JudikaturJustiz1Ob151/13g

1Ob151/13g – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Š***** s.r.o., *****, Tschechische Republik, vertreten durch Dr. Friedrich Schwank, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei B***** S.p.A., *****, Italien, vertreten durch Schmidtmayr|Sorgo|Wanke Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 200.000 EUR sA (Klage) und 950.000 EUR sA (Widerklage), über die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Juni 2013, GZ 4 R 370/12d 111, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 21. September 2012, GZ 23 Cg 235/05t, 106/06y 107, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Darin, dass das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung teilweise Passagen aus anderen Gerichtsentscheidungen wiedergegeben und sich diesen angeschlossen hat, liegt entgegen der Auffassung der Revisionswerberin keine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO, kann doch von einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts in diesem Zusammenhang keine Rede sein. Dieses hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass es sich auch auf der Basis der im vorliegenden Verfahren getroffenen Tatsachenfeststellungen der in Entscheidungen eines anderen Senats vertretenen Auffassung zu bestimmten Rechtsfragen anschließt. Ob diese richtig ist, ist gegebenenfalls unter dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu überprüfen, doch kann nicht bezweifelt werden, dass der Entscheidungswille im vorliegenden Verfahren vom erkennenden Berufungssenat gebildet wurde (vgl auch 2 Ob 186/11h).

2. Eine Aktenwidrigkeit will die Revisionswerberin darin erblicken, dass das Berufungsgericht erstgerichtliche Feststellungen gekürzt dargestellt und damit einen Eindruck erweckt habe, der auch mit den Beweisergebnissen nicht übereinstimme. Sie erkennt allerdings selbst, dass eine insoweit allenfalls vorliegende Aktenwidrigkeit ohne weiteres dadurch bereinigt werden kann, dass bei einer Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts von den tatsächlich vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ausgegangen wird (vgl etwa RIS Justiz RS0116014). Da die Revisionswerberin in ihrer Rechtsrüge ohnehin auf die ihrer Ansicht nach bedeutsamen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts hinweist, hätte eine allfällige aktenwidrige Wiedergabe durch das Berufungsgericht somit jedenfalls keine Relevanz.

3. In ihrer Rechtsrüge bekämpft die Revisionswerberin im Ergebnis mit verschiedenen, im Einzelnen dargelegten Argumenten die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Vereinbarungen der Streitteile. Dazu ist vorweg festzuhalten, dass die Auslegungsfrage einerseits dadurch erschwert wird, dass mehrere schriftliche und teilweise umfangreiche Vereinbarungen zu berücksichtigen sind, nämlich ein sogenannter „Letter of Intent“ vom 23. 4. 2002 (im Folgenden: gemeinsame Absichtserklärung), der „Kooperations , Know how Lizenz und Lieferrahmenvertrag“ (im Folgenden: Kooperationsvertrag) und die sogenannten „Minutes of the Meeting“ (im Folgenden: Ergänzungsvereinbarung), beide vom 2. 12. 2002. Andererseits steht nicht zu allen relevanten Vertragsbestimmungen durch entsprechende Feststellungen auf Tatsachenebene fest, welcher Zweck damit von den Streitteilen jeweils verfolgt wurde, sodass insoweit eine objektive Auslegung an Hand des Vertragstexts und der feststehenden Hauptzwecke der in Angriff genommenen Kooperation nach den §§ 914 f ABGB vorzunehmen ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Fragen der Vertragsauslegung, bei denen stets die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO begründen (vgl nur RIS Justiz RS0044358 [T7]; RS0042871). Ein unvertretbares Auslegungsergebnis (vgl RIS Justiz RS0042936) das aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, ist dem Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revisionswerberin nicht unterlaufen.

4. Soweit die Revisionswerberin dem Berufungsgericht vorwirft, es habe eine Nichtigkeit „der Vereinbarung“ aufgrund Verstoßes gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften unrichtigerweise nicht (von Amts wegen) aufgegriffen bzw die vorgenommene Auslegung stünde mit zwingenden wettbewerbs und kartellrechtlichen Vorschriften im Widerspruch, erweisen sich die Ausführungen schon deshalb als schwer verständlich, weil in diesem Zusammenhang keine einzige (österreichische oder unionsrechtliche) Norm konkret angesprochen wird. Die Revisionswerberin erklärt insbesondere auch nicht, warum der gesamte Vertrag mit (absoluter) Nichtigkeit behaftet sein sollte, wenn einzelne Vertragsbestimmungen gegen „wettbewerbsrechtliche Vorschriften“ verstoßen. Insoweit ist auch die Drohung mit Amtshaftungsansprüchen gegen die Republik Österreich nicht zielführend.

Das Berufungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass sich die Streitteile zu einer Kooperation in der Weise zusammengefunden haben, dass sich die Klägerin und Widerbeklagte (im Folgenden: Klägerin) an einer Ausschreibung der Tschechischen Staatsbahnen über den Ankauf von 20 Multifunktions Lokomotiven beteiligen sollte, wobei sie von der Beklagten und Widerklägerin (im Folgenden: Beklagte) unterstützt würde, die dafür näher vereinbarte Entgelte erhalten sollte. Angesichts der Kooperation verpflichtete sich die Beklagte, kein eigenes Angebot im Ausschreibungsverfahren abzugeben. Gegen welche wettbewerbsrechtlichen bzw kartellrechtlichen Normen, die zu einer absoluten Nichtigkeit führten, diese Abrede verstoßen sollte, ist nicht ersichtlich und wird in der Revision auch nicht nachvollziehbar erklärt. Der Vorwurf, es liege eine (unzulässige) „Aufteilung des Auslandsmarkts“ vor und das Berufungsurteil würde einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten ermöglichen und legalisieren, weshalb bei der Beurteilung eines Wettbewerbsverstoßes mit viel strengeren Kriterien gemessen werden müsse, bleibt unverständlich.

5. Dafür, dass auch die Parteien (wie die Vorinstanzen) von der Begründung eines Dauerschuldverhältnisses ausgegangen sind, spricht einerseits der Umstand, dass die Beklagte auch nach einem allfälligen Erfolg bei der Ausschreibung weiterhin ihr Know how für die Entwicklung und Produktion der Lokomotiven zur Verfügung stellen und jährliche Lizenzgebühren bekommen sollte. In mehreren Vertragsklauseln, insbesondere in der Ergänzungsvereinbarung, werden verschiedene Szenarien geregelt, in denen eine „Kündigung“ des Vertrags in Betracht kommen soll. Schließlich hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 4. 12. 2012 auch ausdrücklich die Kündigung des Vertrags „im Einklang mit dem österreichischen Recht“ erklärt. Da eine Kündigung regelmäßig nur bei einem Dauerschuldverhältnis in Betracht kommt, kann dem Berufungsgericht nicht der Vorwurf einer unvertretbaren Vertragsauslegung gemacht werden, wenn es nicht vom Abschluss eines reinen Zielschuldverhältnisses ausgegangen ist. Der in der Revision zitierten Entscheidung zu 1 Ob 562/85 lag ein ganz anders gelagerter Sachverhalt zugrunde.

6. Auch die Auffassung der Revisionswerberin, es liege eine „ausdrücklich vereinbarte aufschiebende Bedingung gemäß § 901 ABGB“ vor und der Vertrag sei mangels Eintritts der Bedingung nie rechtswirksam geworden, findet keine Basis in den Tatsachenfeststellungen zu den vertraglichen Abreden. So wurde etwa in Art 23 Z 1 des Kooperationsvertrags festgehalten, dass dieser Vertrag mit der Unterzeichnung durch beide Vertragsparteien in Kraft tritt; nach Z 4 kann er aus wichtigen Gründen gekündigt werden. Nach Punkt 7 der Ergänzungsvereinbarung sollte die erste Rate der Pauschalvergütung (200.000 EUR) binnen 30 Tagen nach Unterzeichnung des Vertrags bezahlt werden, was in der Folge auch geschehen ist. Damit ist die Annahme einer vereinbarten aufschiebenden Bedingung, mangels deren Eintritt der Vertrag nie rechtswirksam geworden sei, zweifellos nicht vereinbar. Dies hat auch nichts mit der Frage zu tun, welche rechtlichen Konsequenzen sich dadurch ergeben haben, dass die im Kooperationsvertrag ursprünglich ins Auge gefasste Adaptierung eines bestimmten von der Beklagten entwickelten und produzierten Basismodells aufgrund der geänderten Ausschreibung vernünftigerweise nicht mehr in Betracht kam.

7. An sich zutreffend geht die Revisionswerberin davon aus, dass gegebenenfalls mit dem Mittel der ergänzenden Vertragsauslegung vorzugehen ist, wenn sich für die Vertragsparteien eine Situation ergibt, die vertraglich nicht geregelt wurde. Dabei ist primär der hypothetische Willen der Vertragsparteien zu ermitteln, sonst der Vertrag unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und des erkennbaren Vertragszwecks durch jene Regelung zu ergänzen, die vernünftige und redliche Parteien vereinbart hätten (vgl nur Bollenberger in KBB³ § 914 ABGB Rz 9 mit Judikaturnachweisen). Bei der Beurteilung des Verhaltens redlicher Vertragsparteien ist insbesondere der Grundsatz von Teu und Glauben zu berücksichtigen (4 Ob 141/06y = SZ 2006/143 mwN).

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Vereinbarungen der Streitteile im Ergebnis dahin ausgelegt, dass sie sich für die erwartete Ausschreibung der Staatsbahnen für eine Kooperation entschieden haben, in deren Rahmen die Klägerin ein Angebot legen, die Beklagte aber jedenfalls unter Einbringung ihres Know how entsprechend den letztlich geforderten Spezifikationen der ausschreibenden Stelle beteiligt sein sollte. Dass im Kooperationsvertrag schließlich von einem bestimmten Modell einer Lokomotive der Beklagten die Rede war, auf dessen Basis die Entwicklung vorgenommen werden sollte, beruhte unstrittigermaßen darauf, dass die Parteien aufgrund einer Information der Klägerin davon ausgingen, dass die Staatsbahnen voraussichtlich bestimmte Anforderungen formulieren würden, für die dieses Modell als (zu adaptierende) Basis geeignet wäre.

Die Revisionsausführungen vermögen den erkennenden Senat nicht davon zu überzeugen, dass diese Auslegung grob unrichtig und korrekturbedürftig wäre, war doch noch in der gemeinsamen Absichtserklärung von einem anderen Basismodell der Beklagten die Rede, was durchaus den Schluss zulässt, dass die Intention der Parteien dahin ging, die Beklagte solle sich schließlich mit der der Ausschreibung am besten entsprechenden bei ihr entwickelten Technologie in die Kooperation einbringen. Davon, dass sich die Möglichkeit der Beklagten, sich an der vereinbarten Kooperation zu beteiligen, überhaupt in Luft auflösen sollte, wenn sich schließlich nicht das im Kooperationsvertrag konkret genannte Basismodell als geeignet erweisen sollte, ist das Berufungsgericht mit nachvollziehbaren Argumenten nicht ausgegangen. Dagegen spricht insbesondere auch die vertragliche Regelung in Punkt 5. der Ergänzungsvereinbarung. Danach sollte die Klägerin die Möglichkeit haben, den Vertrag binnen eines Jahres zu kündigen, wenn die Parteien bei der Ausschreibung keinen Erfolg haben. Da somit vertraglich klargestellt wurde, dass sogar bei einer erfolglosen Bewerbung der Vertrag weiterbestehen soll, wenn er nicht innerhalb einer gewissen Frist gekündigt wird, spricht dies nicht für eine „automatische“ Vertragsbeendigung für den Fall einer Ausschreibung, die die Weiterentwicklung eines anderen als des ursprünglich ins Auge gefassten Basismodells erfordert.

Ausgehend von den Feststellungen, dass die Beklagte mit der konzerneigenen Technologie von insgesamt drei ihrer Standardlokomotiven mit entsprechenden Anpassungen grundsätzlich in der Lage war, die technischen Erfordernisse aus der zweiten Ausschreibung zu erfüllen und diese keine „Muss Kriterien“ enthielt, die nicht mit der bei der Beklagten vorhandenen Technologie erfüllbar gewesen wären, erscheint die Auffassung des Berufungsgerichts durchaus vertretbar, die Klägerin wäre gehalten gewesen, der Beklagten die weitere Kooperation auch unter den geänderten Umständen zu ermöglichen und den Vertrag insoweit zuzuhalten. Dazu kommt auch, dass die Klägerin von der Beklagten gelieferte Kenntnisse und Erfahrungen auch insoweit nutzte, als sie ihren „Technologierückstand“ durch die mangelnde Vertrautheit mit den in der Europäischen Union üblichen Normen und Standards durch die Hilfestellung der Beklagten überwinden konnte; die im Zuge der ersten Ausschreibung übergebenen Unterlagen waren für die Erstellung des Anbots der Klägerin zur zweiten Ausschreibung daher hilfreich und sehr wertvoll und hatten für die Klägerin einen hohen Nutzen bei der Anbotslegung. Warum die Klägerin vermeint, diese Vorteile nun ohne jegliches Entgelt lukrieren zu können, wird in der Revision nicht einmal andeutungsweise erklärt. Sie vermag aber vor allem auch die Rechtsauffassung, die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, das Vertragsverhältnis wegen der geänderten Ausschreibung der Staatsbahnen einseitig zu beenden, nicht zu erschüttern, wenn man von der wie dargelegt an sich vertretbaren Vertragsauslegung des Berufungsgerichts ausgeht.

8. Unter der Annahme eines aufrechten und durch die Kündigungserklärung nicht beendeten Vertragsverhältnisses stellt sich schließlich auch die in der Revision weiters aufgeworfene Frage nicht, ob die Beklagte gehalten gewesen wäre, ihre Ansprüche auf den Titel des Schadenersatzes zu stützen. Bei aufrechtem Vertrag steht es jeder Vertragspartei offen, das vertraglich vereinbarte Entgelt zu fordern. Dass sich die andere Vertragspartei hier durch Ablehnen der weiteren Kooperation selbst um die Vorteile einer regulären Abwicklung des Vertrags bringt, vermag ihre Zahlungspflicht nicht zu verringern.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtssätze
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