JudikaturJustiz15Os112/20i

15Os112/20i – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Dezember 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen H***** T***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 19. Juni 2020, GZ 18 Hv 28/20f 219, sowie über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Vorsitzenden auf Abweisung seines Protokollberichtigungsantrags nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde H***** T***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (I./1./), des Vergehens des Schwangerschaftsabbruchs ohne Einwilligung der Schwangeren nach § 98 Abs 1 erster Fall StGB (I./2./) und mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ am 17. August 2019 in N*****

1./ J***** H***** vorsätzlich getötet, indem er mit stumpfer Gewalt gegen ihren Schädel einwirkte, massiven Druck von vorne gegen ihren oberen Brustkorb und Schädel ausübte, durch Zuhalten von Mund und Nase ihre Atemwege verschloss und sie anschließend in eine mit Wasser gefüllte Badewanne legte;

2./ durch die zu 1./ beschriebene Tat ohne Einwilligung der Schwangeren deren Schwangerschaft abgebrochen;

II./ in E***** und andernorts spätestens ab Frühjahr 2019 bis Mitte August 2019 B***** Ha***** wiederholt gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr durch im Urteil näher wiedergegebene verbale und schriftliche Äußerungen ankündigte, sie und ihren Ehemann umzubringen.

Die Geschworenen haben die an sie gerichteten anklagekonformen Hauptfragen bejaht, Eventual oder Zusatzfragen wurden nicht gestellt.

Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil rechtzeitig Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe angemeldet (ON 218 S 22). Nach Zustellung der Urteilsausfertigung beantragte der Angeklagte am 30. Juli 2020 die Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung (ON 231), führte (am 31. Juli 2020) die Nichtigkeitsbeschwerde aus (ON 232) und erklärte ausdrücklich, die gegen den Ausspruch über die Strafe gerichtete Berufung zurückzuziehen (ON 232 S 40).

Mit Beschluss vom 21. August 2020 (ON 233) wies der Vorsitzende des Schwurgerichts den Antrag des Angeklagten auf Protokollberichtigung ab, berichtigte jedoch von Amts wegen das über die Hauptverhandlung am 19. Juni 2020 aufgenommene Protokoll. Der genannte Beschluss wurde der Verteidigerin unter neuerlicher Zustellung der Urteilsausfertigung (§ 271 Abs 7 letzter Satz StPO) zugestellt (ON 233 Anhang).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitig am 9. September 2020 erhobene Beschwerde des Angeklagten (ON 237), in welcher dieser auch erklärte, auf neuerliche Ausführung des gegen das Urteil erhobene Rechtsmittels nicht zu verzichten (ON 237 S 4). Eine neue Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde langte bis zum Ende der durch die Neuzustellung der Urteilsausfertigung ausgelösten Frist nicht ein.

Eine nach Urteilsverkündung, jedoch vor neu ausgelöster Frist erstattete Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde bleibt (auch ohne dahingehende Erklärung des Nichtigkeitswerbers) wirksam, wenn innerhalb der genannten Frist keine neue Ausführung einlangt, wenn der Nichtigkeitswerber erklärt, die bisherige Ausführung aufrecht zu erhalten oder wenn er auf diese verweist (RIS Justiz RS0100035 [T4], RS0126175, RS0126527). Da die Nichtigkeitsbeschwerde innerhalb der neu ausgelösten Frist nicht (neuerlich) ausgeführt wurde, behält die frühere (somit weiterhin einzige) Ausführung Wirksamkeit. Denn die Bekanntgabe der Verteidigerin, auf das Recht auf neuerliche Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu verzichten, kann – entgegen der Ansicht der Generalprokuratur – nicht als eindeutige und unmissverständliche Erklärung aufgefasst werden, dass die bereits vor Fristbeginn überreichte Ausführung der Beschwerdegründe (ON 232) nicht als wirksam zu erachten sei.

Weshalb – wie von der Verteidigung in der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur angeregt – dem Erstgericht aufgetragen werden sollte, das Urteil nunmehr nochmals (zur neuerlichen Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde) zuzustellen, bleibt unerfindlich (vgl § 271 Abs 7 letzter Satz StPO; 15 Os 131/17d, 15 Os 132/17a; Danek , WK-StPO § 271 Rz 54 f).

Die Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel :

Die Besetzungsrüge (Z 1) behauptet eine – bereits vor der Hauptverhandlung geltend gemachte (siehe ON 193) – Ausgeschlossenheit des Vorsitzenden des Schwurgerichts, weil dieser in seiner Eigenschaft als Mediensprecher des Erstgerichts Äußerungen über die Strafsache getätigt habe. Sie bringt damit jedoch weder Vorbefasstheit iSd § 43 Abs 1 Z 1 StPO noch sonstige Gründe vor, die geeignet wären, dessen volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen (vgl dazu RIS Justiz RS0112903 [T3]; Lässig , WK StPO § 43 Rz 15). Insbesondere behauptet sie nicht, dass sich der Vorsitzende in seiner Eigenschaft als Mediensprecher eine Meinung gebildet hätte, von der abzugehen er – auch angesichts allfälliger gegenteiliger Verfahrensergebnisse – nicht gewillt gewesen wäre (RIS Justiz RS0112903).

Der Geltendmachung der behaupteten Verletzung des § 245 StPO mit Verfahrensrüge (Z 5) ist schon mangels einer darauf abzielenden Antragstellung durch den Angeklagten oder einen seiner Verteidiger in der Hauptverhandlung die Grundlage entzogen (RIS Justiz RS0098061; Kirchbacher/Sadoghi , WK StPO § 245 Rz 73). Weshalb eine dahingehende Antragstellung Anlass zur Befürchtung der Verhängung in § 236 StPO genannter Sanktionen geben sollte, erklärt die Beschwerde nicht (vgl Danek/Mann , WK StPO § 236 Rz 4 f). Im Übrigen bleibt in diesem Zusammenhang unklar, inwiefern der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung umfassend zu den Vorwürfen Stellung nahm und von der Verteidigung befragt werden konnte (ON 215 S 4 ff), in seinen Verteidigungsrechten verletzt sein sollte (§ 281 Abs 3 StPO).

Entgegen der weiteren Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung von in der Hauptverhandlung vom 19. Juni 2020 gestellten Beweisanträgen keine Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers verletzt:

Der zum Beweis dafür, dass die Angaben der Zeugin B***** Ha***** zu ihrer Schwangerschaft im Jahr 2019 „nicht den Tatsachen entsprechen“ können, gestellte Antrag auf „Beiziehung eines gynäkologischen Gutachtens“ (ON 218 S 12) legte – unter dem Aspekt einer grundsätzlich zulässigen (vgl dazu RIS-Justiz RS0028345 , RS0098429 ) Beweisführung zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Genannten – keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme dar, diese Zeugin hätte in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt (RIS Justiz RS0120109 [T3]) und verfiel damit zu Recht der Abweisung.

Die Frage, ob die auf dem T Shirt des Angeklagten (neben seinen eigenen und jenen des Opfers) nachweisbaren Signale einer unbekannten Person (ON 218 S 9 iVm ON 47 S 24 f und ON 67 S 7) seiner Ehefrau oder seiner Mutter zuzuordnen sind, betrifft keinen erheblichen Umstand (vgl RIS Justiz RS0116987), weshalb der darauf abzielende Antrag auf „Einholung eines DNA Abgleiches“ (ON 218 S 13) abgewiesen werden durfte. Soweit der Beschwerdeführer dazu ergänzend auf seinen „schriftlichen Beweisantrag vom 4. 7. 2000“ (ersichtlich gemeint: ON 201) verweist, ist dort enthaltenes Vorbringen unbeachtlich (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 310 f).

Gleiches gilt für den „zum Beweis dafür, dass der Zeuge W***** nicht wie von [ihm] angegeben 14 Tage nach der Inhaftierung des Angeklagten mit diesem gesprochen hat und der Angeklagte die vom Zeugen W***** behaupteten Äußerungen tätigte“, gestellten Antrag auf Vernehmung des Zeugen S***** Has***** (ON 218 S 13), der im Übrigen auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet war (vgl RIS Justiz RS0107398).

Der Antrag auf „Beischaffung einer Auskunft von Hutchison 3 hinsichtlich jener Sender und Subsender, die in den Bereich der Kirche von K***** strahlen, dies zum Beweis dafür, dass der Angeklagte wie von ihm angegeben dort war bzw. sich in dieser Gegend aufhielt“ (ON 218 S 13), zielte auf Basis der Ausführungen des Sachverständigen DI Dr. Hase***** (ON 218 S 10 und 15 iVm ON 99 und 122) ebenso auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis wie jener auf „Vorlage der Elektropherogramme jener Auswertungen der Gerichtsmedizin Innsbruck betreffend die Spuren“ der J***** H***** auf dem bereits oben genannten T Shirt des Beschwerdeführers „zum Beweis dafür, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der diese Spuren [...] dem Opfer [...] zugeordnet werden kann, derart niedrig ist, dass von einer Relevanz in einem Gerichtsverfahren nicht ausgegangen werden kann“ (ON 218 S 14), und jener auf Beischaffung des Zellenbelegungsnachweises und Ladung eines informierten Vertreters der Justizanstalt Klagenfurt zum Beweis dafür, dass die „Hofzeiten“ des Angeklagten und jene des Zeugen W***** – der im Übrigen zu diesem Thema in der Hauptverhandlung hätte befragt werden können (vgl ON 215 S 26 f) – „unterschiedlich“ waren (ON 218 S 16).

Das im Rechtsmittel zur ergänzenden Fundierung der Antragstellung erstattete weitere – im Übrigen weitgehend bloß beweiswürdigende – Vorbringen ist prozessual verspätet und damit unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618 ).

Die Fragenrüge (Z 6) ist nicht an der Verfahrensordnung orientiert. Denn nach § 312 StPO sind die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung in die (Haupt )Frage nur dergestalt aufzunehmen, dass einerseits die Individualisierung der dem Täter angelasteten Tat(en) – zum Zwecke der Ausschaltung der Gefahr der neuerlichen Verfolgung und Verurteilung wegen derselben Tat – und andererseits deren Konkretisierung – durch Aufnahme der den einzelnen Deliktsmerkmalen entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten, die die rechtliche Überprüfung des Wahrspruchs durch den Schwurgerichtshof gleichwie durch den Obersten Gerichtshof ermöglichen (RIS Justiz RS0100780, RS0119082; Lässig , WK StPO § 312 Rz 18 ff) – sichergestellt ist. Weshalb es – über die konkrete, jeweils sämtliche gesetzlichen Merkmale enthalte nde Fragestellung hinaus – der Aufnahme der genauen „Art der Einwirkung auf das Opfer“ und Ausführungen darüber, „was genau die Verletzungsfolgen waren, die auf die Einwirkung folgten und welche Verletzungen aufgrund welcher Umstände zum Tod“ des Opfers führten, in der Hauptfrage 1./ sowie einer näheren Konkretisierung hinsichtlich „Tatzeit, Tatort und Tathandlung“ in der Hauptfrage 3./ bedurft hätte, macht das Vorbringen nicht deutlich.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) vermag mit dem Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten und umfangreichen eigenständigen Erwägungen zum jeweiligen Beweiswert der in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismittel keine nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierenden Bedenken (RIS Justiz RS0118780 [siehe im Übrigen T17 zur hier geäußerten Kritik an dieser ständigen Rechtsprechung], RS0119583) an der Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – insoweit in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Die gegen den Protokollberichtigungsbeschluss vom 21. August 2020 (ON 233) gerichtete Beschwerde ist (ohne inhaltliche Erwiderung) durch die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde erledigt, weil letztere – aus den bereits dargelegten Gründen – auch unter Zugrundelegung der angestrebten Protokolländerungen erfolglos geblieben wäre (RIS Justiz RS0126057 [T2], RS0120683 ).

Rechtssätze
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