JudikaturJustiz15Os52/07x

15Os52/07x – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Oktober 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Ernst G***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 31. August 2006, GZ 123 Hv 75/06k-47, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Ainedter, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen. Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wird der Angeklagte ebenso auf diese Entscheidung verwiesen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Ernst G*****, abweichend von der wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB erhobenen Anklage, des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er am 10. März 2006 in Wien als mit der Leitung der provisorisch eingerichteten kriminalpolizeilichen Abteilung bei der Bundespolizeidirektion Wien betrauter Beamter ein ihm ausschließlich auf Grund seines Amtes anvertrautes Geheimnis, dessen Offenbarung geeignet ist, ein öffentliches Interesse, nämlich jenes des Staates auf Kontrolle der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen, Überprüfung von „Rotlichtlokalen" sowie auf Ergreifung entsprechender fremdenrechtlicher oder verwaltungsstrafrechtlicher Maßnahmen zu verletzen, dadurch Wolfgang B***** offenbart, dass er diesem anlässlich eines Treffens im Cafe S***** über eine für den gleichen Tag in seinem Betrieb G***** geplante Razzia unterrichtete. Dieses Urteil bekämpfen der Angeklagte aus Z 3, 5 und 5a sowie die Staatsanwaltschaft aus Z 10 des § 281 Abs 1 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerden.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist im Recht. Nach den wesentlichen Urteilskonstatierungen hat der Angeklagte Dr. G***** am 10. März 2006 in Wien als mit der Leitung der provisorisch eingerichteten kriminalpolizeilichen Abteilung bei der Bundespolizeidirektion Wien betrauter Beamter Wolfgang B***** anlässlich eines Treffens im Cafe S***** von der an diesem Tag geplanten Lokalkontrolle in dessen Betrieb G***** in Kenntnis gesetzt, wobei der Angeklagte insbesondere den Umstand der Lokalkontrolle als auch deren Zeit und Ort unmissverständlich bekannt gab (US 1 iVm 5). Bei Erteilung der Information an Wolfgang B***** wusste der Angeklagte, dass er diese selbst ausschließlich auf Grund seines Amtes erhalten hatte und sie all jenen Personen gegenüber geheim zu halten war, die nicht mit der Durchführung der geplanten Maßnahme betraut bzw zu betrauen waren, insbesondere gegenüber den von der Kontrolle Betroffenen. Ihm war dabei auch bewusst, dass die vorweg erfolgende Bekanntgabe einer geplanten Lokalkontrolle an davon Betroffene den Zweck dieser Maßnahme, nämlich die Erzwingung der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen sowie jener betreffend die Führung von sogenannten „Rotlichtlokalen" durch Ergreifung entsprechender fremdenrechtlicher oder verwaltungsstrafrechtlicher Maßnahmen, unterläuft, weil sich diese Personen dann darauf einstellen und jegliche zu beanstandende Einrichtung, Tätigkeit oder jegliches solches Verhalten für diesen Zeitraum einstellen und/oder unterlassen sowie darauf hinweisende bzw solche offenbarende Spuren rechtzeitig beseitigen können (US 7 f).

Weiters sprach der Schöffensenat aus, keine Feststellungen dahin treffen zu können, dass der Angeklagte bei Erteilung der Information über die Lokalkontrolle an Wolfgang B***** mit dem (bedingten) Vorsatz, eine solche in einem der Betriebe des Wolfgang B***** könnte Anlass zu einer Beanstandung geben, handelte. Der Angeklagte ging vielmehr davon aus, dass sich Wolfgang B***** bei Führung seiner Betriebe an die geltenden Gesetze halte (US 8).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) der Staatsanwaltschaft wendet sich gegen die Rechtsansicht des Erstgerichtes, wonach die anklagekonforme (ON 24) rechtliche Einordnung der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Tathandlung als Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB deshalb nicht in Betracht komme, weil „kein Eventualvorsatz auf Beeinträchtigung eines über das Interesse an der Geheimhaltung hinausgehenden Rechtes festgestellt werden konnte" (US 12).

Die Anklagebehörde zeigt zutreffend auf, dass die Tatrichter bei Prüfung der Frage, ob der Angeklagte auch mit dem (erweiterten) Vorsatz handelte, „einen anderen an seinen Rechten zu schädigen", den Begriff des Schadens iSd § 302 Abs 1 StGB einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung unterzogen haben.

Dieser muss sich auf ein konkretes Recht eines anderen beziehen, wobei auch der Rechtsträger selbst als Geschädigter in Betracht kommt. Dabei ist unter Schädigung eines konkreten öffentlichen Rechtes (auch) die Vereitelung einer bestimmten in der Rechtsordnung festgelegten staatlichen Maßnahme zu verstehen, wenn damit der bestimmte Zweck beeinträchtigt werden soll, den der Staat mit der Erlassung der dieser Maßnahme zu Grunde liegenden Vorschrift erreichen will (Mayerhofer StGB5 § 302 E 43 f; Fabrizy StGB9 § 302 Rz 14).

Der staatliche Anspruch auf Vornahme effizienter und unbeeinflusster Kontrollen insbesondere nach dem FPG und auf Überprüfung von „Rotlichtlokalen" (so zB in Richtung der Straftatbestände des Zuführens zur Prostitution, der Zuhälterei und des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels [§§ 215, 216 f StGB]) sowie auf Ergreifung entsprechender fremdenrechtlicher oder (verwaltungs- und/oder justiz-)strafrechtlicher Maßnahmen durch die Polizei entspricht - unzweifelhaft - den Kriterien eines derartigen konkreten Rechts, wird doch durch die Bekanntgabe einer unmittelbar bevorstehenden Kontrolle der Zweck der Maßnahme völlig vereitelt (12 Os 116/88; 13 Os 16/02; 11 Os 96/05k; RIS-Justiz RS0096141). Im vorliegenden Fall stellte sogar das Erstgericht selbst fest, dass „die vorweg erfolgte Bekanntgabe einer geplanten Lokalkontrolle an davon Betroffene den Zweck dieser Maßnahme ... unterläuft, ..." (US 7).

Die im Zuge von Kontrollen von sogenannten „Rotlichtlokalen" durch die Polizei allenfalls aufgedeckten Verstöße gegen Bestimmungen (insbesondere) des FPG und des StGB ziehen zwar regelmäßig (verwaltungs- und justiz-)strafbehördliche Untersuchungen nach sich, jedoch verfolgen diese Kontrollmaßnahmen - neben dem Bereich des Sanktionswesen - auch den Zweck der Prävention. Durch Warnung vor einer solchen Kontrolle wird eine unbeeinflusste und somit allein Sinn machende Überprüfung der Einhaltung der Normen der angeführten Gesetze per se vereitelt, woraus erhellt, dass die Frage, ob die - pflichtgemäße - Nichtbekanntgabe der bevorstehenden Kontrolle durch den Angeklagten an Wolfgang B***** ein anderes (Kontroll )Ergebnis gebracht hätte, von vornherein auf sich beruhen kann (12 Os 116/88). Demgemäß ist auch der vom Erstgericht konstatierte Umstand, dass Dr. G***** bei der in Rede stehenden Informationsweitergabe an Wolfgang B***** davon ausging, Letztgenannter halte sich bei Führung seiner Betriebe an die geltenden Gesetze, der Angeklagte somit nicht annahm, dass eine Kontrolle in einem der Betriebe des Wolfgang B***** Anlass zu einer Beanstandung geben könnte (US 8), nicht von Relevanz (SSt 57/85; RIS-Justiz RS0096766).

Die Staatsanwaltschaft weist zutreffend darauf hin, dass das Erstgericht - aufgrund unrichtiger Rechtsansicht zu den Voraussetzungen der Schädigungseignung - keine hinreichenden Feststellungen zum wissentlichen Missbrauch der Befugnis (in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen) und zum (erweiterten) Vorsatz, durch die Bekanntgabe der bevorstehenden Lokalkontrolle an Wolfgang B***** den Staat in seinen (Kontroll- und Überwachungs )Rechten zu schädigen, getroffen hat. Solche Konstatierungen waren jedoch insbesondere schon aufgrund der Verantwortung des Angeklagten, die Fachaufsicht über den Wachkörper ausgeübt zu haben und zur Einflussnahme auf die Durchführung von Lokalkontrollen grundsätzlich berechtigt gewesen zu sein, sowie angesichts der Einschätzung der Tatrichter indiziert, dem Angeklagten sei anlässlich der Erteilung der Information an Wolfgang B***** auch bewusst gewesen, dass die vorweg erfolgende Bekanntgabe einer geplanten Lokalkontrolle an davon Betroffene den Zweck dieser Maßnahme unterläuft (US 7) und damit staatliche Kontroll- und Überwachungsrechte beeinträchtigt.

Außerdem lagen Verfahrensergebnisse dafür vor, dass dem Angeklagten aufgrund eines ihm zugegangenen E-Mails sogar der Grund der bevorstehenden Kontrolle, nämlich ein „evidenter" Verdacht, dass rumänische und bulgarische Prostituierte unter Verwendung ge- oder verfälschter Weise Pässe in diversen Bordellbetrieben illegal arbeiteten (S 433/II), bekannt gewesen sein musste. Der von der Staatsanwaltschaft aufgezeigte - auf einer unrichtigen Rechtsansicht des Erstgerichtes beruhende - Feststellungsmangel hindert die abschließende rechtliche Beurteilung, was die Kassation des angefochtenen Urteils erfordert.

In Stattgebung der Nichtigkeitbeschwerde der Staatsanwaltschaft war das angefochtene Urteil daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung der Verteidigung, ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen der Anklagebehörde und auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten einzugehen war, zur Gänze aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

Der Angeklagte war mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung ebenso wie die Anklagebehörde mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht zu berücksichtigen haben, dass unter den Begriff der Amtsgeschäfte iSd § 302 Abs 1 StGB nicht nur Rechtshandlungen, sondern auch Verrichtungen tatsächlicher Art, die einem Hoheitsakt qualitativ annähernd gleichwertig sind, fallen (SSt 59/68 = JBl 1989, 260, EvBl 1990/5 = RZ 1990/35; 11 Os 113/98 und die dort zitierten Entscheidungen). Ein Beamter, der ungeachtet seiner Amtspflichten den Geschäftsführer eines Nachtclubs über eine bevorstehende (in seinen Verantwortungsbereich fallende) der Einhaltung fremdenrechtlicher, aber auch verwaltungs- und justizstrafrechtlicher Bestimmungen dienende Kontrolle informiert, setzt damit eine einem Hoheitsakt gleichwertige Handlung, weil auf diese Weise der Zweck der Maßnahme völlig vereitelt wird (13 Os 16/02 mwN).

Rechtssätze
10
  • RS0096016OGH Rechtssatz

    16. Oktober 2008·3 Entscheidungen

    Ausgehend davon, dass § 302 StGB als Täter einen "Beamten" nennt, der die Befugnis hat, "Amtsgeschäfte" vorzunehmen, ist auf § 74 Z 4 StGB zurückzugreifen. Darnach ist Beamter, wer bestellt ist, im Namen der im § 74 Z 4 StGB aufgezählten Gebietskörperschaften und anderen Körperschaften entweder "Rechtshandlungen" oder sonstige "Aufgaben der Bundesverwaltung, Landesverwaltung oder Gemeindeverwaltung" auszuführen. Bezogen auf § 302 StGB ergibt sich daraus, dass die dort angeführten "Amtsgeschäfte" (eines "Beamten") den Oberbegriff für "Rechtshandlungen" und für sonstige "Aufgaben der Bundesverwaltung, Landesverwaltung oder Gemeindeverwaltung" bilden. Sowohl aus der - im Konnex der §§ 74 Z 4 und 302 StGB hergestellten - Zusammenfassung unter einem Oberbegriff als auch aus der Gleichordnung in der Zitierweise des § 74 Z 4 StGB als auch aus der Notwendigkeit, einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, folgt, dass die sonstigen Aufgaben der Bundesverwaltung, Landesverwaltung oder Gemeindeverwaltung den Rechtshandlungen wenigstens einigermaßen gleichwertig sein müssen (vgl im Ansatz JBl 1989,260). Mit dieser Gleichwertigkeitsthese verzichtet der OGH auf den in der Auslegung des § 302 StGB bisher vielfach verwendeten, verschwommenen Ausdruck "Organhandeln", der nicht als Begriff angesprochen werden kann, weil er sich einer exakten Definition stets entzogen hat. Desgleichen kann auf den infolge seiner terminologischen Überfrachtung letztlich unergiebigen Definitionsversuch des "Amtsgeschäftes" (ÖJZ-LSK 1978/236 ua) verzichtet werden.