrücklich aus § 95 Abs 2 EBG: Der Berechtigte hat demnach das Recht nachzuweisen, dass der Schaden nicht oder nicht ausschließlich aus einer der in § 94 Abs 3 genannten Gefahren entstanden ist. Wenn die Mitverursachung schon bei den bevorrechteten Befreiungsgründen relevant sein kann, so muss das um so mehr bei Inanspruchnahme von § 94 Abs 2 EBG bei einem (die Mitverursachung implizierenden) Mitverschulden des Berechtigten gelten. Es gibt keinen Grund, im Eisenbahnfrachtrecht vom allgemeinen Grundsatz des § 1304 ABGB abzugehen, wonach ein (massives) Fehlverhalten des Geschädigten auch bei grobem Verschulden des Schädigers relevant sein kann. Nur Vorsatz schließt den Mitverschuldenseinwand idR aus (RIS-Justiz RS0016291).

An dieser Rechtslage änderte auch die vom Berufungsgericht erwogene analoge Anwendung von Art 17 Abs 3 CMR nichts. Nach dieser Bestimmung kann sich der Frachtführer zwar nicht auf Mängel des Fahrzeugs berufen. Ein Mitverschulden des Berechtigten wäre aber dennoch zu berücksichtigen (Koller aaO Art 17 CMR Rz 34; vgl 3 Ob 2006/96p = SZ 69/34).

3.4. Die Mitverschuldensquote wurde vom Erstgericht richtig beurteilt. Der groben Nachlässigkeit der Beklagten steht eine ebenso massive Sorglosigkeit des Verladepersonals gegenüber. Dass in einen erkennbar intensiv riechenden (stinkenden) Waggon kein Zucker verladen werden darf, liegt auch für einen Laien auf der Hand. Die Nichtbeachtung dieser Selbstverständlichkeit bei der konkreten Tätigkeit wiegt durchaus gleich schwer wie die offenkundigen Organisationsmängel der Beklagten.

4. Die Beklagte haftet somit für die Hälfte des der Höhe nach unstrittigen Schadens. Aus diesem Grund war das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 50 iVm §§ 41, 43 ZPO.

Wegen der Wiederherstellung des Ersturteils sind die Berufungen beider Seiten erfolglos geblieben; die Saldierung der jeweiligen Beantwortungskosten führt zum Kostenersatzanspruch der Beklagten. Sie hat allerdings der Nebenintervenientin die Kosten der erfolgreichen Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

Im Revisionsverfahren hat die Beklagte ausgehend von ihrem Revisionsinteresse von 14.938,90 EUR zu etwa drei Vierteln obsiegt. Sie hat daher Anspruch auf die Hälfte ihrer Rechtsanwaltskosten und auf drei Viertel der allein von ihr getragenen Pauschalgebühr. Demgegenüber hat sie der Nebenintervenientin, die selbst nie kostenersatzpflichtig werden kann, die Kosten der Revisionsbeantwortung auf der Basis des abgewehrten Revisionsinteresses (3.840 EUR) zu ersetzen (M. Bydlinski in Fasching2, § 41 ZPO Rz 8 aE mwN).

Rechtssätze
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