JudikaturBVwG

W278 1254759-5 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2024

Spruch

W278 1254759-5/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dominik HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2024, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren (auszugsweise):

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 28.11.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.11.2005 wurde sein Antrag hinsichtlich die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, dem BF aber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Eine Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 06.09.2010 als unbegründet abgewiesen.

1.3. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 06.09.2010 wurde der BF wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 13 Jahren verurteilt. Mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 16.03.2011 wurde die Dauer der Freiheitsstrafe auf 15 Jahre erhöht.

1.4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 25.04.2019 wurde dem BF der mit Bescheid vom 03.11.2005 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt (Spruchpunkt I.), kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt II.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III.), festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt IV.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.) und die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

1.5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge: BVwG) vom 09.07.2021 wurde die Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.) und die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahren herabgesetzt (Spruchpunkt IV.). Ansonsten wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 25.04.2019 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.).

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Der BF stellte am 26.08.2024 – durch Schreiben seines damaligen Vertreters – gegenständlichen Antrag auf Aufhebung des Einreiseverbotes.

In der beiliegenden Begründend wurde im Wesentlichen auf einen Gesinnungswandel des BF, das lange Zurückliegen der Tat sowie eine fehlende Gefährlichkeit verwiesen.

Beigelegt wurde zudem ein Konvolut an Unterlagen.

2.2. Mit Bescheid des BFA vom 03.10.2024 wurde der Antrag des BF gemäß § 60 Abs. 1 FPG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem BF aufgetragen binnen einer Zahlungsfrist von vier Wochen gemäß § 78 AVG eine Bundesverwaltungsabgabe in der Höhe von EUR 06,50 zu entrichten (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass der BF die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Reduzierung des Einreiseverbotes gemäß § 60 FPG nicht erfüllen würde, weshalb dieser – ohne weitere inhaltliche Prüfung – zurückzuweisen sei.

2.3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 02.11.2024 fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Begründend wurde zusammengefasst dargelegt, dass die Abschiebung des BF mit Erkenntnis des BVwG vom 09.07.2021 für unzulässig erklärt worden sei. Nach der jüngeren – auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (in der Folge: EuGH) (u.a. C-663/21) gründenden – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (in der Folge: VwGH) (VwGH 25.07.2023, Ra 2021/20/0246) sei eine Rückkehrentscheidung in diesem Fall unzulässig. Daher sei auch ein auf dieser basierendes Einreiseverbot unzulässig.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht zudem Deutsch.

Der BF ist seit seiner Haftentlassung im Jahr 2020 die meiste Zeit erwerbstätig. Er ist im Bundesgebiet geduldet und gesund.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 06.09.2010 wurde der BF wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 13 Jahren verurteilt. Mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 16.03.2011 wurde die Dauer der Freiheitsstrafe auf 15 Jahre erhöht.

Mit 13.01.2020 wurde der BF aus der Freiheitsstrafe bedingt unter Setzung einer Probezeit von 5 Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe entlassen.

Der BF befand sich zwischen dem 13.01.2010 und dem 15.01.2020 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Seit seiner Entlassung ist der BF durchgehend im Bundesgebiet aufhältig.

1.2. Zum Verfahrensgang:

Mit Bescheid vom 25.04.2019 wurde gegen den BF eine Rückehrentscheidung verbunden mit einem unbefristeten Einreiseverbot gestützt auf § 53 Abs. 3 Z 5 FPG erlassen.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 09.07.2021 wurde u.a. die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung abgewiesen, die Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig erklärt und die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahren herabgesetzt.

Mit Bescheid des BFA vom 03.10.2024 wurde der Antrag des BF vom 26.08.2024 auf Aufhebung des Einreiseverbotes zurückgewiesen.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA – insbesondere die Bescheide vom 25.04.2019 und 03.10.2024 – sowie der vorliegenden Gerichtsakten des BVwG – insbesondere die Aussagen des BF in der Verhandlung vor dem BVwG am 09.07.2021 im zur Zl. W246 1254759-4 geführten Vorverfahren, der verfahrensgegenständliche Antrag auf Aufhebung des Einreiseverbotes vom 26.08.2024 und die Beschwerde vom 02.11.2024 – und Einsichtnahmen in das Strafregister der Republik Österreich, das AJ-Web, das Zentrale Melderegister und das Zentrale Fremdenregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde:

Mit Bescheid vom 25.04.2019 wurde gegen den BF eine Rückehrentscheidung verbunden mit einem unbefristeten Einreiseverbot gestützt auf § 53 Abs. 3 Z 5 FPG erlassen. Mit Erkenntnis des BVwG vom 09.07.2021 wurde u.a. die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung abgewiesen, die Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig erklärt und die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahren herabgesetzt. Das Erkenntnis des BVwG stützt das Einreiseverbot auch nach dessen Herabsetzung nach wie vor auf § 53 Abs. 3 Z 5 FPG (Bezug auf die Verurteilung wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Jahre verwiesen – sohin zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren)

§ 60 FPG „Verkürzung, Gegenstandslosigkeit und Aufhebung“ lautet:

(1) Das Bundesamt kann ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 2 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen oder aufheben, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.

(2) Das Bundesamt kann ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.

Für ein auf § 53 Abs. 3 Z 5 bis Z 9 FPG gestütztes Einreiseverbot, kommt ein auf § 60 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG gestützter Antrag auf Aufhebung oder Herabsetzung des Einreiseverbotes nicht in Betracht. Ein solches Einreiseverbot ist vom ausdrücklichen gesetzlichen Wortlaut nicht erfasst (vgl. VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0256). Auch hat der BF das Gebiet der Mitgliedsstaaten nicht verlassen.

Im Ergebnis erfolgte sohin die „Zurückweisung“ zu recht (VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0250, Rz 14 Letzter Satz).

3.2. Zur Judikatur des EuGH in den Rechtsachen C-663/21 u.a.:

Richtig ist, dass in der beschwerdeseitig angeführten Rechtsprechung des EuGH vom 06.07.2023 in C-663/21 ausgesprochen wurde, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in jenen Fällen, in denen die Unzulässigkeit der Abschiebung festgestellt wurde, unionsrechtswidrig ist.

Dies ändert jedoch nichts an dem aufrechten Bestand der gegen den BF ergangenen rechtskräftigen Rückkehrentscheidung. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist nämlich eine Rechtskraftdurchbrechung aufgrund von nachträglich im Rahmen eines EuGH-Urteils festgestellter, aber ex tunc wirkender Unionsrechtswidrigkeit nur in besonderen Fällen geboten. Insbesondere kommt nach dieser Rechtsprechung eine Rechtskraftdurchbrechung nur dann in Betracht, wenn die betreffende Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist (VwGH 18.01.2024, Ra 2022/21/0173, mwN und unter Hinweis auf EuGH 13.01.2004, C-453/00, Kühne Heitz, sowie EuGH 19.09.2006, C-392/04 und C-422/04, Germany und Arcor).

Fallgegenständlich hat der BF zwar gegen den Bescheid vom 25.04.2019 zwar das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben, das Erkenntnis des BVwG vom 09.07.2021 aber nicht mittels Revision an den VwGH oder Erkenntnisbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof (in der Folge: VfGH) bekämpft. Verwaltungsgerichte sind keine letztinstanzlichen Gerichte (vgl. VwGH 28.02.2018, Ra 2015/06/0063 mit Verweis auf VfGH 26.09.2014, E 304/2014).

Fallbezogen kommt eine Durchbrechung der Rechtskraft hinsichtlich der gegen den BF erlassenen Rückkehrentscheidung somit schon deshalb nicht in Betracht, weil sie nicht infolge einer Entscheidung eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist.

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass dem – nach wie vor im Bundesgebiet aufhältigen BF – steht es offen, einen Antrag auf einen „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ gemäß § 55 AsylG 2005 zu stellen. Wird ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zugesprochen, wird die Rückehrentscheidung und damit auch das rechtlich auf dieser basierende Einreiseverbot gemäß § 60 Abs. 3 Z 2 FPG gegenstandslos (vgl. VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0256 und VfGH 29.02.2016, G 534/2015).

Mit einer Refoulement-Beurteilung in Bezug auf den Herkunftsstaat eines Fremden geht eine zu beachtende Rechtskraftwirkung einher, deren Durchbrechung allerdings dann gerechtfertigt ist, wenn sich nach Erlassung der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert haben (vgl. VwGH 07.03.2019, Ro 2019/21/0002). Somit steht es auch dem BFA offen, die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat (geänderte Sicherheitslage in Afghanistan) einer erneuten Beurteilung zu unterziehen.

Der Spruchpunkt. II des angefochtenen Bescheides vom 03.10.2024 wurde in der Beschwerde vom 02.11.2024 nicht angefochten. Er ist in Rechtskraft erwachsen.

3.4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage iVm der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann die Verhandlung ungeachtet eines Parteiantrages entfallen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen, was im vorliegenden Fall gegeben ist.

Fallgegenständlich ergibt sich der maßgebliche Sachverhalt klar aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde.

Im Übrigen wurde in der Beschwerde auch kein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

Daher konnte eine mündliche Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten im Spruchteil A) wiedergegeben.