JudikaturJustiz4Ob213/11v

4Ob213/11v – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. März 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** O*****, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Land Kärnten, vertreten durch die Kärntner Landesregierung, Klagenfurt, Arnulfplatz 1, diese vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte KG in Klagenfurt, wegen 5.800 EUR sA und Zahlung einer Rente (Streitwert 10.440 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 6. Oktober 2011, GZ 3 R 175/11x 16, mit welchem infolge (richtig) Rekurs und Berufung des Klägers (a) der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt über die teilweise Klagezurückweisung vom 4. August 2011, GZ 20 Cg 39/11d 12, behoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens aufgetragen wurde, und (b) das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 4. August 2011, GZ 20 Cg 39/11d 12, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Soweit sich der Rekurs gegen die Behebung des Beschlusses über die teilweise Klagezurückweisung richtet, wird er zurückgewiesen.

Der Kläger hat die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Im Übrigen wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger, er lebt seit seiner illegalen Einreise am 19. August 2007 in Österreich. Die nach Art 3 Abs 2 Grundversorgungsvereinbarung (BGBl I 2004/80; Vereinbarung nach Art 15a B VG) eingerichtete Koordinationsstelle wies ihn im Oktober 2007 zur Versorgung nach Kärnten zu. Dort lebte er zunächst im Rahmen der Grundversorgung mit Unterbrechungen in verschiedenen Unterkünften. Ab dem 1. Juli 2009 hatte er die Genehmigung, privat zu wohnen. Seit dem 3. August 2009 ist er Vater eines Kindes mit österreichischer Staatsbürgerschaft und Wohnsitz im Inland. Sein Asylantrag wurde mit Urteil des Asylgerichtshofs vom 16. Juni 2008 rechtskräftig abgewiesen, gleichzeitig wurde er aus Österreich ausgewiesen. Abgeschoben wurde er bisher noch nicht.

Der Kläger begehrt vom beklagten Land Kärnten die Zahlung von Grundsicherung (Unterkunfts- und Verpflegungskosten) nach § 6 Abs 1 lit b und lit c Kärntner Grundversorgungsgesetz (LGBl 2006/43 idF der Novelle LGBl 2010/32; K-GrvG), und zwar 5.400 EUR samt Zinsen für die Zeit von Juli 2009 bis Februar 2011 und 290 EUR monatlich ab 1. März 2011. Nach dem Scheitern seines Asylantrags könne er aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht in seinen Heimatstaat abgeschoben werden. Sein Herkunftsstaat, die Republik Nigeria, stelle ihm kein Heimreisezertifikat aus, weswegen er dort nicht einreisen und damit auch nicht abgeschoben werden könne. Obwohl er schutzbedürftig sei (§ 2 Abs 3 lit b K-GrvG) und alle im Gesetz genannten Voraussetzungen für die Grundsicherung vorlägen, weigere sich das beklagte Land, ihm die Grundsicherung von zusammen 290 EUR pro Monat zu zahlen. Um zu überleben, sei er auf Zuwendungen und Almosen Dritter angewiesen.

Das beklagte Land wendet ein, dass das K GrvG außer im hier nicht vorliegenden Fall eines noch nicht erledigten Asylantrags keinen Rechtsanspruch der darin als schutzbedürftig bezeichneten Fremden begründe. Zudem könne die Grundversorgung nach dem Gesetz eingeschränkt, eingestellt oder verweigert werden, wenn der Fremde gegen Mitwirkungspflichten im Verfahren nach dem K-GrvG, im Asylverfahren oder in fremdenpolizeilichen Verfahren verstoße. Tatsächlich sei der Kläger weder seiner Ausreiseverpflichtung nachgekommen, noch habe er an der Erfüllung dieser Pflicht mitgewirkt; er habe auch nicht nachzuweisen versucht, dass er kein Heimreisezertifikat erlangen könne. Der Kläger sei nicht unterstützungswürdig, da er seinen illegalen Aufenthalt in Österreich verlängere, indem er eine freiwillige Ausreise ablehne. Zudem sei er ohnehin wohnversorgt, sodass er nicht hilfebedürftig sei. Seit September 2009 habe er Verpflegungskosten bezogen.

Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren im Ausmaß von 3.480 EUR samt Zinsen wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück, das darüber hinausgehende Begehren wies es ab. Vor der Novellierung des K-GrvG (LGBl 32/2010) hätten Fremde Ansprüche nach diesem Gesetz im Verwaltungsweg durchsetzen müssen. Die Novelle sei mit 1. Juli 2010 in Kraft getreten. Soweit der Kläger Ansprüche für die Zeit davor verfolge, sei der Rechtsweg daher unzulässig. Für die Ansprüche aus der Zeit danach differenziere das Gesetz: Einen Rechtsanspruch hätten nur Fremde nach § 2 Abs 3 lit a K-GrvG (Asylwerber vor rechtskräftiger Entscheidung), für andere Fremde, darunter solche nach § 2 Abs 3 lit b K-GrvG („Fremde ohne Aufenthaltsrecht, über deren Asylantrag oder Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig negativ abgesprochen wurde, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind“) gelte das nicht. Hier entscheide das Land im Weg der Privatwirtschaftsverwaltung. Für den Zeitraum nach dem Inkrafttreten der Novelle habe der Kläger daher keinen individuell durchsetzbaren Rechtsanspruch auf die im Gesetz umschriebenen Leistungen.

Das vom Kläger angerufene Gericht zweiter Instanz behob als Rekursgericht den Zurückweisungsbeschluss und trug dem Erstgericht insofern die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auf. Als Berufungsgericht verwarf es das Rechtsmittel, soweit es Nichtigkeit geltend machte, gab ihm aber im Übrigen Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache insofern zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es in diesem Punkt zu.

Seit der Novelle LGBl 2010/32 sei über Grundversorgungsanträge von Fremden iSv § 2 Abs 3 lit a K GrvG mit Bescheid zu entscheiden; bei anderen Fremden wie dem Kläger entscheide das Land nach § 9 Abs 3 K-GrvG „im Wege der Privatwirtschaftsverwaltung“. Die Novelle sei mit 1. Juli 2010 in Kraft getreten. Nach der Übergangsbestimmung in Art II Abs 2 LGBl 2010/32 sei auf „zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängige Verfahren“ weiter die frühere Fassung anzuwenden. Maßgebend für den zeitlichen Anwendungsbereich sei daher nicht die Verwirklichung des Sachverhalts, sondern die Anhängigkeit eines Verfahrens. Dieses habe der Kläger erst im Februar 2011 eingeleitet. Auf seinen Anspruch sei daher unabhängig von den betroffenen Zeiträumen die neue Fassung des K-GrvG anzuwenden. Damit sei der Rechtsweg für den gesamten Anspruch zulässig.

Die behauptete Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liege nicht vor, wohl sei aber die Rechtsrüge berechtigt. Das Gesetz unterscheide zwischen Schutzbedürftigen nach § 2 Abs 3 lit a K-GrvG und Schutzbedürftigen nach § 2 Abs 3 lit b bis f K-GrvG, wovon im konkreten Fall nur jene nach § 2 Abs 3 lit b K-GrvG interessierten. Nur der erstgenannten Gruppe gewähre das Gesetz einen Rechtsanspruch, über den die Behörde mit Bescheid zu entscheiden habe. Für andere schutzbedürftige Fremde habe das Land Kärnten den Weg der Privatwirtschaftsverwaltung gewählt. Insofern sei das K-GrvG ein „Selbstbindungsgesetz“, das grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Einzelnen begründe. Allerdings seien die Gebietskörperschaften grundsätzlich auch in der Privatwirtschaftsverwaltung an die Grundrechte, insbesondere an den Gleichheitssatz, gebunden. Auf dieser Grundlage habe der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall (1 Ob 272/02k) entschieden, dass eine Gebietskörperschaft, die sich in einem Selbstbindungsgesetz zur Leistung unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet habe, diese Leistung jedermann erbringen müsse, der die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle, wenn sie eine solche Leistung in anderen Einzelfällen bereits erbracht habe. Teile der Lehre hätten diese Entscheidung kritisiert, weil der für die Begründung herangezogene Gleichheitssatz nur Inländer begünstige. Diese Kritik überzeuge aber nicht, weil jedenfalls eine willkürliche Ungleichbehandlung durch eine (analoge) Anwendung des BVG vom 3. Juli 1973 zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (BGBl 1973/390) ausgeschlossen sei. Der Oberste Gerichtshof habe daher in einer weiteren Entscheidung (9 Ob 71/03m) an seiner Auffassung festgehalten und sie primär mit dem aus dem BBetrG abgeleiteten Gleichbehandlungsgrundsatz begründet. Für die Verneinung der Leistungspflicht eines staatlichen Rechtsträgers genüge daher der Hinweis auf ein Selbstbindungsgesetz und den deshalb fehlenden Rechtsanspruch nicht. Dies führe zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Im fortgesetzten Verfahren sei zunächst die Hilfsbedürftigkeit des Klägers zu prüfen. Sie liege nach § 2 Abs 2 K-GrvG nicht vor, wenn der Fremde ohnehin ausreichende Leistungen von anderen Personen oder Einrichtungen erhalte. Das Vorbringen des beklagten Landes gehe in diese Richtung; es habe vorgebracht, dass der Kläger seit September 2009 ohnehin Verpflegungskosten bezogen habe. Weiters seien erforderlichenfalls die vom beklagten Land behaupteten Verstöße gegen im Gesetz umschriebene Mitwirkungspflichten zu prüfen (§ 3a Abs 1 lit d K-GrvG). Dabei müsse es sich um gesetzlich vorgesehene Mitwirkungspflichten handeln, denen der Fremde trotz Aufforderung nicht nachgekommen sei. Auch dazu hätten die Parteien ein Vorbringen erstattet. Wenn nicht schon aus der fehlenden Hilfebedürftigkeit die Klageabweisung folge, werde das Erstgericht auch dazu entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Voraussetzung für den Anspruch sei weiters, dass das beklagte Land eine entsprechende Leistung in anderen Fällen bereits erbracht habe; auch insofern werde der Sachverhalt aufzuklären sein. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Klagbarkeit von Leistungen der Grundversorgung nach den einzelnen Landesgesetzen (konkret: nach dem K-GrvG) fehle.

Gegen diesen Beschluss richtet sich ein „Vollrekurs“ des beklagten Landes . Darin erklärt es, „sämtliche Spruchinhalte“ der zweitinstanzlichen Entscheidung mit Ausnahme der Verwerfung der Nichtigkeitsberufung anzufechten, und es beantragt, „den Vollrekurs für zulässig zu erklären, diesem Folge zu geben und die Klage abzuweisen (in eventu: zurückzuweisen)“. Der Kläger beantragt, dem Rekurs „keine Folge zu geben und [ihn] als unbegründet ab- in eventu zurückzuweisen“.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel des beklagten Landes ist unzulässig , soweit es sich gegen die Behebung des Zurückweisungsbeschlusses richtet, im Übrigen ist es aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig , aber nicht berechtigt .

A. Zur Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses

Aus der Anfechtungserklärung des „Vollrekurses“ ergibt sich, dass das beklagte Land auch die Behebung des Zurückweisungsbeschlusses bekämpft. In diesem Punkt hat das Gericht zweiter Instanz allerdings über einen (wenngleich unrichtig als Berufung bezeichneten) Rekurs des Klägers entschieden. Das gegen seine Entscheidung gerichtete Rechtsmittel ist daher kein Rekurs iSv § 519 ZPO, sondern ein Revisionsrekurs iSv § 528 ZPO. Damit sind die Rechtsmittelbeschränkungen des § 528 Abs 2 ZPO anzuwenden. Da der Entscheidungsgegenstand des Rekursgerichts nur 3.480 EUR betragen hatte, ist der Revisionsrekurs nach § 528 Abs 2 Z 1 ZPO jedenfalls unzulässig. Das Rechtsmittel ist daher in diesem Umfang zurückzuweisen. Ein Kostenersatz findet nicht statt, weil der Kläger in der Rechtsmittelbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit hingewiesen hat.

B. Zur Aufhebung des Urteils

1. Das beklagte Land beharrt auf seiner Auffassung, dass der Kläger aufgrund eines Gegenschlusses zu § 9 Abs 2 K-GrvG keinen Rechtsanspruch auf Grundversorgung habe. Die gegenteilige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zum Bundesbetreuungsgesetz sei in der Lehre kritisiert worden. Die RL 2003/9/EG (AufnahmeRL) sei auf den Kläger wegen rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrags nicht anzuwenden. Zudem habe er auch die Kriterien für die „privatautonome“ Gewährung der Grundversorgung nicht erfüllt. Tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung liege nur vor, wenn die ihr entgegenstehenden Gründe nicht auf zumutbare Weise vom Fremden selbst beseitigt werden könnten. Bei einem laufenden Abschiebeverfahren sei Unmöglichkeit nicht anzunehmen, wenn der abgelehnte Asylwerber wie hier vom beklagten Land behauptet und vom Kläger nicht substantiiert bestritten nicht am Erlangen eines „Heimreisezertifikates“ mitwirke. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht liege auch im Unterlassen einer freiwilligen Ausreise als solcher.

2. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass ein Gegenschluss zu § 9 Abs 2 K-GrvG die Abweisung der Klage nicht trägt.

2.1. Anspruch auf Leistungen nach dem Kärntner Grundversorgungsgesetz haben nach dessen § 2 Abs 1 „hilfs- und schutzbedürftige Fremde [...], die unterstützungswürdig sind und die ihren Hauptwohnsitz in Kärnten haben oder sich in Kärnten aufhalten“. Welche Fremden schutzbedürftig sind, ergibt sich aus § 2 Abs 3 lit a f K-GrvG. Der Kläger, dessen Asylantrag rechtskräftig abgewiesen wurde und der daher nicht (mehr) unter § 2 Abs 3 lit a K-GrvG fällt, stützt sich auf § 2 Abs 3 lit b K-GrvG. Schutzbedürftig sind danach „Fremde ohne Aufenthaltsrecht, über deren Asylantrag oder Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig negativ abgesprochen wurde, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind“.

2.2. § 9 Abs 1 K-GrvG hatte in seiner ursprünglichen Fassung (LGBl 2006/43) vorgesehen, dass die Landesregierung über die Gewährung der Grundversorgung zu entscheiden hatte; auf Verlangen des Betroffenen war darüber nach § 9 Abs 3 K-GrvG ein schriftlicher Bescheid zu erlassen. Diese Regelung hatte auch Fremde iSv § 2 Abs 3 lit b K-GrvG erfasst. Mit dem Landesgesetz LGBl 2010/32 wurde § 9 K GrvG allerdings neu gefasst. Die relevanten Bestimmungen lauten jetzt wie folgt:

„(1) Leistungen nach diesem Gesetz sind von der Landesregierung auf Antrag oder von Amts wegen zu gewähren.

(2) Ein Rechtsanspruch auf Leistungen der Grundversorgung besteht nur für Fremde gemäß § 2 Abs. 3 lit. a [Fremde, die einen Asylantrag oder einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben (Asylwerber), über den noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist]. Bei Gewährung von diesen Leistungen ist ein schriftlicher Bescheid nur zu erlassen, wenn dem Antrag des Betroffenen nicht oder nicht im vollen Umfang entsprochen wird oder der Betroffene dies innerhalb von zwei Wochen ab Mitteilung über die Zuerkennung verlangt. Über die Einschränkung, Einstellung oder Verweigerung von diesen Leistungen gemäß § 3a Abs. 1 ist jedenfalls mit schriftlichem Bescheid abzusprechen.

(3) Über die Gewährung, Einstellung, Einschränkung oder Verweigerung von Leistungen der Grundversorgung an Personen gemäß § 2 Abs 3 lit b bis f entscheidet das Land im Wege der Privatwirtschaftsverwaltung.“

Den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (2V-LG-1245/13-2010) ist dazu nur zu entnehmen, dass der „Rechtsanspruch im Wege eines hoheitlichen Verfahrens“ auf Fälle beschränkt werden sollte, in denen über den Antrag des Betroffenen auf Asyl oder internationalen Schutz noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Hingegen werde für den in § 2 Abs 1 lit b bis f K GrvG genannten Personenkreis die Grundversorgung nun „privatwirtschaftlich“ gewährt; dies entspreche der Rechtslage in Niederösterreich, Oberösterreich und Tirol.

2.3. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof zur Verpflichtung der öffentlichen Hand aufgrund von Selbstbindungsgesetzen verwiesen (1 Ob 272/02k = SZ 2003/17; RIS-Justiz RS0117458; zuletzt [obiter] 1 Ob 228/11b). Danach genügt für die Verneinung der Leistungspflicht der Hinweis auf die Regelung über den Mangel eines Rechtsanspruchs in einem Selbstbindungsgesetz nicht. Es besteht vielmehr ein klagbarer Anspruch gegen die auf Grundlage eines Selbstbindungsgesetzes leistungspflichtige Gebietskörperschaft, soweit ein solcher Anspruch nicht mangels Erfüllung der im Selbstbindungsgesetz normierten Leistungsvoraussetzungen oder in Ermangelung solcher Vorschriften deshalb ausscheidet, weil die Leistungsverweigerung in einem bestimmten Einzelfall dem Gleichbehandlungsgebot bzw dem Diskriminierungsverbot aus besonderen Gründen nicht widerspricht. Hat sich daher eine Gebietskörperschaft in einem Selbstbindungsgesetz zur Leistung unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, so ist sie von Gesetzes wegen verpflichtet, diese Leistung jedermann, der diese Voraussetzungen erfüllt, zu erbringen, wenn sie eine solche Leistung in anderen Einzelfällen bereits erbrachte. Auf eine solche Leistung besteht daher insoweit ein klagbarer Anspruch.

2.4. Der Rekurs zeigt keine Gründe für ein Abgehen von dieser Rechtsprechung auf. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003; zuletzt etwa U 624/11) enthält Art I Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (BGBl 1973/390) das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Selbst wenn das beklagte Land mit der Novellierung des § 9 K-GrvG den zuvor bestehenden Rechtsanspruch beseitigen wollte, bleibt es auf dieser Grundlage doch auch im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung an den Gleichheitssatz gebunden. Nennt das Gesetz wie hier konkrete Voraussetzungen für die Gewährung staatlicher Hilfe, wäre es unsachlich, wenn eine Gebietskörperschaft trotz Erfüllung dieser Voraussetzungen in Einzelfällen grundlos oder aus im Gesetz nicht vorgesehenen Gründen die Unterstützung verweigerte. Der darin liegende Verstoß gegen den Gleichheitssatz wäre auch nicht dadurch saniert, dass das beklagte Land mehrere solche Einzelfälle im Unrecht gleich behandelte.

3. Auf dieser Grundlage ist der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden.

3.1. Schutzbedürftigkeit nach § 2 Abs 3 lit b K GrvG besteht, wenn die Abschiebung „tatsächlich oder rechtlich unmöglich“ ist.

(a) Der Kläger hat dazu vorgebracht, dass eine Abschiebung derzeit am Fehlen eines „Heimreisezertifikates“ scheitere. Dabei handelt es sich offenkundig um ein „Ersatzreisedokument“ iSv § 46 Abs 3 FPG, das von jenem Staat ausgestellt werden muss, in den abgeschoben werden soll. Das beklagte Land hat nicht bestritten, dass der Kläger derzeit über kein solches Ersatzreisedokument verfügt. Es wendet aber unter Hinweis auf ältere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH GZ 99/21/0261, 98/21/0491, 2004/21/0116, 2006/21/0375) ein, dass eine „tatsächliche Unmöglichkeit“ der Abschiebung nicht vorliege, wenn die ihr entgegenstehenden Gründe auf zumutbare Weise vom Fremden selbst beseitigt werden könnten. Zudem habe der Kläger Mitwirkungspflichten iSv § 3a Abs 1 lit d K-GrvG verletzt, da er nicht freiwillig ausgereist sei und nicht am Erlangen des „Heimreisezertifikates“ mitgewirkt habe.

(b) Zunächst ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass das Gesetz an der tatsächlichen oder rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung anknüpft, nicht am Unterbleiben einer freiwilligen Ausreise nach rechtskräftiger Abweisung eines Asylantrags. Diese auf der nach der Grundversorgungsvereinbarung (BGBl I 2004/80) beruhende Entscheidung des Gesetzgebers lässt es nicht zu, allein aus der Nichtbefolgung der mit der Abweisung des Asylantrags verbundenen Ausweisung das Nichtvorliegen der Schutzbedürftigkeit abzuleiten. „Mitwirkung“ in einem Verfahren bedeutet auch bei weitester Auslegung nicht das freiwillige Befolgen eines am Ende eines Verfahrens (hier des Asylverfahrens) erteilten Auftrags, für dessen Durchsetzung ein anderes (hier das fremdenpolizeiliche) Verfahren vorgesehen ist. Die Auffassung, dass schon das Unterbleiben einer freiwilligen Ausreise die Leistung der Grundversorgung ausschließe, ist daher mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar. Dazu kommt ein systematisches Argument: Nähme man an, dass schon das Unterbleiben einer freiwilligen Ausreise der Leistung von Grundversorgung entgegenstünde, wäre nicht verständlich, welchen Zweck § 2 Abs 3 lit b K GrvG noch hätte. Denn die Frage, ob eine Abschiebung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, stellt sich nur, wenn eine solche Abschiebung überhaupt erforderlich ist, der betroffene Fremde also nicht freiwillig ausreist. Führte schon das Unterbleiben der freiwilligen Ausreise zum Entfall der Unterstützung, bliebe für die Anwendung dieser Bestimmung daher kein Raum. Anlass für eine korrigierende Interpretation besteht nicht, da ohnehin Mitwirkungspflichten beim Schaffen der Voraussetzungen für eine Abschiebung bestehen.

(c) Diese Mitwirkungspflichten ergeben sich aus den Regelungen des Fremdenpolizeigesetzes über die Duldung des Aufenthalts von Fremden. Nach § 46a Abs 1a FPG ist „der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist [...]“. Vom Fremden „zu vertretende Gründe“ liegen nach § 46a Abs 1b FPG „jedenfalls vor, wenn er (1) seine Identität verschleiert, (2) einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder (3) an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt“. Diese Regelung konkretisiert die in der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs angenommenen Mitwirkungspflichten des abzuschiebenden Fremden. Auf sie verweist § 3a Abs 1 lit d K GrvG, wonach Grundversorgungsleistungen eingeschränkt, eingestellt oder verweigert werden können, wenn der Fremde den „Mitwirkungspflichten […] im fremdenpolizeilichen Verfahren trotz Aufforderung nicht nachkommt“.

(d) Hat der Kläger trotz Aufforderung nicht an der Beschaffung des Ersatzreisedokuments mitgewirkt, so hat er zweifellos Mitwirkungspflichten iSv § 3a Abs 1 lit d K GrvG verletzt. In diesem Fall wäre das beklagte Land zur Verweigerung der Grundversorgung berechtigt. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus § 3a Abs 1 K-GrvG, wobei diese Bestimmung die speziellere Regelung gegenüber der Umschreibung der Schutzbedürftigkeit in § 2 Abs 3 lit b K GrvG ist. Daher ist es aus systematischen Gründen nicht zulässig, aufgrund der Verletzung von Mitwirkungspflichten iSd der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs schon die faktische Unmöglichkeit der Abschiebung und damit die Erfüllung des Tatbestands der letztgenannten Bestimmung zu verneinen. Folgen hat das allerdings nur für die Behauptungs- und Beweislast: Hat der Kläger die faktische Unmöglichkeit der Abschiebung wegen des Fehlens eines Ersatzreisedokuments dargetan, liegt es am beklagten Land, die Aufforderung zur Mitwirkung bei dessen Einholung und das Unterbleiben dieser Mitwirkung zu behaupten und zu beweisen. Im fortgesetzten Verfahren wird dem beklagten Land Gelegenheit zu geben sein, dazu ein konkretes Vorbringen zu erstatten; in weiterer Folge wird das Erstgericht dazu Feststellungen zu treffen haben. Das im Rekurs behauptete (schlüssige) Zugeständnis liegt zumindest im Zweifel nicht vor.

3.2. Hilfsbedürftig ist nach § 2 Abs 2 K-GrvG,

„wer den Lebensbedarf […] nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhält“.

(a) Diese Bestimmung entspricht im Kern dem früheren § 2 Abs 1 Bundesbetreuungsgesetz (BBetrG) idF der Novelle BGBl I 2003/101. Danach war hilfsbedürftig,

„wer den Lebensbedarf […] nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann. Leistungen, auf die ein sonstiger gesetzlicher Anspruch besteht oder sonstige Zuwendungen, die von dritter Seite, etwa von karitativen Organisationen oder anderen Gebietskörperschaften, erbracht werden, sind bei der Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit mit zu berücksichtigen“.

Der Hinweis auf karitative Organisationen oder andere Gebietskörperschaften war mit der Novelle BGBl I 2003/101 in den Gesetzestext aufgenommen worden. Er diente, wie sich aus dem ebenfalls mit dieser Novelle eingefügten § 13a BBetrG ergab, einer authentischen Interpretation dieser Bestimmung, mit der die Auffassung des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 272/02k = SZ 2003/17) korrigiert werden sollte, dritten Hilfeleistenden stehe ein Regressanspruch gegen den primär leistungspflichtigen Bund zu. Auf dieser Grundlage verneinte der Oberste Gerichtshof in einer weiteren Entscheidung das Bestehen von solchen Regressansprüchen Dritter (5 Ob 98/05f = SZ 2005/132).

(b) An der letztgenannten Entscheidung ist auch für das K GrvG festzuhalten. Wenn Regressansprüche Dritter ausgeschlossen sind, dann umso mehr Ansprüche des wegen deren Leistungen nicht hilfebedürftigen Fremden selbst. Solche Leistungen, zu denen auch das Zurverfügungstellen von Wohnraum gehören kann, würden daher für die Vergangenheit den entsprechenden Anspruch nach dem K GrvG ausschließen. Das beklagte Land hat dazu ein Vorbringen erstattet, zu dem im fortgesetzten Verfahren ebenfalls Feststellungen zu treffen sein werden. Das im Rekurs behauptete (schlüssige) Zugeständnis liegt auch in diesem Punkt nicht vor.

(c) Der Kläger macht auch einen Anspruch für die Zukunft geltend, was nach § 406 Satz 2 ZPO wegen des Unterhaltscharakters ( Fucik in Fasching/Konecny 2 § 406 ZPO Rz 27 f mwN) der Grundversorgung und der angesichts des Prozessstandpunkts des Landes zweifellos drohenden Nichtzahlung (RIS-Justiz RS0041109) grundsätzlich möglich ist. Hier könnte die Hilfsbedürftigkeit nur dann unter Hinweis auf Leistungen eines Dritten verneint werden, wenn deren Weitergewährung aufgrund eines stabilen Verhaltens des Dritten oder aufgrund einer ihn treffenden Rechtspflicht mit guten Gründen zu erwarten wäre (vgl zum entsprechenden Problem im Unterhaltsrecht RIS-Justiz RS0047258).

3.3. Grundversorgung ist nach § 2 Abs 1 K-GrvG nur hilfs- und schutzbedürftigen Fremden zu gewähren, die auch „unterstützungswürdig“ sind.

(a) Anders als die Hilfs- und die Schutzbedürftigkeit wird die „Unterstützungswürdigkeit“ im Kärntner Landesgesetz nicht definiert. Art 2 Abs 4 der Grundversorgungsvereinbarung bietet hier aber eine Auslegungshilfe: Nach dieser Bestimmung „kann“ die „Unterstützungswürdigkeit des Fremden […] eingeschränkt werden oder verloren gehen, wenn er wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt worden ist, die einen Ausschlussgrund gemäß § 13 AsylG darstellen kann“. Der Landesgesetzgeber setzte diese Bestimmung ohne den Begriff „Unterstützungswürdigkeit“ zu verwenden in § 3a Abs 1 lit e K-GrvG als Grund für die Einschränkung, Einstellung oder Verweigerung der Grundversorgung um. Dabei nahm er auch auf die Nachfolgebestimmung von § 13 AsylG 1997, nämlich § 6 Abs 1 Z 4 AsylG 2005, Bezug. Beide Regelungen verlangen die Verurteilung wegen eines „besonders schweren Verbrechens“.

(b) Auf dieser Grundlage kann das Kriterium der „Unterstützungswürdigkeit“ nicht als Generalklausel verstanden werden, die alle anderen Voraussetzungen für die Hilfegewährung überlagert und es dem beklagten Land ermöglicht, trotz Vorliegen dieser Voraussetzungen im Einzelfall die Leistung zu verweigern. Vielmehr ist fehlende Unterstützungswürdigkeit aufgrund systematischer Interpretation nur bei einem Fehlverhalten anzunehmen, das in seinem Gewicht einem „besonders schweren Verbrechen“ iSv § 13 AsylG 1997 und § 6 Abs 1 Z 4 AsylG 2005 gleichkommt. Das bloße Unterbleiben einer freiwilligen Ausreise erfüllt diese Voraussetzung nicht. Zudem führte diese Auffassung dazu, dass § 2 Abs 3 lit b K-GrvG aus den oben (Punkt 3.1.d.) angeführten Gründen seinen Anwendungsbereich verlöre: Rechtfertigt schon das Unterbleiben der freiwilligen Ausreise wegen „Unterstützungsunwürdigkeit“ den Entfall der Grundversorgung, wäre eine Regelung für den Fall der Unmöglichkeit einer Abschiebung nicht erforderlich.

4. Richtig ist, dass der Kläger nach der rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrags nicht (mehr) unter die Richtlinie 2003/9/EG (AufnahmeRL) fällt. Die aus dieser Richtlinie abgeleiteten Pflichten der öffentlichen Hand bestehen ihm gegenüber daher nicht. Für den hier zu prüfenden Anspruch ist das aber, anders als vom beklagten Land angenommen, unerheblich. Denn die Grundversorgungsvereinbarung und das Kärntner Grundversorgungsgesetz gehen nach ihrem klaren Wortlaut über die Umsetzung dieser Richtlinie hinaus. Es mag zutreffen, dass im unionsrechtlich nicht geregelten Bereich also insbesondere nach rechtskräftiger Abweisung eines Asylantrags eine strengere Regelung möglich wäre, die etwa schon das Unterbleiben einer freiwilligen Ausreise durch Entzug der Grundversorgung sanktionierte. Dabei handelt es sich aber um eine rechtspolitische Frage, die nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.

5. Aus diesen Gründen ist dem Rekurs des beklagten Landes nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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