JudikaturJustiz4Ob153/23p

4Ob153/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. der mj E*, geboren *2011, und 2. des mj D*, geboren *2013, *, beide vertreten durch das Land Wien als Kinder und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke *), wegen Unterhalts, über den (richtig:) außerordentlichen Revisionsrekurs der mj E* und den ordentlichen Revisionsrekurs des mj D* je gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. März 2023, GZ 44 R 124/23w 61, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 27. Jänner 2023, GZ 26 Pu 111/22t 47, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen – die in Ansehung des Punktes 1 und des Punktes 2 Abs 1 (Unterhaltsfestsetzung für beide Minderjährige), des Punktes 3 (Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 19. 4. 2022) sowie des Punktes 2 Abs 2 insofern, als er lautet: „ 2.) … Die künftig fällig werdenden Unterhaltsbeträge sind am Ersten eines jeden folgenden Monates im Voraus zu leisten. “, als vom Revisionsrekursverfahren nicht betroffener Teilbeschluss unberührt bleiben – werden im Übrigen in ihrem Punkt 2 Abs 2 betreffend den Abzug von im Zeitraum 1. 5. 2019 bis 31. 1. 2023 bereits geleisteten Naturalunterhaltsleistungen von fälligen Unterhaltsbeiträgen des Vaters aufgehoben. Dem Erstgericht wird insofern die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

[1] Auf Antrag der beiden Kinder setzten die Vorinstanzen – im Revisionsrekursverfahren unangefochten – erstmals den vom in München lebenden und monatlich 5.500 EUR netto verdienenden Vater für die beiden in Wien bei der Mutter lebenden Kinder zu zahlenden Geldunterhalt jeweils ab 1. 5. 2019 in Höhe des jeweils zweifachen (bzw für das Mädchen ab 1. 6. 2011 in Höhe des zweieinhalbfachen) Regelbedarfssatzes fest (zuletzt ab 1. 7. 2021 laufend 1.035 EUR für das Mädchen und 724 EUR für den Buben) und verpflichteten den Vater zur Zahlung der künftig fällig werdenden Unterhaltsbeträge am Ersten eines jeden folgenden Monats im Voraus; weiters wurde eine gegen den Vater erlassene einstweilige Verfügung aufgehoben, was ebenfalls unangefochten blieb.

[2] Das Erstgericht sprach im – allein Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens bildenden – Teil von Punkt 2 Abs 2 seines Beschlusses weiters aus, die bis zur Rechtskraft seines Beschlusses bereits fällig gewordenen Unterhaltsbeträge seien – abzüglich der vom Vater im Zeitraum 1. 5. 2019 bis 31. 1. 2023 bereits geleisteten Naturalunterhaltsleistungen für das Mädchen in Höhe von insgesamt 28.987,70 EUR und für den Buben in Höhe von insgesamt 28.764,60 EUR – binnen 14 Tagen zu leisten.

[3] Das von beiden Kindern und dem unterhaltspflichtigen Vater angerufene Rekursgericht änderte diesen Beschluss in diesem Teil von Punkt 2 Abs 2 in teilweiser Stattgebung des Rekurses der Kinder dahin ab, dass für das Mädchen nur 27.564,80 EUR (davon 2.018,80 EUR für Schwimmen, Reiten, Klaviermiete und Klassen bzw Schulkasse) und für den Buben nur 21.507,20 EUR (davon 729,60 EUR für Schwimmen und Klaviermiete) vom fälligen Unterhalt abzuziehen seien; dem Rekurs des Vaters gab es dagegen nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

[4] Über von beiden Kindern erhobene Zulassungsvorstellung, verbunden mit „ordentlichem“ Revisionsrekurs , sprach das Rekursgericht in Ansehung beider Kinder nachträglich aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei, weil es entgegen höchstgerichtlicher Rechtsprechung den Sonderbedarf Schule auf die bereits erbrachten Unterhaltsleistungen angerechnet und den Vater nicht zusätzlich zum Luxusbedarf zur Tragung der Schulkosten verpflichtet habe.

[5] Bei der Ermittlung des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts in Unterhaltsverfahren kommt es dann, wenn – wie hier – (auch) laufende Ansprüche zu beurteilen sind, nach § 58 Abs 1 JN auf den 36 fachen Betrag jenes monatlichen Unterhaltsbeitrags an, der zum Zeitpunkt der Entscheidung der zweiten Instanz zwischen den Parteien noch strittig war (RS0103147 [T12]; RS0122735 ). Im Unterhaltsverfahren ist der Wert des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts für jedes Kind einzeln zu beurteilen (RS0112656).

[6] Die vor dem Rekursgericht noch strittigen (laufenden) Unterhaltsbeiträge betrugen 1.035 EUR für das Mädchen und 724 EUR für den Buben, woraus sich im Lichte des Gesagten Entscheidungsgegenstände von 37.260 EUR für das Mädchen und 26.064 EUR für den Buben ergeben.

[7] Für den Buben ist das Rekursgericht zu Recht von einem 30.000 EUR nicht übersteigenden Entscheidungsgegenstand ausgegangen und hat daher zulässigerweise über die Zulassungsvorstellung abgesprochen ( § 63 AußStrG ).

[8] In Ansehung des Mädchens hat das Rekursgericht jedoch verkannt, dass unter anderem dann, wenn der Entscheidungsgegenstand – wie hier – insgesamt 30.000 Euro übersteigt und es ausgesprochen hat, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig ist, dennoch ein – außerordentlicher – Revisionsrekurs erhoben werden kann ( § 62 Abs 5 AußStrG ). Der vom Mädchen irrig mit einer Zulassungsvorstellung verbundene „ordentliche“ Revisionsrekurs ist in einen außerordentlichen Revisionsrekurs umzudeuten ( RS0123405 [T1]) und wäre unter Zurückweisung der Zulassungsvorstellung (vgl RS0122264 ) unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorzulegen gewesen (vgl 7 Ob 167/14f); der dennoch, ohne gesetzliche Grundlage, erfolgte rekursgerichtliche Beschluss über die Zulassungsvorstellung ist für den Obersten Gerichtshof unbeachtlich ( 1 Ob 178/11z ; vgl RS0110049 [T17]).

[9] Einer Vorgangsweise nach § 71 Abs 2 AußStrG zum Revisionsrekurs des Mädchens bedarf es nicht, weil der Vater in Ansehung beider Kinder eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet hat; darin beantragt er, den Revisionsrekursen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Beide Revisionsrekurse sind zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des im Abänderungsbegehren enthaltenen Antrags auf Aufhebung (vgl RS0041774 [T1]) auch berechtigt .

[11] Beide Vorinstanzen vertraten die Auffassung, dass der Vater Naturalunterhaltsleistungen – und zwar Beiträge für eine von den Kindern besuchte private Waldorf Schule bzw einen Waldorf Kindergarten, Hort und Essenskosten, Kosten für Schwimmen, Reiten, Klaviermiete und Klassen bzw Schulkasse – erbracht habe, die anzurechnen seien und die Ansprüche auf Nachzahlung fälliger Unterhaltsbeiträge mindern würden; konkret seien die Naturalunterhaltsleistungen laut Erstgericht zur Gänze, laut Rekursgericht nur insoweit anzurechnen, als sie in der Differenz zwischen Regelbedarfssatz und der dem Vater auferlegten Geldunterhaltsleistung Deckung fänden.

[12] Die Kinder wenden sich im Revisionsrekursverfahren nun ausschließlich gegen die anspruchsmindernde Anrechnung der Kosten von Privatschule und (erkennbar) kindergarten sowie der damit im Zusammenhang stehenden Kosten für Hort und Essen zuletzt in durch das Rekursgericht (vom Vater unangefochten gebliebener) reduzierter Höhe für das Mädchen von 25.546 EUR und für den Buben von 20.777,60 EUR‬; von den Kindern in ihrem Revisionsrekurs nicht releviert werden hingegen die Anrechnung von weiteren 2.018,80 EUR beim Mädchen für Schwimmen, Reiten, Klaviermiete und Klassen- bzw Schulkasse und von weiteren 729,60 EUR beim Buben für Schwimmen und Klaviermiete. Sie führen zusammengefasst ins Treffen, die Privatschulkosten seien ein im Wunsch des Unterhaltspflichtigen begründeter Sonderbedarf, der jene Unterhaltsbeträge nicht schmälern dürfte, welche der Deckung des Allgemeinbedarfs dienten. Zudem führe die Anrechnung hier zu einer Überalimentierung in einem Teilbereich bei gleichzeitiger den Lebensbedürfnissen der Kinder nicht angemessener und diese gefährdender Kürzung des Unterhaltes in anderen Bereichen. Bei Nichtanrechnung fände keine Überalimentierung statt, da die für die schulische Erziehung aufgewendeten Beträge zweckgewidmet seien und nicht zur freien Verfügung der Unterhaltsberechtigten stünden. Überhaupt seien die Zahlungen des Vaters für die Schule angesichts eines kostenlosen öffentlichen Schulangebots nicht als Naturalleistungen anzuerkennen.

Dazu wurde erwogen:

[13] 1.1. Naturalunterhalt ist die unmittelbare Befriedigung angemessener Kindesbedürfnisse durch Sachleistungen oder Dienstleistungen, die der Unterhaltspflichtige selbst erbringt oder deren Erbringung durch Dritte er bezahlt (RS0116145). Der zu leistende Geldunterhalt ist dann zu reduzieren, wenn der Unterhaltspflichtige auch – über das übliche Kontaktrecht hinaus – Naturalunterhalt leistet (RS0047452 [T6]). Dabei ist aber nicht von den Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen, sondern ausschließlich von den ersparten Aufwendungen des anderen Elternteils auszugehen (RS0047452 [T1, T9]; 5 Ob 189/18g mwN). Unterhaltscharakter haben Naturalleistungen dann, wenn sie zu einer ausgewogenen Deckung des angemessenen Lebensbedarfs des Kindes beitragen (vgl 5 Ob 28/14z mwN; Gitschthaler , Unterhaltsrecht 4 [2019] Rz 78/3).

[14] Wenn Unterhalt für die Vergangenheit begehrt wird, sind grundsätzlich alle Geldleistungen und Naturalleistungen (mit Unterhaltscharakter) in Anschlag zu bringen, und zwar unabhängig von einer Zustimmung des anderen Elternteils (RS0047328 [T3, T4]). Davon ausgehend muss geprüft werden, ob der Unterhaltspflichtige diese Naturalleistungen auch dann erbracht hätte, wenn er bereits zur Zeit deren Leistung von der ihn rückwirkend treffenden höheren Unterhaltsverpflichtung Kenntnis gehabt hätte; im Zweifel ist eine solche Absicht des Unterhaltspflichtigen nicht zu vermuten (RS0047328 [T1]; vgl auch RS0047334). Unterhaltscharakter haben vergangene Naturalleistungen (jedenfalls) dann, wenn sie ohne Schenkungsabsicht, also in Alimentationsabsicht erbracht wurden (5 Ob 28/14z; Gitschthaler , Unterhaltsrecht 4 [2019] Rz 81/2).

[15] 1.2. Wie weit grundsätzlich anrechenbare Leistungen bei der rückwirkenden Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sind, richtet sich nach dem Einzelfall, wobei alle Unterhaltsbedürfnisse des Unterhaltsberechtigten ausgewogen abgedeckt werden müssen, sodass eine sachlich nicht gerechtfertigte Überalimentierung in einem Teilbereich nicht zur Kürzung in einem anderen Teilbereich führen darf (RS0047357). Unterhalt muss nämlich den gesamten Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten, also alle seine Unterhaltsbedürfnisse, den Lebensverhältnissen entsprechend ausgewogen abdecken, darf aber nicht zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Überalimentation in einem Teilbereich bei gleichzeitiger Kürzung in einem anderen Teilbereich der Bedürfnisse führen (vgl RS0047379). Die Anrechnung der Naturalleistungen ist daher auf ein angemessenes Ausmaß zu beschränken, weil dem Kind ein ausreichender Restunterhalt zur Deckung seiner übrigen Bedürfnisse bleiben muss (vgl Schwimann/Kolmasch , Unterhaltsrecht 10 [2022] 194).

[16] 2.1. Erwächst einem unterhaltsberechtigten Kind ein Mehrbedarf, der über den allgemeinen Durchschnittsbedarf („Regelbedarf“) eines gleichaltrigen Kindes ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern hinausgeht, bilden diese Kosten einen Sonderbedarf (RS0109908; vgl auch RS0047564). Dieser ist durch die Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität gekennzeichnet und fällt bei der Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder regelmäßig nicht an (RS0107180 [T3]); er betrifft inhaltlich hauptsächlich die Erhaltung der (gefährdeten) Gesundheit, die Heilung einer Krankheit sowie die Persönlichkeitsentwicklung (insbesondere Ausbildung, Talentförderung und Erziehung) des Kindes (RS0107180). Der Unterhaltsberechtigte ist wegen des Ausnahmecharakters von Sonderbedarf für die diesen begründende Umstände behauptungspflichtig und beweispflichtig (RS0109908 [T8]).

[17] Grundsätzlich können auch Ausbildungskosten als Sonderbedarf anerkannt werden (vgl RS0109908). Daher dürfen Kosten des Besuchs einer Privatschule nicht von vornherein aus den Fällen des vom Unterhaltsschuldner zu bestreitenden Sonderbedarfs ausgeschieden werden (RS0107724 [T1]); stehen aber in einem bestimmten Ausbildungsweg entgeltliche Privatschulen neben öffentlichen (unentgeltlichen) Schulen zur Verfügung, wird der Unterhaltsberechtigte (bzw der betreuende Elternteil) nach dem Grundsatz, dass bei gleichwertigen Alternativen stets die für den Unterhaltsverpflichteten weniger belastende den Vorzug genießt, grundsätzlich eine öffentliche Schule auszuwählen haben (RS0107724 [T2]). Ist die Aufnahme in eine öffentliche Schule trotz zeitgerechter und nachdrücklicher Bemühungen des Unterhaltsberechtigten wegen Auslastung der Aufnahmekapazität nicht möglich, kann Schulgeld für eine Privatschule dann als Sonderbedarf anerkannt werden, wenn ein gerechtfertigter Grund gerade für diesen Ausbildungsweg spricht.

[18] Als derartige Gründe kommen etwa eine besondere Begabung des Kindes, die gerade durch den gewählten Schultyp gefördert werden kann, die Unterbringung in einer fremdsprachigen Schule nach vorangegangenem langjährigem Auslandsaufenthalt des Kindes, oder ein besonderes berufliches Interesse und ein damit verbundener intensiver Wunsch des Kindes nach einem bestimmten Ausbildungsweg in Frage (vgl RS0109906; RS0107724; vgl auch RS0047133). Stellt daher aus im jeweiligen Einzelfall zu prüfenden Gründen die öffentliche Schule keine gleichwertige Alternative dar und sprechen gerechtfertigte Gründe für den Besuch der vom Unterhaltsberechtigten (beziehungsweise dem betreuenden Elternteil) ausgewählten Privatschule, kann Schulgeld für diese Privatschule als Sonderbedarf anerkannt werden; auch der Zustimmung des Unterhaltspflichtigen zum Besuch einer Privatschule kommt in diesem Zusammenhang Bedeutung zu, wenngleich etwa dessen Bereitschaft, deren Kosten während der aufrechten Lebensgemeinschaft zu zahlen, für sich allein nicht für die Anerkennung eines entsprechenden Sonderbedarfs ausreichen muss (RS0107724 [T4]).

[19] 2.2. Von der Beurteilung eines Aufwands als Sonderbedarf ist die Frage zu unterscheiden, ob eine Deckungspflicht des unterhaltspflichtigen Elternteils besteht, ob diesem also die Deckung angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse zumutbar ist (RS0107179; RS0109907). Zumutbarkeit und Deckungspflicht sind regelmäßig dann zu bejahen, wenn dieser Aufwand auch in einer intakten Familie unter Berücksichtigung der konkreten Einkommens und Vermögenssituation getätigt worden wäre (RS0107182).

[20] Die Abgeltung eines Sonderbedarfs hat aber Ausnahmecharakter; seine Berücksichtigung findet regelmäßig nur bei einem Deckungsmangel statt, der dann vorliegt, wenn der Sonderbedarf nicht aus der Differenz zwischen dem bereits festgesetzten, den Allgemeinbedarf deckenden Unterhalt und dem Regelbedarf bestritten werden kann (RS0047564 [T4, T5]). Der Unterhalt hat sich zudem auch bei Berücksichtigung eines Sonderbedarfs im Rahmen der (relativen) Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu halten (RS0047543; Gitschthaler , Unterhaltsrecht 4 [2019] Rz 614/3).

[21] Der vom Unterhaltsschuldner zu bestreitende Sonderbedarf des Unterhaltsberechtigten muss daher dann streng geprüft werden, wenn jener – wie hier – ohnehin Unterhaltsleistungen erbringt, die den Regelbedarf beträchtlich übersteigen. Eine solche Prüfung führt dazu, dass der Unterhaltspflichtige zur Deckung eines Sonderbedarfs nur dann verhalten werden darf, wenn der Unterhaltsberechtigte dartut, dass er trotz der den Regelbedarf erheblich überschreitenden Unterhaltsbeträge außerstande wäre, diese Kosten auf sich zu nehmen. Ein solcher Beweis gelänge dem Unterhaltsberechtigten etwa dann, wenn er nachweisen kann, dass der Überhang der regelmäßigen Unterhaltsleistungen durch die Bestreitung anderen anerkennenswerten Sonderbedarfs bereits aufgezehrt ist (RS0047525). Erbringt daher der Unterhaltsschuldner ohnedies Unterhaltsleistungen, die den Regelbedarf beträchtlich übersteigen, ist im Rahmen der Unterhaltsbemessung Sonderbedarf nur dann zu ersetzen, wenn dessen Aufwendungen höher sind als die Differenz zwischen dem Regelbedarf und der laufenden monatlichen Unterhaltsverpflichtung (RS0047525 [T9]). Erhält jedoch der Unterhaltsberechtigte lediglich deshalb Unterhaltsbeiträge, die nicht der vollen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen entsprechen, weil er schon die „Luxusgrenze“ erreicht hat, muss der Sonderbedarf zusätzlich zugesprochen werden, weil bei einer solchen Konstellation das Argument der nicht zu billigenden Überalimentierung des Unterhaltsberechtigten ins Leere ginge (RS0047525 [T8]): Leistungen aus dem Titel des Sonderbedarfs sind nämlich zweckbestimmt und stehen nicht zur freien Verfügung des Unterhaltsberechtigten (RS0047525 [T8]; 6 Ob 175/18f; 8 Ob 3/18a je mwN). Dabei kommt es aber nur dann zu einer zusätzlichen Abgeltung des Sonderbedarfs, wenn gedeckelter Unterhalt plus Sonderbedarf innerhalb der unter Heranziehung der Prozentwertmethode ermittelten relativen Leistungsfähigkeitsgrenze liegen (vgl 1 Ob 150/08b = EF Z 2009/99 , 149 [ Gitschthaler ]): Jedenfalls wenn der Unterhaltspflichtige – nach der Prozentwertmethode und ohne Deckelung – Unterhalt leisten könnte, der nur knapp über der „Luxusgrenze“ liegt, wird etwa auch das Kind einen Teil des Sonderbedarfs aus der Differenz zwischen dem Regelbedarf und der laufenden monatlichen Unterhaltsverpflichtung nehmen müssen (vgl Gitschthaler , EF Z 2009/99 , 150; Ders , Unterhaltsrecht 4 [2019] Rz 614/3).

[22] 3.1. Auszugehen ist zunächst davon, dass der Vater bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 5.500 EUR eine nach der Prozentwertmethode ermittelte Leistungsfähigkeit aufweist, die für das Mädchen von 1. 5. 2019 bis 31. 5. 2021 935 EUR (18 - 1 %) und ab 1. 6. 2021 1.045 EUR (20 - 1 %), und für den Buben von 1. 5. 2019 bis 30. 9. 2012 825 EUR (16 - 1 %), von 1. 10. 2019 bis 31. 5. 2021 935 EUR (18 - 1 %) und ab 1. 6. 2021 880 EUR (18 - 2 %) beträgt. Daraus erhellt, dass die relative Leistungsfähigkeit des Vaters in den jeweiligen Perioden immer höher war als seine „gedeckelte“ laufende Unterhaltspflicht („Luxusgrenze“), jedenfalls für das Mädchen ab 1. 6. 2021 jedoch nur knapp (um 35 EUR bzw zuletzt 10 EUR).

[23] 3.2. Im Lichte der dargelegten Rechtslage und des Gegenstands des Revisionsrekursverfahrens, ob der Vater die von ihm bezahlten Schulkosten durch Anrechnung auf bzw Abzug von den rückständigen Unterhaltsbeiträgen erstattet zu bekommen hat, stellt sich primär die Frage, ob diesbezüglich Sonderbedarf vorliegt (oben Pkt 2.1).

[24] Wäre dies zu bejahen, könnte eine Anrechnung insoweit stattfinden, als der Vater diesen Sonderbedarf nach den in Pkt 2.2 dargelegten Leitlinien nicht oder nicht zur Gänze zu tragen verpflichtet wäre, insbesondere im Hinblick darauf, dass er einerseits ohnehin den Regelbedarf erheblich überschreitende Unterhaltsbeträge leistet, seine Leistungsfähigkeit andererseits aber in allen Perioden – wenn auch zuletzt nur knapp – über der „Luxusgrenze“ lag.

[25] 3.3. Wäre das Vorliegen von Sonderbedarf zu verneinen, stellte sich die Frage, ob es sich bei den Leistungen des Vaters um Unterhaltsleistungen oder um Schenkungen handelt, um Leistungen aufgrund eigenen Wunsches oder um solche Leistungen, die aufgrund einer Anerkennung erbracht wurden, die aus einer Vereinbarung zu erschließen wäre (oben Pkt 1.1).

[26] Wenn Letzteres zu bejahen wäre, fände naturgemäß keine Anrechnung statt.

[27] Wenn die Leistungen als Unterhaltsleistungen erbracht worden wären, könnte grundsätzlich eine Anrechnung stattfinden; allerdings wäre in diesem Falle zu prüfen, ob dadurch eine Überalimentierung (im Sinne einer unausgewogenen Bedürfnisdeckung) stattfände und dementsprechend die Anrechnung auf den Geldunterhalt auf ein angemessenes Ausmaß zu kürzen wäre (oben Pkt 1.2).

[28] 4. Zur Beurteilung dieser Fragen reichen jedoch die von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen nicht hin.

[29] 4.1. Das Erstgericht wird insbesondere Feststellungen nachzutragen haben, aus denen im Lichte der dargelegten Kriterien beurteilt werden kann, ob es sich bei den Aufwendungen für die Privatschule für das Mädchen von 25.546 EUR und für den Buben von 20.777,60 EUR überhaupt um Sonderbedarf handelt.

[30] 4.2. Weiters wird das Erstgericht insbesondere (für den Fall der Verneinung von Sonderbedarf relevante) Feststellungen nachzutragen haben, aus denen beurteilt werden kann, ob der Vater die Naturalleistungen ohne Schenkungsabsicht, also in Alimentationsabsicht erbracht hat, und weiters, ob er diese auch dann erbracht hätte, wenn er bereits zur Zeit ihrer Leistung von einer ihn rückwirkend treffenden höheren Unterhaltsverpflichtung Kenntnis gehabt hätte (was im Zweifel nicht zu vermuten ist). In diesem Zusammenhang werden auch konkrete Feststellungen zu treffen sein, ob der Vater – wie von den Kindern vorgebracht – den Bedarf durch eigenen Wunsch herbeigeführt hat, sowie ob die Eltern eine Vereinbarung über diesen Schulbesuch getroffen haben (wie der Vater nur im Provisorialverfahren vorbrachte, was von den Vorinstanzen im Hauptverfahren aber bislang nicht erörtert und vom Rekursgericht erstmals in seiner Entscheidung über die Zulassungsvorstellung angesprochen wurde); dabei wird zu prüfen und festzustellen sein, ob die Frage der Verpflichtung des Vaters zur Tragung von Schulgeld ohne Anrechnung mit der zwischen ihm und der Mutter abgeschlossenen Vereinbarung und einer daraus ableitbaren Anerkennung der damit zusammenhängenden Kosten begründet werden könnte (vgl 1 Ob 143/12d).

[31] 5.1. Das Erstgericht wird sodann neuerlich darüber abzusprechen haben, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß eine Anrechnung der vom Vater als Unterhaltsleistung erbrachten Naturalleistungen auf den rückständigen Unterhalt stattzufinden hätte.

[32] 5.2. Das Erstgericht wird bei seiner neuerlichen Entscheidung jedenfalls zu beachten haben, dass eine den Anspruch auf Zahlung des rückständigen Unterhalts mindernde Anrechnung der im Zeitraum 1. 5. 2019 bis 31. 1. 2023 bereits geleisteten Naturalunterhaltsleistungen für das Mädchen in Höhe von insgesamt 2.018,80 EUR und für den Buben in Höhe von insgesamt 729,60 EUR von den Kindern nicht mehr in Frage gestellt wurde und daher als abschließend erledigter Streitpunkt bei der neuerlichen Entscheidung jedenfalls als den Anspruch auf Zahlung des rückständigen Unterhalts im genannten Umfang mindernd zu berücksichtigen sein wird.

Rechtssätze
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