JudikaturJustiz13Os102/05g

13Os102/05g – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Gomez Reyes als Schriftführer in der Strafsache gegen Nicolas S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Özcan B***** sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 28. April 2005, GZ 41 Hv 22/04g-72, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Leitner, des Angeklagten Özcan B***** jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Nicolas S***** aber in Anwesenheit der Verteidiger Dr. Kropf und Mag. Frank zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben, das Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, in dem Özcan B***** betreffenden Freispruch und damit auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung (nicht aber hinsichtlich der Entscheidung nach § 26 Abs 1 StGB) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten Özcan B***** und der Staatsanwaltschaft verworfen.

Der Berufung des Angeklagten Özcan B***** wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben. Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte Özcan B***** auf das kassatorische Erkenntnis verwiesen. Dem Angeklagten Özcan B***** fallen auch die Kosten des Rechtmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Özcan B***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I 2001/130 (I.a.), der Vergehen der teils versuchten, teils vollendeten Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB (I.b. und II.b.), der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2001/130 (II.a.), der Freiheitsentzeihung nach § 99 Abs 1 StGB (II.c.) sowie nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (III.) und nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster, zweiter und sechster Fall), Abs 2 Z 1 SMG (IV.) schuldig erkannt. Danach hat er in Dornbirn

I. im Juni 2003 Rebecca T*****

a. (zu ergänzen: außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB) mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er an ihrer Hand riss, wodurch sie rücklings auf eine Couch zu liegen kam, worauf sie sich massiv wehrte und er beide Hände mit einer Hand über dem Kopf zusammenhielt, ihr mit der anderen Hand die Jeanshose hinunterschob, die Unterhose zerriss und gewaltsam mit seinem Glied in ihre Scheide eindrang, was ihr starke Schmerzen verursachte;

b. im Anschluss an die zu I.a. beschriebene Tat versucht, durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung zu nötigen, nämlich dritte Personen über den Vorfall zu informieren, indem er ihr ankündigte, dass er sie umbringe, falls sie jemandem etwas erzähle, da er wisse, wo sie wohne;

II. im Juli/August 2003 Kathrin P*****

a. außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er sie an den Schultern erfasste, sie mit seinem Körpergewicht auf die Couch drückte und trotz ihrer massiven Gegenwehr danach trachtete, ihr an die Scham zu greifen, worauf sie ihm eine Ohrfeige versetzte und er von der Couch stürzte;

b. im Anschluss an das zu II.a. geschilderte Verhalten durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung genötigt, und zwar durch das Ausholen mit einer Hand verbunden mit der Ankündigung, wenn sie nicht aufhöre zu schreien, werde er ihr eine Ohrfeige versetzen, zur Abstandnahme von weiteren Hilferufen;

c. widerrechtlich gefangen gehalten, indem er sie nach der zu II.b. geschilderten Tat, als er bemerkte, dass sie die Straßenschuhe anzog, die Wohnungstüre verschloss, den Wohnungsschlüssel in das angrenzende Schlafzimmer warf und sagte, dass sie jetzt nicht gehen werde, wodurch ihr für längere Zeit das Verlassen der Wohnung „verunmöglicht" wurde;

III. Anfang 2004 wenn auch nur fahrlässig Waffen besessen, obwohl ihm dies mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 29. März 1988 verboten (§ 12 WaffG) war, indem er in seiner Wohnung einen Pfefferspray sowie ein Fallmesser lagerte;

IV. den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift erworben, besessen „oder" (gemeint: und; vgl US 42) einem anderen überlassen oder verschafft, wobei „die Taten Minderjährigen den Gebrauch eines Suchtgiftes ermöglichten" und er selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährigen war, indem er

1. im Juni 2003 der am 6. September 1986 geborenen Rebecca T***** eine unbekannte Menge Kokain zum Konsum überließ;

2. im Juli/August 2003 der am 23. Jänner 1989 geborenen Kathrin P***** einen Marihuanajoint zum Konsum übergab und

3. am 31. März 2004 der am 20. Februar 1988 geborenen Linda S***** eine „Line" Kokain überließ bzw der am 28. Dezember 1988 geborenen Melissa N***** eine „Line" Kokain zum Konsum zur Verfügung stellte. Hingegen wurden Nicolas S***** und Özcan B***** von der Anklage, es hätten am 31. März 2004 in Dornbirn

I. Nicolas S***** nachgenannte Personen mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er, nachdem er sie zu mehrfachem Alkoholkonsum und zum Inhalieren von Kokain gedrängt hatte bzw ihnen von Özcan B***** mit seinem Wissen und Wollen ein ohne deren Kenntnis mit Kokain versetztes Getränk verabreicht worden war, und zwar

a. Melissa N*****, indem er sie im Zustand der Widerstandsunfähigkeit entkleidete, ihr den Mund zuhielt, um sie am Schreien zu hindern und mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog;

b. die berauschte und zu einem sinnvollen Widerstand unfähige Linda S*****, indem er sie auszog und mit seinem Glied in ihre Scheide eindrang;

II. Özcan B***** zu der zu I. geschilderten Tat des Nicolas S***** dadurch beigetragen, dass er Linda S***** und Melissa N***** mehrfach zum Alkoholkonsum drängte, sie ausdrücklich (erfolgreich) zum Inhalieren von Kokain aufforderte und ihnen ein ohne deren Wissen mit Kokain versetztes Getränk verabreichte,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Während der Angeklagte Özcan B***** den wider ihn ergangenen Schuldspruch aus den Nichtigkeitsgründen der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO bekämpft, richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die hinsichtlich beider Angeklagter ergangenen Freisprüche.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Özcan B*****:

Soweit die der Sache nach allein gegen Punkt I.a. des Schuldspruchs gerichtete Rüge nach dem Inhalt der Anfechtungserklärung und nach dem auf gänzliche Urteilsaufhebung abzielenden Rechtsmittelantrag auch die Schuldsprüche I.b., II., III. und IV. erfasst, ist sie mangels Substantiierung keiner sachbezogenen Erwiderung zugänglich (§§ 285d Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Im Übrigen kommt der Beschwerde keine Berechtigung zu. Mit der Behauptung, das Erstgericht habe den „bedeutenden Umstand" mit Stillschweigen übergangen, dass der Angeklagte „eine Versteifung am Daumen einhergehend mit einer Schwäche des Greifmechanismus hat und es ihm weder möglich war, mit dieser verletzten Hand beide Hände der Zeugin T***** festzuhalten, noch den Knopf einer Jeanshose zu öffnen und diese auszuziehen", wird eine nichtigkeitsbegründende Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht aufgezeigt. Die Rüge vermag nämlich nicht darzutun, weshalb der festgestellte Geschehensablauf ungeachtet der vom Beschwerdeführer behaupteten Versteifung seines Daumens - eine damit einhergehende Behinderung der ganzen davon betroffenen Hand oder gar beider Hände wird von ihm ohnedies nicht vorgebracht (vgl S 411/II) - nicht trotzdem möglich gewesen sein soll, zumal er nach seiner Einlassung jedenfalls in der Lage war, das Tatopfer (aus seiner Sicht ohne Gegenwehr) teilweise auszuziehen (vgl US 32; S 425/II).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) versucht mit dem Vorwurf einer „einseitigen Beweiswürdigung" die Glaubwürdigkeit der Zeugin Rebecca T***** zu erschüttern, um auf diese Weise der - von den Tatrichtern in Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und den Erfahrungssätzen abgelehnten (US 30 ff) - leugnenden Verantwortung des Rechtsmittelwerbers zum Durchbruch zu verhelfen.

Hingegen werden erhebliche Bedenken an der tatrichterlichen Lösung der Schuldfrage im Sinne des intendierten Nichtigkeitsgrundes mit dem neuerlichen Hinweis auf eine Versteifung des Daumens an der Hand des Angeklagten, mit dem Vorbringen, die Zeugin Rebecca T***** hätte „ihre Aussage des öfteren geändert", weil sie anlässlich ihrer ersten (ausschließlich ihren Suchtgiftmissbrauch betreffenden; vgl S 33 ff/II) Vernehmung die unter I. inkriminierten Vorwürfe gegen Özcan B***** unerwähnt ließ und mit der bloßen Behauptung, die Unterhose der Zeugin Rebecca T***** sei gar nicht zerrissen worden, ebenso wenig aufgezeigt, wie mit eigenständigen Beweiswerterwägungen zu einem an Melanie P***** gerichteten, vom Schöffengericht ohnedies in seine Überlegungen einbezogenen (US 29) Brief der Rebecca T*****, in welchem sie den Übergriff des Nichtigkeitswerbers schilderte (vgl S 347/I).

Schließlich hat das Erstgericht der weiteren Kritik (inhaltlich Z 5 zweiter Fall) zuwider auch die „notarielle Aussage" des Zeugen Servet S***** berücksichtigt, diesem Zeugen jedoch mit eingehender Begründung keinen Glauben geschenkt (vgl US 39 f).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Zum Freispruch führte das Erstgericht aus, dass eine durch den als erwiesen angenommenen Konsum von Alkohol und Kokain hervorgerufene Widerstandsunfähigkeit (iS des vom Erstgericht auch erwogenen § 205 Abs 1 StGB idF vor dem StRÄG 2004; richtig iS einer Wehrlosigkeit nach § 205 Abs 1 StGB idgF; vgl 11 Os 70/05m; 14 Os 138/04) bei Melissa N***** nicht mit erforderlichen Sicherheit feststellbar ist, sondern vielmehr von einem an die Widerstandsunfähigkeit grenzenden, durch Alkohol und Suchtgift schwer beeinträchtigten Zustand einer Intoxikation mit tiefgreifender Bewusstseinstrübung auszugehen war (US 21 f, 38). Überdies wäre es dem Erstangeklagten Nicolas S***** auf Grund seines eigenen Alkohol- und Drogenkonsums ohnehin nicht möglich gewesen, eine allenfalls vorliegende Widerstandsunfähigkeit überhaupt zu erkennen (US 23, 38). Linda S***** war durch den Alkohol- und Suchtgiftgenuss mäßig berauscht und auf Grund dessen in einem hilflosen Zustand. Sie war aber nicht widerstandsunfähig (US 25, 39). Auch bei ihr war es Nicolas S***** nicht möglich, diese die Grenze zur Widerstandsunfähigkeit nicht überschreitende Beeinträchtigung zu erfassen. Vielmehr sei für den Erstangeklagten das Gegenteil wahrscheinlicher gewesen, weil ihn die Genannte geküsst hatte (US 25, 39). Da Nicolas S***** keine Gewalt angewendet habe, seien daher Feststellungen im Sinne des gegen ihn erhobenen Vorwurfs nicht möglich (US 22 f und 38 f). Damit erübrige sich auch ein Eingehen auf die entsprechenden (nach Ansicht der Tatrichter unglaubwürdigen) Angaben des Zweitangeklagten Özcan B***** (US 39). Die Staatsanwaltschaft moniert in ihrer Rechtsrüge (Z 9 lit a) zunächst Feststellungsmängel zum Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB. Die Tatrichter sahen es als erwiesen an, dass der Zweitangeklagte Melissa N***** und Linda S***** je ein Glas Cola brachte, welches er zuvor mit flüssigem Kokain versetzt hatte, ohne ihnen davon Mitteilung zu machen. Nach den Konstatierungen des Schöffengerichtes mischte Özcan B***** die Drogen in die Getränke, um die Frauen in einen Zustand zu bringen, der es ihm und auch dem Erstangeklagten Nicolas S***** ermöglichen sollte, mit den beiden sexuell verkehren zu können (US 21). Wäre nun Nicolas S***** in den Tatplan des Zweitangeklagten Özcan B***** eingeweiht gewesen, hätte er dessen Gewaltanwendung zu verantworten, die nach Ansicht der Anklagebehörde im heimlichen Verabreichen eines betäubenden oder berauschenden Mittels liegt. Aus diesem Grund hätte es - auch nach der Stellungnahme der Generalprokuratur - einer Feststellung bedurft, ob das Verabreichen der mit Kokain versetzten Getränke durch den Zweitangeklagten Özcan B***** mit Wissen und Wollen des Angeklagten Nicolas S***** erfolgte. Vorweg ist der Staatsanwaltschaft beizupflichten, dass ein vom Täter durch Gewalt bewirktes Herbeiführen eines wehrlosen Zustands des in der Folge sexuell missbrauchten Tatopfers schon wegen der dann zusätzliches Handlungsunrecht bedingenden Willensbrechung als Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und nicht als Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB zu beurteilen wäre (vgl Hinterhofer, Sbg-Komm § 201 Rz 56 und 86; Kienapfel/Schmoller BT III §§ 201 - 203 Rz 26).

Der deliktsspezifische Gewaltbegriff des § 201 Abs 1 StGB idgF (ungeachtet der durch das StRÄG 2004 erfolgten Änderung), aber auch des § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I 2001/130 stellt nach herrschender Auffassung auf den Einsatz einer nicht ganz unerheblichen physischen Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstandes ab (vgl Schick in WK2 § 201 Rz 25; Hinterhofer, Sbg-Komm § 201 Rz 21; dies entspricht der Definition zum sonst im StGB verwendeten Gewaltbegriff: vgl Jerabek in WK2 § 74 Rz 35 ff; Schwaighofer in WK2 § 105 Rz 11 ff; Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 Rz 11 ff). Darüber hinaus wird ebenso einhellig die Auffassung vertreten, dass der Einsatz betäubender Mittel als Gewalt (auch iSd § 201 Abs 1 StGB idgF) anzusehen ist (idS Schick in WK2 § 201 Rz 25; Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 Rz 16 f; Schwaighofer in WK2 § 105 Rz 27; Jerabek in WK2 § 74 Rz 40; EBRV StRÄG 2004, 294 BlgNR XXII. GP, 17; EvBl 1997/15; 1978/117; 11 Os 27/03; 14 Os 55/96; vgl auch die bis zum Inkrafttreten des StRÄG 2004 im § 201 Abs 1 StGB vorgegebene Legaldefinition einer Betäubung als schwere Gewalt). Dieser erweiterte, auf die Beeinträchtigung der Willensfreiheit abstellende Gewaltbegriff setzt allerdings voraus, dass dem Tatopfer ein betäubendes (berauschendes) Mittel ohne seinen Willen (vgl Kienapfel/Schmoller BT III §§ 201 - 203 Rz 31; Schick in WK2 § 201 Rz

16) verabreicht wird, welches in seiner Wirkung dazu führt, dass eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung hervorgerufen wird, in der dem Opfer eine eigenständige Willensentfaltung unmöglich gemacht wird (vgl Hinterhofer, Sbg-Komm § 201 Rz 24). Nur dann entspricht das Hervorrufen dieses Zustands der Anwendung von umfassender Gewalt, die mit der völligen Ausschaltung der Willensbildung beim Opfer einhergeht (vgl Jerabek in WK2 § 74 Rz 36; Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 Rz 14). Das heimliche Verabreichen eines Betäubungsmittels in einer Dosis, welche diese Fähigkeit zur eigenständigen Willensbildung noch nicht ausschaltet, kann hingegen die strafrechtlich geschützte freie Willensbetätigung des Opfers - anders als bei der sonstigen Gewalteinwirkung - weder umlenken noch fremdsteuern (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 Rz 14), weil dem Tatobjekt mangels Kenntnis eines auf ihn wirkenden Mittels nicht bewusst wird, dass von ihm eine (vom Täter bezweckte) Verhaltensänderung erreicht werden soll (vgl Hinterhofer, Sbg-Komm § 201 Rz 24; ders BT II4, 84). Dass das Opfer durch die Verabreichung eines berauschenden Mittels leichter beeinflussbar wird, kann aber selbst bei extensiver Auslegung des Gewaltbegriffes noch nicht als das Rechtsgut der Freiheit beeinträchtigende und vom Betroffenen als auf ihn einwirkend wahrnehmbare Willenssteuerung angesehen werden.

Nachdem aber das Schöffengericht (von der Anklagebehörde unbekämpft) feststellte, dass sowohl Melissa N***** als auch Linda S***** trotz der zum freiwilligen Alkohol- und Suchtmittelkonsum hinzutretenden unfreiwilligen Einnahme von flüssigem Kokain noch nicht in einem Zustand waren, der ihre freie Willensbetätigung ausgeschaltet hätte, wurde - ungeachtet der gerügten fehlenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Erstangeklagten - noch keine im Sinne des § 201 Abs 1 StGB zur Erfüllung des Tatbildes vorausgesetzte Gewalt angewendet. Eine allenfalls denkbare Versuchsstrafbarkeit wurde aber in der Rechtsrüge nicht angesprochen.

Aus diesem Grund versagt auch die auf Z 9 lit a gestützte Beschwerde betreffend den Zweitangeklagten Özcan B*****, hinsichtlich dessen die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (richtig § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I 2001/130) in Form der Beitragstäterschaft nach § 12 dritter Fall StGB anstrebt, weil er den beiden Tatopfern Kokain in ein Getränk gemischt und ihnen solcherart Gewalt angetan habe, um die Frauen in einem Zustand zu bringen, der es ihm und auch dem Erstangeklagten ermöglichen sollte, mit ihnen sexuell verkehren zu können. Angesichts des vom Erstangeklagten vollzogenen Beischlafs sowohl mit Melissa N***** als auch mit Linda S***** sei es daher nach Ansicht der Anklagebehörde ungeachtet der ungeklärten subjektiven Tatseite bei Nicolas S***** im Umfang der Beitragtäterschaft zur Tatvollendung gekommen. Diesbezüglich fehlt es gleichfalls an einer Ausübung von Gewalt durch Verabreichung eines Betäubungsmittels, welches tatsächlich eine Wirkung entfaltete, bei der eine Willensbetätigung der Opfer ausgeschaltet war. Da auch betreffend den Zweitangeklagten Özcan B***** keine Versuchsstrafbarkeit releviert wurde, verfehlt die Beschwerde auch insoweit ihr Ziel. In der weiteren Rechtsrüge reklamiert die Anklagebehörde Feststellungsmängel zu einem im Fall der Verneinung einer Strafbarkeit nach § 201 Abs 1 StGB von Özcan B***** verwirklichten Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB. Nach den Urteilsannahmen verabreichte der Zweitangeklagte Melissa N***** und Linda S***** mit flüssigem Kokain versetztes Cola, um die Frauen in einen Zustand zu bringen, der es ihm und auch dem Erstangeklagten zu ermöglichen sollte, mit den beiden sexuell verkehren zu können (US 21). Nach den weiteren - in der Rüge aufgezeigten - Konstatierungen befand sich Melissa N***** vor dem Geschlechtsverkehr mit dem Erstangeklagten (also nach dem gegen ihren Willen erfolgten Konsum von mit Kokain versetzten Cola) in einem durch Alkohol und Kokain schwer beeinträchtigten Zustand einer Intoxikation, welche zwar keine die Willensbildung ausschaltende Widerstandsunfähigkeit, wohl aber eine tiefgreifende Bewusstseinstrübung verbunden mit Übelkeit, Lustlosigkeit und dem Empfinden eines Muskelkaters hervorrief und sie in eine hilflose Situation brachte (US 21 f). Bei Linda S***** ging das Schöffengericht davon aus, dass sie vor dem inkriminierten Geschlechtsverkehr - also nach dem Konsum von Alkohol und (zunächst gegen ihren Willen zusammen mit Cola und sodann freiwillig konsumierten) Kokain - leicht bis mäßig berauscht und in einem hilflosen Zustand war (US 25), aber dennoch wusste, „was ist" (US 21). Zugleich bewirkte dieser Rausch, dass sie sich „lahm" und „komisch" fühlte, sich alles dreht und sie befürchtete, „gleich umzufliegen" (US 21).

Eine Gesundheitsschädigung gemäß § 83 Abs 1 StGB liegt zB dann vor, wenn der Täter dem Opfer ein Suchtmittel verabreicht und damit idR eine (von der Qualität und Quantität des Suchtmittels abhängige) Vergiftung iS einer pathologischen Veränderung im Körper der betroffenen Person hervorruft (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 83 Rz 16 und 18; 13 Os 102/02, EvBl 2003/79,342; 12 Os 63/01). Die Verschlimmerung eines schon bestehenden (gleichgültig wodurch bewirkten) Rauschzustandes wäre nur dann als Gesundheitsschädigung iSd § 83 Abs 1 StGB einzustufen, wenn sie mit einer krankhaften Störung der Körperfunktionen einhergeht (vgl Burgstaller/Fabrizy in WK2 § 83 Rz 11; Kienapfel/Schroll BT I5 § 83 Rz 16). Eine solche kann insbesondere dadurch hervorgerufen werden, dass der Täter dem Opfer ein Mittel zuführt, welches einen massiven, der Bewusstlosigkeit gleichkommenden Zustand bewirkt (vgl 12 Os 11/92, SSt 61/94). Wird diese Steigerung eines bestehenden Rauschzustandes durch ein Suchtmittel ausgelöst, kann eine tatbildliche Gesundheitsbeeinträchtigung nicht nur bei einem solcherart bewirkten betäubungsähnlichen Zustand, sondern auch schon dann vorliegen, wenn eine durch die Tathandlung verursachte (wiederum von der Qualität und Quantität des Suchtmittels abhängige) Vergiftung als krankhafte Körperbeeinträchtigung feststellbar ist (vgl Burgstaller/Fabrizy in WK2 § 83 Rz 9 f). Besteht hingegen bereits eine suchtmittelbedingte Vergiftung, kann nur eine nachweisbare pathologische Verschlechterung des durch einen vorangegangenen Suchtgiftkonsum idR bereits angegriffenen Gesundheitszustandes tatbildlich sein (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 83 Rz 18).

Das in der Beschwerde dargelegte vorsätzliche Verabreichen von Kokain gegen den Willen der Frauen und der im angefochtenen Urteil aufgezeigte körperliche Zustand beider Personen nach Alkohol- und (freiwilligen wie unfreiwilligen) Suchtmittelgenuß hätte daher Feststellungen erfordert, ob einerseits dieses gegen den Willen der Tatopfer erfolgte Einflößen von Kokain eine Gesundheitsschädigung im oben dargestellten Sinn hervorrief und ob andererseits der Angeklagte Özcan B***** mit zumindest bedingtem Verletzungsvorsatz handelte. Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher teilweise Folge zu geben, das angefochtene Urteil in seinem Özcan B***** betreffenden Freispruch und damit auch im Strafausspruch und in der Vorhaftanrechnung (nicht aber im Umfang der Entscheidung nach § 26 Abs 1 StGB) aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen. Im zweiten Rechtsgang wird zunächst zu klären sein, inwieweit erst das unfreiwillige Einflößen von flüssigem Kokain sowohl bei Melissa N***** als auch bei Linda S***** eine Verschlimmerung bereits bestehender körperlicher Beeinträchtigungen iS einer nunmehr massiv verstärkten, der Bewusstlosigkeit nahe kommenden Rauschwirkung oder eine erst durch das heimliche Verabreichen von Kokain bedingte, krankheitswerte körperliche Funktionsstörung iS einer Vergiftung hervorrief. Dazu wird es Feststellungen bedürfen, ob die im angefochtenen Urteil - bezogen auf den Zeitpunkt der inkriminierten Sexualkontakte - aufgezeigte Schwäche-Symptomatik bei beiden Frauen (vgl S 127, 129, 139/II) bereits nach dem freiwilligen Alkohol- und Drogenkonsum einsetzte oder erst nach der unfreiwilligen Kokaineinnahme; nur im letzteren Fall käme eine vom Zweitangeklagten zu verantwortende Gesundheitsschädigung in Frage, wenn diese Symptomatik eigenständigen Krankheitswert iS eines solcherart bewirkten, der Bewusstlosigkeit nahekommenden Zustands oder einer Vergiftung aufweisen würde. Insbesondere wird zu konstatieren sein, ob bei Melissa N***** die Wirkung des Cola/Kokain-Gemisches über die Vergiftungserscheinungen durch den Vorkonsum von Suchtgift (US 21) hinausgegangen sind und ob bei Linda S***** die schon bestehende Alkoholbeeinträchtigung durch das Trinken des mit Kokain versetzten Colas signifikant gesteigert oder dadurch suchtmittelbedingte (und nicht erst durch den bei ihr nachfolgenden freiwilligen Kokainkonsum bewirkte) Vergiftungserscheinungen hervorgerufen wurden. Im Hinblick auf den Schuldspruch I. verurteilte das Schöffengericht den Zweitangeklagten zur Zahlung eines Teilschmerzensgeldes von 2.000 Euro an die Privatbeteiligte Rebecca T*****.

In der Berufung wegen des Zuspruchs an die Privatbeteiligte bringt Özcan B***** lediglich vor, dass hinsichtlich der bei Rebecca T***** festgestellten psychischen Folgen die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens unumgänglich gewesen wäre, weil sich aus den Angaben dieser Zeugin selbst ergäbe, dass sie im Zeitpunkt der Vergewaltigung bereits psychisch schwer angeschlagen und drogensüchtig gewesen sei. Diese Ausführungen übergehen die Feststellungen des Erstgerichtes, wonach Rebecca T***** auf Grund des zu Schuldspruch I. inkriminierten Vorfalls einen Selbstmordversuch unternahm und anschließend drei Wochen im Landesnervenkrankenhaus Rankweil stationär aufgenommen werden musste. Im Übrigen kann auch aus den sonstigen Angaben der Privatbeteiligten zu einer im Tatzeitpunkt bereits bestehenden Suchtgiftabhängigkeit die vom Berufungswerber gezogene Schlussfolgerung einer unabhängig vom inkriminierten Geschehen bereits vorhanden gewesenen psychischen Störung nicht abgeleitet werden. Desgleichen lässt dieses Vorbringen nicht erkennen, welche zusätzlichen, zur Beurteilung des geltend gemachten Schmerzengeldanspruches des Tatopfers notwendigen Beweisergebnisse das begehrte fachärztliche Gutachten erbringen sollte. Der Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche war daher keine Folge zu geben.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte Özcan B***** auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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  • RS0120379OGH Rechtssatz

    14. Januar 2021·3 Entscheidungen

    Der Einsatz betäubender Mittel ist als Gewalt (auch iSd § 201 Abs 1 StGB idgF) anzusehen. Dieser erweiterte, auf die Beeinträchtigung der Willensfreiheit abstellende Gewaltbegriff setzt allerdings voraus, dass dem Tatopfer ein betäubendes (berauschendes) Mittel ohne seinen Willen verabreicht wird, welches in seiner Wirkung dazu führt, dass eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung hervorgerufen wird, in der dem Opfer eine eigenständige Willensentfaltung unmöglich gemacht wird. Nur dann entspricht das Hervorrufen dieses Zustands der Anwendung von umfassender Gewalt, die mit der völligen Ausschaltung der Willensbildung beim Opfer einhergeht. Das heimliche Verabreichen eines Betäubungsmittels in einer Dosis, welche diese Fähigkeit zur eigenständigen Willensbildung noch nicht ausschaltet, kann hingegen die strafrechtlich geschützte freie Willensbetätigung des Opfers -anders als bei der sonstigen Gewalteinwirkung - weder umlenken noch fremdsteuern, weil dem Tatobjekt mangels Kenntnis eines auf ihn wirkenden Mittels nicht bewusst wird, dass von ihm eine (vom Täter bezweckte) Verhaltensänderung erreicht werden soll. Dass das Opfer durch die Verabreichung eines berauschenden Mittels leichter beeinflussbar wird, kann aber selbst bei extensiver Auslegung des Gewaltbegriffes noch nicht als das Rechtsgut der Freiheit beeinträchtigende und vom Betroffenen als auf ihn einwirkend wahrnehmbare Willenssteuerung angesehen werden.