JudikaturJustiz1Ob109/02i

1Ob109/02i – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Severin V***** und des mj Nikolaus V*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Dr. Georg V*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 20. März 2002, GZ 16 R 80/02g 125, womit infolge Rekurses des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 29. Jänner 2002, GZ 7 P 121/99p 113, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters wird, soweit mit diesem die Bestätigung der erstinstanzlichen Abweisung seiner Anträge, über die Mutter zur Durchsetzung seines Besuchsrechts Haft , allenfalls Geldstrafen zu verhängen, bekämpft wird, mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Soweit der Vater damit die Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Beschränkung der Akteneinsicht anficht, wird dem Revisionsrekurs hingegen nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Anlässlich ihrer Vernehmung zur Verlegung ihres Wohnsitzes nach Spanien (ON 53) kündigte die Mutter an, eine Bestätigung ihres Arbeitgebers vorzulegen. Sie ersuchte allerdings, den Namen des Arbeitgebers dem Vater nicht bekannt zu geben, weil sie befürchtete, der Vater werde dort - wie auch bereits gegenüber anderen Personen - falsche Angaben über ihren Gesundheitszustand machen. Die danach vorgelegte Arbeitsbestätigung wurde unter ON 56 einjournalisiert, jedoch in der Folge von der Akteneinsicht ausgenommen.

In einem seiner Strafanträge zur Durchsetzung des Besuchsrechts (ON 90) stellte der Vater den weiteren Antrag, die Beschränkung der Akteneinsicht aufzuheben, weil sich die Mutter etwa die Hälfte der Zeit in Österreich aufhalte und die Kinder währenddessen offensichtlich von der Schwester in Spanien betreut würden. Die Urkunde sei allenfalls unter dem Gesichtspunkt eines hergestellten falschen Beweismittels zu prüfen bzw prüfen zu lassen.

Mit Beschluss ON 113 wies das Erstgericht mehrere Strafanträge des Vaters sowie den Antrag, die Beschränkung der Akteneinsicht aufzuheben, ab. Es verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen für Zwangsmaßnahmen gemäß § 19 Abs 1 AußStrG. Für das Gericht bestehe kein Zweifel an der Echtheit der von der Mutter vorgelegten Bestätigung, dass sie ab 1. 11. 2000 in der PR Abteilung eines Unternehmens in Madrid beschäftigt sein werde. Das Gericht habe im Verfahren den Eindruck gewonnen, dass der Vater zur Durchsetzung seiner vermeintlichen Ansprüche nicht davor zurückschrecke, die Fähigkeiten der Mutter vor Dritten herabzumindern, sodass Befürchtungen, er werde die Mutter vor ihrem Arbeitgeber schlecht machen und sie könne als Folge davon den Arbeitsplatz verlieren, plausibel erscheinen. Der Frage der Tätigkeit für das angeführte Unternehmen komme zudem keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Eine "Tendenz" der Mutter, das Besuchsrecht zu vereiteln, sei nicht feststellbar. Auffassungsunterschiede der Eltern über getroffene Vereinbarungen könnten Zwangsmaßnahmen nicht rechtfertigen. Die von der Akteneinsicht ausgenommene Urkunde betreffe nur den Arbeitgeber der Mutter, somit keine Information, der entscheidungsrelevante Bedeutung zukäme. Es sei nicht zu erkennen, inwieweit die Einsicht in das Aktenstück zur Wahrung verfahrensrechtlicher Interessen des Vaters erforderlich sei.

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist, soweit er sich gegen die Bestätigung der Abweisung der Strafanträge richtet, unzulässig. Im Übrigen - in der Behauptung der Beschränkung der Akteneinsicht - ist der Revisionsrekurs zwar gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, es kommt ihm jedoch keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Ob die Entschuldigung für die Nichtbefolgung einer gerichtlichen Anordnung als berechtigt anzusehen ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls (6 Ob 14/02f). Der Widerstreit der grundsätzlichen Interessen an einem unmittelbaren, raschen Vollzug einerseits, und der tunlichsten Vermeidung materiell unangemessener Vollzugsakte andererseits ist mangels näherer Ausnormung des Verfahrens nach richterlichem Ermessen zu lösen. Der Frage, ob im Einzelfall eine Zwangsmaßnahme zu verhängen ist, kommt demnach in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und damit auch nicht die Qualität einer Rechtsfrage gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zu (3 Ob 273/00v).

Da den Entscheidungen der Vorinstanzen ein grober Ermessungsfehler nicht anhaftet, ist der außerordentliche Revisionsrekurs, soweit er die Verhängung von Zwangsmaßnahmen gemäß § 19 Abs 1 AußStrG anstrebt, zurückzuweisen.

Zur Frage der Beschränkung der Akteneinsicht ist zu erwägen:

Nach ständiger Rechtsprechung sind auf die Akteneinsicht im Außerstreitverfahren die Bestimmungen des § 219 ZPO und des § 170 GeO sinngemäß anzuwenden (SZ 47/141; JBl 1973, 581; 8 Ob 511/93; RdW 1999, 79). In der in RdW 1999, 79 veröffentlichten Entscheidung 6 Ob 148/98b hat der Oberste Gerichtshof ausführlich zur Akteneinsicht unter dem Gesichtspunkt des Art 6 EMRK Stellung genommen und unter anderem ausgeführt, Beschränkungen dieses Rechts seien nur in den in § 219 ZPO normierten Ausnahmefällen sowie auf Grund sondergesetzlicher Regelungen, wie etwa des Datenschutzgesetzes, zulässig.

Sowohl das DSG 1978 als auch das DSG 2000 ordnen jeweils in § 1 Abs 1 an, dass jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Dieses Grundrecht auf Geheimhaltung erfasst alle auch nicht automationsunterstützt verarbeiteten, personenbezogenen Daten (Dohr/Weiss/Pollirer, Datenschutzgesetz, 5; Drobesch/Grosinger, Das neue österreichische Datenschutzgesetz, 98; vgl auch SZ 70/42).

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 6 Ob 148/00h = EvBl 2001/1 = RdW 2000, 736 = ZVR 2001, 118 zu § 1 DSG 2000 ausgeführt, es sei nach der systematischen und teleologischen Interpretation nicht zweifelhaft, dass das Recht auf Datenschutz gemäß § 1 DSG nur solche personenbezogenen Daten betreffen könne, die in einer Datei aufscheinen, also nach der gesetzlichen Begriffsdefinition in einer strukturierten Sammlung von Daten, die nach mindestens einem Suchkriterium zugänglich sind (§ 4 Z 6 DSG). Unter Dateien seien daher Karteien und Listen, nicht aber Akten und Aktenkonvolute zu verstehen. Datenschutz setzte aber das Vorliegen einer entsprechend strukturierten Datei voraus. Diese Entscheidung wurde von Rosenmayr Klemenz ("Zum Schutz manuell verarbeiteter Daten durch das DSG 2000", ecolex 2001, 639) dahin kritisiert, dass der Oberste Gerichtshof nicht zwischen der Geheimhaltung gemäß § 1 Abs 1 DSG 2000 und dem Recht auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung gemäß § 1 Abs 3 DSG 2000 differenziere. Damit bleibe ungeachtet, dass § 1 Abs 1 DSG 2000 allgemein von "Daten", Abs 3 jedoch von Daten, die zur Verarbeitung in manuell geführten "Dateien" bestimmt sind, spreche. In diesem Sinn ist wohl auch die Kommentierung von Drobesch/Grosinger (aaO) zu verstehen, nach der das Grundrecht auf Geheimhaltung alle personenbezogenen Daten unabhängig davon erfasse, ob sie in einer Datei (vgl § 4 Z 6) strukturiert gesammelt werden oder nicht. Schließlich ist noch auf die Entscheidung 8 Ob 511/93 zu verweisen, die - wenngleich ohne umfassende Begründung - aussprach, im Außerstreitverfahren (dort: Sachwalterschaftsverfahren) seien offengelegte Familien- und Vermögensverhältnisse dem Grundrecht auf Datenschutz 1 Abs 1 DSG) unterstellt.

Einer abschließenden Stellungnahme zum Umfang des Geheimnisschutzes unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten bedarf es hier indes nicht, weil bereits das Außerstreitgesetz selbst in seinem § 2 Abs 3 Z 10 einen ausreichenden Schutzmechanismus vorsieht: Danach hat das Gericht unter anderem keine zu der Teilnehmenden Sicherheit nötige Vorsicht zu vernachlässigen. Diese Bestimmung macht es dem Gericht nicht nur zur Pflicht, alle zur Wahrung der körperlichen Integrität der Verfahrensparteien erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, sondern auch den ihnen zukommenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten.

Gemäß Art 8 MRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung uns seines Briefverkehrs. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist der Begriff "Privatleben" nicht eng auszulegen: Die Achtung des Privatlebens umfasse insbesondere auch das Recht, Beziehungen mit anderen Menschen zu knüpfen und zu entwickeln. Es sei kein Grund zu erkennen, warum dieses Verständnis des Begriffs "Privatleben" Tätigkeiten geschäftlicher Natur ausschließen sollte. Auch Daten mit Bezug auf das "Privatleben" unterlägen dem Schutz des Art 8 MRK (EGMR, 16. 2. 2000, ÖJZ 2001/1 [MRK] mwH).

Im Spannungsverhältnis zu dem durch Art 6 MRK geschützten Grundrecht des "fair trial" bedarf es - wie dies auch in dem ebenfalls auf Art 8 MRK bezugnehmenden § 1 DSG normiert ist - einer Interessensabwägung, die gewiss im Allgemeinen nur zu einer Beschränkung der Akteneinsicht in sehr geringem Umfang führen kann (vgl RdW 1999, 79). Der hier zu beurteilende Fall ist indes dadurch gekennzeichnet, dass von der Akteneinsicht lediglich die Arbeitsbestätigung des Dienstgebers der Mutter ausgenommen ist, deren auf Art 8 MRK gegründeter Schutz wohl dann gegenüber dem Grundsatz eines fairen Verfahrens zurücktreten müsste, wenn die Urkunde für das Verfahren relevante strittige Tatsachen beträfe (vgl EGMR 16. 12. 1992, ÖJZ 1993/25 [MRK]). Dies ist hier wie bereits die Vorinstanzen zutreffend erörtert haben - aber gerade nicht der Fall, weil keinerlei Hinweise dafür vorliegen, dass der Name und die Anschrift des Dienstgebers der Mutter für die Beurteilung des Kindeswohls erforderlich wären.

Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

Rechtssätze
9
  • RS0113846OGH Rechtssatz

    27. Juni 2016·3 Entscheidungen

    Obwohl das Gesetz dies weder im § 1 DSG idgF noch in den Begriffsbestimmungen des § 4 DSG ausdrücklich zum Ausdruck bringt, ist es nach der systematischen und teleologischen Interpretation nicht zweifelhaft, dass das Recht auf Datenschutz gemäß § 1 leg cit nur solche personenbezogenen Daten betreffen kann, die in einer Datei aufscheinen, also nach der gesetzlichen Begriffsdefinition in einer strukturierten Sammlung von Daten, die nach mindestens einem Suchkriterium zugänglich sind. Die DS-RL gilt auch für manuell hergestellte Dateien, die auch die Richtlinie als strukturierte Sammlung personenbezogener Daten definiert, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, gleichgültig ob diese Sammlung zentral, dezentralisiert oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten aufgeteilt geführt wird. Eine Struktur der Sammlung liegt vor, wenn sie - im Gegensatz zu einem Fließtext - eine äußere Ordnung aufweist, nach der die verschiedenen Arten von Daten in einer bestimmten räumlichen Verteilung auf dem oder den manuellen Datenträgern oder in einer bestimmten physikalischen oder logischen Struktur dargestellt sind. Darüber hinaus müssen die Daten nach bestimmten Kriterien zugänglich sein, d.h. es bestehen vereinfachte Möglichkeiten der inhaltlichen Erschließung, beispielsweise durch alphabetische oder chronologische Sortierung oder durch automatisierte Erschließungssysteme. Unter Datei sind daher Karteien und Listen, nicht aber Akten und Aktenkonvolute zu verstehen.