Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed, die Hofräte Dr. Sutter und Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des M A, vertreten durch Mag. Irina Tot als bestellte Verfahrenshelferin, diese vertreten durch Mag. Elisabeth Mace, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 124/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Jänner 2023, W204 2258750 1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 17. September 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Begründend brachte er vor, wegen des Militärs und der Gefahr, eingezogen zu werden, aus Syrien geflohen zu sein.
2 Mit Bescheid vom 28. Juli 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig erkannte es dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 abgewiesen werde. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber seinen Wehrdienst in der syrischen Armee abgeleistet und im Zuge dessen eine Ausbildung als Panzerfahrer erhalten habe. Er habe sich während seines Militärdienstes nicht aufständisch geäußert und sei nicht inhaftiert, sondern in seinem Dienstgrad befördert worden. Der Revisionswerber sei bei Checkpoints stationiert und für deren Schutz zuständig gewesen. Zumindest zweimal habe er in dieser Zeit unter seinem Gewahrsam stehende Personen gemeinsam mit seinen Kameraden geschlagen und ihnen dadurch große körperliche und seelische Schmerzen und Leiden zugefügt. Er habe dies ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden. Er habe die Tat freiwillig und aus eigener Überzeugung begangen, weshalb ihm kein Entschuldigungsgrund des Handelns auf Befehl zugutekomme. Hinzu komme, dass jeder, der in der syrischen Armee diene, per Definition zu Kriegsverbrechen beitrage, weil das Regime in keiner Weise gezeigt habe, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achte. Auch insofern stehe die persönliche Verantwortung des Revisionswerbers zweifelsfrei fest, weil er während des Bürgerkrieges in der syrischen Armee gedient habe. Aus diesen Gründen habe der Revisionswerber den Ausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 verwirklicht.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorbringt, das BVwG habe sich mit näher genannten Berichten und Richtlinien des UNHCR nicht angemessen auseinandergesetzt und die falschen Schlüsse aus diesen gezogen. Diese würden betonen, dass die persönliche Verantwortung für Straftaten, die zu einem Ausschluss vom internationalem Flüchtlingsschutz führen könnten, sorgfältig zu prüfen und angesichts der potenziell schwerwiegenden Folgen eines Ausschlusses vom internationalem Flüchtlingsschutz zurückhaltend anzuwenden seien. Der Revisionswerber sei aufgrund eines Befehles gezwungen gewesen, sich an der Gewaltausübung an inhaftierten Personen zu beteiligen, wobei er dies getan habe, um seinen unmittelbar drohenden Tod oder eine unmittelbar drohende schwere Körperverletzung abzuwenden. Es liege sohin ein Rechtfertigungsgrund vor.
6 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Das BVwG stützt sein Erkenntnis gegenständlich auf das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 (iVm Art. 1 Abschnitt F lit. a GFK).
9 Gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Ausschlussgründe vorliegt. Liegt einer der Ausschlussgründe vor, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden.
10 Gemäß Art. 1 Abschnitt F lit. a GFK sind die Bestimmungen dieses Abkommens auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, und zwar im Sinne jener internationalen Einrichtungen, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen gegen solche Verbrechen zu schaffen.
11 Im vorliegenden Fall geht das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen habe.
12 Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Handlungen wie Völkermord, Mord, Vergewaltigung und Folter einschließen (vgl. dazu etwa Art. 7 der Satzung des Internationalen Strafgerichtshofes - Römisches Statut), sind dadurch charakterisiert, dass sie Teil eines groß angelegten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung sein müssen. Aber auch eine einzelne Handlung kann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, wenn sie Teil eines kohärenten Systems oder einer Reihe systematischer und wiederholter Handlungen ist (vgl. UNHCR Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 5: Anwendung der Ausschlussklauseln: Artikel 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Rn. 13).
13 In Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die ein Asylausschluss für die betreffende Person hat, sind die Ausschlussklauseln restriktiv auszulegen. Auch bedarf es ausreichender Sachverhaltsfeststellungen, um beurteilen zu können, durch welches Verhalten der Asylwerber einen Ausschlusstatbestand erfüllt hat. § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie zu sehen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist bei der Beurteilung der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie, die dem Art. 1 Abschnitt F lit. a GFK im Wesentlichen entsprechen, eine „individuelle Prüfung der genauen tatsächlichen Umstände“ erforderlich (vgl. etwa VwGH 18.5.2020, Ra 2019/18/0354, Rn. 17 f mit Hinweis auf EuGH 9.11.2010, C 57/09 und C 101/09, Bundesrepublik Deutschland gegen B und D).
14 Im gegenständlichen Fall stützte das BVwG seine Annahme auf eine Aussage des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung. In dieser gab der Revisionswerber nachdem die Richterin seinem Vertreter abschließend das Wort für weitere Fragen erteilt hat auf die Frage, ob er „jemals persönlich aufgefordert worden [sei], sich an Gewalt an anderen Menschen zu beteiligen“, Folgendes an:
„Das ist mir zwei Mal passiert. Es waren Situationen, in denen man verhaftete Personen in der Gruppe weitergibt. Man wollte, dass man diese Personen schlägt und Gewalt anwendet. Man fühlte sich gezwungen mitzumachen. Das war ein bisschen wie schauspielern. Man wusste, wenn man es nicht tut, könnte es auch indirekt zum Tod führen. Es war eine Art Gruppenzwang. Manche Menschen wurden kaltblütig getötet, weil sie sich geweigert haben, an solchen Vorfällen mitzumachen. Das waren Menschen, die auch für das Regime waren, aber sich geweigert haben, mitzumachen. Diejenigen, die auf der Seite des Regimes sind, sind Mörder. Deswegen habe ich immer wieder an das Desertieren gedacht. Ich habe auch mit ein paar Freunden darüber gesprochen. Hätten sie mich nicht am 01.01.2012 entlassen, wäre ich desertiert.“
15 Weitere Nachfragen der Richterin fanden nicht statt.
16 Das BVwG stellte sodann im angefochtenen Erkenntnis basierend auf der zitierten Aussage des Revisionswerbers fest, dass er zumindest zweimal während seines Militärdienstes unter seinem Gewahrsam stehende Personen gemeinsam mit seinen Kameraden geschlagen und ihnen dadurch große körperliche und seelische Schmerzen beziehungsweise Leiden zugefügt habe. Er habe das auch zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden. Beweiswürdigend führte das BVwG aus, hinsichtlich des objektiven Geschehensablaufs könnten sich die Feststellungen zur körperlichen und seelischen Misshandlung der Gefangenen auf die Aussage des Revisionswerbers stützen. Diese in der Beschwerdeverhandlung erstmals getätigten Aussagen seien im Gegensatz zu den sonstigen neuen Behauptungen in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft, weil sie in Übereinstimmung mit den Länderberichten stünden. So führe das unbestritten gebliebene Länderinformationsblatt aus, dass Folter bei staatlichen Behörden sowohl vor als auch seit Ausbruch des Kriegs systematische Praxis sei. Demnach berichteten auch NGO, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlungen, Bestrafungen und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten verübten. Dieses halte dann noch explizit fest, dass nach Experteneinschätzung jeder in der syrischen Armee zu Kriegsverbrechen beitrage, weil das Regime in keiner Weise gezeigt habe, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achte. Die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern werde demzufolge nicht ernst genommen. Die Aussagen des Revisionswerbers zur Folterung der Kriegsgefangenen stünden daher in Übereinstimmung mit den objektiven Gegebenheiten und seien daher glaubhaft. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite könne den Angaben des Revisionswerbers dagegen nicht gefolgt werden. Seine Behauptung, er habe nur aufgrund des Gruppendrucks mitgemacht, sodass es so eine Art „Schauspielern“ gewesen sei, überzeuge auch wegen seines Aussageverhaltens und des dadurch entstandenen Eindruckes nicht. Dabei werde keinesfalls verkannt, dass eine Weigerung wohl schwerwiegende Folgen haben könne, wie sie auch der Revisionswerber geschildert habe. Jedoch sei in einer Gesamtschau nicht glaubhaft, dass er nicht aus freiem Willen an den Misshandlungen teilgenommen, sondern Überlegungen zu einer möglichen Desertion angestellt habe.
17 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das BVwG fest, dass der Entschuldigungsgrund des Handelns auf Befehl dem Revisionswerber nicht zugute komme, weil das Beweisverfahren ergeben habe, dass er damals die Tat freiwillig und aus eigener Überzeugung getan habe. Darüber hinaus führe der UNHCR in seinen Richtlinien aus, dass Handeln auf Befehl dann nicht beachtet werden könne, wenn der Befehl an sich offensichtlich rechtswidrig gewesen sei. Da Folter in Syrien verboten gewesen sei, sei der Befehl offensichtlich rechtswidrig gewesen, was auch dem Revisionswerber habe bewusst sein müssen. Auch deswegen könne der Entschuldigungsgrund nicht greifen. Hinzu komme, dass nach den Länderfeststellungen jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe diene, per Definition zu Kriegsverbrechen beitrage, weil das Regime in keiner Weise gezeigt habe, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achte. Auch insofern stehe die persönliche Verantwortung des Revisionswerbers zweifelsfrei fest, weil er während des Bürgerkriegs in der syrischen Armee gedient habe. Auch insofern sei daher der Ausschlussgrund erfüllt.
18 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, reichen die seitens des BVwG angestellten Erwägungen nach der zuvor wiedergegebenen Rechtsprechung nicht aus, um das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes abschließend zu beurteilen. Zu den konkreten Misshandlungen und deren Umständen sowie der individuellen und konkreten Verantwortung des Revisionswerbers für Handlungen, die ihm im Rahmen der geschilderten Ereignisse zugerechnet werden können, richtete das BVwG in der durchgeführten mündlichen Verhandlung keinerlei (Nach)Fragen an den Revisionswerber, weshalb es im angefochtenen Erkenntnis auch keine näheren Feststellungen treffen konnte, die seine rechtlichen Schlussfolgerungen zu tragen imstande wären.
19 Auch die Schlussfolgerung des BVwG, dass sich eine persönliche Verantwortung des Revisionswerbers bereits aus dem Umstand ableiten lasse, dass er während des Bürgerkrieges in der syrischen Armee gedient habe und diese Kriegsverbrechen begehe, ersetzt die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erforderlichen Feststellungen zur persönlichen Verantwortlichkeit des Revisionswerbers nicht. Solcher hätte es jedoch für die abschließende und nachvollziehbare Beurteilung bedurft, ob der Revisionswerber einen Asylausschlussgrund verwirklicht hat.
20 Der Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 2 iVm Art. 1 Abschnitt F lit. a GFK (Art. 12 Abs. 2 lit. a Statusrichtlinie) lässt sich auf der Grundlage der vom BVwG getroffenen Feststellungen daher nicht annehmen. Das angefochtene Erkenntnis kann daher keinen Bestand haben.
21 Daran ändert die kurze abschließende Alternativbegründung des BVwG für die Verneinung von Asyl nichts, hat das BVwG doch seinen Spruch ausdrücklich auf „§§ 3 Abs. 3 Z 2 iVm 6 Abs. 1 Z 2 AsylG“ gestützt. Im Übrigen gilt: Wenn das BVwG dort vermeint, dem Revisionswerber drohe aufgrund seines Alters und fehlender Spezialausbildung ohnedies keine Einberufung zum Reservedienst, fehlt eine Auseinandersetzung damit, dass der Revisionswerber nach den getroffenen Feststellungen eine Ausbildung als Panzerfahrer erhalten hat. Dies hätte Erwägungen erfordert, ob er deshalb für die syrische Armee von Bedeutung sein könnte. Auch die vom BVwG angenommene fehlende Verknüpfung einer allfälligen Verfolgung des Revisionswerbers mit einem Konventionsgrund ist nicht hinreichend begründet, wird dabei doch auf die von der Revision angesprochene mögliche Unterstellung eines solchen durch das syrische Regime mit keinem Wort eingegangen.
22 Das angefochtene Erkenntnis war sohin wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
23 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
24 Der Kostenausspruch gründet auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Die gesondert begehrte Umsatzsteuer ist in den Pauschalbeträgen nach den genannten Vorschriften bereits enthalten, sodass das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war (vgl. VwGH 5.7.2023, Ra 2021/18/0270, mwN).
Wien, am 29. Februar 2024