JudikaturJustiz2Ob278/06f

2Ob278/06f – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Edeltraud W*, vertreten durch Mag. Bernhard Kispert, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Besnik P*, und 2. A*AG, *, beide vertreten durch Dr. Rudolf Gimborn und andere Rechtsanwälte in Mödling, wegen EUR 14.296,20 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 23. Juni 2006, GZ 17 R 126/06k 77, womit infolge Berufungen sämtlicher Streitteile das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 22. Februar 2006, GZ 14 C 1781/03v 63, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 439,72 (darin EUR 73,29 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am Mittwoch, dem 27. 8. 2003, ereignete sich gegen 14.05 Uhr in der als Sackgasse gekennzeichneten Parkstraße in Mödling ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin des von ihrem Ehemann gehaltenen PKWs BMW 525tds, Kennzeichen *, und der Erstbeklagte als Lenker und Halter des bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs Audi A4, Kennzeichen * beteiligt waren. Die von der Enzersdorfer Straße erreichbare Fahrbahn der Parkstraße ist 7,8 m breit und weist in Richtung Enzersdorfer Straße ein Gefälle von durchschnittlich 4 % auf. Unmittelbar nach der Einfahrt von der Enzersdorfer Straße in die Parkstraße befand sich am linken Fahrbahnrand ein mittels Vorschriftszeichen „Halten und Parken verboten" samt Zusatztafel mit der Aufschrift „Ladezone" und der Angabe einer zeitlichen Beschränkung („an Werktagen Montag bis Freitag 6.00 bis 19.00 Uhr und Samstag 6.00 bis 13.00 Uhr") beschilderter Bereich.

Der Erstbeklagte hatte das Beklagtenfahrzeug in der besagten Ladezone geparkt, wobei die Front des Fahrzeuges in die Sackgasse wies. Kurz vor dem Unfall beabsichtigte er, diese Parkposition zu verlassen, umzukehren und aus der Sackgasse auszufahren. Dazu musste er reversieren. Noch ehe er sein Fahrzeug in Bewegung setzte, bog die Klägerin aus der Enzersdorfer Straße in die Parkstraße ein. Sie passierte das Beklagtenfahrzeug, wendete und wartete am Fahrbahnrand auf das Freiwerden der vom Beklagtenfahrzeug eingenommenen Parkfläche. Der Erstbeklagte fuhr schräg nach rechts vorne los, hielt sodann quer zur Fahrbahn an und setzte anschließend wieder zurück. In der Zwischenzeit war die Klägerin nach vor gefahren und hatte ihr Fahrzeug annähernd im Bereich der vorherigen Parkposition des Beklagtenfahrzeuges abgestellt. Da der Erstbeklagte vor und während seiner Rückwärtsfahrt nicht in den Rückspiegel blickte, übersah er, dass sich das Klagsfahrzeug nun hinter ihm im Stillstand befand. Das Beklagtenfahrzeug stieß mit der linken Heckseite gegen die Lenkertür und den linken Seitenspiegel des Klagsfahrzeuges.

An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. Der Ehemann der Klägerin trat dieser seine aus dem Unfall resultierenden Schadenersatzansprüche ab. Die Klägerin wurde bei dem Unfall überdies verletzt. Sie erlitt eine leichte Zerrung der Halswirbelsäule und eine Verletzung des rechten Innenohrs. Des weiteren wurden durch das Unfallgeschehen eine Irritation der vestibulären Zentren und ein Tinnitus ausgelöst.

Die Klägerin begehrte von den beklagten Parteien den Ersatz ihres zuletzt mit EUR 14.296,20 (rechnerisch richtig: 14.296,50) bezifferten Schadens (Schmerzengeld EUR 11.400, ; Sachschaden EUR 2.000, ; Verdienstentgang EUR 696,50; pauschale Unkosten EUR 200, ) und brachte vor, dass der Erstbeklagte unaufmerksam und mit hoher Geschwindigkeit rückwärts gefahren sei.

Die beklagten Parteien warfen der Klägerin vor, sie habe ihr Fahrzeug rechtswidrig hinter dem Beklagtenfahrzeug abgestellt und dadurch eine unklare Verkehrssituation geschaffen. Es treffe sie daher zumindest das überwiegende Verschulden an der Kollision. Des weiteren wandten sie eine Gegenforderung von EUR 431,79 ein.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit EUR 8.862,04 und die Gegenforderung mit EUR 143,93 als zu Recht bestehend, verpflichtete die beklagten Parteien zur Zahlung von EUR 8.718,11 sA an die Klägerin und wies das auf EUR 5.578,09 sA lautende Mehrbegehren ab. Dabei stützte es sich im Wesentlichen auf den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten, dem es einen Verstoß gegen § 14 Abs 1 StVO anlastete. Die Klägerin habe gegen § 24 Abs 1 lit a StVO verstoßen. Das dort geregelte Halte und Parkverbot diene im konkreten Fall dazu, den Kreuzungsbereich von parkenden Fahrzeugen freizuhalten und somit die Übersichtlichkeit des Kreuzungsbereiches vor allem zu Zeiten mit höherem Verkehrsaufkommen zu gewährleisten. Da es sich bei der Parkstraße um eine Sackgasse handle, verfolge das Halte und Parkverbot auch den Zweck, das Wenden und Reversieren von Fahrzeugen zu erleichtern und Behinderungen des Folgeverkehrs sowie die Schaffung unklarer Verkehrssituationen hintanzuhalten. Allgemein liege der Schutzzweck der Norm in der möglichst weitgehenden Freihaltung der Fahrbahn, um die Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Daran ändere auch die Ausnahme für Ladetätigkeiten nichts. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung der Schutznorm durch die Klägerin und den eingetretenen Schäden sei daher zu bejahen. Das geltend gemachte Schmerzengeld sei angemessen. Ferner stünden der Klägerin (jeweils ungekürzt) EUR 1.793,06 an Reparaturkosten und EUR 100, - an pauschalen Unkosten zu. Ein Verdienstentgang sei der Klägerin nicht erwachsen. Von dem mit insgesamt EUR 13.293,06 ermittelten Schaden seien der Klägerin zwei Drittel, dies seien EUR 8.862,04 abzüglich der anteiligen Gegenforderung von EUR 143,93, sohin EUR 8.718,11 sA zuzusprechen.

Das von sämtlichen Streitteilen angerufene Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil, sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, und gab einem Kostenrekurs der Klägerin nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, wonach der Klägerin eine Verletzung des § 24 Abs 1 lit a StVO anzulasten sei, die auch im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den Unfallsfolgen stehe. Die Rechtsprechung vertrete den Standpunkt, dass die §§ 23 Abs 2 und 24 Abs 3 StVO die möglichst weitgehende Freihaltung der Fahrbahn bezwecken würden, um die Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Die fehlende Aufmerksamkeit des Unfallgegners beseitige nicht die Rechtswidrigkeit des Verstoßes gegen das Verbot. Für Halte und Parkverbote mit Ladezonen im Sinne des § 43 Abs 1 lit c StVO könne nichts anderes gelten. Im Hinblick auf den krassen Verstoß des Erstbeklagten gegen § 14 StVO bedürfe die erstgerichtliche Verschuldensteilung keiner Korrektur.

Über Antrag der Klägerin änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision dahin ab, dass diese doch zulässig sei. Im Hinblick auf die uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Schutzzweck der verschiedenen Halte und Parkverbotsnormen des § 24 StVO erscheine eine abschließende Klärung dieses Problemkreises angebracht.

Während die Berufungsentscheidung in ihrem stattgebenden Teil und im Umfang der Abweisung eines Teilbegehrens von EUR 696,50 (Verdienstentgang) unangefochten blieb, bekämpft die Klägerin die Abweisung des weiteren Teilbegehrens von EUR 4.881,59 sA mit Revision , in der sie die Abänderung des angefochtenen Urteiles im klagsstattgebenden Sinne begehrt.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof zum Schutzzweck eines mit der Anzeige einer Ladezone verbundenen Halte und Parkverbots nach § 24 Abs 1 lit a StVO noch nicht geäußert hat. Das Rechtsmittel ist aber (im Ergebnis) nicht berechtigt.

Die Klägerin macht geltend, primärer Zweck des Halte und Parkverbotes sei die Schaffung einer Haltemöglichkeit zur Verrichtung von Ladetätigkeit, nicht jedoch die Verhinderung von Unfällen mit im Verbotsbereich abgestellten Fahrzeugen.

Hiezu wurde erwogen:

§ 24 Abs 1 lit a StVO verbietet das Halten und Parken im Bereich des Vorschriftszeichens „Halten und Parken verboten" nach Maßgabe der Bestimmungen des § 52 Z 13b. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB, die nicht nur die Leichtigkeit und Flüssigkeit, sondern auch die Sicherheit des Verkehrs im Allgemeinen bezweckt (ZVR 1974/5; ZVR 1982/400; ZVR 1984/170; RIS Justiz RS0075030). Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass verbotswidriges Halten oder Parken im Regelfall eine Einschränkung der für den Fließverkehr vorgesehenen Verkehrsfläche bewirkt (ZVR 1982/400; ZVR 1984/170; vgl auch ZVR 1990/126). Kommt es zu einem Verkehrsunfall, wird daher in der Regel auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung der erwähnten Schutznorm und dem (mit)verursachten Schaden sowie ein Mitverschulden des verbotswidrig Haltenden oder Parkenden zu bejahen sein (ZVR 1982/400; ZVR 1984/170 mwN). Ist die mit verbotswidrig haltenden oder parkenden Fahrzeugen besetzte Verkehrsfläche nach dem Inhalt der kundgemachten Verbotsnorm aber nicht für den Fließverkehr, sondern für einen anderen Zweck bestimmt (vgl ZVR 1974/5), kann dies zu einer abweichenden Beurteilung der Schutzfunktion des Halte und Parkverbotes führen.

Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten soll (RIS Justiz RS0008775 [T1]). Wie weit der Normzweck reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (RIS Justiz RS0082346, zuletzt 2 Ob 39/06h). Entscheidend ist nur der Inhalt der Norm. Es genügt, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist; die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen zumindest intendiert haben (2 Ob 2028/96s; 2 Ob 351/99b = ZVR 2000/70; 2 Ob 279/05a; 2 Ob 39/06h; RIS Justiz RS0008775 [T2 und 4]).

§ 24 Abs 1 lit a StVO wird durch § 52 Z 13b StVO ergänzt. Nach Abs 3 dieser Bestimmung wird durch eine Zusatztafel mit der Aufschrift „ausgenommen Ladetätigkeit" (hier: „Ladezone") eine Ladezone angezeigt. Durch die Schaffung einer Ladezone wird dem öffentlichen Verkehr gewidmeter Straßengrund einer primär privaten Wirtschaftstätigkeit zugänglich gemacht (Dittrich/Stolzlechner, StVO3 § 43 Rz 61). Sie setzt gemäß § 43 Abs 1 lit c StVO ein (auf die Abwicklung von Ladetätigkeiten im Sinne des § 62 StVO gerichtetes) „erhebliches wirtschaftliches Interesse" umliegender Unternehmungen voraus (vgl Dittrich/Stolzlechner aaO § 43 Rz 62). Eine am Normeninhalt orientierte Auslegung des § 24 Abs 1 lit a iVm § 52 Z 13b Abs 3 StVO muss daher zu dem Ergebnis führen, dass die einer „Ladezone" gewidmete Verkehrsfläche nicht dem fließenden Verkehr, sondern einem „anderen Zweck", nämlich der ungehinderten und verkehrssicheren Verrichtung von Ladetätigkeit dienen soll. Daraus folgt, dass sich die Schutzfunktion dieser Bestimmungen (in ihrem Zusammenhalt) auf die durch die Behinderung einer Ladetätigkeit verursachten Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer beschränkt.

Eine solche Gefahr wurde hier nicht verwirklicht. Da die von der Klägerin verletzte Norm einen weitergehenden Schutz des fließenden Verkehrs aber nicht bezweckt, fehlt es sowohl am Rechtswidrigkeitszusammenhang ihres in der Missachtung der Ladezone gelegenen Fehlverhaltens mit dem am Beklagtenfahrzeug eingetretenen Schaden als auch an einer insoweit vorwerfbaren Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten.

Dennoch haben die Vorinstanzen der Klägerin im Ergebnis zu Recht ein Mitverschulden angelastet:

Die beklagten Parteien stützten ihren Mitverschuldenseinwand in erster Instanz vor allem auf das Vorliegen einer unklaren Verkehrssituation. In der Rechtsprechung wurde der Grundsatz entwickelt, dass jede unklare Verkehrssituation im bedenklichen Sinn auszulegen und ihr durch geeignete Maßnahmen Rechnung zu tragen ist (RIS Justiz RS0073513). Der Vertrauensgrundsatz kommt demjenigen nicht zu Gute, der das unrichtige oder zumindest bedenkliche Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers erkannte oder bei entsprechender Aufmerksamkeit rechtzeitig erkennen hätte können (2 Ob 16/92 = ZVR 1992/144; 2 Ob 72/92 = ZVR 1994/72). Nur soweit ein bestimmtes verkehrswidriges Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers nicht vorhersehbar war, kann dem Gegner daraus, dass er ein solches Verhalten des anderen bei seiner eigenen Fahrweise nicht in Rechnung stellt, kein Vorwurf gemacht werden (2 Ob 72/92).

Im vorliegenden Fall hatte der Erstbeklagte sein Fahrzeug nach der Losfahrt aus seiner Parkposition in einer Sackgasse quer zur Fahrbahn zum Stillstand gebracht. Der Klägerin musste bei gehöriger Aufmerksamkeit die Umkehrabsicht des Erstbeklagten erkennbar sein, wobei sie wegen der geringen Fahrbahnbreite auch mit einem Reversieren und daher mit einer unmittelbar bevorstehenden Rückwärtsfahrt des Beklagtenfahrzeuges rechnen musste. Sie hatte ferner von der naheliegenden Erwartung des Erstbeklagten auszugehen, dass ihm die von ihm soeben erst verlassene Verkehrsfläche zur ungehinderten Durchführung des beabsichtigten Fahrmanövers zur Verfügung stehe. Die Klägerin hätte diese Verkehrssituation im bedenklichen Sinn auslegen, das Fahrverhalten des Erstbeklagten weiter beobachten und vor dem Vorfahren in die ursprünglich vom Beklagtenfahrzeug eingenommene Parkposition das Umkehrmanöver abwarten, zumindest aber mit dem Erstbeklagten Kontakt aufnehmen müssen.

Nach Abwägung des beiderseitigen Fehlverhaltens - dem Erstbeklagten liegt ein in dritter Instanz nicht mehr strittiger Verstoß gegen § 14 StVO zur Last - erachtet der erkennende Senat die von den Vorinstanzen vorgenommene Verschuldensteilung für angemessen, weshalb es bei dieser verbleiben kann.

Zu der von der Anfechtung umfassten Abweisung von Teilen des begehrten Sachschadens und der pauschalen Unkosten als überhöht führt die Klägerin in ihrem Rechtsmittel inhaltlich nichts aus. Insoweit ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, weshalb sich der Oberste Gerichtshof zur Überprüfung der Höhe dieser Ansprüche nicht veranlasst sieht.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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