JudikaturVwGH

Ra 2022/21/0173 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Januar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des N A, vertreten durch Mag. a Margit Sagel, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 60/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Juli 2022, W261 2137616 3/3E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Aufhebung eines Einreiseverbotes gemäß § 60 Abs. 2 FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger. Ihm wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 30. Mai 2014 im Rechtsmittelweg gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

2 Der Revisionswerber, dem schon davor wegen seiner Straffälligkeit der Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig aberkannt worden war, stellte am 30. Jänner 2019 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, der mit Bescheid des BFA vom 1. Juli 2019 abgewiesen wurde. Weiters wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG erlassen und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber eine ausschließlich nur gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie das verhängte Einreiseverbot gerichtete Beschwerde. Die Rückkehrentscheidung erwuchs somit unangefochten in Rechtskraft.

4 Mit am 25. September 2019 mündlich verkündetem und mit 10. Oktober 2019 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis gab das BVwG der Beschwerde des Revisionswerbers insoweit statt, als festgestellt wurde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG unzulässig sei. Die Dauer des Einreiseverbotes wurde auf fünf Jahre herabgesetzt.

5 Am 8. Juni 2020 wurde dem Revisionswerber eine Karte für Geduldete ausgestellt, die zuletzt bis 6. September 2022 verlängert wurde.

6 Mit Eingabe vom 4. Jänner 2022 beantragte der Revisionswerber die Aufhebung des gegen ihn erlassenen Einreiseverbotes. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 14. April 2022 gemäß § 60 Abs. 2 FPG zurückgewiesen. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. Juli 2022 als unbegründet ab. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

7 In seiner Entscheidungsbegründung legte das BVwG unter Berufung auf näher zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes dar, die Verkürzung oder Aufhebung eines Einreiseverbotes setze nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 60 Abs. 2 FPG zwingend voraus, dass der Betroffene das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union fristgerecht und freiwillig verlassen habe. Diese Voraussetzung sei im Fall des Revisionswerbers, der seit der rechtskräftigen Erlassung eines fünfjährigen Einreiseverbotes gegen ihn mit am 25. September 2019 mündlich verkündetem Erkenntnis des BVwG das Bundesgebiet nicht verlassen habe, nicht gegeben. Die Voraussetzung der fristgerechten Ausreise sei entgegen der Meinung des Revisionswerbers auch nicht unionsrechtswidrig. Im Hinblick auf das vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0246, eingeleitete Vorabentscheidungsersuchen (beim Gerichtshof der Europäischen Union im Entscheidungszeitpunkt des BVwG zu C 663/21 anhängig) zur Frage, ob es unionsrechtskonform sei, bei festgestellter Unzulässigkeit der Abschiebung eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, führte das BVwG ins Treffen, dass im Fall des Revisionswerbers die Rückkehrentscheidung und auch das gegen ihn erlassene Einreiseverbot bereits rechtskräftig geworden seien. Die Ansicht des Revisionswerbers, dass eine rechtskräftig erlassene Rückkehrentscheidung oder ein Einreiseverbot im Fall einer Duldung gegenstandslos würden, werde durch den genannten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes „nicht gestützt“. Der Revisionswerber sei daher auf die nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bestehende Möglichkeit zu verweisen, die Aufhebung des Einreiseverbotes ohne das Erfordernis einer fristgerechten Ausreise im Wege eines Antrags nach § 55 AsylG 2005 zu erwirken.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 Zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision macht der Revisionswerber geltend, das angefochtene Erkenntnis stehe in „diametralem Widerspruch“ zur Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union, wobei dazu auf das Urteil EuGH 3.6.2021, BZ/Westerwaldkreis , C 546/19, verwiesen wird.

12 Dabei übersieht der Revisionswerber jedoch, dass sich die dem von ihm angesprochenen Urteil des EuGH zugrundeliegende Situation maßgeblich von der hier gegebenen unterscheidet. In dem diesem Urteil zugrundeliegenden Ausgangssachverhalt war gegen einen Drittstaatsangehörigen, der illegal in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhältig war, zwar ein Einreiseverbot erlassen worden, allerdings bestand gegen diesen Drittstaatsangehörigen keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr. Dazu hatte der EuGH ausgesprochen, dass das Bestehen eines „Zwischenstatus“ von Drittstaatsangehörigen, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates befänden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterlägen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht, Art. 6 der Rückführungsrichtlinie zuwiderliefe (vgl. EuGH 3.6.2021, BZ/Westerwaldkreis , C 546/19, Rn. 57).

13 Demgegenüber besteht gegen den Revisionswerber aber eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung. Diese Rückkehrentscheidung wird zunächst entgegen der vom Revisionswerber vertretenen Ansicht nicht schon aufgrund seiner Duldung nach § 46a FPG unwirksam, weil sie gemäß § 31 Abs. 1a Z 3 FPG keinen rechtmäßigen Aufenthalt vermittelt. Auch das zwischenzeitig ergangene Urteil EuGH 6.7.2023, C 663/21, in dem ausgesprochen wurde, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in jenen Fällen, in denen die Unzulässigkeit der Abschiebung festgestellt wurde, unionsrechtswidrig ist, ändert nichts an dem aufrechten Bestand der gegen den Revisionswerber ergangenen rechtskräftigen Rückkehrentscheidung.

14 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist nämlich eine Rechtskraftdurchbrechung aufgrund von nachträglich im Rahmen eines EuGH Urteils festgestellter, aber ex tunc wirkender Unionsrechtswidrigkeit nur in besonderen Fällen geboten. Insbesondere kommt nach dieser Rechtsprechung eine Rechtskraftdurchbrechung nur dann in Betracht, wenn die betreffende Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist (vgl. dazu sowie zu den weiteren Voraussetzungen für eine Rechtskraftdurchbrechung VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0089, Rn. 15, unter Hinweis auf EuGH 13.1.2004, C 453/00, Kühne Heitz , sowie EuGH 19.9.2006, C 392/04 und C 422/04, Germany und Arcor ). Fallbezogen kommt eine Durchbrechung der Rechtskraft hinsichtlich der gegen den Revisionswerber erlassenen Rückkehrentscheidung somit schon deshalb nicht in Betracht, weil sie nicht infolge einer Entscheidung eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist. Die gegen ihn mit Bescheid des BFA vom 1. Juli 2019 ergangene Rückkehrentscheidung hat der Revisionswerber aber nicht einmal mittels Beschwerde an das BVwG angefochten.

15 Angesichts der weiterhin aufrechten Rückkehrentscheidung kann aber auch aus dem in der vorliegenden Revision zitierten Urteil EuGH 3.6.2021, C 546/19, nicht abgeleitet werden, dass es unionsrechtswidrig wäre, das gegen den Revisionswerber bestehende rechtskräftige Einreiseverbot mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 FPG nicht auf dessen Grundlage aufzuheben. Dadurch, dass das BVwG die Zurückweisung des gegenständlichen Antrags richtig wäre eine Antragsabweisung gewesen (vgl. dazu VwGH 25.10.2023, Ra 2022/21/0196, Rn. 14) bestätigte, ist der Revisionswerber aber für sich genommen nicht in Rechten verletzt.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 18. Jänner 2024

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