JudikaturJustiz17Os20/13i

17Os20/13i – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. November 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. November 2013 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ostojic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Ernst S***** wegen des Verbrechens der Bestechlichkeit nach § 304 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. Jänner 2013, GZ 123 Hv 11/12g 412, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Kralik zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Ernst S***** des Verbrechens der Bestechlichkeit nach § 304 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „am 11. November 2010 in Brüssel und am 3. Dezember 2010 in London als Mitglied des Europäischen Parlaments, sohin als Amtsträger, für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts einen Vorteil für sich oder einen Dritten gefordert, indem er am 11. November 2010 von Mitarbeitern der vermeintlichen Lobbyingagentur B***** ein an ihn zu entrichtendes Honorar in der Höhe von jährlich zumindest 100.000 Euro dafür verlangte, dass er auf die Gestaltung, die tatsächliche Einbringung und die Behandlung von Anträgen auf Abänderung der von der Europäischen Kommission dem Europäischen Parlament vorgelegten Gesetzesvorhaben in den mit der Erstellung der Berichte betrauten Ausschüssen, und somit auf den legislativen Prozess (Abstimmungsinhalte und -ergebnisse) im Europäischen Parlament, gezielt auf ausschließlich von den Auftraggebern vorgegebenen Inhalten und sachfremden Motiven beruhend Einfluss nimmt, um jeglichen Wünschen der Klienten der vermeintlichen Lobbyingagentur B***** in Bezug auf Gesetzesvorhaben zum Durchbruch zu verhelfen, und diese Forderung am 3. Dezember 2010 wiederholte, wobei er die Tat in Bezug auf einen 50.000 Euro übersteigenden Wert des Vorteils beging“.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

Die Kritik der Mängelrüge (Z 5 dritter und vierter Fall) an der Urteilsannahme, wonach sich die Forderung des Angeklagten auf zumindest 100.000 Euro, günstigstenfalls aber 400.000 Euro bezog (US 83), stellt die Wertqualifikation des § 304 Abs 2 zweiter Fall StGB nicht in Frage und betrifft daher keinen subsumtionsrelevanten Umstand.

Der Einwand widersprüchlicher Konstatierungen (Z 5 dritter Fall) dazu, dass sich der Angeklagte am 11. November 2010 und am 3. Dezember 2010 bereit erklärte, selbst (Ab-)Änderungsanträge im Europäischen Parlament einzubringen, er sich aber diesbezüglich (anlässlich eines danach am 1. Februar 2011 mit Jonathan C***** geführten Telefongesprächs) „ein wenig vorsichtiger gab“ (US 66), trifft schon wegen des unterschiedlichen zeitlichen Bezugspunkts der jeweiligen Feststellungen nicht zu.

Soweit der Beschwerdeführer den Gesprächen mit den als Lobbyistenvertreter getarnten englischen Journalisten nach Maßgabe eigener Beweiswerterwägungen einen anderen als den vom Erstgericht angenommenen Bedeutungsinhalt (US 60 f) beimisst, bekämpft er bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung. Wie der Vollständigkeit halber zu bemerken ist, ist die Wiedergabe des Gesprächsprotokolls im Urteil (US 10 bis 60) entgegen der Äußerung des Beschwerdeführers zur Stellungnahme der Generalprokuratur eine von der Konstatierung des Wortsinns zu unterscheidende Feststellung des Gesprächswortlauts. Von fehlender oder offenbar unzureichender Begründung oder Undeutlichkeit kann aber hier keine Rede sein (vgl Ratz , WK StPO § 381 Rz 437 f).

Der weiteren Beschwerdebehauptung (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter den Inhalt des oben erwähnten Telefongesprächs vom 1. Februar 2011 ohnedies berücksichtigt (US 66 zweiter und dritter Absatz). Dass der Schöffensenat daraus nur ein vorsichtigeres Auftreten anlässlich dieses Gesprächs ableitete, aber nicht davon ausging, dass der Angeklagte auch zu den davor liegenden Tatzeitpunkten seine mangelnde Bereitschaft zur Einbringung von Änderungsanträgen bekundet hätte, ist als Ergebnis freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Für die Vollendung des Tatbestands nach § 304 Abs 1 StGB spielt es keine Rolle, ob das Amtsgeschäft tatsächlich vorgenommen oder unterlassen wird. Vielmehr genügt es, dass der Täter den Vorteil für ein in der Zukunft liegendes Amtsgeschäft fordert, annimmt oder sich versprechen lässt (RIS-Justiz RS0096193, RS0096213; Hinterhofer/Rosbaud , BT II 5 § 304 Rz 2). Da es somit auch nicht auf die Art und Weise der tatsächlichen Ausführung des Amtsgeschäfts ankommt, betrifft die Kritik (Z 5 zweiter Fall, nominell auch Z 5a) an der Nichtberücksichtigung von Beweisergebnissen zum Modus der Interventionsversuche des Angeklagten beim Zeugen Karl-Heinz F***** keine entscheidenden Tatsachen.

Soweit die Beschwerde unter Hinweis auf eine missverstandene Urteilspassage (US 73: „Ehe man zur Würdigung der subjektiven Tatseite kommt“) meint, im Urteil seien keine Gründe (Z 5 vierter Fall) für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens angegeben, übergeht sie die Entscheidungsgründe in ihrer Gesamtheit ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 394; RIS-Justiz RS0119370), in denen das Erstgericht die im Wesentlichen das Tatmotiv betreffende Einlassung des Angeklagten, er habe den Vermögensvorteil zur Enttarnung illegaler nachrichtendienstlicher Aktivitäten bloß zum Schein gefordert, als unglaubwürdig verwarf (US 74 bis 79).

Die gerügten Urteilsannahmen zur Entschlossenheit des Angeklagten hinsichtlich der Umsetzung seiner mit den angeblichen Lobbyisten getroffenen Vereinbarung sowie zu Modalitäten der Vertragserrichtung und der Zahlungsabwicklung (US 62, 63, 65, 66) beziehen sich auf nach den jeweiligen Tathandlungen liegende Zeitpunkte und sind daher wie bereits dargelegt nicht entscheidend.

Ebenso wenig von Belang ist, ob der Angeklagte was das Rechtsmittel mehrfach bestreitet einen „wirksamen Vertrag“ mit den Journalisten abgeschlossen hat. Dazu kann auf die Ausführungen zur Rechtsrüge verwiesen werden.

Der Einwand fehlender Beweisergebnisse für die festgestellte „Honorarforderung“ des Angeklagten (US 60 f) übergeht die vom Erstgericht umfassend gewürdigten Gesprächsaufzeichnungen der englischen Journalisten.

Konstatierungen dahin, dass die in Rede stehenden Änderungsanträge „inhaltlich sachwidrig“ gewesen wären, enthält das Urteil nicht, sodass die solches behauptende Rechtsmittelargumentation (Z 5 vierter Fall) keiner Erwiderung zugänglich ist. Denn die Beschwerde übersieht, dass die kritisierten Urteilsannahmen die auf unsachlichen finanziellen Motiven beruhende Einstellung des Angeklagten betreffen (US 62, 71, 76, 79).

Erneut einen unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung des Schöffensenats unternimmt der Beschwerdeführer, soweit er nach Maßgabe eigener Beweiswerterwägungen aus einzelnen Äußerungen des Angeklagten gegenüber den getarnten Journalisten das Fordern eines Vermögensvorteils bestreitet.

Die Kritik (Z 5 zweiter Fall; nominell auch Z 10) an unterbliebener Auseinandersetzung mit angeblichen Beweisergebnissen, wonach ein Teil des im Ausmaß von 100.000 Euro geforderten „Honorars“ auch für rechtmäßige Beratungsleistungen bestimmt war, schlägt schon deshalb fehl, weil der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet, dass bei Abzug dieser Leistungen vom strafrechtlich relevanten Vorteil (§ 304 Abs 1 StGB) die Wertgrenze nach § 304 Abs 2 zweiter Fall StGB berührt wird.

Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) nach Art einer Aufklärungsrüge kritisiert, das Erstgericht habe die ihm zugänglichen Beweismittel unvollständig ausgeschöpft, unterlässt sie die gebotene Darlegung, wodurch der Beschwerdeführer an entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen wäre ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 477 ff; RIS-Justiz RS0115823).

Mit bloßer Wiederholung der Argumentation der Mängelrüge zum Abzug eines Honorarteils für rechtmäßige Beratungsleistungen und zum „tatsächlichen Verhalten“ des Angeklagten nach den jeweiligen Tatzeitpunkten werden aus Z 5a keine entscheidenden Tatsachen angesprochen.

Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) geht fehl.

Dass die Gesprächspartner des Angeklagten den den Feststellungen der Tatrichter zufolge versprochenen Geldbetrag auch tatsächlich zu zahlen bereit gewesen wären, wird von § 304 Abs 1 StGB nicht verlangt (vgl Bertel in WK StGB 2 § 304 Rz 8). Ebenso wenig setzt § 304 Abs 1 StGB voraus, dass das Fordern, Annehmen oder Sich-versprechen-lassen sich auf die Leistung aufgrund einer gültig zustande gekommenen Vertragspflicht bezieht.

Für Art 246 des belgischen Code Pénal gilt nichts anderes, sodass auch der Rekurs auf den angeblichen Mangel einer Strafdrohung am Tatort für derartiges Fordern oder Sich-versprechen-lassen versagt (§ 65 Abs 1 StGB) und die aus Z 5 zweiter Fall in diesem Zusammenhang gerügte Auseinandersetzung mit den Angaben der Zeugin N*****, wonach zu keinem Zeitpunkt gedacht war, das geforderte Honorar dem Angeklagten zukommen zu lassen, eine entscheidende Tatsache nicht betrifft.

„Gesetzgebung“ und Vorgänge, die „zur Gesetzwerdung“ führen (vgl Art 289 AEUV), sind der Kern der in den Kompetenzbereich eines Abgeordneten fallenden „Amtsgeschäfte“. Der Begriff ist nach ständiger Rechtsprechung mitnichten auf den Abstimmungsvorgang beschränkt, sondern erfasst auch Verrichtungen tatsächlicher Art, soweit sie zum Aufgabenbereich des Amtsträgers gehören und demnach von ihm nur vermöge seines Amtes vorgenommen werden können (vgl SSt 49/32 [verst Senat]; RIS-Justiz RS0095963, RS0096888; vgl weiters Hinterhofer/Rosbaud , BT II 5 § 304 Rz 24; vgl auch Schönke/Schröder/Heine StGB 28 § 331 Rz 8 mwN).

Die einem Abgeordneten von der Rechtsordnung zugewiesene Möglichkeit der Beeinflussung von Akten des Vertretungskörpers übt er einerseits durch Wahrnehmung formal eingeräumter Befugnisse (Stimmrecht, Initiativrecht, Einsichtsrecht [Art 3, 5 und 6 des Abgeordnetenstatuts]), andererseits durch faktische Verrichtungen (Verhandlungen, persönliche Gespräche mit anderen Abgeordneten und dergleichen) aus. Eine derartige systemimmanente Einflussnahme unterscheidet sich durch ihre unmittelbare Bezogenheit auf die von der Rechtsordnung vorgesehenen Aufgaben und Befugnisse eines Abgeordneten wesensmäßig von der jeder Person (Bürger, Lobbyisten) offen stehenden Möglichkeit, von Außen auf das Zustandekommen eines Aktes des allgemeinen Vertretungskörpers einzuwirken. Demnach kann auch eine faktische (informelle) Einflussnahme von Abgeordneten auf andere Abgeordnete, sei es auch außerhalb durch Ausschüsse geschaffener Zuständigkeitsgrenzen (zur Irrelevanz interner Geschäftsverteilungen vgl im Übrigen Schönke/Schröder/Heine StGB 28 § 331 Rz 9 mwN), ein Amtsgeschäft darstellen. Vielfach werden unter Ausschluss Dritter geführte Beratungen sogar durch Vorschriften über ein Amtsgeheimnis strafrechtlich geschützt. Anstöße aus den Reihen von Mitgliedern des Kollegialorgans können unter dem Aspekt von Sachlichkeit von anderen Mitgliedern des Kollegialorgans entscheidend besser beurteilt werden als Anregungen „von Außen“, denen sich manche Kollegialorgane von vornherein nur auf durch Verfahrensgesetze strukturierte Weise öffnen dürfen. Auch dort, wo keine solchen Vorschriften bestehen, verdient das systemische Zusammenwirken von Mitgliedern eines Kollegialorgans gegenüber Einflüssen von Außen auf die Meinungsbildung besonderen Schutz (vgl auch Schönke/Schröder/Heine StGB 28 § 331 Rz 9).

Soweit der Beschwerdeführer von § 74 Abs 1 Z 4a lit a StGB idF BGBl I 2009/98 für Mitglieder eines inländischen verfassungsmäßigen Vertretungskörpers vorgesehene Einschränkungen für sich reklamiert, genügt der Hinweis, dass ihm keine Tathandlung in einer solchen Eigenschaft, vielmehr als Mitglied des Europäischen Parlaments angelastet wird.

Entgegen seiner Auffassung wird schließlich ein Amtsgeschäft pflichtwidrig vorgenommen oder unterlassen, wenn der Täter dem Vorteil, den er fordert, annimmt oder sich versprechen lässt, einen Einfluss auf dessen Erledigung einräumt (SSt 56/19 uva, RIS-Justiz RS0096009, RS0096130; vgl auch EBRV 24. GP 671/A, 14; ausdrücklich wie hier auch Bertel in WK 2 StGB § 304 Rz 14). Die von Bertel (aaO) bejahte Frage, ob die Einhaltung eines Ermessensspielraums Pflichtwidrigkeit ausschließt (außer der Amtsträger räumt „einem persönlichen Vorteil Einfluss auf seine Entscheidung“ ein), stellt sich schon deshalb nicht, weil das vom Angeklagten angesprochene Ermessen einen Spielraum meint, den der Gesetzgeber Organwaltern der Vollziehung gewährt, wogegen den Bezugspunkt des angefochtenen Strafurteils Amtsgeschäfte eines Organwalters der Gesetzgebung bilden. Davon abgesehen hat der Angeklagte nach Maßgabe der erfolglos in Frage gestellten Feststellungen des Schöffengerichts gar wohl „einem persönlichen Vorteil Einfluss auf seine Entscheidung“ eingeräumt, worin Bertel ohnehin zutreffend Pflichtwidrigkeit erblickt.

Schließlich macht die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) nicht deutlich, welche Präventionsüberlegungen das Erstgericht „offenbar unrichtig und willkürlich“ bei der Strafbemessung in Anschlag gebracht hat.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Aus deren Anlass hat sich der Oberste Gerichtshof aber von einer dem Angeklagten nachteiligen, jedoch nicht geltend gemachten Nichtigkeit überzeugt. Ein derartiger Rechtsfehler ist von Amts wegen wahrzunehmen und führt nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Ausgehend von den ohne Erfolg in Frage gestellten Feststellungen hat Dr. S***** in tatbestandlicher Handlungseinheit am 11. November und am 3. Dezember 2010 zu erkennen gegeben, dass er um jährlich 100.000 Euro bereit ist, den Gesetzgebungsprozess im Sinn seiner Vertragspartner unter anderem „durch die Einbringung von Abänderungsanträgen zu Richtlinien“ zu beeinflussen (vgl US 60 f, 64, 71, 75, 80 f), also als Gegenleistung für eine derartige Einflussnahme einen Vorteil in dieser Höhe gefordert.

Zwar sprechen die Entscheidungsgründe davon, dass am 3. Dezember 2010 auch eine ganz bestimmte Richtlinie „zur Sprache gebracht“ wurde. Dass das Schöffengericht die Forderung des von den Tatrichtern bejahten Vorteils (zumindest auch) als Gegenleistung für pflichtwidriges Handeln bezogen auf diese Richtlinie bejaht hat, lässt sich den Entscheidungsgründen jedoch nicht entnehmen.

Den Feststellungswillen der Tatrichter auch darauf zu beziehen, hieße, diesen nicht bloß aufzufinden, sondern umzudeuten. Auch das Erkenntnis des Schöffengerichts erwähnt (nicht anders als der Anklagetenor) als Bezugspunkt der Forderung bloß die Gesetzgebung als Ganzes, nicht auch bestimmte oder auch bloß bestimmbare Teile davon, mithin einzelne Amtsgeschäfte, wie die angesprochene Richtlinie (zu deren Änderung der Angeklagte nach dem 3. Dezember 2010 mehrere konkrete Schritte gesetzt hat; US 63 ff). Und das, obwohl § 260 Abs 1 Z 1 StPO (bei sonstiger Nichtigkeit; § 281 Abs 1 Z 3 StPO) die Anführung sämtlicher entscheidender Tatsachen, also all jener Tatumstände verlangt, deren Vorliegen die Subsumtion unter den Tatbestand erfordert.

„Gegenleistung für ein Amtsgeschäft kann“, wie Bertel (WK 2 StGB § 304 Rz 11; vgl auch Kirchbacher aaO § 168c aF Rz 21) ebenso eingehend wie zutreffend betont, „ein Vorteil nur sein, wenn das Amtsgeschäft oder die Amtsgeschäfte, auf die er sich bezieht, bestimmt oder wenigstens bestimmbar sind“. Dazu bedarf es eines konkreten Lebensbezugs bereits im Zeitpunkt des Forderns, nicht bloß wie hier von Kompetenzkategorien (vgl RIS-Justiz RS0096009; RS0096152). Sonst bezieht sich der Vorteil bloß auf „die Amtstätigkeit“ (vgl §§ 306, 307b StGB idF BGBl I 2012/61) und erfüllt den Tatbestand des § 304 Abs 1 StGB nicht.

Das Dr. S***** vom Schöffengericht angelastete Verhalten begründet zwar den (mangels jeglicher in der Hauptverhandlung vorgekommener Indizien für den als Ausnahme angelegten Mangel an Ungebührlichkeit) Tatbestand des Verbrechens der Vorteilsannahme zur Beeinflussung nach § 306 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB (idF BGBl I 2012/61), der jedoch im Tatzeitpunkt noch nicht in Geltung stand und nach §§ 1 Abs 1, 61 StGB außer Betracht zu bleiben hat. Der von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeitsgrund ist daher jener nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO.

Er führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen Bestechlichkeit nach § 304 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB sowie des darauf beruhenden Strafausspruchs samt Kostenentscheidung (§ 288 Abs 2 StPO).

Mitglieder des Europäischen Parlaments sind wie zur Klarstellung angemerkt sei auch „Gemeinschaftsbeamte“ im Sinn des § 74 Abs 1 Z 4b StGB. Diese Begriffsbestimmung spielt aber für die Einordnung als Tatsubjekt der §§ 304 bis 307b StGB mangels Erwähnung in diesen Strafvorschriften keine Rolle mehr. Die Beibehaltung des durch das StRÄG 2008 um die Definition des Europäischen Abgeordneten angereicherten § 74 Abs 1 Z 4b StGB erfolgte bloß wegen der damals ausdrücklich nur infolge der (nicht auf sämtliche Amtsträger, jedoch auch) auf Gemeinschaftsbeamte abstellenden Strafvorschriften der §§ 304 Abs 2 und 307 Abs 2 StGB idF StRÄG 2008 (BGBl I 2007/109; vgl EBRV 285 BlgNR 23. GP, 6; aufgehoben durch das KorrStrÄG 2009, BGBl I 2009/98). In Relation zum denkbar weiten Begriff des Amtsträgers (EBRV 285 BlgNR 23. GP, 6) sollte daher jener des Gemeinschaftsbeamten nur eine Teilmenge umfassen (BMJ JMZ 318025L/14/II1/2008, 1).

Eine Entscheidung in der Sache (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Fall StPO) ist dem Obersten Gerichtshof allerdings verwehrt. Sie ist ihm nur gestattet, wenn er „im Urteil und dessen Entscheidungsgründen“ all jene Tatsachen festgestellt „findet“, „die bei richtiger Anwendung des Gesetzes dem Erkenntnisse zugrunde zu legen wären“.

Wenngleich pflichtwidriges Handeln bezogen auf die erwähnte Richtlinie zweifellos vom Anklagewillen (in seiner Gesamtheit) erfasst ist und so zum Prozessgegenstand gehört, kann nicht gesagt werden, dass die Tatrichter es bewusst bloß illustrativ erwähnt, also eine Negativfeststellung des Inhalts getroffen haben, eine Einflussnahme auf das Zustandekommen dieser Richtlinie sei gerade nicht Gegenleistung für die Forderung eines bewertbaren Vorteils gewesen. Denn auch insoweit kommt bloß das Auffinden eines in den Entscheidungsgründen für den Obersten Gerichtshof klar zum Ausdruck kommenden Entscheidungswillens in Betracht.

Der Bezugspunkt der Berufung des Angeklagten ist durch die Behebung des Strafausspruchs weggefallen.

Im zweiten Rechtsgang wird schon angesichts der (aus heutiger Sicht) geringen Anzahl relevanter Beweismittel dem Grundrecht auf Verfahrensabschluss binnen angemessener Frist (Art 6 Abs 1 MRK; § 9 Abs 1 StPO) besonderes Augenmerk zukommen müssen.

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