JudikaturJustiz14Os31/08b

14Os31/08b – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. März 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. März 2008 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer in der Strafsache gegen Eduard O***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 323 HR 12/08y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Dezember 2007, AZ 20 Bs 327/07w (= ON 132 der Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Eduard O***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe :

Mit Beschluss vom 23. November 2007 gab die Untersuchungsrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien einem Enthaftungsantrag des - nach Realisierung des gegen ihn erlassenen Europäischen Haftbefehls und seiner Auslieferung aus Deutschland seit 25. Oktober 2007 aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO aF in Untersuchungshaft angehaltenen (ON 91 und ON 100) - Eduard O***** Folge und ordnete dessen Enthaftung unter Anwendung gelinderer Mittel (§ 180 Abs 5 Z 1, 3, 4 und 5 StPO aF) an (ON 116).

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge und trug dem Erstgericht die Verhängung der Untersuchungshaft über den Genannten aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO aF) auf. In Entsprechung dessen wurde nach seiner Festnahme die Untersuchungshaft aus den angeführten Haftgründen (§ 173 Abs 2 Z 1, Z 3 lit b StPO) über ihn verhängt (ON 140).

Nach den Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts Wien ist Eduard O***** dringend verdächtig, er habe (zu ergänzen: in einem noch festzustellenden Zeitraum, jedenfalls aber) im Jahr 2004 (zu ergänzen: in Wien) als Geschäftsführer der A***** GmbH mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich in Zukunft durch die wiederholte Begehung von Betrügereien mit einem jeweils 3.000 Euro übersteigenden Schaden eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (BS 9), zahlreiche Investoren durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die mit der Zusage hoher Gewinne verbundene wahrheitswidrige Zusicherung, investierte Gelder gewinnbringend zu veranlagen, obwohl er tatsächlich nur einen geringen Teil - im Jahr 2004 lediglich 15 % - tatsächlich veranlagte und die Fremdgelder überwiegend vereinbarungswidrig verwendete, zur Überweisung von Geldbeträgen - im Jahr 2004 in Höhe von 5,2 Mio USD (4,2 Mio Euro) - auf verschiedene Konten des Unternehmens verleitet, wodurch die Investoren in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag von zumindest 2,34 Mio USD (BS 8) am Vermögen geschädigt wurden.

Als gesetzliche Bezeichnung dieser für sehr wahrscheinlich gehaltenen Taten wurde im angefochtenen Beschluss das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB genannt (§§ 179 Abs 4 Z 4, 182 Abs 4 zweiter Satz StPO idF vor BGBl I 2004/19).

Die Annahme dringenden Tatverdachts leitete das Beschwerdegericht aus der Sachverhaltsbekanntgabe der Masseverwalterin der mittlerweile konkursverfangenen A***** GmbH, den Sachverhaltsdarstellungen diverser Geschädigter, der gerichtlichen Aussage des Mitbeschuldigten Manfred F*****, den Erhebungen der Kriminalpolizei, insbesonders den darin enthaltenen Angaben des Zeugen Oleg S***** und dem Gutachten des Sachverständigen Mag. Dr. Matthias K***** ab und erachtete aufgrund der „wiederholten und durchaus professionell ausgeführten Tatbegehung" auch gewerbsmäßiges Vorgehen für dringend wahrscheinlich.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die rechtzeitige Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten. Sie ist zulässig, weil durch den kassatorischen Beschluss des Oberlandesgerichts nach Enthaftung die Fortsetzung der Untersuchungshaft abschließend effektuiert wurde (vgl 14 Os 22/02, 15 Os 86/06w).

Ihr kommt jedoch keine Berechtigung zu.

Sie kritisiert die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr, indem sie auf „den gesamten Akteninhalt" verweist, die Enthaftung des Beschuldigten durch das Erstgericht mit der Begründung als „rechtmäßig" bezeichnet, er habe mit seiner Bekanntgabe vom 6. November 2007 (ON 103) „wesentlich zur Tataufklärung beigetragen" und „den Nachweis erbracht, selbst betrogen worden zu sein" und sich letztlich auf auf die subjektive Einschätzung seines Verhaltens durch die Masseverwalterin der A***** GmbH bezieht, die nach dem weiteren Vorbringen anlässlich eines Besuchs in der Justizanstalt geäußert haben soll, er sei ihrer Ansicht nach selbst betrogen worden.

Soweit diese Ausführungen dahin verstanden werden könnten, dass damit auch das Vorliegen dringenden Tatverdachts bestritten werden soll, verkennt der Beschwerdeführer die Anfechtungskategorien einer Grundrechtsbeschwerde.

§ 2 Abs 1 GRBG bezeichnet nur unrichtige Gesetzesanwendung als Grundrechtsverletzung und führt dabei „insbesondere" einzelne gravierende Fälle namentlich an. Ermessensausübung innerhalb der gesetzlichen Grenzen hingegen kann zwar durch eigenes Ermessen des Rechtsmittelgerichts ersetzt, nicht aber als unrichtig charakterisiert werden.

Der Oberste Gerichtshof ist demnach nicht dazu aufgerufen, als weitere Haftbeschwerdeinstanz eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der angefochtenen Entscheidung zu setzen, sondern ausschließlich dazu, Rechtsfehler wahrzunehmen (vgl auch §§ 3 Abs 1 erster Satz, 7 Abs 1, 11 GRBG).

Da zudem - anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht - nicht die Haft, vielmehr die Entscheidung über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet, und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht des Beschwerdeführers nichts anderes vorsieht, kann im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nach Maßgabe der Mängel- und Tatsachenrüge der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO in Frage gestellt werden (vgl RIS Justiz RS0120817, RS0114488, RS0112012, RS0110146).

Mit dem zitierten Vorbringen wird nichts geltend gemacht, was die vom Oberlandesgericht angenommene Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts als mangelhaft dargestellt oder als mangelhaft begründet erscheinen ließe oder Anlass zu erheblichen Bedenken bieten würde. Mit der leugnenden Verantwortung des Angeklagten hat sich das Oberlandesgericht gar wohl auseinandergesetzt (BS 5). Indem die Beschwerde diese Argumentation ignoriert, bekämpft sie bloß substanzlos das Resultat des mit ausführlichen Erwägungen versehenen oberlandesgerichtlichen Beschlusses, womit sie einer sachbezogenen Erörterung nicht zugänglich ist.

Dass den Gründen der angefochtenen Entscheidung ausdrückliche Sachverhaltsannahmen zur Qualifikation des § 147 Abs 1 Z 1 StGB nicht zu entnehmen sind, macht den angefochtenen Beschluss übrigens nicht undeutlich im Sinn der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 19) und wurde aus Z 5 erster Fall nicht gerügt. Entsprechende Feststellungen wird das erkennende Gericht zu treffen haben.

Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO (§ 180 Abs 2 StPO aF) genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin geprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar („willkürlich") angesehen werden müsste (RIS Justiz RS0117806).

Mit dem zitierten Vorbringen wird jedoch auch keinerlei Willkür bei der Annahme der Tatbegehungsgefahr aufgezeigt.

Das Oberlandesgericht hat seine Prognose, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens weitere strafbare Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen das selbe Rechtsgut gerichtet sind, wie die ihm angelasteten - wiederholt begangenen - Handlungen aus der nach der Verdachtslage gewerbsmäßigen wiederholten Tatbegehung über einen längeren Zeitraum, der planvollen und äußerst professionellen Tatausführung und dem hohen Schaden im Kontext mit den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, wonach er nach wie vor Geschäftsführer der L***** Ltd. sei und zudem beabsichtige, aufgrund seiner Geschäftsverbindungen als Kaufmann tätig zu werden und zu diesem Zweck die Gründung einer Gesellschaft mit dem Unternehmensgegenstand „Consulting und Vermittlung von Handelsgeschäften" plane, abgeleitet. Aus der nach dem Akteninhalt vorliegenden höheren Wahrscheinlichkeit, der Beschuldigte habe sich alleine im Jahr 2004 einen Teil der Anlagegelder in Höhe von 210.000 Euro selbst zugeeignet, erschloss das Beschwerdegericht, dass seine Absicht keineswegs bloß darauf gerichtet war, sich durch die ihm vorgeworfenen Betrügereien lediglich den zur Sicherung einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalt zu verschaffen, weshalb auch die Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel, namentlich die Weisung, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen (§ 180 Abs 5 Z 3 letzter Fall StPO aF; 170 Abs 5 Z 4 letzter Fall StPO), zu verneinen sei.

Damit wurden zur Prognosebegründung durchaus solche - von der Grundrechtsbeschwerde aber außer Acht gelassene - bestimmte Tatsachen angeführt, die nach den Grundsätzen folgerichtigen Denkens und allgemeinen Erfahrungssätzen geeignet sind, die daraus abgeleiteten Befürchtungen zu tragen.

Eine Erörterung der weiteren Einwände gegen die vom Oberlandesgericht ebenfalls als bestehend angesehene Fluchtgefahr erübrigt sich, weil bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt (RIS Justiz RS0061196).

Somit wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

Rechtssätze
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