JudikaturVwGH

Ra 2024/21/0026 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner, Bakk., als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Z A, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2023, W289 2283133 1/21E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 2004 geborene Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, hatte nach gemeinsamer Einreise mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern nach Österreich im Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2 Im Rahmen des Familienverfahrens war dem Revisionswerber bezogen auf seine Mutter zunächst im Juni 2017 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 28. November 2022 wurde der Mutter des Revisionswerbers und seinen Schwestern der Status des Asylberechtigten im Beschwerdeweg wieder aberkannt, weil so im Wesentlichen die Begründung die asylrelevante Verfolgung der Mutter wegen ihrer Tätigkeit als Polizistin durch den sogenannten Islamischen Staat im Irak nicht mehr aktuell sei. Wegen der vulnerablen und prekären Situation alleinstehender Frauen im Irak wurde sowohl ihr als auch den Schwestern des Revisionswerbers der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Dem Revisionswerber wurde ebenfalls aus den gleichen Gründen der Status des Asylberechtigten aberkannt, jedoch im Gegensatz zu seinen Familienangehörigen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, wobei unter einem gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak festgestellt und wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung über ihn ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt wurde. Sowohl eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof als auch eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof blieben erfolglos.

3 Nach Zustimmung der irakischen Botschaft am 20. September 2023 zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Revisionswerber war die Abschiebung bereits für den 3. Oktober 2023 vorgesehen. Der Versuch einer Festnahme des Revisionswerbers für diese Abschiebung an seiner Meldeadresse scheiterte allerdings mehrfach, weil der Revisionswerber für die Behörde nicht greifbar war. Telefonisch teilte er mit, seinen derzeitigen Aufenthaltsort wegen der Furcht vor der Abschiebung nicht bekannt geben zu wollen.

4Anlässlich einer zufälligen Personenkontrolle wurde der Revisionswerber dann am 17. Dezember 2023 festgenommen, nachdem er sich eigenen Angaben zufolge hin und wieder bei einem Freund aufgehalten und sich wegen der drohenden Abschiebung vor den Behörden im Verborgenen gehalten hatte, indem er „auf der Straße“ und „unter der Brücke“ geschlafen hatte. Nach seiner Einvernahme, bei der er seine Ausreiseunwilligkeit neuerlich bekräftigte, wurde mit dem sofort in Vollzug gesetzten Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom selben Tag über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung verhängt.

5 Am 19. Dezember 2023 stellte der Revisionswerber im Stande der Schubhaft einen weiteren Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz, den er im Wesentlichen mit dem Hinweis auf das Fehlen eines sozialen Netzwerks im Irak und auf die seinerzeitige Verfolgung seiner Familie durch den Islamischen Staat wegen der Tätigkeit seiner Mutter als Polizistin begründete. Noch am selben Tag hielt das BFA in einem dem Revisionswerber ausgefolgtenAktenvermerk fest, dass die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrecht bleibe, weil „zum jetzigen Zeitpunkt“ im Sinne der genannten Bestimmung Gründe für die Annahme bestünden, der Antrag auf internationalen Schutz sei vom Revisionswerber (nur) zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden.

6 Die gegen den Bescheid vom 17. Dezember 2023 und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2023 erhobene Beschwerde wies das BVwG ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Dezember 2023 gemäß § 22a Abs. 1 BFAVG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG und § 76 Abs. 6 FPG als unbegründet ab, stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFAVG iVm § 76 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen, und es traf diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Schließlich sprach das BVwG noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 In dieser Hinsicht macht die Revision nur eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend und weist mit Blick auf die Verhängung eines gelinderen Mittels auf die soziale und familiäre Verankerung des Revisionswerbers im Bundesgebiet sowie auf seine berufliche Integration aufgrund einer abgeschlossenen Lehre hin. Das BVwG habe auch die Missbrauchsabsicht in Bezug auf die Folgeantragstellung in der Schubhaft lediglich unterstellt. Bei Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung hätte der Revisionswerber einen persönlichen Eindruck bezüglich seiner für die Verhängung eines gelinderen Mittels relevanten Kooperationsbereitschaft vermitteln können. Auch im Hinblick auf die „tatsächliche Absicht der Asylantragstellung“ sei der Sachverhalt keineswegs ausreichend geklärt gewesen und auch insoweit hätte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu einem „positiven Ergebnis für den Revisionswerber“ führen können.

11 Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass nicht in allen Fällen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks erforderlich ist, um die konkrete Fluchtgefahr insbesondere im Hinblick auf eine mangelnde Vertrauenswürdigkeit des betreffenden Fremdenbeurteilen zu können. Sie lässt sich vielmehr auch aus einem einschlägigen Vorverhalten ableiten (vgl. etwa VwGH 23.5.2024, Ra 2021/21/0291, Rn. 13, mwN).

12 Dies war hier entgegen dem Standpunkt in der Revisionder Fall: Das BVwG stützte sich für die Annahme einer Fluchtgefahr zu Recht auf die Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 5 und 9 FPG. Wie bereits das BFA im Schubhaftbescheid vom 17. Dezember 2023 wies das BVwG nämlich zutreffend darauf hin, dass der Revisionswerber seine bereits geplante Abschiebung vereitelt habe, indem er sich trotz zu diesem Zeitpunkt aufrechter Meldung an der Wohnadresse seiner Familie verborgen gehalten und sich so dem Zugriff der Behörde entzogen hatte. Der mittellose und keiner Erwerbstätigkeit nachgehende Revisionswerber sei in der Folge untergetaucht, habe bis zuletzt über keine Meldeadresse verfügt und während der Schubhaft einen missbräuchlichen Folgeantrag gestellt (siehe dazu sogleich). Schon angesichts dieses Vorverhaltens, das in der Revision gänzlich ausgeblendet wird, durfte das BVwG trotz der familiären Bindungen in Österreichin vertretbarer Weise vom Vorliegen von Fluchtgefahr ausgehen und das Ausreichen eines gelinderen Mittels verneinen (zum Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Fluchtgefahr und der Verhängung eines gelinderen Mittels vgl. etwa VwGH 23.5.2024, Ra 2021/21/0095, Rn. 11, mwN). Vor dem Hintergrund der oben in Rn. 11 referierten Judikatur, war es daher fallbezogen auch vertretbar, insoweit einen geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFAVG anzunehmen und von einer Verhandlung abzusehen (vgl. zu diesem Maßstab auch im vorliegenden Zusammenhang etwa VwGH 23.5.2024, Ra 2022/21/0066, Rn. 11 am Ende iVm Rn. 10, und VwGH 5.11.2020, Ra 2020/21/0287, Rn. 19/20).

13 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das BVwG wobei in der Schubhaftbeschwerde dazu im Übrigen kein Vorbringen erstattet worden warauch mit der Frage der Missbrauchsabsicht hinsichtlich des Folgeantrags gemäß § 76 Abs. 6 FPG ausreichend auseinandergesetzt: Dabei verwies das BVwG zunächst zutreffend darauf, dass der Folgeantrag auf internationalen Schutz erst nach der Festnahme im Stande der Schubhaft gestellt worden war, obwohl dazu schon davor Gelegenheit bestanden hätte. Es nahm bei dieser Beurteilung zu Recht auch auf die zur Antragsbegründung vorgetragenen Verfolgungsbehauptungen Bedacht. Dabei ging das BVwG im Wesentlichen von einer Wiederholung der im Asylaberkennungsverfahren bereits abgehandelten Fluchtgründe der Mutter des Revisionswerbers aus, aus denen sich keine drohenden negativen Konsequenzen für den Revisionswerber im Falle einer Rückkehr ableiten ließen, und es erachtete auch die Frage des Bestehens einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr des Revisionswerbers in den Irak als in diesem Verfahren rechtskräftig beantwortet. Daraus durfte das BVwG insgesamt den Schluss ziehen, dass der Revisionswerber den Folgeantrag ausschließlich in Verzögerungsabsicht gestellt habe (vgl. dazu des Näheren VwGH 8.4.2021, Ra 2021/21/0076, Rn. 13, mwN). Diesen Erwägungen des BVwG wird in der Revision aber gar nicht entgegengetreten und daher auch nicht konkret dargetan, inwieweit es dazu noch einer weiteren Sachverhaltsklärung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bedurft hätte.

14 Die Revision zeigt somit insgesamt keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG auf. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2024