JudikaturJustiz2Ob222/22v

2Ob222/22v – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer und die Hofräte Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*, und 2. Mag. P*, beide vertreten durch Specht Partner Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei I*, vertreten durch Dr. Gerhard Kochwalter, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Nichtigerklärung eines Vergleichs über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 20. September 2022, GZ 7 R 14/22s-35, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger begehren, gestützt auf arglistige Irreführung (§ 870 erster Fall ABGB) und Unterlassung der nach dem Gesetz geschuldeten Aufklärung (§ 871 Abs 2 ABGB), die Aufhebung eines zu 18 OCg 7/18f vor dem Obersten Gerichtshof zur Bereinigung von Streitigkeiten i n Zusammenhang mit dem Kauf eines Aktienpakets von der Beklagten abgeschlossenen Vergleichs.

[2] Die Vorinstanzen verneinten sowohl eine listige Irreführung als auch eine Verletzung von Aufklärungspflichten durch die Beklagte und wiesen die Klage ab.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Kläger zeigen mit ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[4] 1. Auf eine Anfechtung des Vergleichs wegen List (§ 870 erster Fall ABGB), was eine – nicht festgestellte – bewusste Täuschung und ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten vorausgesetzt hätte (RS0014821; RS0014827 [T4, T6]; RS0014790), kommt die Revision nicht mehr zurück, sodass darauf nicht mehr einzugehen ist (RS0043352 [T30, T31]).

[5] 2. Nach § 871 Abs 2 ABGB gilt ein Irrtum eines Teils über einen Umstand, über den ihn der andere nach den geltenden Rechtsvorschriften – auch zufolge aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleiteten, vorvertraglichen Pflichten (1 Ob 23/04w Pkt 1.4.; 8 Ob 19/12w Pkt 4.3) – aufzuklären gehabt hätte, immer als Irrtum über den Inhalt des Vertrags. Bei Irrtumsveranlassung durch Unterlassung gebotener Aufklärung wird Kausalität vermutet; eine Widerlegung dieser Vermutung hat durch den hiefür behauptungs- und beweispflichtigen Gegner der den Irrtum geltend machenden Partei zu erfolgen (RS0016209). Die vom Erstgericht zur Kausalität getroffene Negativfeststellung ginge im Sinne dieser Rechtsprechung daher zu Lasten der Beklagten, sofern man – worauf die Kläger abzielen – in der unterbliebenen Mitteilung der Beklagten, dass die 2014 im Rahmen des Aktienkaufs auf die Erstklägerin (als neue Aktionärin) ausgestellte, aber anschließend vor Übergabe an diese in Verstoß geratene Aktiensammelurkunde von ihr und ihrem Ehemann tatsächlich im Sommer 2018 „neu ausgestellt“, rückdatiert und im Rahmen eines von der Beklagten zur Hereinbringung ihrer Kaufpreisforderung gegen die Erstklägerin angestrengten Exekutionsverfahrens dem Gerichtsvollzieher zur Verwertung übergeben wurde, eine Aufklärungspflichtverletzung erblickt.

[6] 3. Es besteht aber keine allgemeine Rechtspflicht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entscheidung einen Einfluss haben können. Eine Aufklärungspflicht besteht in der Regel nur dann, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RS0016390; RS0014811; RS0087139). Eine Aufklärungspflicht wird dann bejaht, wenn der Gegner zum Ausdruck bringt, auf einen bestimmten Punkt besonderen Wert zu legen und daher informiert werden will (RS0014823). Für das Bestehen einer Aufklärungspflicht ist auch entscheidend, ob ein Schutzbedürfnis des Vertragspartners vorliegt (RS0016390 [T16]). Sie endet an der Grenze objektiver Vorhersehbarkeit einer Gefährdung der Interessen des Gegners (RS0016390 [T22]).

[7] Die Frage, ob ein Vertrag aufgrund der behaupteten Verletzung von Aufklärungspflichten wegen Irrtums angefochten werden kann, kann in der Regel nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, sodass die Bedeutung dieser Frage in der Regel nicht über den Einzelfall hinausreicht (RS0016184 [T8]; RS0014811 [T12]).

[8] 4. Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen im konkreten Fall die Verletzung einer Aufklärungspflicht vertretbar verneint. Das Berufungsgericht verneinte ein erkennbares besonderes Interesse der Kläger, über die erfolgte Neuausstellung und Rückdatierung der in Verstoß geratenen Aktiensammelurkunde aus 2014 aufgeklärt zu werden. Es verwies insbesondere auf die Vergleichsverhandlungen, bei denen die Echtheit lediglich im Zusammenhang mit einer allfälligen Zug-um-Zug Leistungsverpflichtung thematisiert worden sei, und den Vergleichstext, in dem sich keinerlei Regelungen zur Übergabe von Aktienurkunden fänden sowie auf die erfolgte Außerstreitstellung zur Echtheit der Aktiensammelurkunde.

[9] Soweit die Kläger gegen diese Überlegungen einwenden, die Echtheit eines Wertpapiers sei einerseits in den Vergleichsverhandlungen thematisiert worden und stelle andererseits eine im Geschäftsverkehr gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft dar, weil der Besitz des Wertpapiers oft zur Geltendmachung des verbrieften Rechts erforderlich sei, lassen sie die – von ihnen gar nicht in Zweifel gezogenen – weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts außer Acht. Danach würden die Mitgliedschaftsrechte der Erstklägerin unabhängig vom Bestand der Urkunde existieren. Die Erstklägerin sei seit dem Aktienkauf im Aktienbuch als Aktionärin eingetragen, sodass gegenüber der Gesellschaft ihre – seit dem Kauf auch ausgeübte – Gesellschafterstellung ohnehin schon nachgewiesen sei ( Eckert/Schopper/Reheis in Eckert/Schopper , AktG ON 1.00 § 61 Rz 11; Micheler in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG³ § 61 Rz 7 f). Überdies würden Namensaktien grundsätzlich durch Indossament übertragen, sodass der Erwerb der Anteilsrechte der Erstklägerin von der Beklagten auch nur durch die (bei Vergleichsabschluss ohnehin auch vorhandene) indossierte, auf die Beklagte lautende Originalsammelaktie aus dem Jahr 2013 nachzuweisen wäre (vgl Eckert/Schopper/Reheis aaO § 62 Rz 4 [Ausweis des Berechtigten durch ununterbrochene Indossamentkette]; ebenso Haberer/Zehetner in Artmann/Karollus , AktG I 6 § 62 Rz 20).

[10] Wenn die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund sowie der Vorgeschichte und dem Ablauf der Vergleichsgespräche die Verletzung einer Aufklärungspflicht verneint haben, stellt dies keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

Rechtssätze
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