JudikaturJustiz1Ob49/07y

1Ob49/07y – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei „Ö*****aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Walter Lichal, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Christian Adam, Rechtsanwalt in Salzburg, als Masseverwalter im Konkurs der M***** GmbH, *****, vertreten durch Marschall Heinz Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, wegen Zustimmung zur Ausfolgung eines Erlagsbetrags (Streitwert EUR 263.761,54), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2006, GZ 2 R 32/06z-26, womit deren Berufung gegen das Versäumungsurteil des Handelsgerichts Wien vom 24. September 2004, GZ 39 Cg 54/04s-2, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit ihrer am 15. Juli 2004 bei Gericht eingelangten Klage begehrte die klagende Partei, die damals beklagte Gesellschaft mit beschränkter Haftung - die spätere Gemeinschuldnerin - schuldig zu erkennen, in die Ausfolgung eines bei Gericht gemäß § 1425 ABGB erlegten Geldbetrags einzuwilligen. Nach der Aktenlage erfolgte die Zustellung der Klage am 19. August 2004 durch Hinterlegung, nachdem zwei Zustellversuche an der in der Klage angegebenen Adresse erfolglos geblieben waren. Über Antrag der klagenden Partei erging am 24. September 2004 ein Versäumungsurteil, welches - gemäß der Aktenlage - am 1. Oktober 2004 (abermals) durch Hinterlegung zugestellt wurde. Mit einem am 27. Dezember 2004 zur Post gegebenen Schriftsatz erhob die spätere Gemeinschuldnerin gegen dieses Versäumungsurteil Widerspruch, am 4. Jänner 2005 Berufung. Sie brachte vor, erstmals am 14. Dezember 2004 von dem gegen sie ergangenen Versäumungsurteil Kenntnis erlangt zu haben. Erst an diesem Tag sei ihr ein Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien zugegangen, mit welchem die Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien ersucht und angewiesen worden sei, das dort erliegende Einlagebuch der Postsparkasse über 263.497,74 EUR zu realisieren und das Realisat nach Rechtskraft und nach Abzug der Verwahrungsgebühr an den Klagevertreter zu überweisen. Sie habe weder die Klage noch den Auftrag zur Erstattung einer Klagebeantwortung zugestellt erhalten, sodass das Versäumungsurteil an einer Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO leide. Der Geschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin sei zugleich Geschäftsführer einer näher bezeichneten Immobilienanlagen GmbH; als solcher sei er seit August 2004 zwar unter anderem auch an der in der Klage angegebenen Adresse tätig gewesen. Ihren Sitz habe die spätere Gemeinschuldnerin aber niemals dort, sondern immer in Salzburg gehabt. An der in der Klage genannten Anschrift bestehe keine Abgabestelle, auch nicht in Form eines „faktischen Firmensitzes".

Das Erstgericht wies den Widerspruch zurück.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs gegen die Zurückweisung des Widerspruchs nicht Folge und wies die Berufung zurück. Es sprach aus, dass - soweit der erstgerichtliche Beschluss bestätigt wurde - der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sei. Die Berufung sei nicht innerhalb der Berufungsfrist erhoben worden und somit verspätet. Nach den Ergebnissen des vom Berufungsgericht ergänzten Bescheinigungsverfahrens sei der beklagten Partei der Beweis nicht gelungen, die Hinterlegung des Versäumungsurteils sei vorschriftswidrig erfolgt. Die Einvernahme des Zustellers habe vielmehr erbracht, dass der Geschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin an der in der Klage angegebenen Anschrift „durchwegs zu erreichen" gewesen sei und er dort auch „blaue" Postsendungen entgegengenommen habe. Aus dem Fernbleiben des Geschäftsführers von seiner Einvernahme sei auf dessen mangelnde Bereitschaft zu schließen, durch seine Aussage die Behauptung zu bestätigen, die Zustellung wäre gesetzwidrig erfolgt. Sein im Rekurs nachgetragener Entschuldigungsgrund (Krankheit) sei nicht ausreichend belegt.

Nach Vorlage des gegen die Zurückweisung der Berufung gerichteten Rekurses an den Obersten Gerichtshof wurde über das Vermögen der beklagten Gesellschaft der Konkurs eröffnet und Dr. Christian Adam zum Masseverwalter bestellt. Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 12. September 2006, GZ 1 Ob 164/06h-32, wurden deshalb die Akten dem Erstgericht zurückgestellt. Der Masseverwalter erklärte mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2006, den gemäß § 7 Abs 1 KO unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen. Auch die klagende Partei stellte den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens. Mit Beschluss vom 29. Dezember 2006, GZ 39 Cg 54/04s-38, nahm das Erstgericht daraufhin das Verfahren wieder auf und berichtigte die Bezeichnung der beklagten Partei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Zurückweisung der Berufung gerichtete Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (1 Ob 332/99a mwN), er ist jedoch nicht berechtigt.

Wer ein Rechtsmittel erhoben hat, kann sich dagegen zur Wehr setzen, dass es als verspätet zurückgewiesen wurde, wenn die Annahme der Verspätung auf einer unrichtigen Auslegung der Verfahrensgesetze beruht (1 Ob 190/99v mwN). Mit ihrem Vorbringen behauptete die Gemeinschuldnerin das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes, nämlich dass ihr durch einen ungesetzlichen Zustellvorgang die Möglichkeit entzogen worden sei, ihre Berufung fristgerecht einzubringen. Das Erstgericht stellte Erhebungen über die ordnungsgemäße Zustellung an. Das Berufungsgericht ergänzte diese Erhebungen und gab den Parteien Gelegenheit, zu deren Ergebnis Stellung zu nehmen. Auf Grund all dieser Erhebungen ging das Berufungsgericht davon aus, dass der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin zugleich Geschäftsführer einer weiteren Gesellschaft war, die laut Firmenbuch ihren Sitz an derselben Adresse wie an jener in der Klage angegebenen hatte. Er hielt sich in Wien auf, war an der in der Klage angegebenen Anschrift „durchwegs" zu erreichen und nahm dort eigenhändig zuzustellende Sendungen entgegen. Auch eine Sekretärin war an dieser Anschrift anwesend.

Es wurde bereits ausgesprochen, dass die öffentliche Urkunde über die Zustellung durch Hinterlegung zunächst vollen Beweis darüber macht, dass die darin beurkundeten Zustellvorgänge eingehalten wurden und dass der Rechtsmittelwerber den Gegenbeweis der Vorschriftswidrigkeit der Hinterlegung zu führen hat (RIS-Justiz RS0040471). Dieser Gegenbeweis gelang der Gemeinschuldnerin nicht.

Gemäß § 13 Abs 3 ZustG ist die Sendung einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen, wenn der Empfänger keine natürliche Person ist. Wer dieser befugte Vertreter ist, richtet sich nach den die Organisation der juristischen Person regelnden Vorschriften. Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann jedem Geschäftsführer, der für die Gesellschaft zu zeichnen oder mitzuzeichnen befugt ist, rechtswirksam zugestellt werden (Stumvoll in Fasching/Konecny ² II/2, Anh § 87 ZPO [§ 13 ZustG] Rz 18). Dies trifft - unbestrittenerweise - auf den Geschäftsführer der nunmehrigen Gemeinschuldnerin zu. § 13 Abs 3 ZustG geht § 2 Z 5 ZustG (früher § 4 ZustG) insofern voraus, als § 13 Abs 3 ZustG überhaupt erst festlegt, wer bei nicht natürlichen Personen jene physische Person ist, für die die Sendung bestimmt ist (formeller Empfänger). Der Regelung des § 2 Z 5 ZustG ist hingegen zu entnehmen, an welchen Orten an den damit bereits festgelegten Zustellempfänger zugestellt werden darf. Nach diesem (befugten) Empfänger richten sich die in Betracht kommenden Abgabestellen, die somit vom (befugten) Empfänger erst bestimmt werden (SZ 64/67; Gitschthaler in Rechberger, ZPO³, Rz 3 zu § 87 [§ 2 ZustG]; Stumvoll aaO Rz 22). Als Abgabestelle, an der die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf, kommt gemäß § 2 Z 5 ZustG neben der Betriebsstätte und dem Sitz auch der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers in Betracht. Da diese Abgabestellen in keiner Rangordnung stehen, konnte die klagende Partei eine davon - den Arbeitsplatz des Geschäftsführers - auswählen. Dass der Firmensitz der Gemeinschuldnerin im Zeitpunkt der Zustellung in Salzburg gelegen war und dort auch die Verwaltung der nunmehrigen Gemeinschuldnerin geführt wurde, bleibt unmaßgeblich. Demnach ist die in der Klage angegebene Anschrift der nunmehrigen Gemeinschuldnerin als Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 5 ZustG anzusehen. Sie stellt auch eine taugliche Abgabestelle dar, da es der Gemeinschuldnerin nicht gelang, glaubhaft zu machen, der Geschäftsführer hätte nicht die Möglichkeit gehabt, der Hinterlegungsanzeige betreffend das Versäumungsurteil Folge zu leisten (vgl 3 Ob 60/04a). Vielmehr ist davon auszugehen, dass dieser sich zur Zeit der Hinterlegung des Versäumungsurteils an der Abgabestelle iSd § 17 Abs 1 ZustG tatsächlich und regelmäßig aufhielt oder doch immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrte. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Wertung des Fernbleibens des Geschäftsführers der nunmehrigen Gemeinschuldnerin vom Vernehmungstermin stellt einen vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Akt der Beweiswürdigung dar. Die Berufung gegen das Versäumungsurteil ist daher - wie bereits das Berufungsgericht aussprach - verspätet.

Dem Rekurs ist somit nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Klagebeantwortung, zur Erhebung des Widerspruchs und die Versäumung der Berufungsfrist wird das Erstgericht zu entscheiden haben (Gitschthaler aaO § 149 Rz 10).

Rechtssätze
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