Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten an einen Staatsangehörigen von Syrien mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der Herkunftsregion sowie der Erreichbarkeit
Spruch
I.1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stammt aus dem Ort Mas'adah im Gouvernement Al-Hasaka. Er ist sunnitischer Muslim, verheiratet und hat einen Sohn und zwei Töchter.
2. Am 11. Oktober 2022 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz.
3. Mit Bescheid vom 12. Jänner 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung nach Syrien für zulässig und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.
4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16. Oktober 2024 mit Erkenntnis vom 17. April 2025 ab und führte – soweit hier maßgeblich – begründend im Wesentlichen aus:
4.1. Seit Zusammenbruch des Assad-Regimes befinde sich Syrien nicht mehr im Bürgerkrieg. Zwar hätten sich gewalttätige Konflikte zwischen der SDF und der türkisch unterstützten SNA rund um die Städte Aleppo, Manbidsch und Kobane entwickelt und seien die kurdischen Truppen östlich des Euphrats zurückgedrängt worden. Dabei komme es jedoch insbesondere in Deir Ez-Zor und im östlichen Teil Aleppos zu wiederholten Angriffen. Dieses Kampfgeschehen finde jedoch nicht im Herkunftsort des Beschwerdeführers statt. Den Länderberichten sei nicht zu entnehmen, dass sich die Sicherheitslage im kurdisch kontrollierten Teil Syriens als derart instabil darstelle, dass jede Rückkehr bereits mit einem realen Risiko einer Art2 oder 3 EMRK widersprechenden Gefahr verbunden wäre. Weiters sei den Länderinformationen zu entnehmen, dass die SDF im März 2025 ein Abkommen zur Integration ihrer Streitkräfte und ziviler Einrichtungen in die neue syrische Regierung unterzeichnet habe.
4.2. Zur Versorgungslage in Syrien sei den Länderberichten zu entnehmen, dass sich diese in ganz Syrien auf Grund der Lebensmittelknappheit und hoher Lebensmittelpreise als prekär darstelle. Im Fall des Beschwerdeführers sei jedoch auf Grund seiner persönlichen Umstände nicht davon auszugehen, dass er im Fall einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten würde. Der Beschwerdeführer stamme aus einer wohlhabenden Familie, die im Besitz von Häusern und landwirtschaftlichen Flächen sei. Seine Familie betreibe eine Land- und Viehwirtschaft, könne von den Erträgen leben und den Beschwerdeführer unterstützen. Der Beschwerdeführer verfüge über eine Schulausbildung mit Matura und Erfahrung im landwirtschaftlichen Bereich. Folglich sei nicht davon auszugehen, dass der gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in eine ausweglose bzw existenzbedrohende Situation geraten würde.
4.3. Syrien sei über den Flughafen Damaskus erreichbar; von dort könne der Beschwerdeführer in das von der SDF kontrollierte Gebiet und in sein Heimatdorf reisen.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5.1. Begründend wird – soweit hier maßgeblich – ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht das Positionspapier des Hochkommissares der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR) zur Rückkehr in die Arabische Republik Syrien vom Dezember 2024 nicht vollständig wiedergegeben habe: Auch wenn sich daraus ergebe, dass die Verfolgungsgefahr von der ehemaligen Regierung aufgehört habe, werde darin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass andere Risiken bestehen bleiben oder sich gar verstärkt haben könnten. Zudem rufe UNHCR die Staaten dazu auf, keine syrischen Staatsangehörigen nach Syrien zwangsweise zurückzuführen und vorerst keine negativen Asylentscheidungen auf Grund der gegenwärtigen Unsicherheiten zu treffen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte darlegen müssen, warum es zu einer anderen Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat gelangte.
5.2. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes sei die Sicherheitslage in Syrien nicht nachhaltig stabil. Das vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Länderinformationsblatt vom 27. März 2024 sei angesichts der Entwicklungen in Syrien jedenfalls in Bezug auf die aktuelle Sicherheits- und der Grundversorgungslage auf Grund des Sturzes des Assad-Regimes unbrauchbar. Gerade bei der sich rasch ändernden Sicherheitslage sei es erforderlich, aktuelle Länderberichte heranzuziehen. Dem Bericht der European Union Agency for Asylum (EUAA) "Syria: Country Focus – Country of Origin Information Report" vom März 2025 lasse sich eine volatile Sicherheitslage entnehmen. Es sei wie im Fall einer Aberkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß §9 AsylG 2005 zu prüfen gewesen, ob sich die Gründe, welche für die Zuerkennung von subsidiären Schutz gesprochen hätten, so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert hätten, dass kein Anspruch auf subsidiären Schutz bestehe. Hiefür benötige es eine längere Beobachtungsphase.
5.3. Das Bundesverwaltungsgericht habe die tatsächliche Erreichbarkeit des Heimatdorfes des Beschwerdeführers nach dem Sturz des Assad-Regimes nicht ausreichend geprüft. Weiters sei es nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht zur Annahme gelangte, dass es sich bei der Familie des Beschwerdeführers um eine wohlhabende handle, die den Beschwerdeführer (auch nach Sturz des Assad-Regimes) unterstützen könnte, zumal der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorgebracht habe, dass er seiner Familie selbst Geld schicke.
6. Das Bundesverwaltungsgericht erstattete mit der Vorlage der Gerichts- und Verwaltungsakten eine Gegenschrift, in der es im Wesentlichen noch einmal die Erwägungen des angefochtenen Erkenntnisses hervorhebt und vorbringt, sich mit den Kriterien zur Gewährung von subsidiären Schutz auseinandergesetzt und unter Berücksichtigung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 2024, E3578/2023, eine Einzelfallbeurteilung vorgenommen zu haben.
II. Erwägungen
A. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Syrien unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Hinsichtlich der Sicherheitslage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers erschöpft sich die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses in zwei kursorischen Absätzen, in denen sich das Bundesverwaltungsgericht lediglich mit sicherheitsrelevanten Vorfällen außerhalb der Herkunftsregion des Beschwerdeführers rund um Deir Ez-Zor sowie in den östlichen Teilen von Aleppo auseinandersetzt. Eine weitere Auseinandersetzung zur Sicherheitslage konkret in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers fehlt; insbesondere setzt sich das Bundesverwaltungsgericht nicht damit auseinander, dass es nach dem Bericht EUAA, Syria: Country Focus vom März 2025, auch nach dem Sturz des Assad-Regimes insbesondere mit den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) nach wie vor zu Auseinandersetzungen kommt und es neben Deir Ez-Zor und in den östlichen Teilen von Aleppo auch in Al-Hasaka zu mehreren Sicherheitsvorfällen kam. Soweit sich das Bundesverwaltungsgericht darauf bezieht, dass die SDF ein Abkommen zur Integration ihrer Streitkräfte und zivilen Einrichtungen mit der neuen Regierung unterzeichnet habe, lässt das Bundesverwaltungsgericht außer Acht, dass dessen Umsetzung erst mit Ende des Jahres 2025 geplant ist, wie sich auch aus den im Erkenntnis herangezogenen Länderinformationen ergibt.
Aus der Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes erschließt sich folglich nicht, auf Grund welcher tragenden Erwägungen das Bundesverwaltungsgericht die Sicherheitslage im kurdisch kontrollierten Teil Syriens bezogen auf die Herkunftsregion des Beschwerdeführers beurteilt hat.
2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont, ist den Berichten des UNHCR und der EUAA bei der Beurteilung von Anträgen auf internationalen Schutz besondere Beachtung zu schenken (vgl zB VfSlg 20.358/2019, 20.372/2020; VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 23.6.2021, E865/2021). Dies gilt besonders in einer Situation, in der es zu gravierenden Änderungen der Machtverhältnisse im Herkunftsstaat kam und das – im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung aktuellste – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation noch auf einer Situation vor diesen Änderungen beruhte, sodass die Aussagekraft des Länderinformationsblattes zumindest in Teilen fraglich ist (vgl zur notwendigen Heranziehung hinreichend aktueller Länderberichte bei sich rasch ändernden Sicherheitslagen etwa VfGH 13.6.2022, E1029/2022; 28.2.2023, E2502/2022; 15.3.2023, E2289/2022 ua). Im fortgesetzten Verfahren wird über die individuelle Versorgungslage hinaus die Sicherheitslage in der konkreten Herkunftsregion des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der sicheren Erreichbarkeit (vgl VwGH 23.8.2019, Ra 2019/18/0188, Rz 18; 22.2.2021, Ra 2020/18/0516, Rz 12; vgl im Kontext von Asyl weiters VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108) zu prüfen sein.
3. Durch die unzureichende Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der konkreten Herkunftsregion des Beschwerdeführers sowie die mangelhafte Auseinandersetzung, wie der Beschwerdeführer die Herkunftsregion sicher erreichen könnte, jeweils vor dem Hintergrund einschlägiger aktueller Berichte – wie etwa der EUAA; s. Rz 18 dieser Entscheidung – hat das Bundesverwaltungsgericht Ermittlungstätigkeiten in entscheidenden Punkten unterlassen sowie den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen und dadurch insgesamt Willkür geübt.
B. Im Übrigen, also soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
3. Demgemäß wurde beschlossen, insoweit von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Syrien unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 380/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.