JudikaturVwGH

Ra 2024/21/0082 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. Oktober 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner, Bakk., als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des A Y A, vertreten durch Dr. Frank E. Riel, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Gartenaugasse 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2024, I406 2288383 1/3E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines unbefristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

1. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die gegen den zugrunde liegenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26. Februar 2024 erhobene Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt IV. dieses Bescheides (Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

2. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

1 Der 1994 geborene Revisionswerber ist ein algerischer Staatsangehöriger, dessen Ehefrau und etwa dreijähriger Sohn, für den er auch sorgepflichtig ist, in Frankreich leben. Der Revisionswerber reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet, wurde am 15. Jänner 2023 bei einem Diebstahl auf frischer Tat betreten und nach seiner Festnahme in eine Justizanstalt eingeliefert.

2Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 9. März 2023 wurde der Revisionswerber wegen gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs. 1 erster Fall StGB und wegen Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten, davon neun Monate bedingt, verurteilt.

3Ferner wurde der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Juni 2023 wegen schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 erster Satz StGB unter Bedachtnahme auf das vorgenannte Urteil zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren rechtskräftig verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe am 27. Dezember 2022 in Wien gemeinsam mit einem unbekannten Mittäter einen schweren Raub begangen, indem einer der beiden das Opfer am Handgelenk gepackt, kräftig daran gezerrt sowie ihm seine Armbanduhr und sein Ausweisetui weggenommen habe, während der andere (nach den Urteilsfeststellungen: der Revisionswerber) den Begleiter des Opfers attackiert habe, wodurch dieser auf näher beschriebene Weise schwer verletzt worden sei.

4 Daraufhin erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 26. Februar 2024 gegen den Revisionswerberunter gleichzeitiger (amtswegiger) Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.)gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Algerien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.). Des Weiteren räumte das BFA gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise ein und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG ab (Spruchpunkte V. und VI.).

5Die gegen die Spruchpunkte II. bis VI. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. März 2024 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 In seiner Begründung traf das BVwG Feststellungen zu den erwähnten Straftaten des unter verschiedenen Identitäten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auftretenden, vermögens und einkommenslosen Revisionswerbers sowie zu seinen familiären Bindungen in Frankreich. In Österreich habe der Revisionswerber bis zur Verhaftung über keinen festen Wohnsitz verfügt.

7 Rechtlich räumte das BVwG das Bestehen eines Privat und Familienlebens des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in Frankreich ein, verwies aber darauf, dass er weder über eine Beschäftigungsbewilligung noch ein längerfristiges Aufenthaltsrecht in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat verfüge. Aus den beiden strafgerichtlichen Verurteilungen innerhalb von drei Monaten ergebe sich eine „erhebliche“ kriminelle Energie, weshalb der Revisionswerber eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, zumal aufgrund seiner schlechten finanziellen Lage von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Diese Art des „Kriminaltourismus“ der Revisionswerber sei in das Bundesgebiet nur eingereist, um sich hier durch Straftaten den Lebensunterhalt zu finanzieren stelle ein besonders verpöntes Verhalten dar. Deshalb sei die Rückkehrentscheidung trotz seines schützenswerten Privat und Familienlebens in Frankreich dringend geboten, wobei der Revisionswerber den derzeit haftbedingt „ohnehin“ eingeschränkten Kontakt zu seiner Ehefrau und seinem Sohn nach dem Strafvollzug über technische Kommunikationsmittel und bei Besuchen in Algerien pflegen könne.

8In Bezug auf das verhängte Einreiseverbot ging das BVwG (neuerlich) davon aus, dass der Revisionswerber in Anbetracht seines Fehlverhaltens, das den zwei strafgerichtlichen Verurteilungen zu einer iSd § 53 Abs. 3 Z 5 FPG mehr als dreijährigen Freiheitsstrafe zugrunde liege, und angesichts der überaus hohen Rückfallgefahr eine schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, die ein unbefristetes Einreiseverbot erfordere. Eine Reduktion der Dauer scheitere an der „extremen“ kriminellen Energie des Revisionswerbers, den massiven Verstößen gegen fremdes Eigentum und an der Tatsache, dass er dieses Verhalten nur aufgrund seiner Festnahme im Bundesgebiet eingestellt habe. Nach der (näher zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten habe, wobei der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen sei, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert habe. Daraus folgerte das BVwG unter Hinweis auf die zuletzt verhängte sechsjährige Freiheitsstrafe, dass ein solcher Beobachtungszeitraum „jedenfalls noch nicht in Betracht“ komme. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Familienleben des Revisionswerbers mit seiner in Frankreich lebenden Ehefrau und seinem Sohn begründete das BVwG erneut mit dem Hinweis auf den aktuell haftbedingt „ohnedies“ eingeschränkten Kontakt und der Möglichkeit, nach der Haftentlassung den Kontakt telefonisch oder bei Besuchen in Algerien fortzuführen.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

10 Die Revision erweist sichentgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG aus nachstehenden Gründen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG teilweise als zulässig und insoweit auch als berechtigt.

11 Die Revision wendet sich inhaltlich nur gegen die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot und lässt die übrigen vom BVwG bestätigten Spruchpunkte des Bescheides des BFA unberührt. In diesem Rahmen wird in der Zulässigkeitsbegründungausschließlich der Umstand, dass die Kernfamilie des Revisionswerbers im Unionsgebiet lebe, geltend gemacht und deshalb ein (unbefristetes) Einreiseverbot für unzulässig angesehen.

12 Diesen Ausführungen, mit denen die Gefährdungsprognose des BVwG im Übrigen unbekämpft bleibt, ist entgegen zu halten, dass das BVwG bei der Beurteilung des Eingriffs in das Privat oder Familienleben des Revisionswerbers ohnehin nicht allein dessen Situation in Österreich, sondern auch seine Verhältnisse in Frankreich „in den Blick“ genommen hat (zu der diesbezüglichen auch vom BVwG zitiertenRechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vgl. etwa VwGH 29.8.2024, Ra 2023/21/0051, Rn. 10/11, mwN). Angesichts der vom BVwG als Ausdruck „erheblicher“ bzw. „extremer“ krimineller Energie bewerteten wiederholten Straffälligkeit des Revisionswerbers, der darauf zutreffend gegründeten Gefährdungsprognose und des daraus resultierenden besonders großen öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung ist auch die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK grundsätzlich nicht zu beanstanden. Das BVwG durfte nämlich zu Recht davon ausgehen, dass der Revisionswerber und seine Familienangehörigen eine (befristete) Trennung im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von schwerer Gewalt und Eigentumskriminalität hinzunehmen haben. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes war daher dem Grunde nach jedenfalls gerechtfertigt.

13 Insoweit zeigt die Revision somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG auf.

14 Allerdings erweist sich die Revision, soweit sie die unbefristete Dauer des Einreiseverbotes bekämpft, im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG wegen Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als zulässig und als berechtigt:

15 Bei der Festsetzung der Dauer eines Einreiseverbotes ist immer eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der nicht nur auf das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen und das deshalb prognostizierte Vorliegen der von ihm ausgehenden Gefährdung, sondern auch auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen ist (vgl. etwa VwGH 25.5.2023, , Rn. 19).

16 Wie erwähnt kann es vor dem Hintergrund der dem Revisionswerber zur Last gelegten Straftaten und der daraus vom BVwG abgeleiteten besonderen Gefährlichkeit des Revisionswerbers zwar nicht zweifelhaft sein, dass gegen ihn die Erlassung eines Einreiseverbotes grundsätzlich zulässig ist. Das BVwG hat aber aus den in Frankreich bestehenden privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers keine ersichtlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Dauer des über ihn verhängten Einreiseverbotes gezogen.

17 Es ließ, erkennbar in Verkennung der Rechtslage, offen, warum ungeachtet seiner familiären Bindungen in Frankreich ein grundsätzlich auf Lebenszeit angelegtes Fernbleiben vom Gebiet der Europäischen Union selbst etwa nach einem allfälligen langjährigen Wohlverhalten und einer daraus zu erschließenden Abnahme des von ihm ausgehenden Gefährdungspotentials gerechtfertigt ist (vgl. dazu etwa VwGH 4.4.2019, , Rn. 36/37; VwGH 6.4.2021, , Rn. 18/19; VwGH 22.2.2022, Ra 2021/21/0302, Rn. 16/17; VwGH 30.5.2023, , Rn. 21, jeweils mwN). Hierfür genügte der Hinweis des BVwG nicht, dass der Kontakt des Revisionswerbers zu seiner Ehefrau und seinem Sohn „ohnedies“ aufgrund der Strafhaft beschränkt sei. Auch das macht die Revision der Sache nach zu Recht geltend. Diesem Umstand kann nämlich keine maßgeblich relativierende Bedeutung dergestalt beigemessen werden, dass eine eingehende Begründung der Rechtfertigung eines unbefristet geltenden, erst nach der Haftentlassung wirksam werdenden Einreiseverbotes entbehrlich wäre.

18In Bezug auf die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes war das angefochtene Erkenntnis daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Im Übrigen war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

19Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 bzw. Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

20Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 50 VwGG, in Verbindung mit dem in § 1 Z 1 lit. a der VwGH AufwErsV 2014 vorgesehenen Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand. Das im Kostenverzeichnis angesprochene Mehrbegehren auf Ersatz von insgesamt € 1.723,68 findet in den genannten Bestimmungen keine Deckung.

Wien, am 24. Oktober 2024