JudikaturJustiz2Ob535/95

2Ob535/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr. Schinko, Dr.Baumann und Dr.Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Georg B*****, Kaufmann, *****, vertreten durch Dr.Norbert Kosch ua, Rechtsanwälte in Wr.Neustadt, wider die beklagte Partei Peter D*****, Gärtner, *****, vertreten durch Dr.Ernst Goldsteiner und Dr.Viktor Strebinger, Rechtsanwälte in Wr.Neustadt, wegen S 62.841,41 sA (Revisionsinteresse S 50.646,24 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt als Berufungsgericht vom 3.Februar 1995, GZ R 563/94-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Wr.Neustadt vom 6.Oktober 1994, GZ 2 C 1598/94t-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten S 811,84 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte und sein Bruder sind Pächter einer bestimmten Liegenschaft. Verpächter ist ua der Kläger. Die Pächter betreiben auf dieser Liegenschaft eine Gärtnerei. Zwischen dem Beklagten und seinem Bruder bestanden Auffassungsunterschiede über deren Fortbetrieb; der Beklagte wollte sie auflassen, sein Bruder wollte sie weiter betreiben. Am 7.7.1992 suchte der Beklagte einen Rechtsanwalt in Mattersburg auf und erklärte ihm, sein Bruder habe ihm (dem Beklagten) Vollmacht erteilt. Er beauftragte den Rechtsanwalt, den Pachtvertrag in seinem Namen und im Namen seines Bruders, aufzukündigen. Tatsächlich wußte der Bruder nichts davon, daß der Beklagte den Rechtsanwalt zum Zweck der Aufkündigung des Pachtvertrages aufsuchen würde. Der Bruder hatte dem Beklagten niemals Vollmacht erteilt, in seinem Namen den Pachtvertrag aufzukündigen. Der Rechtsanwalt gab sich mit der Behauptung des Beklagten, seinen Bruder zu vertreten, zufrieden, ohne deren Richtigkeit nachzuprüfen. Er kündigte sowohl im Namen des Beklagten als auch im Namen des Bruders den Pachtvertrag per 30.11.1993 auf. Die Verpächter, darunter auch der Kläger, nahmen die Aufkündigung an. Mit einer am 8.6.1993 beim Bezirksgericht Wr. Neustadt zu 2 C 1291/93v eingebrachten Klage begehrten die Verpächter, darunter der Kläger, gegenüber dem Beklagten und seinem Bruder die Feststellung, daß die mit Schreiben vom 10.7.1992 zum 30.11.1993 ausgesprochene Kündigung des Pachtvertrages rechtswirksam sei. In der Tagsatzung vom 20.12.1993 änderten die Kläger ihr Feststellungsbegehren mit der Behauptung, die Beklagten benützten die Liegenschaft nunmehr titellos, in ein Räumungsbegehren. Mit Urteil vom 30.12.1993 wies das Bezirksgericht Wr. Neustadt die Klage ab und verpflichtete die Kläger zur ungeteilten Hand, den Beklagten Kosten von S 15.003,36 zu ersetzen. Hiebei wurde ua festgestellt, daß der Bruder des Beklagten diesem niemals Vollmacht erteilte, den Pachtvertrag in seinem Namen aufzukündigen, und die Aufkündigung auch nicht genehmigte. Bei einer Mehrzahl von Bestandnehmern seien zur Aufkündigung nur alle gemeinsam legitimiert; sie bildeten eine einheitliche Streitgenossenschaft, weshalb der Pachtvertrag mangels Aufkündigung durch alle Bestandnehmer aufrecht und das Räumungsbegehren abzuweisen sei. Einer Berufung ua des Klägers gegen dieses Urteil wurde nicht Folge gegeben. Die Kläger wurden vom Berufungsgericht auch zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens verpflichtet.

Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage vom Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes S 62.841,31 sA. Beim eingeklagten Betrag handle es sich um sämtliche Kosten des Verfahrens 2 C 1291/93v des Bezirksgerichtes Wr. Neustadt, und zwar sowohl um jene Kosten, die der Kläger seinen damaligen Prozeßgegnern habe zahlen müssen, als auch um die eigenen Kosten.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren anzuweisen. Er sei auch im Verfahren 2 C 1291/93v des Bezirksgerichtes Wr. Neustadt (Erst-)beklagter gewesen, weshalb nach ständiger Rechtsprechung die Kosten dieses Verfahrens wegen der besonderen rechtlichen Natur des Kostenersatzanspruches und der Rechtskraft der Kostenentscheidung nicht Gegenstand eines gegen ihn gerichteten Schadenersatzanspruches sein könnten. Nur gegen einen Dritten könnte der Kläger Schadenersatzforderungen erheben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von S 50.646,24 sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, der Beklagte habe durch seine gegenüber dem Rechtsanwalt abgegebenen wahrheitswidrigen Erklärungen schuldhaft und rechtswidrig gehandelt und sei daher verpflichtet, dem Kläger alle daraus resultierenden Schäden zu ersetzen. Zwar sei richtig, daß die Tragung von Verfahrenskosten zwischen den Kontrahenten ausschließlich durch die Verfahrensvorschriften geregelt würde. Eine Schadenersatzpflicht komme aber dann in Betracht, wenn ein Dritter die Kosten verursacht habe. Dies sei hier der Fall. Im Vorprozeß hätten nämlich der Beklagte und sein Bruder eine einheitliche Streitpartei gebildet, weshalb es nicht möglich gewesen sei, hinsichtlich der beiden zu unterschiedlichen Kostenentscheidungen zu kommen. Angesichts dieser Überlegungen sei der Beklagte als "Dritter" im Sinne der dargestellten Rechtsprechung anzusehen. Er habe dem Kläger daher die begehrten Kosten im zugesprochenen Umfang zu ersetzen. Die darüber hinausgehenden Kosten stünden im Zusammenhang mit - wenn auch im Rahmen des Vorprozesses - stattgefundenen Bemühungen, Klarheit über den Wert von Investitionen auf der Liegenschaft zu gewinnen. Sie hätten daher mit der vom Beklagten verursachten Rechtsverfolgung nichts zu tun und seien daher von ihm nicht zu ersetzen.

Das Berufungsgericht gab einer vom Beklagten gegen den stattgebenden Teil dieses Urteils erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es erachtete die Meinung des Erstrichters, der Beklagte sei als "Dritter" im Sinne der dargestellten Rechtsprechung zu betrachten, als plausibel, ließ aber offen, ob diese Auffassung einer näheren Überprüfung standhalte. Für das Berufungsgericht sei nämlich die Rechtskraft der Kostenentscheidungen im Vorprozeß noch kein schlagendes Argument dafür, daß derselbe Anspruch, der im Vorprozeß ja gleichsam nur ein Anhängsel der Entscheidung in der Hauptsache gewesen sei, nicht aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes geltend gemacht werden könne. Der rechtserzeugende Sachverhalt sei nunmehr ein völlig anderer als im Vorprozeß, in welchem allein die Kostennormen der ZPO zu beachten gewesen seien. Dagegen könne auch nicht eingewendet werden, es handle sich beim Kostenersatzanspruch um einen solchen öffentlich-rechtlicher Natur, wenn als Anspruchsgrund nicht die Verfahrensvorschriften, sondern die des materiellen Rechtes herangezogen würden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Frage der Kostenersatzpflicht ausschließlich durch die Bestimmungen der ZPO geregelt ist. Sie wird durch den Kostenausspruch zwischen den Parteien endgültig entschieden. Die Partei kann daher Kostenfolgen nur dann vermeiden, wenn sie den Hauptanspruch erfolgreich bekämpft oder durchsetzt. Einer neuerlichen Aufrollung der Kostenfrage steht die Rechtskraft der Kostenentscheidung entgegen, die deren Abänderung im Klageweg verhindert, auch wenn der Rechtsgrund des Schadenersatzes geltend gemacht wird (SZ 34/34; 1 Ob 12/56; 8 Ob 520/84; 4 Ob 44/90). Keine Prozeßpartei kann sich darauf berufen, daß eine formell rechtskräftige Entscheidung nicht richtig sei, stellt doch eine solche "hinsichtlich der von ihr entschiedenen Rechtsschutzansprüche unbestreitbar, dauernd, bindend und daher unwiederholbar und unabänderbar die Rechtsbeziehungen zwischen den Partei fest" (SZ 44/14; 4 Ob 44/90). Die Rechtskraftwirkung kann nur auf den in der Rechtsordnung dafür vorgesehenen Wegen (wie etwa Wiedereinsetzung, Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage) beseitigt werden (SZ 44/14; 4 Ob 44/90).

Zutreffend weist das Berufungsgericht aber darauf hin, daß auf den vom Kläger im vorliegenden Fall geltend gemachten Sachverhalt im Vorprozeß, in dem allein die Kostennormen der ZPO zu beachten waren, nicht Bedacht genommen werden konnte. Soweit der Revisionswerber dies bestreitet und meint, daß Gericht hätte ihm im Vorprozeß auf Antrag oder von Amts wegen im Hinblick auf sein schuldhaftes Verhalten die Verfahrenskosten mittels Beschluß auftragen können, ist ihm nicht zufolgen. Zwar ist richtig, daß das primär vom Prinzip der Erfolgshaftung geprägte Kostenersatzrecht der ZPO (Fasching, Lehrbuch**2 Rz 464) unter besonderen Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, im Falle eines schuldhaften Verhaltens der Partei die Kostenentscheidung ohne Rücksicht auf den Prozeßausgang zu treffen. Dabei handelt es sich aber um den Fall, in dem eine Partei durch schuldhaft verspätetes Sach- oder Beweisvorbringen oder "durch Zwischenfälle, die in Folge eines Verschuldens des Gegners oder eines ihm widerfahrenden Zufalls im Laufe des Verfahrens eintreten" (Mehr )Kosten verursacht (§ 48 ZPO). Immer muß es sich dabei um Vorgänge bei oder nach Einleitung des Verfahrens handeln (auch der in der Revision zitierten Belegstelle [Fasching, Lehrbuch**2 Rz 465] ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen). Hier beruft sich der Kläger aber auf ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Beklagten vor Einleitung des Vorprozesses. Für eine Berücksichtigung eines derartigen Verhaltens bei der im Vorprozeß zu treffenden Kostenentscheidung eröffnen die Kostenersatzbestimmungen der ZPO jedoch keine Möglichkeit.

War es aber dem Kläger im Vorprozeß aufgrund der Eigenart des Kostenrechtes unmöglich, den nunmehr geltend gemachten Sachverhalt erfolgreich in kostenrechtlicher Hinsicht geltend zu machen, kann seiner nunmehrigen Rechtsverfolgung die Rechtskraft der Kostenentscheidung des Vorprozesses nicht entgegen gehalten werden:

Welches Vorbringen aufgrund der materiellen Rechtskraft von einer neuerlichen Geltendmachung in einem neuen Prozeß ausgeschlossen ist ("Präklusionswirkung"), hängt vom Streitgegenstandsbegriff ab. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist der Streitgegenstand zweigliedrig, er wird durch das Begehren und das tatsächliche Vorbringen, aus dem das Begehren abgeleitet wird (= Klagegrund), bestimmt (Fasching, Lehrbuch**2 Rz 1158; Rechberger in Rechberger, Rz 15 vor § 226 ZPO; SZ 68/12, SZ 64/71, SZ 63/43 uva). Urteils- und Streitgegenstand sind ident. Dann ist aber der Beklagte, wie sich aus § 243 Abs 2 ZPO ergibt, im Rahmen des vom Kläger bestimmten Streitgegenstandes verpflichtet, alle Tatsachen vorzubringen und alle ihm zur Verfügung stehenden Gestaltungsrechte auszuüben, die dem Klageanspruch die Grundlage entziehen (Fasching aaO Rz 1536; Rechberger aaO Rz 29 vor § 390 ZPO; SZ 68/12). Daraus ergibt sich aber, daß einem in einem Vorprozeß auf Grundlage eines bestimmten rechtserzeugenden Sachverhaltes erfolgreichen Anspruch in einem Folgeprozeß zwischen denselben Parteien nicht mit anspruchsvernichtenden Tatsachen entgegengetreten werden kann, die in dem für die Vorentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt bereits entstanden waren, aber nicht ausgeführt wurden. (Nur) insofern besteht das Prozeßhindernis der Rechtskraft (SZ 68/12).

Nicht anders kann aber der Fall beurteilt werden, in dem - wie hier - der mit der neuen Klage geltend gemachte rechtserzeugende Sachverhalt in dem für die Vorentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt zwar bereits entstanden war, aber wegen der Eigenart des Kostenrechtes der ZPO in kostenrechtlicher Hinsicht im Vorprozeß nicht geltend gemacht werden konnte. Dieser nunmehr vom Kläger geltend gemachte Sachverhalt kann daher von der Präklusionswirkung der Kostenentscheidung des Vorprozesses nicht umfaßt sein.

Dieses Ergebnis steht dem oben widergegebenen Grundsatz, daß sich keine Prozeßpartei darauf berufen kann, daß eine formell rechtskräftige Entscheidung nicht richtig sei, nicht entgegen. Der Kläger beruft sich nämlich nicht auf die Unrichtigkeit der Kostenentscheidung. Er kann mit seinem Vorbringen auch nicht (wie in SZ 44/14 und 4 Ob 44/90) auf die "in der Rechtsordnung dafür vorgesehenen Wege (wie etwa Wiedereinsetzung, Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage)" verwiesen werden. Vielmehr macht er einen Sachverhalt geltend, dessen Berücksichtigung bei der Kostenentscheidung des Vorprozesses aufgrund der Eigenart des Kostenrechtes nicht in Betracht kam und der daher von der Präklusionswirkung dieser Kostenentscheidung nicht umfaßt ist.

Eben diese Überlegung lag auch der Rechtsprechung zu § 301 EO idF vor der EO-Nov 1991 zugrunde: Hatte der betreibende Gläubiger mangels einer vom Drittschuldner gemäß § 301 EO abzugebenden Äußerung die ihm überwiesene Forderung eingeklagt, wurde seine Klage abgewiesen, wenn sich im Verfahren herausstellte, daß sie nicht bestand. Daß der Beklagte keine Drittschuldnererklärung abgegeben hatte, konnte bei der Kostenentscheidung nicht berücksichtigt werden und den Kostenzuspruch an den Beklagten daher nicht verhindern. Dem Gläubiger wurde aber trotz der Rechtskraft der Kostenentscheidung von der Rechtsprechung die Möglichkeit eingeräumt, den ihm im Drittschuldnerprozeß entstandenen Kostenschaden gegen den Drittschuldner aus dem Titel des Schadenersatzes klageweise geltend zu machen (JBl 1984, 686, EvBl 1973/8 ua; ebenso Heller-Berger-Stix III 2179 f).

Auch hier kann daher der Kläger den den Gegenstand der Klage bildenden Anspruch trotz der Rechtskraft der Kostenentscheidung des Vorprozesses geltend machen.

Das der Beklagte rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, ist nicht zweifelhaft. Durch das Vortäuschen einer wirksamen Vollmacht hat er vertragliche Nebenpflichten gegenüber den Verpächtern verletzt und ist deshalb verpflichtet, dem dadurch geschädigten Kläger den daraus erwachsenden Schaden zu ersetzen. Sein Verschulden ist gar nicht strittig, zumal er selbst in der Revision von einem "schuldhaften Verhalten" spricht, daß (seiner Ansicht nach) im Vorprozeß den Kostenzuspruch an den Kläger gerechtfertigt hätte.

Auch die Höhe des zugesprochenen Betrages hat der Beklagte weder in der Berufung noch in der Revision bestritten. Weder hat er geltend gemacht, daß dem Kläger die zugesprochenen Kosten nicht erwachsen wären, noch hat er behauptet, daß der Kläger den ihm erwachsenen Schaden durch geeignete Maßnahmen - etwa durch frühere Rückziehung der Klage - verringern hätte können.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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