JudikaturJustiz14Os59/20p

14Os59/20p – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2020 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart der Schriftführerin Dr. Ondreasova in der Strafsache gegen ***** Z***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 7. Februar 2020, GZ 19 Hv 81/19k 27, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani sowie der Verteidigerin Dr. Vinkovits, zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

***** Z***** wird gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe im Zeitraum von 2017 bis Ende Jänner 2019 in G***** vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er insgesamt etwa 7.030 Gramm Cannabiskraut sowie 160 Stück MDMA hältige Ecstasy Tabletten teils unentgeltlich weitergab, teils gewinnbringend weiterveräußerte, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbebegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste und er es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass in Summe das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge überschritten wird, und zwar an

1./ ***** Ü***** etwa 3.000 Gramm Cannabiskraut;

2./ ***** K***** 1.150 Gramm Cannabiskraut sowie 10 Stück Ecstasy-Tabletten;

3./ ***** E***** 2.750 Gramm Cannabiskraut;

4./ ***** R***** 150 Stück Ecstasy Tabletten sowie 10 Gramm Cannabiskraut;

5./ ***** F***** 120 Gramm Cannabiskraut.

Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** Z***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er in G***** „im Zeitraum von 2017 bis Ende Jänner 2019 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er insgesamt etwa 7.030 Gramm Cannabiskraut sowie 160 Stück MDMA hältige Ecstasy Tabletten teils unentgeltlich weitergab, teils gewinnbringend weiterveräußerte, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste und er es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass in Summe das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge überschritten wird“, und zwar an

1./ ***** Ü***** etwa 3.000 Gramm Cannabiskraut;

2./ ***** K***** 1.150 Gramm Cannabiskraut sowie 10 Stück Ecstasy Tabletten;

3./ ***** E***** 2.750 Gramm Cannabiskraut;

4./ ***** R***** 150 Stück Ecstasy Tabletten sowie 10 Gramm Cannabiskraut;

5./ ***** F***** 120 Gramm Cannabiskraut.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil nicht geltend gemachte, dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Nach den Feststellungen (US 4 f) beschloss der Angeklagte „zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2017, sich durch den Verkauf von Suchtmitteln ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen“. „In Umsetzung dieses Tatplans“ verkaufte er in G***** bis zu seiner Festnahme Ende Jänner 2019 „über jene Weitergaben hinaus, für die er zu 14 Hv 10/19g des Landesgerichts für Strafsachen Graz bereits verurteilt wurde“, insgesamt 7.030 Gramm Cannabiskraut (mit einem Reinheitsgehalt von etwa 10 % Delta 9 THC) und 160 Stück MDMA-hältige Ecstasy Tabletten, wobei (unter anderem) sein „Wissen und Wollen (…) bei sämtlichen Tathandlungen auch auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen“ gerichtet war, „die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum, den daran geknüpften Additionsvorsatz und die Überschreitung der Grenzmenge des § 28b SMG um das Fünfundzwanzigfache“ umfasste und sich auf eine „vorhandene Reinsubstanz von rund 703 Gramm Delta 9 THC“ erstreckte. Konkret verkaufte der Angeklagte an

- ***** Ü***** im Zeitraum von März 2018 bis Ende Jänner 2019 eine Gesamtmenge von 3.000 Gramm Cannabiskraut;

***** K***** im Jahr 2017 900 Gramm, im ersten Halbjahr 2018 450 Gramm und im Zeitraum von Juli 2018 bis Oktober 2018 weitere 100 Gramm Cannabiskraut „abzüglich einer Gesamtmenge von 300 Gramm Cannabiskraut, für deren Weitergabe er bereits zu 14 Hv 10/19g des Landesgerichts für Strafsachen Graz verurteilt wurde“;

***** E***** „welcher er das Suchtgift (...) zum Teil auch unentgeltlich überließ“, im Jahr 2017 1.200 Gramm, im ersten Halbjahr 2018 900 Gramm und im Zeitraum von Juli 2018 bis Oktober 2018 weitere 1.350 Gramm Cannabiskraut „abzüglich einer Gesamtmenge von 700 Gramm Cannabiskraut, für deren Weitergabe er bereits zu 14 Hv 10/19g des Landesgerichts für Strafsachen Graz verurteilt wurde“;

***** R***** Mitte April 2018 10 Gramm Cannabiskraut;

***** F***** „im Zeitraum Juni 2017 bis Juli 2017 120 Gramm Cannabiskraut.

Darüber hinaus verkaufte der Angeklagte „zu nicht näher bekannten Zeitpunkten innerhalb des oben angeführten Tatzeitraums an K***** 10 Stück und an R***** 150 Stück MDMA-hältige Ecstasy-Tabletten“.

Mit dem in der Hauptverhandlung verlesenen (ON 26 S 15 vgl dazu RS0100227 [insb T9]) und in den Feststellungen angesprochenen (gekürzt ausgefertigten, im beschwerdegegenständlichen Akt als ON 3 einliegenden) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28. Februar 2019, GZ 14 Hv 10/19g 18, wurde Z***** (unter anderem) des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG schuldig erkannt, weil er (soweit gegenständlich relevant) in G***** und andernorts anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge überlassen hat, indem er „im Zeitraum von Frühjahr 2018 bis 19. Jänner 2019 insgesamt etwa 2.500 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von etwa 10 % (250 Gramm Delta 9 THC in Reinsubstanz [...]) sowie geringe Mengen an MDMA hältige Ecstasy Tabletten und Kokain gewinnbringend weiterveräußerte, wobei sein Vorsatz dabei auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und die kontinuierliche Begehung über einen längeren Zeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste und er es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass in Summe die Grenzmenge überschritten wird“, und zwar an

a./ ***** E***** 700 Gramm Cannabiskraut;

b./ ***** M***** 200 Gramm Cannabiskraut;

c./ „***** E***** bzw ***** K*****“ 300 Gramm Cannabiskraut, 60 Stück MDMA hältige Ecstasy Tabletten und 3 Gramm Kokain;

d./ ***** A***** 1.300 Gramm Cannabiskraut;

e./ „weitere unbekannte Abnehmer nicht näher bekannte Mengen“.

Voranzustellen ist, dass sich das Verbot wiederholter Strafverfolgung (§ 17 Abs 1 StPO, s auch Art 4 7. ZPMRK) auf Taten, somit historische Lebenssachverhalte, und nicht auf strafbare Handlungen, also rechtliche Kategorien bezieht (vgl RIS-Justiz RS0124619, vgl auch RS0120128).

Bezugspunkt des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG ist „eine die Grenzmenge (§ 28b) übersteigende Menge“, wobei für sich allein die Grenzmenge nicht übersteigende Suchtgiftquanten bei Vorhandensein eines Vorsatzes, der von vornherein den an die bewusst kontinuierliche Begehung geknüpften Additionseffekt mitumfasst (vgl dazu RIS-Justiz RS0124018), zur Begründung dieser strafbaren Handlung zusammengefasst werden können (vgl RIS-Justiz RS0131856 [T1]). Liegen diese Voraussetzungen vor, kann das Verbrechen nach § 28a Abs 1 SMG auch als tatbestandliche Handlungseinheit im Sinn fortlaufender Verwirklichung begangen werden (RIS-Justiz RS0112225; zum Begriff RIS-Justiz RS0122006; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89 ff).

Die Begründung mehrerer nach § 28a Abs 1 SMG strafbarer Handlungen durch sukzessive Begehung in Form tatbestandsmäßiger Manipulation (hier: Überlassen) je für sich die Grenzmenge nicht übersteigender Suchtgiftquanten kommt seit der Entscheidung eines verstärkten Senats zu AZ 12 Os 21/17f (vgl auch RIS Justiz RS0131856) nur mehr dann in Betracht, wenn – insbesondere zufolge Fehlens insgesamt einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage (vgl erneut RIS Justiz RS0122006) – nicht eine, sondern mehrere tatbestandliche Handlungseinheiten vorliegen. Von diesem Fall abgesehen, kann die Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG bei dieser Art der Delinquenz nur durch eine Tat (in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit) verwirklicht werden.

Nach dem Urteilssachverhalt umfasst der gegenständliche Schuldspruch im Zeitraum von 2017 bis Ende Jänner 2019 getätigte, sukzessive Verkäufe jeweils für sich die Grenzmenge nicht übersteigender Mengen an THC hältigem Cannabiskraut und MDMA-hältigen Ectasy-Tabletten im Rahmen einer – nur infolge Zusammenrechnung die Überschreitung (insgesamt eines Fünfundzwanzigfachen) der Grenzmenge erreichenden – tatbestandlichen Handlungseinheit, also bloß eine Tat (vgl RIS-Justiz RS0127374; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 521). Das Vorliegen mehrerer tatbestandlicher Handlungseinheiten im zuvor genannten Sinn ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen.

Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten durch das Landesgericht für Strafsachen Graz vom 28. Februar 2019, GZ 14 Hv 10/19g 18, war (unter anderem) der Verkauf von teils bekannten, teils unbekannten Mengen THC-hältigen Cannabiskrauts, MDMA-hältigen Ecstasy Tabletten (und Kokain) an namentlich bekannte (und teilweise mit den Personen des beschwerdegegenständlichen Urteils idente) sowie unbekannte Abnehmer im Zeitraum „Frühjahr 2018 bis 19. Jänner 2019“. Da die sukzessiven Verkäufe von jeweils die Grenzmenge nicht übersteigenden Suchtgiftmengen auch hier im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit erfolgten, also bloß eine Tat begangen wurde, umfasst der beschwerdegegenständlich festgestellte Sachverhalt die zu AZ 14 Hv 10/19g des Landesgerichts für Strafsachen Graz abgeurteilte Tat (vgl auch RIS-Justiz RS0124174 [T1], RS0128941). Der neuerlichen Verurteilung stand daher das prozessuale Verfolgungshindernis des Verbots wiederholter Strafverfolgung entgegen.

Aufgrund der aufgezeigten Nichtigkeit war das Urteil aufzuheben, in der Sache selbst zu entscheiden und mit Freispruch vorzugehen (§ 285c Abs 2, § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

Mit ihren Rechtsmitteln waren der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
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  • RS0122006OGH Rechtssatz

    28. Juni 2023·3 Entscheidungen

    Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).