Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Alexandra KREBITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch das Flüchtlingsprojekt Ute Bock, Zohmanngasse 28, 1100 Wien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 27.08.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.02.2025 zu Recht:
A) Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 18.05.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Am selben Tag wurde er einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen und gab an, er müsse in Syrien nicht zum Militär einrücken und sei geflüchtet, weil er seine finanzielle Lage verbessern wolle. Weil sein Vater die Familie bereits früh verlassen habe, müsse sich der Beschwerdeführer um seine Schwestern kümmern. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst vor einer Gefängnisstrafe.
2. Am 06.06.2024 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass er in Syrien zum Militär und für das Regime kämpfen müsse. Das wolle er auf keinen Fall, denn in Syrien sei Bürgerkrieg und dabei würden Menschenrechtsverletzungen begangen. Er wolle damit nichts zu tun haben und keine Waffe gegen seine eigenen Landsleute richten. Er sei auch wegen Terrorismus verurteilt und inhaftiert worden, obwohl er kein Terrorist sei. Er sei wegen des missachteten Militärdienstes inhaftiert worden und schließlich in die Türkei geflohen. Die Regelung, dass einzige Söhne nicht zum Militärdienst müssten, gelte erst, wenn die Mutter das 52. Lebensjahr erreicht habe.
Der Beschwerdeführer legte mehrere Dokumente in Kopie samt deutscher Übersetzung vor.
3. Mit Bescheid vom 27.08.2024, Zl. XXXX , zugestellt am 02.09.2024, wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz vom 18.05.2023 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten (gemeint wohl in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien) zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheids (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) erhob der Beschwerdeführer Beschwerde, welche am 11.09.2024 bei der belangten Behörde einlangte. In der Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die persönlichen Gewissensgründe und die Weltanschauung Gründe für die Ablehnung des Dienstes an der Waffe seien. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer bereits inhaftiert und gefoltert worden sei, gerade weil ihm das Davonlaufen vom Militärdienst unterstellt worden sei.
5. Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 27.09.2024 zur Entscheidung vor.
6. Am 18.02.2025 reichte die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel nach.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte über die eingebrachte Beschwerde am 19.02.2025 eine öffentliche, mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters und eines Dolmetschers der Sprache Arabisch durch. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.
Beigeschafft wurden folgende Berichte zur Situation in Syrien:
- COI-CMS Country of Origin Information – Content Management System, Version 11 vom 27.03.2024
- UNHCR Position on Returns to the Syrian Arabic Republic, Dezember 2024
- UNHCR - Regional Flash Updates #2, #9, #10, #12, #13, #14 Syria situation crisis vom 11.12.2024, 10.01.2025, 17.01.2025, 30.01.2025, 07.02.2025 und 13.02.2025
- UNHCR’s Financial Requirements, Voluntary Return of Syrian Refugees and IDPs, January - December 2025
- UNHCR Operational Framework, Voluntary Return of Syrian Refugees and IDPs, 2025
- EUAA Country Guidance 17.04.2024
- Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN Sicherheitslage, Dezember 2024
- BAMF - Briefing Notes Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration vom 03. Februar 2025, Syrien
- DIS, Military Recruitment in North and East Syria, Juni 2024
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, SYRIEN, Militärdienst: Regelung „einzige Söhne“ bei Halbgeschwistern, 2.10.2023
- Ecoi.net Syrien, Arabische Republik - Informationssammlung zu Entwicklungen rund um den Sturz von Präsident Assad.
Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.
8. Am 03.03.2025 übermittelte der Beschwerdeführer Fotografien von angeblichen Folterspuren an seinem Körper. Weiters wurde um die Übermittlung der Länderberichte zur Stellungnahme ersucht.
9. Die Länderberichte wurden dem Beschwerdeführer am 03.03.2025 übermittelt. Eine Stellungnahme des Beschwerdeführers langte nicht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch genannten Namen und wurde am XXXX geboren. Er ist syrischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist gesund.
Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , Distrikt Abu Kamal, Gouvernement Deir ez-Zor, geboren und wuchs dort auf. Er besuchte sieben Jahre lang die Schule und reiste am 07.10.2016 legal in den Libanon aus. Dort lebte er etwa ein Jahr und arbeitete als Friseur. Am 27.07.2017 kehrte er nach Syrien zurück und reiste im Jahr 2020 in die Türkei aus. Auch in Syrien und der Türkei arbeitete der Beschwerdeführer als Friseur.
Der Beschwerdeführer ist seit 2021 mit XXXX verheiratet und hat mir ihr einen Sohn, geb. 2022. Diese leben in der Türkei.
Die Mutter des Beschwerdeführers lebt bei ihrer Familie in Damaskus. Der Beschwerdeführer ist der einzige Sohn und hat drei Schwestern, wovon eine im Libanon, eine in der Türkei und eine in Deir ez-Zor, Syrien lebt. Die Eltern des Beschwerdeführers sind geschieden, über den Aufenthaltsort des Vaters ist dem Beschwerdeführers nichts bekannt.
Seit der militärischen Großoffensive der dschihadistischen Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) befindet sich die Gebiete westlich des Euphrats unter deren Kontrolle, während der östliche Teil des Gouvernements – die meisten Gebiete östlich des Euphrats, darunter auch XXXX – von den kurdisch dominierten SDF kontrolliert wird.
In Österreich arbeitete der Beschwerdeführer als Essenszusteller. Er hat den Integrationskurs abgeschlossen und besucht derzeit einen Deutschkurs.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. In Syrien weist der Beschwerdeführer eine Verurteilung vom 30.10.2019 wegen der Begehung von terroristischen Handlungen zu einer 1,5-jährigen Haft auf. Der Beschwerdeführer befand sich von 19.03.2018 bis 07.10.2019 in Haft.
Er beantragte nach seiner Einreise nach Österreich am 18.05.2023 die Zuerkennung von internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 27.08.2024 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Syrien zuerkannt.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
1.2.1. Der Beschwerdeführer ist in Syrien aufgrund der Verurteilung wegen Begehung terroristischer Handlungen oder wegen der Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst keinen staatlichen oder sonstigen Repression ausgesetzt.
1.2.2. Der Beschwerdeführer ist in Syrien keiner Bedrohung durch den Onkel väterlicherseits ausgesetzt.
1.2.3. Ebensowenig droht dem Beschwerdeführer in Syrien die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt im Zusammenhang mit dem Militärdienst für das (ehemalige) syrische Regime.
1.2.4. Der zum Entscheidungszeitpunkt XXXX -jährige Beschwerdeführer hat den Wehrdienst in der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien noch nicht abgeleistet. Er wurde bislang nicht einberufen, fällt aber aufgrund seines Alters grundsätzlich in die Wehrpflicht, welche für Männer der Jahrgänge 1998 und später gilt und ein Jahr andauert.
Sollte der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr zum verpflichtenden Wehrdienst bei den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten eingezogen werden, ist er im Falle der Weigerung, der „Selbstverteidigungspflicht“ nachzukommen, nicht der Gefahr ausgesetzt, von den kurdischen Autonomiebehörden als der Opposition zugehörig wahrgenommen zu werden. Der Beschwerdeführer war in Syrien nicht politisch tätig und ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung oder Partei. Das Wehrpflichtgesetz der kurdischen Selbstverwaltung wird zwar auch mit Gewalt durchgesetzt. Wer versucht, dem Wehrdienst zu entgehen, wird mit einer Verlängerung der Wehrpflicht um ein Monat bestraft. Fallweise kann es zu einer Inhaftierung von bis zu zwei Wochen kommen, während derer ein Einsatzort für die betroffene Person gesucht wird. Im Fall von Verweigerung aus Gewissensgründen oder im Fall einer Verhaftung wegen Wehrdienstverweigerung erhöht sich der Wehrdienst auf 15 Monate. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, den Wehrdienst aktiv verweigern zu wollen.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers
Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformation der Staatendokumentation Syrien vom 27.03.2024, Version 11 (LIB),
- Kurzinformation der Staatendokumentation: SYRIEN vom 10.12.2024 (KI),
- UNHCR Regional Flash Update #13 Syria situation crisis vom 07.02.2025 (UNHCR #13),
- UNHCR Regional Flash Update #14 Syria situation crisis vom 13.02.2025 (UNHCR #14).
1.3.1. Politische Lage
Nach monatelanger Vorbereitung und Training starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) die Operation „Abschreckung der Aggression“ und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende (KI S. 1).
Am 30.11.2024 nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein, am frühen Morgen des 8.12.2024 verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt, die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen. Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt. Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (KI S. 2 f.).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren, sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt. Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo. Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein. Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (KI S. 3).
Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten. Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen. Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (KI S. 6).
In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden. Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben. Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (KI S. 6).
Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA)
Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland. Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten. In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert. Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak. Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten. Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (KI S. 6).
Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf. Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden. Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (KI S. 6 f.).
Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (KI S. 7).
Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS)
Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet. Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen. Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union und der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a, zu verwenden. Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien. Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (KI S. 7).
Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (KI S. 7).
National Liberation Front (NFL)
Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (KI S. 7).
Ahrar al-Sham Movement
Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (KI S. 8).
Jaish al-Izza: Jaish al-Izza
Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (KI S. 8).
Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki)
Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (KI S. 8).
Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand. In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (KI S. 8).
Syrian Democratic Forces (SDF)
Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen (KI S. 8). Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF. Sie werden von den USA unterstützt. Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (KI S. 8).
Syrian National Army (SNA)
Diese werden von der Türkei unterstützt und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei. Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (KI S. 8).
1.3.2. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon. Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen. Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt. Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr. Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (KI S. 9).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind. Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (KI S. 9).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (KI S. 9).
Rechtsschutz / Justizwesen
Gebiete unter der Kontrolle des syrischen Regimes
Die syrische Verfassung sieht Demokratie (Art. 1, 8, 10, 12), Achtung der Grund- und Bürgerrechte (Art. 33-49), Rechtsstaatlichkeit (Art. 50-53), Gewaltenteilung sowie freie, allgemeine und geheime Wahlen zum Parlament (Art. 57) vor. Faktisch haben diese Prinzipien in Syrien jedoch nie ihre Wirkung entfaltet, da die Ba’ath-Partei durch einen von 1963 bis 2011 geltenden, extensiv angewandten Ausnahmezustand wichtige Verfassungsregeln außer Kraft setzte. Zwar wurde der Ausnahmezustand 2011 beendet, aber mit Ausbruch des bewaffneten Konflikts in Syrien umgehend im Jahr 2012 durch eine genauso umfassende und einschneidende „Anti-Terror-Gesetzgebung“ ersetzt. Sie führte zu einem Machtzuwachs der Sicherheitsdienste und massiver Repression, mit der das Regime auf die anfänglichen Demonstrationen und Proteste sowie den späteren bewaffneten Aufstand großer Teile der Bevölkerung antwortete. Justiz und Gerichtswesen sind von grassierender Korruption und Politisierung durch das Regime geprägt.
Laut geltender Verfassung ist der Präsident auch Vorsitzender des Obersten Justizrates (AA 29.3.2023).
Das Justizsystem Syriens besteht aus Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiösen Gerichten sowie einem Kassationsgericht. Gerichte für Personenstandsangelegenheiten regeln das Familienrecht (SLJ 5.9.2016). Der Konflikt in Syrien hat das bereits zuvor schwache Justizsystem weiter ausgehöhlt (ÖB Damaskus 1.10.2021). Die Unabhängigkeit syrischer Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichte ist unverändert nicht gewährleistet, diese werden im Gegenteil vom Regime für politische Zwecke missbraucht. Vor allem vor Strafgerichten ist eine effektive Verteidigung in Fällen mit politischem Hintergrund praktisch nicht möglich. Immer wieder werden falsche Geständnisse durch Folter und Drohungen durch die Anklage erpresst und seitens der Gerichte weitestgehend vorbehaltlos akzeptiert (AA 2.2.2024). In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist die Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Umsetzung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weitverbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können (ÖB Damaskus 1.10.2021). Richter und Staatsanwälte müssen im Grunde genommen der Ba’ath-Partei angehören und sind in der Praxis der politischen Führung verpflichtet (FH 9.3.2023).
Tausende von Gefangenen wurden monatelang oder jahrelang ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) festgehalten, bevor sie ohne Anklage oder Gerichtsverfahren freigelassen wurden, während viele andere im Gefängnis starben (USDOS 20.3.2023).
Anti-Terror-Gerichte (CTC)
2012 wurde in Syrien ein Anti-Terror-Gericht (Counter Terrorism Court - CTC) eingerichtet. Dieses soll Verhandlungen aufgrund „terroristischer Taten“ gegen Zivilisten und Militärpersonal führen, wobei die Definition von Terrorismus im entsprechenden Gesetz sehr weit gefasst ist (SJAC 9.2018). Die „Terrorismus-Gerichte“ sind außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens tätig (ÖB Damaskus 1.10.2021). Anklagen gegen Personen, die vor das CTC gebracht werden, beinhalten: das Finanzieren, Fördern und Unterstützen von Terrorismus; die Teilnahme an Demonstrationen; das Schreiben von Stellungnahmen auf Facebook; die Kontaktierung von Oppositionellen im Ausland; den Waffenschmuggel an bewaffnete Oppositionelle; das Liefern von Nahrungsmitteln, Hilfsgütern und Medizin in von der Opposition kontrollierte Gebiete (NMFA 5.2020).
Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) und andere Quellen betonen, dass sowohl der Gerichtsprozess im CTC als auch die Gesetzgebung, auf deren Basis dieser Gerichtshof agiert offenkundig internationales Menschenrecht und fundamentale rechtliche Standards verletzen.
Diese Verletzungen beinhalten: willkürliche Verhaftungen, unter Folter erzwungene Geständnisse als Beweismittel, geschlossene Gerichtssitzungen unter Ausschluss der Medien, das Urteilen des Gerichts über Zivilisten, Minderjährige und Militärangehörige gleichermaßen, die Ernennung der Richter durch den Präsidenten, die Nicht-Zulässigkeit von ZeugInnen der/des Angeklagten, usw. (NMFA 6.2021). Das normale juristische Prozedere gilt bei keinem der Fälle vor den CTCs.
Eine Berufung gegen Urteile ist nicht möglich (BS 23.2.2022).
Mangels Definition von „Terrorismus“ und mit „Terrorismus“ als Generalvorwurf gegen jede Form von abweichender Meinung werden die Anti-Terrorismus-Gerichte als „politisch“ kategorisiert (BS 23.3.2022), und vor allem auch viele Oppositionelle werden dabei als „Terroristen“ angeführt (ÖB Damaskus 1.10.2021). Die Anti-Terror-Gerichte dienen insbesondere dem Zweck, politische Gegner und Personen, die sich für politischen Wandel und Menschenrechte einsetzen, auszuschalten. Demnach sollen seit Errichtung dieser Gerichte bis Oktober 2020 schätzungsweise mindestens 90.560 Fälle vor diesen Gerichten verhandelt worden sein. Dabei sollen mindestens 20.641 Gefängnisstrafen und mehr als 2.147 Todesurteile verhängt worden sein, davon der Großteil in Abwesenheit der Angeklagten. Vor diesen Gerichten sei Angeklagten in Verfahren, die oftmals nur wenige Minuten dauern, ein Rechtsbeistand verwehrt; sie würden nach glaubhaften Aussagen ehemaliger Häftlinge oftmals gezwungen, Geständnisse ohne Kenntnis des Textes blind zu unterschreiben. Viele der von diesen Gerichten Verurteilten erhielten laut SNHR Haftstrafen zwischen 10 und 20 Jahren, politische Dissidenten häufig bis zu 30 Jahre.
In letzteren Fällen sei es wiederholt auch zu außergerichtlichen Hinrichtungen gekommen (AA 2.2.2024).
Undeklarierte Internierungslager, in denen unmenschliche Bedingungen vorherrschen, sind weit verbreitet. Auch Kinder und Frauen werden in diesen Internierungszentren festgehalten. Im Mai 2018 veröffentlichte die syrische Regierung Listen mit Tausenden Namen von in Internierungslagern verstorbenen Bürgern. Eine Aufklärung dieser Todesfälle steht aus (ÖB Damaskus 1.10.2021). Neben Gefängnisstrafen, Zwangsarbeit und der Todesstrafe sieht das Dekret 6372 auch vor, dass das Gericht, jeglichen beweglichen und unbeweglichen Besitz beschlagnahmen kann (SJAC 9.2018). Umfasst ist auch das Eigentum der Familien der Verurteilten und in einigen Fällen sogar ihrer Freunde (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Sozio-Ökonomische Lage
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (KI S. 9).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt. Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (KI S. 9 f.).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (KI S. 10).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (KI S. 10).
Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (KI S. 10).
1.3.3. Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)
Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v.a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet. Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet. Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah. Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt. Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war. Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (LIB S. 50 f.).
Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (LIB S. 51).
Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern. Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent. Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der ‚Syrian National Army‘ (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (LIB S. 52).
Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt. Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (LIB S. 54).
SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen. Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand. Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS, und die Region gilt als „Hauptschauplatz für den Aufstand des IS“ (LIB S. 54).
Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen. In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien. Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (LIB S. 54).
Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF (LIB S. 54).
Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können. Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer. Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten. Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF. US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte. Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen. Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab. Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS. Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren, wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (LIB S. 54 f.).
Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten. Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden. Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt. Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben. Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe. Im Jahr 2023 haben die Aktivitäten von Schläferzellen des IS vor allem in der östlichen Wüste zugenommen (LIB S. 55).
Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol. Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind, auch aus Österreich. Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen. Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt, und das Lager ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden. 65 Prozent der Bewohner von al-Hol sind Kinder, 52 Prozent davon im Alter von unter zwölf Jahren, die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind. Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren. Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Lagers ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination durch den IS begünstigt. Die SDF sahen sich zudem gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (LIB S. 56).
Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens. Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage. Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht. Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird. Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF sowie gegen steigende Treibstoffpreise. In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen. Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt. Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (LIB S. 56).
Im August 2023 brachen gewaltsame Konflikte zwischen den kurdisch geführten SDF und arabischen Stämmen in Deir ez-Zor aus, in dessen Verlauf es den Aufständischen gelungen war, zeitweise die Kontrolle über Ortschaften entlang des Euphrat zu erlangen. UNOCHA dokumentierte 96 Todesfälle und über 100 Verwundete infolge der Kampfhandlungen, schätzungsweise 6.500 Familien seien durch die Gewalt vertrieben worden. Nach Rückerlangung der Gebietskontrolle durch die SDF kam es auch in den folgenden Wochen zu sporadischen Attentaten auf SDF sowie zu vereinzelten Kampfhandlungen mit Stammeskräften (LIB S. 57).
Wehrpflichtgesetz der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“
Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte „Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient. Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur „Selbstverteidigungspflicht“, das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen. Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war. Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (LIB S. 157).
Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der „Selbstverwaltung“ befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der „Selbstverwaltung“ als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die „Selbstverteidigungspflicht“ erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur „Selbstverteidigungspflicht“ eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (LIB S. 157).
Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert. Artikel zwei des Gesetzes über die „Selbstverteidigungspflicht“ vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der „Selbstverwaltung“ gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (LIB S. 157 f.).
Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall „höherer Gewalt“ einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (LIB S. 158).
Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen
Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (LIB S. 158).
Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der „Selbstverteidigungspflicht“ erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (LIB S. 158).
Rekrutierungspraxis
Die Aufrufe für die „Selbstverteidigungspflicht“ erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim „Büro für Selbstverteidigungspflicht“ ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z. B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird. Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (LIB S. 158).
Wehrdienstverweigerung und Desertion
Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen. Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die „Militärpolizei“ unter seiner Adresse. Die meisten sich der „Wehrpflicht“ entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (LIB S. 158).
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil. Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das „Selbstverteidigungspflichtgesetz“ auch mit Gewalt durchgesetzt, während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der „Wehrpflicht“ um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft „für eine Zeitspanne“. Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden. Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleich behandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen. Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab sowie von der Region, aus der er stammt. In al-Hasakah beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern (LIB S. 159).
Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (LIB S. 159).
Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (LIB S. 159).
Aufschub des Wehrdienstes
Das Gesetz enthält Bestimmungen, die es Personen, die zur Ableistung der „Selbstverteidigungspflicht“ verpflichtet sind, ermöglichen, ihren Dienst aufzuschieben oder von der Pflicht zu befreien, je nach den individuellen Umständen. Manche Ausnahmen vom „Wehrdienst“ sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr. Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden. Im Ausland (Ausnahme: Türkei und Irak) lebende, unter die „Selbstverteidigungspflicht“ fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den „Wehrdienst“ antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (LIB S. 159 f.).
Proteste gegen die „Selbstverteidigungspflicht“
Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2.6.2021 einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Einigung resultierte nach einer Rekrutierungspause in der Herabsetzung des Alterskriteriums auf 18 bis 24 Jahre, was später auf die anderen Gebiete ausgeweitet wurde. Im Sommer 2023 kam es in Manbij zu Protesten gegen die SDF insbesondere aufgrund von Kampagnen zur Zwangsrekrutierung junger Männer in der Stadt und Umgebung (LIB S. 160).
1.3.4. Rückkehr
Seit 2011 waren 12,3 Millionen Menschen in Syrien gezwungen, zu flüchten - 6,7 Millionen sind aktuell laut OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) Binnenvertriebene (LIB S. 269).
As of 13 February 2025, UNHCR Syria estimates that 279,620 Syrians have crossed back into Syria via neighbouring countries. The IDP Taskforce reports that, as of 9 February 2025, the total number of people newly displaced following the November and December hostilities stands at 617,000. In total, there remain over 7.4 million IDPs in Syria. In parallel, around 680,000 internally displaced have returned to their areas of origin since December 2024 (UNHCR #14).
UNHCR continued to provide legal support to refugee returnees and IDPs, including awareness raising sessions and assistance with civil documentation proceedings for returnees from Lebanon in Al-Hassakeh and Ar-Raqqa. Many returning families report having lost their IDs, family booklets and Housing, Land and Property (HLP) documents, making this type of assistance more and more pressing. Increasing numbers of IDPs and returnees are approaching UNHCR for support given the negative implications that lack of documentation can have for accessing rights and services (UNHCR #13).
Awareness raising sessions on landmines and unexploded ordnance are also ongoing each week in various parts of the country – especially important given the persistent threat these remnants of war pose to civilian populations, particularly children and agricultural workers. According to HALO Trust, the number of people killed or wounded by landmines and other explosive devices in Syria has reached crisis levels – more than 400 since December 2024. As temperatures warm up, school terms end and more people decide to return home, the risks of casualties will only increase (UNHCR #13).
Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) vom 7.2.2023 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht durch verschiedene Akteure, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen darstellen könnten, und sieht keine Erfüllung der Voraussetzungen für nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen gegeben. Eine UNHCR-Umfrage im Jahr 2022 unter syrischen Flüchtlingen in Ägypten, Libanon, Jordanien und Irak ergab, dass nur 1,7 Prozent der Befragten eine Rückkehr in den nächsten 12 Monaten vorhatten. Obwohl sich am Bestehen der Fluchtursachen, insbesondere im Hinblick auf verbreitete Kampfhandlungen sowie die in weiten Teilen des Landes katastrophale humanitäre, wirtschaftliche und Menschenrechtslage nichts geändert hat, erhöhen manche Aufnahmestaaten in der Region gezielt den politischen, rechtlichen und sozioökonomischen Druck auf syrische Geflüchtete, um eine „freiwillige Rückkehr“ zu erwirken (LIB S. 269 f.).
RückkehrerInnen nach Syrien müssen laut Human Rights Watch mit einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen rechnen, von willkürlicher Verhaftung, Folter, Verschwindenlassen bis hin zu Beschränkungen beim Zugang zu ihren Herkunftsgebieten. Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, in absoluten Zahlen betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert. Unverändert besteht somit in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar. Auch erschienen Berichte über erneute Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben von Rückkehrenden. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert oder eingeschüchtert wurden. Nach entsprechenden Berichten von Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) von September bzw. Oktober 2021 präsentierten der Zusammenschluss von Zivilgesellschaftsorganisationen Voices for Displaced Syrians Forum und der Think Tank Operations and Policy Center im Frühjahr 2022 eine gemeinsame Studie (Stand November 2022) zu Rückkehrenden aus Europa (Deutschland, Dänemark, Niederlande), der engeren Nachbarschaft (Türkei, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten) und anderen Regionen Syriens. Diese dokumentiert innerhalb eines Jahres schwierigste Rückkehrbedingungen in allen Regionen Syriens, darunter in einigen Fällen physische Gewalt und Verhaftungen der Betroffenen oder von Angehörigen sowie weitgehende Bewegungsbeschränkungen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Rückkehrbedingungen nach Syrien in keiner Hinsicht erfüllt seien. UNHCR, IKRK und IOM vertreten unverändert die Auffassung, dass die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien in Sicherheit und Würde angesichts der unverändert bestehenden, signifikanten Sicherheitsrisiken in ganz Syrien nicht erfüllt sind. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann derzeit insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden (LIB S. 270).
Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien laut Auswärtigem Amt weiterhin nicht getroffen werden (LIB S. 270).
Laut UNHCR sind von 2016 bis Ende 2020 170.000 Flüchtlinge (40.000 2020 gegenüber 95.000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30.000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187.000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID-bedingt kam die Rückkehr 2020 zum Erliegen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt. Als ein Argument für ihre Militäroperationen führt die Türkei auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von Russland Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up 2021 sowie 2022), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen, vermochte an diesen Trends nichts zu ändern (LIB S. 270 f.).
Laut Vereinten Nationen (u. a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben (LIB S. 271).
Hindernisse für die Rückkehr
Shelter remains a critical issue and potential barrier for return. According to the RPIS results, of the 61% of refugees who own a home in Syria, 81% report that it is either fully destroyed or partially damaged and uninhabitable. Based on observations on the ground, UNHCR estimates that in parts of Aleppo Governorate, nearly 60% of houses are uninhabitable, forcing families to create temporary shelters with plastic sheeting, while others live in UNHCR-supported hosting centres. Still others are staying with relatives, often in overcrowded conditions. In some areas, families living in homes owned by other refugees who intend to return are under pressure to vacate (UNHCR #13).
Underscoring these issues, the UN Syria Commission of Inquiry report, released on 6 February, notes in detail the patterns of systematic, largescale destruction of civilian infrastructure and homes over 14 years of conflict in Syria and emphasizes the need to address HLP rights and violations in order to avoid exacerbating social tensions and fuelling future grievances (UNHCR #13).
Rückkehrenden sind auch Human Rights Watch zufolge mit wirtschaftlicher Not konfrontiert wie der fehlenden Möglichkeit, sich Grundnahrungsmittel leisten zu können. Die meisten finden ihre Heime ganz oder teilweise zerstört vor, und können sich die Renovierung nicht leisten. Die syrische Regierung leistet keine Hilfe bei der Wiederinstandsetzung von Unterkünften. In der von der Türkei kontrollierten Region um Afrîn nordöstlich von Aleppo Stadt wurde überdies berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt vorgefunden haben. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation ‚Friedensquelle‘ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen. Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen. Am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch laut ÖB Damaskus an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Darunter fällt auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von Russland, der Nachbarländer sowie der Vereinten Nationen wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufs von 30 Tagen auf ein Jahr. Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen. Zudem kommt es zum Diebstahl durch Betrug von Immobilien, deren Besitzer - z.B. Flüchtlinge - abwesend sind. Viele von ihren Besitzern verlassene Häuser wurden mittlerweile von jemandem besetzt. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst auf sie hetzen, und so in Schwierigkeiten. Der Mangel an Wohnraum und die Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (LIB S. 271 f.).
Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 Prozent aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat. Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach der Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar zum Militärdienst eingezogen wurden (LIB S. 272).
Die laut Experteneinschätzung katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht. Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (LIB S. 272).
Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft. Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Raqqa, Deir Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom November 2022 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 Prozent der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Dabei sind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Im Schnitt gab es seit Kriegsbeginn alle zehn Minuten ein Opfer des Kriegs oder mittelbarer Kriegsfolgen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85 Prozent der Opfer sind männlich, fast 50 Prozent mussten amputiert werden und mehr als 20 Prozent haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39 Prozent der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 Prozent auf landwirtschaftlichen Flächen, zehn Prozent auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26 Prozent der Opfer IDPs [Anm.: Infolge der Erdbeben im Februar 2023 erhöht sich die Gefahr, dass Explosivmaterialen wie Minen durch Erdbebenbewegungen, Wasser etc. verschoben werden] (LIB S. 272).
Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz. So berichtet UNHCR von einer ‚sehr begrenzten‘ und ‚abnehmenden‘ Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück. Hierbei handelte es sich allerdings zu 94 Prozent um Rückkehrer innerhalb Syriens. Insgesamt ging im Jahr 2022 laut UN-Einschätzung die Bereitschaft zu einer Rückkehr zurück, und zwar aufgrund von Sicherheitsbedenken der Flüchtlinge. Stattdessen steigt demnach die Zahl der SyrerInnen, welche versuchen, Europa zu erreichen, wie beispielsweise das Bootsunglück vom 22.9.2022 mit 99 Toten zeigte. In diesem Zusammenhang wird Vorwürfen über die willkürliche Verhaftung mehrer männlicher Überlebender durch die syrische Polizei und den Militärnachrichtendienst nachgegangen (LIB S. 272 f.).
Während die syrischen Behörden auf internationaler Ebene öffentlich eine Rückkehr befürworten, fehlen syrischen Flüchtlingen, im Ausland arbeitenden SyrerInnen und Binnenflüchtlingen, die ins Regierungsgebiet zurückkehren wollen, klare Informationen für die Bedingungen und Zuständigkeiten für eine Rückkehr sowie bezüglich einer Einspruchsmöglichkeit gegen eine Rückkehrverweigerung (LIB S. 272).
Das deutsche Auswärtige Amt zieht den Schluss, dass eine sichere Rückkehr Geflüchteter insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden kann. UNHCR ruft weiterhin die Staaten dazu auf, keine zwangsweise Rückkehr von syrischen Staatsbürgern sowie ehemals gewöhnlich dort wohnenden Personen - einschließlich früher in Syrien ansässiger Palästinenser - in irgendeinen Teil Syrien zu veranlassen, egal wer das betreffende Gebiet in Syrien beherrscht (LIB S. 277).
Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die dort verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung als Leute gesehen, die ‚davongelaufen‘ sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben. Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich ‚sauber‘ [Anm.: aus Regimeperspektive] sind, mit dem Ziel, daraus materiellen Gewinn zu schlagen [Anm.: siehe hierzu auch die Thematik des Immobiliendiebstahls durch Betrug, der sich oft gegen seit langem Abwesende richtet, z.B. im Überkapitel Rückkehr] (LIB S. 277).
Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (LIB S. 278).
Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft. Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz. So berichtet UNHCR von einer ‚sehr begrenzten‘ und ‚abnehmenden‘ Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück und davon handelte es sich bei 94 % um Rückkehrer innerhalb Syriens, wenngleich von der UNO auch Fälle dokumentiert sind, dass Binnenvertriebene von aktuell oppositionell gehaltenen Gebieten aus nicht in ihre Heimatdörfer im Regierungsgebiet zurückkehren durften - trotz vorheriger Genehmigung (LIB S. 286).
Laut Einschätzung der United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic könnte das Vorgehen der Regierung möglicherweise eine Verletzung von Unterkunfts-, Land- und Besitzrechten dar. Die Duldung der Inbesitznahme von Immobilien durch Dritte könnte eine Verletzung des Schutzes genannter Rechte darstellen. Sie haben auch mögliche Verletzungen des internationalen humanitären Gewohnheitsrechts zur Folge bezüglich der Besitzrechte von Vertriebenen (LIB S. 286).
Ergänzende Informationen zur Behandlung bei und nach der Rückkehr
Am 10.5.2023 erklärten die Außenminister von Russland, Türkei, Iran und Syrien, dass erst die nötige Infrastruktur für eine sichere Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien geschaffen werden müsse. Es besteht nach wie vor kein freier und ungehinderter Zugang von UNHCR und anderer Menschenrechtsorganisationen zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist. Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen bei der Rückkehr ist es unklar, wie systematisch und weit verbreitet Übergriffe gegen Rückkehrer sind. Es gibt kein klares Gesamtmuster bei der Behandlung von Rückkehrern, auch wenn einige Tendenzen zu beobachten sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt zur Abwesenheit eines klaren Musters bei. Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer (LIB S. 288 f.).
Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. RückkehrerInnen und Binnenvertriebene sind am ehesten von gesellschaftlichem Ausschluss und einem Mangel an Zugang zu öffentlichen Leistungen in der näheren Zukunft ausgesetzt. Enteignungen dienen der Schaffung von Hürden für rückkehrende Flüchtlinge und Binnenvertriebene und der Belohnung von regimeloyalen Personen mit einer daraus resultierenden demografischen Änderung in ehemaligen Hochburgen der Opposition (LIB S. 289).
Anhand der von der CoI (Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic der Vereinten Nationen), Nichtregierungsorganisationen (NRO) und anderen dokumentierten Einzelschicksalen der Vergangenheit ist die Bedrohung der persönlichen Sicherheit im Einzelfall das zentrale Hindernis für Rückkehrende. Unverändert besteht nach Bewertung des deutschen Auswärtigen Amts in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar. Auch erschienen Berichte über erneute Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben von Rückkehrenden. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert oder eingeschüchtert wurden (LIB S. 290 f.).
Eine gemeinsame Studie von Zivilgesellschaftsorganisationen im Frühjahr 2022 (Stand November 2022) zu Rückkehrenden aus Europa (Deutschland, Dänemark, Niederlande), der engeren Nachbarschaft (Türkei, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten) und anderen Regionen Syriens dokumentiert schwierigste Rückkehrbedingungen in allen Regionen Syriens, darunter in einigen Fällen physische Gewalt und Verhaftungen der Betroffenen oder von Angehörigen sowie weitgehende Bewegungsbeschränkungen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Rückkehrbedingungen nach Syrien in keiner Hinsicht erfüllt seien. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden. Auch UNHCR und Menschenrechtsorganisationen haben keinen freien und ungehinderten Zugang zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist. UNHCR kann unverändert weder ein umfassendes Monitoring zur Lage von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherstellen, noch einen Schutz ihrer Rechte gewährleisten (LIB S. 292).
Syrische Rückkehrende aus Europa
Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann laut deutschem Auswärtigen Amt für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden. Auch UNHCR und andere Menschenrechtsorganisationen haben keinen freien und ungehinderten Zugang zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist. UNHCR kann unverändert weder ein umfassendes Monitoring zur Lage von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherstellen, noch einen Schutz ihrer Rechte gewährleisten (LIB S. 299).
Die verfügbaren Informationen über SyrerInnen, die aus Europa nach Syrien zurückkehren, sind begrenzt. Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es auch aufgrund deren geringer Zahl keine Angaben: Im Jahr 2020 kehrten 137 syrische Flüchtlinge freiwillig und mit Unterstützung der dänischen Behörden aus Dänemark nach Syrien zurück. Im selben Jahr suchten zehn SyrerInnen bei den niederländischen Behörden um Hilfe für eine Rückkehr nach Syrien an. In Dänemark leben rund 35.000 Syrer und Syrerinnen, in den Niederlanden ca. 77.000. Nach Angaben des deutschen Innenministeriums kehrten von 2017 bis Juni 2020 über 1.000 SyrerInnen mit finanzieller Unterstützung Deutschlands aus Deutschland nach Syrien zurück. Die meisten syrischen Flüchtlinge in der EU erwägen nicht, in (naher) Zukunft nach Syrien zurückzukehren, wie Umfragen aus verschiedenen europäischen Staaten illustrieren. Diejenigen, die nicht nach Syrien zurückkehren wollten, wiesen auf verschiedene Hindernisse für eine Rückkehr hin, darunter das Fehlen grundlegender Dienstleistungen (wie Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheit) (LIB S. 299 f.).
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes ergeben sich aus dem Ermittlungsverfahren, insbesondere der Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in die Akten der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes und den vorgelegten Beweismitteln.
2.1. Zu den Feststellungen der Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage und seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem vorgelegten syrischen Personalausweis (vgl. OZ 4).
Die Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand beruhen insbesondere auf Angaben des Beschwerdeführers (vgl. BFA S. 2; Verhandlungsschrift S. 3).
Die Feststellungen zum Geburtsort des Beschwerdeführers, seinem Aufwachsen, Schulbesuch und Berufserfahrung ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren, wobei der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde nicht näher nach seinem Geburtsort und Wohn- und Aufenthaltsorten befragt wurde. Dass der Beschwerdeführer etwa ein Jahr lang im Libanon lebte, schildert er in der mündlichen Verhandlung und ergibt sich auch aus den vorgelegten Unterlagen, die mit den Angaben des Beschwerdeführers übereinstimmen (vgl. BFA S. 3 f.; Verhandlungsschrift S. 5; vgl. OZ 4 S. 7 – 9). Dass der Beschwerdeführer im Jahr 2020 in die Türkei ausreiste, gibt er im Verfahren gleichbleibend an (vgl. Erstbefragung S. 5; BFA S. 4; Verhandlungsschrift S. 5).
Die Feststellungen zur Ehefrau des Beschwerdeführers und dem gemeinsamen Sohn beruhen auf seinen gleichbleibenden Angaben und den in vorgelegten Kopien der türkischen Dokumente (vgl. OZ 4 S. 19 – 23). Die Feststellungen zu den übrigen Familienangehörigen und ihren Aufenthaltsorten ergeben sich insbesondere aus den Ausführungen in der Beschwerdeverhandlung in Übereinstimmung mit den bisherigen Angaben im Verfahren (vgl. Verhandlungsschrift S. 6; Erstbefragung S. 3; BFA S. 3).
Die Feststellungen zu den Machtverhältnissen in Syrien beruhen auf den zitierten Länderinformationen sowie auf einer Nachschau auf der aktuellen Karte auf https://syria.liveuamap.com.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit in Österreich ergibt sich aus dem Strafregisterauszug, der keine Verurteilungen aufweist. Die Berufstätigkeit des Beschwerdeführers in Österreich sowie die Absolvierung von Kursen ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung (vgl. Verhandlungsschrift S. 6).
Die syrische Verurteilung wegen Begehung terroristischer Handlungen und der Haft ergeben sich aus den im Verfahren vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellung zum Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ergeben sich aus der Erstbefragung (S. 2) und dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 27.08.2024.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
2.2.1. Zunächst ist zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers festzuhalten, dass die Erstbefragung im Asylverfahren gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Es ist somit nicht anzunehmen, dass ein Asylwerber immer alles, was zur Asylgewährung führen könne, bereits bei der Erstbefragung vorbringen werde (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2019/19/0419 mwN.). Vor diesem Hintergrund ist ein Vorbringen nicht schon deshalb als gesteigert anzusehen, wenn der Asylwerber später genannte Gründe im Rahmen der Erstbefragung noch nicht geltend gemacht hat. Im gegenständlichen Fall führt der Beschwerdeführer jedoch bereits an, dass ein einziger Sohn nicht zum Militärdienst müsse und er aus finanziellen Gründen geflüchtet sei, da er sich um seine Schwestern kümmern müsse (vgl. Erstbefragung S. 6). Diese Angaben sind aus Sicht der erkennenden Richterin im Rahmen der Beweiswürdigung des gesamten Vorbringens des Beschwerdeführers sehr wohl zu berücksichtigen.
Im weiteren Verfahren schildert der Beschwerdeführer nämlich erst in der Einvernahme durch die belangte Behörde, dass er zum Militär und für das Regime kämpfen müsse und er, wenn er in Syrien geblieben wäre, zwangsrekrutiert worden wäre. Er sei auch bereits zwei Mal inhaftiert gewesen, einmal im Jahr 2017 für drei Monate und danach nochmals und sei erst im Jahr 2019 wieder freigelassen worden. Er sei aufgrund der missachteten Einberufung zum Militärdienst inhaftiert gewesen, die syrische Regierung habe ihn als Terroristen dastehen lassen wollen (vgl. BFA S. 5). Auf Nachfrage gibt der Beschwerdeführer an, dass die Ausnahmeregelung für einzelne Söhne nur gelte, wenn die Mutter das 52. Lebensjahr erreicht habe (vgl. BFA S. 6). Dazu ist auf die ins Verfahren eingeführten Länderinformationen, welche dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs am 03.03.2025 auch übermittelt wurden, zu verweisen, nach welchen unter anderem einzige Söhne einer Familie vom Wehrdienst ausgenommen sind (LIB S. 129 f.: „Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie […], vom Wehrdienst ausgenommen sind. […] Als einziger Sohn der Familie kann man sich vom Wehrdienst befreien lassen. Mehrere Quellen des Danish Immigration Service haben angegeben, dass es keine Fälle gibt, in denen die einzigen Söhne einer Familie trotzdem zur Wehrpflicht herangezogen worden sind.“). In der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Militärdienst: Regelung „einzige Söhne“ bei Halbgeschwistern vom 02.10.2023 wird diese Regelung wie folgt konkretisiert: „Der Vertrauensanwalt der ÖB Damaskus berichtet, dass sich die Befreiungsregelung zu den einzigen Söhnen sowohl auf den Vater als auch die Mutter bezieht. Das bedeutet, dass ein „einziger Sohn“ vom Wehrdienst befreit ist, wenn er als einziger Sohn eines der beiden Elternteile gilt. […] The only sons exemption articles goes for the father as well the mother. Which means that the only son will be exempted from military service if he is considered the only son of one of his parents’ side”. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Altersgrenze der Mutter ist den Länderinformationen nicht zu entnehmen.
Wie bereits ausgeführt, sind die Eltern des Beschwerdeführers geschieden und hat der Vater nochmal geheiratet (vgl. Verhandlungsschrift S. 6), wobei der Beschwerdeführer keine Angaben dazu macht, ob er Halbgeschwister hat. Da der Beschwerdeführer jedoch zumindest der einzige Sohn seiner Mutter ist, ist er nach der während der Assad-Herrschaft geltenden Wehrdienstgesetze vom Militärdienst befreit. Dies gibt der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung an (Verhandlungsschrift S. 9: „BF: […] Ich bin der einzige Sohn der Familie, das heißt, ich muss den Wehrdienst nicht leisten.“). Wie sich aus den oben zitierten Berichten ergibt, wurde die Ausnahmeregelung für einzige Söhne seitens der syrischen Militärbehörden nicht immer eingehalten, und bringt der Beschwerdeführer auch vor, er habe versucht, von der Rekrutierungsstelle eine Bestätigung darüber zu erhalten, dass er der einzige Sohn sei, jedoch sei dies verweigert worden (vgl. Verhandlungsschrift S. 10). Dass er einen derartigen Antrag gestellt habe, gibt er vor dem BFA nicht an, sondern bringt vor, dass der Ausnahmegrund für den Wehrdienst erst ab 52. Lebensjahr der Mutter greifen würde.
Hinsichtlich den vorgelegten Dokumenten ist auszuführen, dass sich laut Urteil vom 30.10.2019 der Beschwerdeführer von 19.03.2018 bis 07.10.2019 in Haft befunden hat, während in der Erklärung über den Status eines Wehrpflichtigen vom 12.02.2018 festgehalten wird, dass der Beschwerdeführer informiert worden sei, dass er sich spätestens am 15.01.2019 bei der nächsten Rekrutierungsabteilung melden müsse, um den Studienaufschub zu verlängern. Der Einzugstermin sei am 22.01.2019 (vgl. OZ 4 S. 10 und 13).
Die Dokumente erscheinen in Zusammenschau mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht schlüssig, da er einerseits nie vorbringt, einen Aufschub des Wehrdienstes wegen eines Studiums erhalten zu haben, da er vorbringt, etwa am dem 15. Lebensjahr als Friseur gearbeitet zu haben. Eine Verlängerung eines Aufschubes ist daher auszuschließen. Selbst wenn es sich dabei um einen Übersetzungsfehler handeln und der Aufschub als einziger Sohn gemeint sein solle, so widerspräche dies dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die Bestätigung darüber sei ihm verweigert worden. Schließlich erscheint es nicht glaubhaft, dass sich der Beschwerdeführer um eine Verlängerung des Aufschubes bis zum 15.01.2019 bei der Rekrutierungsstelle melden soll, aber am 30.10.2019 aufgrund des Nichtantritts des Wehrdienstes verurteilt und deshalb bereits von 19.03.2018 bis 07.10.2019 in Haft gewesen sein soll. Dies kann der Beschwerdeführer auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung auch nicht nachvollziehbar erklären (Verhandlungsschrift S. 9: „R: Wenn Sie wegen dem Wehrdienst verurteilt worden sind, warum haben Sie dann ein Aufschubschreiben, dass Sie sich im Jahre 2019 melden sollen, um den Studienaufschub zu verlängern. BF: Nein, ich habe überhaupt keinen Antrag auf Wehrdienstaufschub gestellt. Das ist hier mein Wehrdienstbuch und auf diesem Wehrdienstbuch ist kein Aufschub zu sehen. R: In dem mir vorlegten Dokument wird eindeutig ausgesprochen, dass Sie informiert worden sind, sich bis zum 15.01.2019 bei der nächsten Rekrutierungsabteilung zu melden und den Studienaufschub zu verlängern. BF: Dieses Dokument gilt als Warnung oder als Erinnerung, dass ich einen Wehrdienstaufschub beantragen soll, weil ich zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis war. Es wird als Einberufungsbefehl gesehen. R: Zu diesem Zeitpunkt haben Sie sich aber noch nicht im Gefängnis aufgehalten? Sie waren im Gefängnis vom 19.03.2018 bis 07.10.2019 das Schreiben der Rekrutierung ist vom 12.02.2018, also ein Monat vorher. BF: Ich glaube zu diesem Zeitpunkt war ich nicht zuhause, ich habe mich bei meinen Onkeln vs angemeldet.“).
Es wird gegenständlich nicht verkannt, dass die Vorgehensweise des syrischen Regimes im fraglichen Zeitraum, etwa von 2017 bis 2019, bezüglich Einberufungen und der Unterstellung von oppositioneller Gesinnung im Falle einer Weigerung strenger war und es auch Wehrdienstausnahmen teilweise missachtet wurden. Insgesamt ist das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Einberufung zum Militärdienst jedoch aufgrund der dargelegten Ungereimtheiten in Zusammenschau mit den Länderinformationen zur Einberufung als einiger Sohn nicht als glaubhaft anzusehen.
2.2.2. In der mündlichen Verhandlung gibt der Beschwerdeführer erstmals an, dass er nicht aufgrund des Wehrdienstes, sondern aufgrund eines Familienstreits mit seinem Onkel väterlicherseits inhaftiert und verurteilt worden sei. So gibt er an, dass sein Vater den Cousin des Beschwerdeführers getötet habe, da er nicht gewollt habe, dass dieser die Schwester des Beschwerdeführers heirate. Da sich der Vater des Cousins, der Onkel des Beschwerdeführers, an ihm rächen habe wollen, sei der Beschwerdeführer in den Libanon ausgereist. Der Onkel habe deshalb dem syrischen Regime gemeldet, dass der Beschwerdeführer mit Terroristen zusammenarbeite. Nachdem der Beschwerdeführer aus der ersten Haft im Jahr 2017 entlassen worden sei, habe ihn sein Onkel nochmals angezeigt, diesmal bei einer anderen Sicherheitsabteilung. Daraufhin sei der Beschwerdeführer wieder inhaftiert worden und bis zum Jahr 2020 im Gefängnis Saidnaya festgehalten worden. Er sei im Gefängnis gefoltert worden (vgl. Verhandlungsschrift S. 6 ff.).
Auf Vorhalt, weshalb der Beschwerdeführer dies weder in der Einvernahme vor dem BFA noch in der Beschwerde vorgebracht habe, gibt der Beschwerdeführer an, dass er Angst gehabt habe, dass ihm die Probleme zwischen seinem Vater und seinem Onkel auch im Asylverfahren Probleme bereiten könnten (vgl. Verhandlungsschrift S. 8). Dies ist nicht nachvollziehbar, da der Beschwerdeführer bereits im Verfahren vor der belangten Behörde von seiner nunmehrigen Rechtsvertretung vertreten wurde und davon auszugehen ist, dass diese ihn diesbezüglich beraten hätte können. Überdies legte der Beschwerdeführer bereits im Rahmen der Niederschrift durch das BFA, bei welchem sein Rechtsvertreter ebenso anwesend war, die Dokumente bezüglich der Ermittlungen wegen der Begehung von terroristischen Handlungen und die daraus resultierende Verurteilung vor. Dass er lediglich den Grund für die Verurteilung, nämlich die vorgebrachten falschen Vorwürfe durch den Onkel, verschwiegen haben soll, ist nicht nachvollziehbar. Selbst wenn der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme vor der belangten Behörde Angst gehabt haben soll, dass die vorgebrachten Probleme zwischen seinem Vater und Onkel ihm auch im Asylverfahren Probleme bereiten könnten, so wäre es bei der Besprechung seiner Beschwerde mit seiner Rechtsvertretung möglich gewesen, dies zu thematisieren. Weshalb der Beschwerdeführer sich nunmehr entschieden hat, den Streit zwischen Vater und Onkel und Mord seines Cousins anzugeben, kann er nicht nachvollziehbar erklären.
Dass der Beschwerdeführer aufgrund der Rache des Onkels väterlicherseits in Syrien wegen dessen falscher Beschuldigungen inhaftiert worden sei und er deshalb bei Rückkehr gefährdet wäre , ist aufgrund der Steigerung des Vorbringens nicht glaubhaft.
Ob der Beschwerdeführer im Gefängnis gefoltert worden sei (vgl. Beschwerde S. 3 f.; Verhandlungsschrift S. 7) kann nicht festgestellt werden. Zu den (erst) am 03.03.2025 vorgelegten Fotos ist festzuhalten, dass aus diesen nicht erkennbar ist, wie die dargestellten Verletzungen entstanden sind.
Aus den Länderberichten geht hervor, dass das Justizsystem des syrischen Regimes von Korruption und Willkür geprägt war. Insbesondere mit dem Anti-Terror-Gerichten kam es zu willkürlichen Verhaftungen, unter Folter erzwungene Geständnisse als Beweismittel, geschlossene Gerichtssitzungen unter Ausschluss der Medien, das Urteilen des Gerichts über Zivilisten, Minderjährige und Militärangehörige gleichermaßen. Anklagen gegen Personen, die vor das CTC gebracht wurden, beinhalteten sowohl das Finanzieren, Fördern und Unterstützen von Terrorismus, aber auch die Teilnahme an Demonstrationen, das Schreiben von Stellungnahmen auf Facebook, die Kontaktierung von Oppositionellen im Ausland; den Waffenschmuggel an bewaffnete Oppositionelle, das Liefern von Nahrungsmitteln, Hilfsgütern und Medizin in von der Opposition kontrollierte Gebiete. Mangels Definition von „Terrorismus“ und mit „Terrorismus“ als Generalvorwurf gegen jede Form von abweichender Meinung wurden die Anti-Terrorismus-Gerichte als „politisch“ kategorisiert, und vor allem auch viele Oppositionelle werden dabei als „Terroristen“ angeführt.
Es ist hinlänglich bekannt, dass nach dem Sturz der Assad-Regimes tausende Gefangene aus dem Gefängnis Sednaya befreit wurden, in dem als politische Gegner des Assad-Regimes angesehen Personen inhaftiert waren. Es sind im gesamten Verfahren keine Hinweise hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer als Gegner der jetzigen Regierung angesehen werden könnte und geht das Bundesverwaltungsgericht daher nicht davon aus, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Verurteilung und Inhaftierung eine Verfolgung durch die jetzigen staatlichen Stellen droht.
2.2.3. Lediglich der Vollständigkeit halber wird, auch als Ergänzungen zu den unter 2.2.1. und 2.2.2. getätigten Ausführungen, festgehalten, dass sich eine Bedrohung durch das Assad-Regime nach dessen Sturz und der Machtübernahme durch die HTS zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr als aktuell erweist. Eine Nachschau auf https://syria.liveuamap.com zeigt noch zwei Enklaven von pro-Assad Kräften um die Basis Hmeimim der russischen Luftstreitkräfte bei Jablah und um die (russische) Marinebasis Tartus, darüber hinaus aber keinerlei Gebiete unter der Führung des Baath-Regimes. Mangels Gebiets- und Herrschaftsgewalt geht zum Entscheidungszeitpunkt daher von den syrischen Regimekräften keine Bedrohung für den Beschwerdeführer aus.
2.2.4. Der Beschwerdeführer bringt in der mündlichen Verhandlung vor, er fürchte nunmehr im Falle einer Rückkehr nach Syrien eine Rekrutierung durch die Kurden. Dazu ist folgendes festzuhalten:
Der Beschwerdeführer unterliegt zum Entscheidungszeitpunkt der sogenannten Selbstverteidigungspflicht im AANES-Gebiet. Die diesbezüglichen Feststellungen beruhen auf den zitierten Länderinformationen, insbesondere in Zusammenschau mit dem Bericht des Danish Immigration Service vom Juni 2024 (Syria Military recruitment in North and East Syria).
Zunächst ist festzuhalten, dass den Länderinformationen zu entnehmen ist, dass die Eigenschaft als einziger Sohn einer Familie dazu führen kann, dass die Person vom Wehrdienst ausgenommen ist (vgl. DIS Syria Military recruitment in North and East Syria S. 17), wobei sich zu dem genauen Genehmigungsprozess keine Informationen finden. Eine tatsächliche Befreiung des Beschwerdeführers von der Selbstverteidigungspflicht kann daher nicht festgestellt werden.
Aus den Länderinformationen ergibt sich insbesondere, dass der Entzug vom bzw. die Verweigerung des Wehrdienstes mit Verlängerung des Wehrdienstes um einen bzw. drei Monate bestraft wird und ebenso eine kurzfristige Inhaftierung erfolgen kann. Dass es dabei etwa zur Anwendung von Folter käme oder die Haftbedingungen so schlecht seien, dass sie mit Folter vergleichbar wären, ist der Berichtslage nicht zu entnehmen. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund, dass die Autonomiebehörden eine Verweigerung wohl nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen, nachvollziehbar. Dass sich der Beschwerdeführer tatsächlich oppositionell betätigt hätte, wurde von ihm verneint und ist auch sonst nicht hervorgekommen (vgl. BFA S. 4; Verhandlungsschrift S. 10). Dass der Beschwerdeführer vorbringt, sich nicht an den Auseinandersetzungen in Syrien beteiligen zu wollen, ist zwar eine nachvollziehbare Haltung, eine politische Gesinnung kann darin jedoch nicht gesehen werden.
Es ist somit aufgrund der ins Verfahren eingeführten Länderinformationen nicht wahrscheinlich, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Region Abu Kamal bei der Verweigerung des Wehrdienstes eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden und ihm eine über eine maximal zweiwöchige Anhaltung hinausgehende Haftstrafe oder Bestrafung drohen würde (vgl. insbesondere auch The Danish Immigration Service: Syria Military recruitment in North and East Syria, Juni 2024 S. 22 f.). Auch dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist dies nicht zu entnehmen (vgl. Verhandlungsschrift S. 10).
Der Vollständigkeit halber wird darauf verwiesen, dass im Falle einer Verweigerung des Wehrdienstes durch den Beschwerdeführer im Regelfall keine Konsequenzen für Familienangehörige zu befürchten sind (The Danish Immigration Service: Military recruitment in Hasakah Governate, Juni 2022 S. 20: „Most sources agreed that family members of draft evaders and deserters do not face any consequences due to the evasion/desertion. Fabrice Balanche mentioned that authorities could ask the family members about the whereabouts of the wanted person but would not exert additional pressure on families other than conduct visits to the house of family members. One Syrian Kurdish journalist mentioned that in addition to the questioning, the military police could also put pressure on the family in other ways, but the source did not know what such pressure specifically entailed.” sowie The Danish Immigration Service: Syria Military recruitment in North and East Syria, Juni 2024 S. 23: „Family members of draft evaders and deserters are not penalised. Sources were unaware of any cases where family members of evaders and deserters faced harassment or other violations due to their relatives’ evasion or desertion, even in cases where the evader is detained at a checkpoint.”).
Auch nach dem Sturz des Assad-Regimes und der Machtübernahme durch die HTS ist der Berichtslage nicht zu entnehmen, dass es im AANES-Gebiet zu einer Änderung der Vorgehensweise mit der Selbstverteidigungspflicht gekommen wäre, oder nunmehr doch eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, sollte man der Selbstverteidigungspflicht nicht nachkommen.
Zudem wurde vom Beschwerdeführer weder vor dem BFA noch in der mündlichen Verhandlung substantiiert behauptet, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien die Ableistung der „Selbstverteidigungspflicht“ tatsächlich verweigern würde.
2.3. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers
Es wurde vor allem Einsicht genommen in folgende Erkenntnisquellen des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers:
- Länderinformation der Staatendokumentation Syrien vom 27.03.2024, Version 11,
- Kurzinformation der Staatendokumentation: SYRIEN vom 10.12.2024 (KI),
- UNHCR Regional Flash Update #13 Syria situation crisis vom 05.02.2025 (UNHCR #13),
- UNHCR Regional Flash Update #13 Syria situation crisis vom 13.02.2025 (UNHCR #14).
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln. Die aktuellen Entwicklungen in Syrien, insbesondere hinsichtlich der Großoffensive der HTS, ergeben sich auch aus einer Nachschau auf https://syria.liveuamap.com. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt und ihm die Länderinformationen übermittelt. Ein Vorbringen zu den Länderinformationen wurde nicht erstattet.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1 Zu A) Abweisung der Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Weiters muss sie sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Für die Zuerkennung des Asylstatus ist es zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN).
Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).
3.1.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619; 21.05.2021, Ro 2020/19/0001 jeweils mit weiteren Nachweisen).
Nach der Rechtsprechung des EuGH muss die Verweigerung des Militärdienstes im Rahmen eines Konfliktes das einzige Mittel darstellen, das es dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrenden Antragsteller erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen. Hat der Antragsteller kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, kommt die Gewährung von Asyl nicht in Betracht, sofern der Antragsteller nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand (vgl. EuGH 26.02.2015, C-472/13, Shepherd, Rn 35 und 44).
Der in Art. 10 Abs. 1 lit. e der Statusrichtlinie (bzw. i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG 2005) näher umschriebene Begriff der „politischen Überzeugung“ ist weit auszulegen. Dies bedeutet, dass, um festzustellen, ob eine solche Überzeugung vorliegt und ein Kausalzusammenhang zwischen ihr und den Verfolgungshandlungen besteht, der allgemeine Kontext des Herkunftslands der Person, die die Anerkennung als Flüchtling beantragt, berücksichtigt werden muss, insbesondere seine politischen, rechtlichen, justiziellen, historischen und soziokulturellen Aspekte (vgl. EuGH 23.02.2023, C 280/21, Migracijos departamentas, Rn 25 und 33).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zur im damaligen Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Berichtslage, welche im Übrigen im Vergleich zu den nunmehr aktuellen Berichten keine wesentlichen Änderungen erfahren hat, festgehalten, dass sich aus den Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits ausgeführt, nach dieser Berichtslage lasse sich gerade kein Automatismus dahingehend als gegeben annehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde. Nichts anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen (vgl. VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619 mwN.).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung dargelegt, dass es in jedem Fall vor der Asylgewährung wegen behaupteter Wehrdienstverweigerung erforderlich ist, die drohenden Verfolgungshandlungen wegen dieses Verhaltens im Herkunftsstaat zu ermitteln und bejahendenfalls eine Verknüpfung zu einem der Verfolgungsgründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. Art. 10 Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) herzustellen. Das hat - was im Übrigen der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) entspricht - auch im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie Platz zu greifen. Allein deshalb, weil einem Wehrdienstverweigerer unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie Bestrafung durch die Behörden seines Herkunftsstaates droht, kann die Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nicht als gegeben angesehen werden. Die Plausibilität der Verknüpfung zwischen der Verfolgungshandlung und den Verfolgungsgründen ist nach Auffassung des EuGH von den zuständigen nationalen Behörden vielmehr in Anbetracht sämtlicher vom Asylwerber vorgetragenen Anhaltspunkte zu prüfen. Dabei spricht zwar eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 Statusrichtlinie genannten Gründe in Zusammenhang steht. Dies entbindet die Asylbehörde und das nachprüfende Verwaltungsgericht aber nicht von der erforderlichen Plausibilitätsprüfung (vgl. erneut VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619 mwN.).
Es bedarf unter Bedachtnahme auf die Verhältnisse in diesem Land immer einer Beurteilung unter Einbeziehung aller konkreten Umstände des Einzelfalls, ob im Fall der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten droht. Da nach der Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, ist es für die Gewährung von Asyl nicht ausreichend, derselben eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios zugrunde zu legen (VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0319).
Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers durch das Assad Regime konnte nicht mehr festgestellt werden.
3.1.3. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, wurde der Beschwerdeführer aufgrund der Begehung von terroristischen Handlungen inhaftiert und verurteilt.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass das vorgelegte Dokument über die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Begehung terroristischer Handlungen keinen Asylausschlussgrund darstellen würde. Diese sind in Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die ein Asylausschluss für die betreffende Person hat, restriktiv auszulegen (vgl. etwa VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0078; vgl. auch EuGH 13.09.2018, Shajin Ahmed, C-369/17, Rn 52) und ist überdies nicht davon auszugehen, dass bei einem derartigen Vorwurf in Syrien im Jahr 2019 ein faires Verfahren gewährleistet worden wäre.
3.1.4. Es konnte nicht festgestellt werden, dass es innerhalb der Familie väterlicherseits zu Streitigkeiten sowie der vorgebrachten Ermordung des Cousins des Beschwerdeführers gekommen sei. Er ist in Syrien keinen asylrelevanten Vergeltungshandlungen durch seinen Onkel oder anderen Familienangehörigen ausgesetzt.
3.1.5. In seinem jüngsten Erkenntnis vom 14.10.2024, Ra 2024/20/0491, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass es erforderlich ist, dass - ein entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder diesbezügliche Hinweise aufgrund der Länderberichte vorausgesetzt - neben der Gefahr einer Zwangsrekrutierung geprüft wird, ob der Betreffende Sanktionen in asylrechtlich relevanter Intensität wegen der Weigerung, sich einer Zwangsrekrutierung zu beugen, oder aufgrund von Handlungen, sich einer bereits erfolgten Zwangsrekrutierung wieder zu entziehen, aus in der GFK genannten Gründen zu gewärtigen hat (in diesem Zusammenhang ist vor allem in Betracht zu ziehen und in der Regel zu klären, ob vom Zwangsrekrutierenden unterstellt werde, die Weigerung oder Entziehung erfolge durch den Betreffenden deswegen, weil er aufgrund anderer politischer Gesinnung ein Feind der rebellierenden Gruppe sei).
Im gegenständlichen Fall ist weder davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Verweigerung der Selbstverteidigungspflicht seitens der SDF eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird – die beim Beschwerdeführer im Übrigen auch tatsächlich nicht vorliegt –, noch eine unverhältnismäßige Sanktion im Sinne der oben zitierten Judikatur droht (vgl. dazu auch VwGH 28.03.2023, Ra 2023/20/0027 zur Asylrelevanz von Haftstrafen bei Wehrdienstverweigerung).
Der Beschwerdeführer fällt somit nicht unter die in den UNHCR-Erwägungen Syrien vom März 2021 angeführte Risikogruppe der „Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Syrian Democratic Forces (SDF) / Volksschutzeinheiten (YPG), der Partei der Demokratischen Union (PYD) und der Institutionen der Autonomieregion sind“, da es sich beim Beschwerdeführer weder um einen vermeintlichen noch tatsächlichen Gegner der SDF/PYD/YPG handelt und weder er noch seine Familie Verbindungen zum IS oder der SNA haben bzw. ihnen dies unterstellt wird (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. Aktualisierte Fassung, März 2021 S. 143 ff.). Auch in den von EUAA erarbeiteten Risikoprofilen wird festgehalten, dass das Risiko einer Zwangsrekrutierung ohne Hinzutreten weiterer Faktoren noch keinen Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund der GFK impliziert (vgl. Country Guidance: Syria vom Februar 2023 S. 21; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. VwGH 01.02.2022, Ra 2021/19/0056 mwN.). Wie bereits festgehalten, sind beim Beschwerdeführer keine weiteren Umstände hervorgekommen, die ihn aus Sicht der SDF als oppositionell erscheinen lassen würden. Den aktuellen Länderinformationen ist auch nicht zu entnehmen, dass sich die Haltung der SDF gegenüber Wehrdienstverweigerern dahingehend geändert hätte, dass diesen nunmehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde. Wie bereits ausgeführt, ist eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios für die Gewährung von Asyl nicht ausreichend.
Dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien den Wehrdienst im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht ableisten muss, erscheint aufgrund seines Alters maßgeblich wahrscheinlich. Dass ihm im Falle einer Weigerung, den Wehrdienst abzuleisten, seitens der SDF eine auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung droht, kann jedoch vor dem Hintergrund der Gegebenheiten im Selbstverwaltungsgebiet in Zusammenschau mit der zitierten Judikatur nicht gesehen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat jüngst darauf hingewiesen, dass es für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten für sich genommen nicht ausreichend ist, wenn der asylwerbende Fremde – wie der Mitbeteiligte des Anlassfalls, der angegeben hat, dass er an keinem Krieg teilnehmen möchte – Gründe, warum er den Militärdienst nicht ableisten möchte, ins Treffen führt, die Ausdruck einer politischen oder religiösen Gesinnung sein können (vgl. VwGH 24.04.2024, Ra 2024/20/0141 mwN.). Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass er den Wehrdienst für die YPG aufgrund einer ihm innewohnenden politischen Haltung verweigern würde. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann kein asylrelevantes Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers gesehen werden.
Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass sich aus den getroffenen Länderfeststellungen weder ergibt, dass jedem Rückkehrer, der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, noch, dass Personen, deren Familienangehörigen im Ausland Asyl gewährt wurde, allgemein asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten. Zwar laufen Personen, die aus dem Land geflohen sind, Gefahr, von der syrischen Regierung als illoyal angesehen zu werden und kann dies zu willkürlichen Verhaftungen führen. Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die Syrien verlassen haben. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Gruppenverfolgung von Rückkehrern ist nicht festzustellen (vgl. dazu auch VwGH 04.01.2021, Ra 2020/18/0147).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.