JudikaturJustiz1Ob25/14d

1Ob25/14d – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. Mag. Romana S*****, und 2. Dr. Thomas S*****, beide vertreten durch Dr. Heinrich Vana und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin Republik Österreich (Bund), vertreten durch A***** Aktiengesellschaft, *****, diese vertreten durch A***** GmbH, *****, diese vertreten durch Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Enteignungsentschädigung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 19. Dezember 2013, GZ 14 R 115/13d 67, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 18. März 2013, GZ 61 Nc 25/07x 60, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).

2. Ob eine Liegenschaft als landwirtschaftlich genutztes Grünland, als „Bauerwartungsland“ oder als Bauland anzusehen und dementsprechend zu bewerten ist, betrifft eine nicht vom Sachverständigen, sondern aufgrund der gesamten Verfahrensergebnisse vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage (RIS Justiz RS0007824). Legen die Gerichte der Entscheidung über die Festsetzung der Enteignungsentschädigung aber die tatsächlichen Ausführungen des Sachverständigen zugrunde, beantworten sie Fragen auf der Tatsachenebene (3 Ob 46/11b; 1 Ob 201/13k).

3. Auch eine nachträgliche Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse, die im Zeitpunkt der Enteignung als wahrscheinlich vorausgesehen werden konnte, kann die Höhe des zu ersetzenden Verkehrswerts (hier: nach § 18 BStG) beeinflussen (RIS Justiz RS0053483). Für die Bewertung eines Grundstücks ist daher allgemein nicht die bestehende Widmung, sondern die realistisch beurteilte künftige Verwendungsmöglichkeit samt ihrer Auswirkung auf den Marktwert das Entscheidende (RIS Justiz RS0058043 [T3]). Bei Grundstücken mit tatsächlicher oder rechtlich durchsetzbarer Möglichkeit, eine Umwidmung in Bauland zu erreichen, muss diese Erwartung auf dem Grundstücksmarkt tatsächlich preisbestimmend sein, also nach der Verkehrsauffassung schon zum Zeitpunkt der Enteignung ein zusätzliches werterhöhendes Moment darstellen und nicht eine bloße Werterhöhungschance; entscheidend ist daher lediglich, ob sich das Entwicklungspotential zum Bewertungszeitpunkt schon auf den Marktpreis auswirkt (3 Ob 46/11b ua; RIS Justiz RS0110846 [T1, T2]).

4. Für die Wertung als „Bauerwartungsland“ muss die bevorstehende Parzellierung und Aufschließung nicht nur rechtlich und tatsächlich möglich, sondern darüber hinaus auch aufgrund besonderer Umstände „in naher Zukunft“ wahrscheinlich sein (RIS Justiz RS0057977). Wie dargelegt ist entscheidend, ob sich das Entwicklungspotential zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits auf den Marktpreis ausgewirkt hat (9 Ob 82/10i; 6 Ob 161/10k; 3 Ob 46/11b). Exakte Zeitangaben zum realistischen Entwicklungspotential der Liegenschaft, das bei der Ermittlung der Entschädigung zu berücksichtigen ist, sind kaum oder der Natur der Sache nach sogar unmöglich (vgl Rummel , Bewertung von Bauerwartungsland, SV 2002, 115 [121]). Es entscheiden die konkreten Umstände des Einzelfalls, die sich einer Verallgemeinerung entziehen. Gesetzliche Vorgaben für die Bewertung einer Liegenschaft als „Bauerwartungsland“ bestehen nicht (1 Ob 201/13k). Der Begriff „Bauerwartungsland“ ist auch mit wenigen Ausnahmen (zB § 17 Vorarlberger Raumplanungsgesetz: Bauerwartungsflächen; § 82 Abs 1 Z 2 Mineralrohstoffgesetz: Bauhoffnungsgebiete) kein positivierter juristischer Begriff ( Kerschner , Bauerwartungsland, ZLB 2013/38; 1 Ob 201/13k).

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist auf der Grundlage des Stadtentwicklungsplans der Stadt Wien (STEP 2005) sowie der Entwicklungstendenzen des Landes Niederösterreich im (räumlich) angrenzenden Bereich in einem mittelfristigen Zeithorizont davon auszugehen , dass das Güterverteilungszentrum an der Nordbahn in Kombination mit Betriebsgebieten zur Realisierung gelangen wird. Der daraus vom Rekursgericht gezogene rechtliche Schluss, aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit und realistischen Möglichkeit der Umwidmung handle es sich bei den enteigneten Grundstücken im Norden von Wien um „Bauerwartungsland“, ist zumindest vertretbar.

Dass der aktuelle Stadtentwicklungsplan (STEP 2005) ungeachtet seiner fehlenden Normqualität auch schon vor dem Vollzug entsprechender Umwidmungen von Grünland in Bauland Auslöser derartiger Erwartungen auf dem Grundstücksmarkt sein kann, wurde bereits ausgesprochen (3 Ob 46/11b; vgl auch 6 Ob 161/10k). Wenn die Antragsgegnerin die geplante Realisierung des Güterterminals überhaupt bestreitet oder von dessen Verwirklichung in nicht absehbarer Zeit spricht, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt. Ihre unkonkrete Bezugnahme auf einen „allgemeinen raumordnungsrechtlichen Grundsatz“ des „Zersiedelungsverbots“ zeigt keine Fehlbeurteilung des Rekursgerichts auf.

5. Nach § 18 Abs 1 zweiter Satz BStG hat bei der Berechnung der Entschädigung unter anderem eine Werterhöhung außer Betracht zu bleiben, die die Liegenschaft durch die straßenbauliche Maßnahme erfährt. Diese Bestimmung (ebenso wie inhaltsgleich § 7 Abs 2 EisbEG) ordnet somit die Vorverlegung des für die wertbestimmenden Eigenschaften des Grundstücks maßgeblichen Zeitpunkts an. In der Regel wird daher von der Qualität des Grundstücks auszugehen sein, die es besaß, bevor die eingeleitete Planung ihre werterhöhende Funktion wirksam werden ließ. Dies folgt schon aus dem Zweck der Enteignungsentschädigung, den Vermögensnachteil des Enteigneten bloß auszugleichen, nicht aber dessen Bereicherung herbeizuführen (RIS Justiz RS0010844 [T2]). Zur Frage der Vorteilsausgleichung, also der Berücksichtigung der vermögenswerten Vorteile, die dem Enteigneten durch das Enteignungsprojekt zukommen, hat sich der Oberste Gerichtshof (2 Ob 282/05t; 1 Ob 230/10w; zuletzt 7 Ob 39/13f) bereits dem Ansatz Rummels (Vorwirkungen der Enteignung, JBl 1998, 20 ff) angeschlossen, wonach § 7 Abs 2 EisbEG (§ 18 Abs 1 zweiter Satz BStG) nur die Projektvorteile im engsten Sinn des Wortes betrifft. Die „allgemeinen Planungsgewinne“ aus der Erschließung eines gesamten Gebiets sollen dem Enteigneten so wie allen seinen Nachbarn verbleiben.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin wurden Werterhöhungen, die allein auf das Straßenbauprojekt zurückgehen, für das im Jahr 2007 die Enteignungen erfolgten, bei der Ermittlung der Enteignungsentschädigung gar nicht berücksichtigt. Für die Entschädigungsbemessung ist nach den Feststellungen nur die hohe Wahrscheinlichkeit der Realisierung des Güterverteilungszentrums an der Nordbahn in Kombination mit Betriebsgebieten maßgebend und nicht der Straßenbau. Da zu den erwarteten Widmungsänderungen Feststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen der Rechtsmittelwerberin abweichen, liegt der behauptete rechtliche Feststellungsmangel nicht vor (vgl RIS Justiz RS0053317 [T1]; RS0043480 [T15]).

6. Da die Antragsgegnerin keine Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufwirft, ist der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Rechtssätze
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