JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0141 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Oswald sowie den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Februar 2024, W138 2282839 1/3E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter: I A, W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Der im Jahr 1999 geborene Mitbeteiligte stammt aus Syrien. Er stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 4. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er gab hier auf das Wesentliche zusammengefasst in seiner Vernehmung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, Syrien wegen des Krieges verlassen zu haben. Er befürchte, zum Militärdienst eingezogen zu werden, wolle aber an keinem Krieg teilnehmen. Er wolle sich auch nicht vom Militärdienst gegen die dafür vorgesehene Gebühr befreien lassen, weil die Regierung mit diesem Geld Waffen kaufen würde, um sein „eigenes Land zu bombardieren“.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag insoweit gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab, als die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begehrt wurde. Jedoch wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter mit der Gültigkeit für die Dauer eines Jahres erteilt.

3 Der gegen die Versagung der Gewährung von Asyl erhobenen Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht, das von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen hatte, stattgegeben und dem Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt sowie gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass im Fall der Rückkehr des Mitbeteiligten in seinen Herkunftsstaat dort für ihn „die Gefahr“ bestehe, „zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden, was er ablehnt“. Im Fall der Weigerung (gemeint: der Einberufung nachzukommen) werde er zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden sei. Die syrische Regierung betrachte Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen terroristische Bedrohungen zu schützen. Auch die Ausreise des Mitbeteiligten und die dadurch bewirkte Entziehung von der Ableistung des Wehrdienstes werde vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen.

5 Diese prognostische Einschätzung tätigte das Bundesverwaltungsgericht allein auf der Grundlage der Feststellungen zur Situation in Syrien und Bedachtnahme auf das Alter des Mitbeteiligten sowie den Umstand, dass er vor der Ausreise aus Syrien dort den Militärdienst noch nicht abgeleistet hatte. Individuelle, konkret auf den Mitbeteiligten bezogene weitere Umstände, die dazu führten, dass er im Herkunftsstaat in asylrechtlich relevanter Weise Verfolgung zu gewärtigen hätte, wurden vom Bundesverwaltungsgericht weder festgestellt noch in dessen Begründung für die Asylgewährung ins Treffen geführt.

6 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Erhebung einer Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht vorlägen, weil „der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln“ sei. Die für die Entscheidung maßgebliche Rechtsprechung habe es im Rahmen seiner Erwägungen wiedergegeben.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobene Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

9 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Bei der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Mitbeteiligten habe das Bundesverwaltungsgericht nicht auf für die Entscheidung relevante Umstände des Einzelfalles Bedacht genommen und sich mit Feststellungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nicht auseinandergesetzt, die für die Beurteilung des gegenständlichen Falles wesentlich seien. Das Bundesverwaltungsgericht gehe in Bezug auf die sich auf den Mitbeteiligten beziehenden Umstände rechtsirrig allein davon aus, dass der Mitbeteiligte die „formalen Voraussetzungen“ für die Einberufung zum Militärdienst in Syrien aufweise.

10 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 28. Februar 2024, Ra 2023/20/0619, mit einer identen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts für die Gewährung von Asyl an einen syrischen Staatsangehörigen ausführlich (und mit zahlreichen Hinweisen auf bisherige Judikatur) auseinandergesetzt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG kann daher hier auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen werden (vgl. des Weiteren danach unter Verweis auf dieses Erkenntnis und auch in der Sache dem folgend etwa VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0319; 28.2.2024, Ra 2023/20/0559; 12.3.2024, Ra 2024/20/0130).

12 Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass der Verwaltungsgerichtshof festgehalten hat, dass nicht schon allein aus dem auch im vorliegenden Fall maßgeblichen Inhalt der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Berichtslage zur Situation in Syrien abgeleitet werden kann, dass jedem syrischen Staatsangehörigen, der ankündigt, den Militärdienst nicht ableisten zu wollen, im Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht. Es bedarf vielmehr unter Bedachtnahme auf die Verhältnisse in diesem Land immer einer Beurteilung unter Einbeziehung aller konkreten Umstände des Einzelfalls, ob im Fall der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten droht.

13 Da nach der Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, ist es für die Gewährung von Asyl zudem nicht ausreichend, derselben eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios zugrunde zu legen.

14 Es ist für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten für sich genommen auch nicht ausreichend, wenn der asylwerbende Fremde wie hier der Mitbeteiligte, der angegeben hat, dass er an keinem Krieg teilnehmen möchte Gründe, warum er den Militärdienst nicht ableisten möchte, ins Treffen führt, die Ausdruck einer politischen oder religiösen Gesinnung sein können.

15 Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss nämlich in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen stehen.

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit syrischen Staatsangehörigen, die ihren Militärdienst nicht abgeleistet haben, im Übrigen bereits darauf hingewiesen, dass dem Schutz vor (mit realem Risiko drohenden) willkürlichen Zwangsakten bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Grund die dem Mitbeteiligten ohnedies zuteil gewordene Gewährung subsidiären Schutzes dient.

17 Somit hat das Bundesverwaltungsgericht, indem es davon ausging, es sei ausgehend von den Feststellungen zur Situation in Syrien für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Mitbeteiligten allein schon hinreichend, dass er dort den Militärdienst noch nicht abgeleistet habe und er sich im wehrdienstpflichtigen Alter befinde, die Rechtslage verkannt.

18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 24. April 2024

Rückverweise