Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des J S, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen das am 24. Februar 2021 mündlich verkündete und mit 9. März 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, I411 2239645 1/17E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein 1989 geborener afghanischer Staatsangehöriger, hält sich seit Ende 2008 in Österreich auf. Im Bundesgebiet leben auch seine Mutter sowie seine beiden Geschwister. Zuletzt übernachtete er überwiegend in diversen Notschlafstellen und es war den Behörden sein Aufenthaltsort somit unbekannt.
2 Der dem Revisionswerber vom Asylgerichtshof im Beschwerdeweg zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten war ihm aufgrund einer Verurteilung (v.a.) wegen des Verbrechens der Erpressung mit dem unbekämpft rechtskräftig gewordenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. November 2011 wieder aberkannt worden. Der Revisionswerber war dann von 23. August 2012 bis 20. Februar 2020 geduldet. Über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt der Revisionswerber nicht.
3 Mit dem (im zweiten Rechtsgang ergangenen) Bescheid vom 13. Jänner 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen am 3. Februar 2020 gestellten Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ab, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan und (insbesondere) wegen seiner Straffälligkeit ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit dem zuletzt gegen den Revisionswerber ergangenen Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 23. Oktober 2019 war der Revisionswerber wegen gefährlicher Drohung nach § 107 Abs. 2 StGB (Drohung gegen seine Mutter, sie mehrmals mit dem Messer an bestimmten Körperstellen zu stechen) zu einer unbedingten Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Darüber hinaus war der Revisionswerber 30 mal verwaltungsstrafrechtlich bestraft worden. Der angesprochene Bescheid des BFA vom 13. Jänner 2021 konnte dem Revisionswerber an seiner Meldeadresse nicht zugestellt werden, weshalb eine Zustellung durch Hinterlegung im Akt erfolgte und die amtliche Abmeldung des Revisionswerbers im Zentralen Melderegister veranlasst wurde.
4 Am 21. Jänner 2021 reiste der Revisionswerber illegal nach Liechtenstein, wo er von den Organen der öffentlichen Sicherheit kontrolliert wurde, und kehrte er sodann wieder nach Österreich zurück.
5 Infolge eines gegen den Revisionswerber am 22. Jänner 2021 erlassenen Festnahmeauftrags wurde er am 9. Februar 2021 als er die Räumlichkeiten des BFA aufsuchte, um den Bescheid vom 13. Jänner 2021 abzuholen festgenommen. Mit Mandatsbescheid des BFA vom nächsten Tag wurde gegen den Revisionswerber nach dessen Einvernahme gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Sicherung der Abschiebung angeordnet und sogleich vollzogen.
6 Die dagegen erhobene Beschwerde vom 16. Februar 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen, in der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2021 mündlich verkündeten und mit 9. März 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab und stellte fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Es traf diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenaussprüche. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG schließlich aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 In dieser Hinsicht wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision im Wesentlichen nur geltend gemacht, das BVwG habe bei Beurteilung des Ausreichens eines gelinderen Mittels außer Acht gelassen, dass der Revisionswerber durch seine Mutter und Geschwister gefestigte familiäre Bindungen in Österreich aufweise. Er könne bei seiner Mutter oder seinem Bruder wohnen. Außerdem habe er selbst die Behörde aufgesucht, um sich nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen.
11 Dazu ist vorauszuschicken, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von Fluchtgefahr auszugehen ist, der nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne, stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. dazu etwa VwGH 21.12.2021, Ra 2019/21/0411, Rn. 11, mwN).
12 Das ist hier der Fall, wobei das BVwG bei seiner diesbezüglichen Beurteilung den in der Revision ins Treffen geführten Aspekt der zugesagten Wohnmöglichkeiten ohnehin ausreichend berücksichtigte. Das BVwG begründete die Annahme einer nicht durch gelindere Mittel abwendbaren Fluchtgefahr aber vor allem mit dem Umstand, dass der Revisionswerber trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet zum Entscheidungszeitpunkt im Sinne des Fluchtgefahr indizierenden Tatbestandes der Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG nicht über einen gesicherten Wohnsitz und mangels beruflicher Tätigkeit auch nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Sicherung seines Unterhalts verfügt habe. Die Möglichkeit bei seiner Mutter bzw. seinem Bruder zu wohnen, erachtete das BVwG einerseits aufgrund der gegen die Mutter begangenen Straftat und andererseits durch frühere Streitigkeiten zwischen den damals gemeinsam lebenden Geschwistern wegen Mietrückständen als maßgeblich relativiert.
13 Die vom BVwG auf die genannten Umstände nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber gestützte Beurteilung der Fluchtgefahr ist, insbesondere auch angesichts der Ende Jänner 2021 versuchten Weiterreise des in den letzten Monaten vor der Festnahme in diversen Notschlafstellen nächtigenden und für das BFA nicht erreichbaren Revisionswerbers nach Liechtenstein, wodurch auch der Fluchtgefahrtatbestand der Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG verwirklicht war, jedenfalls vertretbar, wobei der Umstand, dass die Festnahme aus Anlass einer Vorsprache des Revisionswerbers beim BFA vorgenommen wurde, fallbezogen nicht zu einem anderen Ergebnis führen musste.
14 Im Übrigen bedarf es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes umso weniger einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel, je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt. Umgekehrt ist das Begründungserfordernis aber größer, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt (vgl. etwa VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0044, Rn. 25, mwN). Schon im Hinblick auf seinen zuletzt unangemeldeten Aufenthalt ohne festen Wohnsitz in Österreich durfte das BVwG die Sicherung der Abschiebung durch die Anhaltung in Schubhaft im Sinne der erwähnten Judikatur durchaus für geboten erachten, ohne dass diesbezüglich ein besonderes Begründungserfordernis für die Nichtanwendung gelinderer Mittel bestand, zumal im Hinblick auf die Straffälligkeit des Revisionswerbers vor dem Hintergrund des § 76 Abs. 2a FPG auch ein gesteigertes Interesse an der Effektuierung der Abschiebung des Revisionswerbers gegeben war. In diesem Zusammenhang berücksichtigte das BVwG im Entscheidungszeitpunkt auch noch zu Recht, dass Ende März 2021 wieder ein Charterflug nach Afghanistan geplant war und in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium, insbesondere wie hier nach Vorliegen einer durchsetzbaren Entscheidung, auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitlung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs durch Schubhaft reichen (vgl. dazu etwa VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0302, Rn. 14, mwN).
15 Soweit die Revision weiters noch vorbringt, das BVwG habe die erforderliche Gefährdungsprognose unterlassen, verkennt sie, dass die gegen den Revisionswerber verhängte Schubhaft auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt wurde. Dieser Schubhafttatbestand verlangt anders als (von Ausnahmefällen abgesehen) § 76 Abs. 2 Z 1 FPG nicht das Vorliegen einer vom Aufenthalt des Fremden ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 FPG.
16 Der Revision gelingt es somit insgesamt nicht, eine im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufzuzeigen. Sie war daher nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 23. Mai 2024