JudikaturVwGH

Ra 2025/21/0040 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
06. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und die Hofrätin Dr. in Oswald sowie den Hofrat Mag. Pichler als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des T F, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2025, L524 2299301 1/14E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber ist ein im Jahr 1999 geborener türkischer Staatsangehöriger. Er befindet sich seit dem Jahr 2006 rechtmäßig im Bundesgebiet und verfügt seit 2015 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“. Der Revisionswerber ist Vater zweier 2021 und 2023 geborener Kinder, die beide französische Staatsangehörige sind und mit ihrer Mutter, der (ebenfalls französischen) Lebensgefährtin des Revisionswerbers, im gemeinsamen Haushalt im Bundesgebiet leben. Der Revisionswerber befindet sich seit Juni 2023 in Strafhaft. In der Türkei leben (zeitweise) die Eltern und weitere Verwandte des Revisionswerbers.

2 Der Revisionswerber wurde im Laufe seines Aufenthalts in Österreich wiederholt straffällig:

3 Zunächst wurde er mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 22. Juli 2020 wegen der Beteiligung an einem Raufhandel gemäß § 91 Abs. 1 erster und § 91 Abs. 2 zweiter Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in Dauer von vier Monaten (Probezeit: drei Jahre) verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, der Revisionswerber habe im Oktober 2018 an einer Schlägerei teilgenommen, die zur Folge gehabt habe, dass eine Person einen Bruch im Bereich der rechten Stirnhöhle, eine Rissquetschwunde an der rechten Oberlippe und Abschürfungen unterhalb des rechten Auges erlitten und eine andere Person eine Brustkorbprellung, Prellungen beider Daumen, eine Schädelprellung und eine Rissquetschwunde im Kopfbereich davongetragen habe. Überdies habe der Revisionswerber im Dezember 2019 an einem Angriff mit mehreren Mittätern teilgenommen, wobei der Angriff bei einer Person eine schwere Körperverletzung zur Folge gehabt habe.

4 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. Oktober 2023 wurde der Revisionswerber dann (während offener Probezeit) wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 87 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitstrafe in der Dauer von sechs Jahren verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, der Revisionswerber habe im Juni 2023 heftig mit einem Messer mit einer Klingenlänge von ca. zehn cm auf zwei Personen eingestochen. Das erste Opfer habe eine die Brusthöhle eröffnende Stichverletzung an der linken Seite sowie eine weitere Stichverletzung erlitten. Das zweite Opfer, dem der Revisionswerber, nachdem er das erste Opfer niedergestochen habe, nachgelaufen sei, habe Stichverletzungen am Oberarm und in der Brust sowie einen Bruch der sechsten linken Rippe erlitten.

5 Mit Bescheid vom 7. August 2024 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bezug auf die genannten Verurteilungen und die ihnen zu Grunde liegenden Straftaten gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG ohne Nennung des Zielstaates fest, dass seine Abschiebung zulässig sei, und gewährte ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG erließ das BFA gegen den Revisionswerber überdies ein unbefristetes Einreiseverbot.

6 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung insoweit statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf sechs Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies das BVwG die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass es gemäß § 52 Abs. 9 FPG feststellte, dass die Abschiebung des Revisionswerbers gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird vorgebracht, die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung widerspreche den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Kriterien. Der Revisionswerber erfülle den früheren Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 9 Abs. 4 BFA VG idF vor dem FrÄG 2018, weshalb auch kein Einreiseverbot gegen den Revisionswerber erlassen werden hätte dürfen.

11 Mit diesem Zulässigkeitsvorbringen gelingt es der Revision nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B VG (VwGH 8.5.2025, Ra 2024/21/0107 0112, Rn. 12, mwN). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. etwa VwGH 19.1.2023, Ra 2022/21/0159, Rn. 13, mwN).

13 Bei der Gefährdungsprognose ging das BVwG zutreffend vom Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG (gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit) iVm § 53 Abs. 3 FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) aus. Angesichts der vom BVwG seiner Entscheidung zugrunde gelegten strafbaren Handlungen insbesondere jener, die zur zweiten Verurteilung des Revisionswerbers geführt haben und der durch eine hohe kriminelle Energie und ein besonders großes Gewalt und Aggressionspotenzial gekennzeichneten Art ihrer Begehung durch den Revisionswerber (siehe Rn. 4), ist die Annahme des BVwG, das eine mündliche Verhandlung durchgeführt und sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft hat, der Gefährdungsmaßstab des § 52 Abs. 5 FPG sei fallbezogen erfüllt, jedenfalls vertretbar.

14 Für den Revisionswerber ist auch mit seinem Hinweis auf die früheren Aufenthaltsverfestigungstatbestände des § 9 Abs. 4 BFA VG idF vor dem FrÄG 2018 im Zulässigkeitsvorbringen der Revision nichts zu gewinnen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung nämlich bereits dargelegt, dass auch die Wertungen dieser Bestimmungen, die im Rahmen der Interessenabwägung weiterhin beachtlich sind, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes bei Vorliegen eines besonders verwerflichen Verbrechens und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung nicht entgegenstehen (VwGH 29.1.2025, Ra 2024/21/0205, Rn. 12). Im Revisionsfall ist angesichts der bereits dargestellten brutalen Tatbegehung durch den Revisionswerber bei den im Juni 2023 getätigten Angriffen eine derartige spezifische vom Revisionswerber ausgehende Gefährdung evident. Diese spiegelt sich nicht zuletzt auch darin wider, dass das Landesgericht für Strafsachen Wien den Revisionswerber zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren (bei einem Strafrahmen von einem bis zehn Jahren Freiheitsstrafe) verurteilt hat. Im Übrigen erfüllt der Revisionswerber, der ab einem Alter von sieben Jahren im Bundesgebiet gelebt hat, die Voraussetzungen des ehemaligen Tatbestandes des § 9 Abs. 4 Z 2 BFA VG idF vor dem FrÄG 2018 von vornherein nicht (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0067, Rn. 15, wonach § 9 Abs. 4 Z 2 BFA VG idF vor dem FrÄG 2018 auf eine Person, die erst im Alter von vier Jahren nach Österreich gekommen ist, nicht zur Anwendung gelangt; vgl. auch VwGH 2.3.2022, Ra 2021/20/0458).

15 Im Übrigen hat das BVwG bei seiner Interessenabwägung sämtliche sonstigen Aspekte, die im Rahmen einer solchen Abwägung beachtlich sind, in seine Entscheidung einbezogen, wobei es insbesondere auch das Kindeswohl der beiden minderjährigen Kinder des Revisionswerbers und die Beziehung zu den weiteren im Bundesgebiet lebenden Angehörigen sowie das Bestehen einer Lebensgemeinschaft ausreichend berücksichtigt hat. Diesen Aspekten hat das BVwG nicht zuletzt auch dadurch Rechnung getragen, dass es das Einreiseverbot auf eine Dauer von sechs Jahren herabgesetzt hat. Angesichts der vom Revisionswerber im Juni 2023 begangenen gravierenden Straftat ist allerdings die Ansicht des BVwG, dass die weitgehende Verunmöglichung der (persönlichen) Kontakte zu seinen Kindern für die Dauer des Einreiseverbots im Hinblick auf die vom Revisionswerber ausgehende Gefährdung der öffentlichen Interessen hinzunehmen sei, nicht als unvertretbar anzusehen, zumal an der Vermeidung von Gewaltkriminalität ein großes öffentliches Interesse besteht (vgl. etwa VwGH 24.10.2024, Ra 2024/21/0082, Rn. 12).

16 Die Revision war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 6. August 2025

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