JudikaturJustiz12Os143/11p

12Os143/11p – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bilinska als Schriftführerin in den Strafsachen gegen Daniel O***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 30. November 2009, GZ 7 Hv 135/09y-17, sowie gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 28. Oktober 2010, GZ 6 Hv 141/10z-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Fürnkranz zu Recht erkannt:

Spruch

Es verletzen folgende Entscheidungen des Landesgerichts für Strafsachen Graz das Gesetz:

1./ im Verfahren AZ 7 Hv 135/09y das Urteil vom 30. November 2009 jeweils durch Unterlassung

a./ von Feststellungen zum Reinheitsgehalt des Suchtgifts zum Schuldspruch A./1./ in § 28a Abs 1 SMG und in § 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 StPO;

b./ der Bezeichnung von das Vorliegen der Tatprivilegierung nach § 27 Abs 2 SMG ausschließenden Tatumständen im Schuldspruch A./2./ in § 27 Abs 2 SMG iVm § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG und § 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 StPO;

2./ im Verfahren AZ 6 Hv 141/10z der Beschluss vom 28. Oktober 2010 (ON 26 Punkt II./) in § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB.

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. November 2009, GZ 7 Hv 135/09y 17, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen zu A./1./ und 2./, demzufolge auch der Strafausspruch und die Beschlüsse gemäß § 50 Abs 1, 51 StGB werden aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Graz im Umfang der Aufhebung die neue Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28. Oktober 2010, GZ 6 Hv 141/10z-26, wird aufgehoben und vom Widerruf der bedingten Entlassung zu AZ 3 BE 32/10v des Landesgerichts für Strafsachen Graz abgesehen.

Text

Gründe:

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 13. November 2008, GZ 15 U 137/08s 13, wurde der am 22. Mai 1991 geborene Daniel O***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Gemäß § 13 JGG wurde der Ausspruch der Strafe unter Setzung einer Probezeit von zwei Jahren vorbehalten (ON 14 in AZ 7 Hv 135/09y des Landesgerichts für Strafsachen Graz).

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 30. November 2009, GZ 7 Hv 135/09y 17, wurde Daniel O***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (A./1./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (A./2./), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall und Abs 4 Z 1 SMG (B./) sowie des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB (C./) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 StGB unter Einbeziehung des Schuldspruchs des Bezirksgerichts Graz-West vom 13. November 2008 gemäß § 15 JGG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde der Vollzug eines Teils dieser Freiheitsstrafe im Ausmaß von 12 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen. Mit zugleich gefasstem Beschluss wurde für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet und mit Zustimmung des Angeklagten eine Therapieweisung zur Entwöhnung von Suchtgift erteilt.

Nach dem Schuldspruch hat Daniel O***** in Graz

A./ vorschriftswidrig Suchtgift

1./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er im Zeitraum vom 1. April 2008 bis 17. Oktober 2009 „ca 1.540“ Gramm Cannabiskraut an teils bekannte, teils unbekannte Personen gewinnbringend verkaufte;

2./ erworben und besessen, indem er von Mai 2006 bis 17. Oktober 2009 unbekannte Mengen Cannabiskraut und Speed (Amphetamin) konsumierte;

B./ am 11. Juli 2009 einer Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht, wobei er bereits volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährige war, indem er Jeannine Z***** (geboren am 9. Juli 1993) eine unbekannte Menge Cannabiskraut in Form eines Joints überließ;

C./ am 6. August 2009 mit dem Vorsatz, dass vorsätzlich eine mit Strafe bedrohte Handlung, nämlich das Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 2 StGB begangen werde, es unterlassen, ihre schon begonnene Ausführung zu verhindern, indem er Marco B*****, welcher im Begriff war, einen Spind aufzubrechen und daraus mehrere Wertgegenstände zu entnehmen, von der weiteren Tatbegehung nicht abhielt.

Aus dem unbedingten Teil der verhängten Freiheitsstrafe wurde der Verurteilte mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 9. Februar 2010, GZ 3 BE 32/10v 6, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe am 19. Februar 2010 bei einem Strafrest von zwei Monaten bedingt entlassen.

Aufgrund neuerlicher Delinquenz wurde Daniel O***** mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 28. Oktober 2010, GZ 6 Hv 141/10z 26, des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt und unter Anwendung des § 36 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.

Unter einem wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 zweiter Fall StPO der Widerruf der bedingten Entlassung zu AZ 3 BE 32/10v des Landesgerichts für Strafsachen Graz, beschlossen. Eine Entscheidung über die zum Verfahren AZ 7 Hv 135/09y des genannten Gerichts gewährte bedingte Strafnachsicht eines Teils der Freiheitsstrafe ist entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 25 S 19) nicht erfolgt.

Während Daniel O***** die zum Verfahren AZ 6 Hv 141/10z verhängte Freiheitsstrafe mittlerweile mit 27. Juli 2011 verbüßt hat (ON 29 S 3), wurde der Vollzug des widerrufenen Strafrests im Ausmaß von zwei Monaten mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 7. Juli 2011, GZ 6 Hv 141/10z-29, gehemmt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 30. November 2009, GZ 7 Hv 135/09y 17, und der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 28. Oktober 2010, AZ 6 Hv 141/10z, das Gesetz.

Wird ein Urteil in gekürzter Form ausgefertigt, so hat diese Ausfertigung gemäß § 270 Abs 4 StPO die in § 270 Abs 2 StPO erwähnten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe zu enthalten (Z 1), im Fall einer Verurteilung die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung sowie die für die Strafbemessung und gegebenenfalls die für die Bemessung des Tagessatzes maßgebenden Umstände in Schlagworten (Z 2). Beim gekürzt ausgefertigten Urteil ersetzt der Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiellrechtliche Beurteilung (RIS Justiz RS0125764). Aus der gekürzten Urteilsausfertigung müssen daher die einen bestimmten Strafsatz bedingenden und gegebenenfalls auch die eine scheinbar bestehende Privilegierung ausschließenden Tatumstände ausdrücklich hervorgehen (RIS-Justiz RS0101786; Ratz , WK-StPO § 292 Rz 6).

Das Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zu Punkt A./1./ bezeichnet die Menge von „ca 1.540 Gramm Cannabiskraut“ als eine die Grenzmenge nach § 28b SMG übersteigende Menge, doch fehlt ein Ausspruch über die Beschaffenheit dieses Suchtmittels. Ausgehend von einem gerichtsnotorischen THC Gehalt der Droge Marihuana von 0,25 % bis 8 % (RIS Justiz RS0087895) kann aufgrund fehlender Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nicht beurteilt werden, ob die vom Schuldspruch erfasste Weitergabe tatsächlich eine die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigende Menge von 20 Gramm reinem THC betraf (RIS-Justiz RS0111350).

Das Landesgericht hätte somit Feststellungen zum Reinheitsgehalt der überlassenen Menge an Cannabiskraut treffen müssen.

Gleichfalls hätte das Schöffengericht ausgehend von der im Hinblick auf die erfolgte Therapieweisung ersichtlich angenommenen Gewöhnung an Suchtmittel die privilegierende Bestimmung des § 28a Abs 3 erster Fall SMG anzuwenden oder aber gemäß § 270 Abs 4 Z 2 StPO in der gekürzten Urteilsausfertigung diesen Ausnahmesatz ausschließende Feststellungen zu treffen gehabt (RIS-Justiz RS0125764; zuletzt 12 Os 82/11t).

In Ansehung der Urteilsannahme des Erwerbs und Besitzes von Suchtgift und dessen nachfolgender Konsumation sind gleichfalls nach § 270 Abs 4 Z 2 StPO erforderliche klare Tatsachenannahmen in Richtung eines nicht nach § 27 Abs 2 SMG privilegierten Missbrauchs unterblieben.

Auch hiezu hätte das Gericht ausdrückliche Feststellungen zum Nichtvorliegen der Privilegierung nach § 27 Abs 2 SMG zu treffen oder Daniel O***** nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 StGB schuldig zu sprechen gehabt (RIS-Justiz RS0124177).

Hinsichtlich der vor dem 1. Jänner 2008 begangenen Tathandlungen wäre die Anwendung eines sechs Monate übersteigenden Strafsatzes (vgl § 27 Abs 1 idgF) unter dem Gesichtspunkt des zufolge §§ 1, 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleichs auch im Fall der Konstatierung von die rechtliche Unterstellung auch unter § 27 Abs 2 SMG ausschließender Umstände verwehrt, weil § 27 Abs 1 idF BGBl I 2002/134 für bloßen Erwerb und Besitz von Suchtgift in jedem Fall nur eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen vorsah.

Ein Nachteil des Verurteilten ist angesichts der aufgezeigten, dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz anhaftender Rechtsfehler mangels Feststellungen nicht auszuschließen.

Nach dem durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109, eingefügten zweiten Satz des § 53 Abs 1 StGB können die bedingte Nachsicht eines Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Ein Widerruf der bedingten Entlassung aus dem nach § 43a Abs 3 oder Abs 4 StGB nicht bedingt nachgesehenen Teil einer Freiheitsstrafe ist daher unzulässig, wenn zugleich (wie zu AZ 6 Hv 141/10z angesichts unterlassener Beschlussfassung: de facto) in Ansehung des bedingt nachgesehenen Teils dieser Strafe vom Widerruf abgesehen wird (RIS-Justiz RS0125448; 14 Os 46/11p).

Der vom Landesgericht für Strafsachen Graz vom 28. Oktober 2010 verfügte Widerruf der mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 9. Februar 2010, GZ 3 BE 32/10v-6, gewährten bedingten Entlassung gereicht dem Verurteilten zum Nachteil.

Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. November 2009, GZ 7 Hv 135/09y 17, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen zu A./1./ und 2./, demzufolge auch den unter Einbeziehung gemäß § 15 JGG des Schuldspruchs des Bezirksgerichts Graz West vom 13. November 2008, AZ 15 U 137/08s, ergangenen Strafausspruch und die Beschlüsse auf Anordnung der Bewährungshilfe sowie auf Weisung, sich einer Suchtgifttherapie zu unterziehen, ebenso aufzuheben wie den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28. Oktober 2010, GZ 6 Hv 141/10z-26, mit welchem die mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. Februar 2010, AZ 3 BE 32/10v-4, bewilligte bedingte Entlassung widerrufen wurde.

Dem Landesgericht für Strafsachen Graz wird im Umfang der Aufhebung zum Verfahren AZ 7 Hv 135/09y die neue Verhandlung und Entscheidung aufgetragen. Dieses wird allenfalls zu beachten haben, dass auch der iSd § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG tatbestandsbegründende Additionsvorsatz zu konstatieren wäre.

Rechtssätze
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