JudikaturVfGH

E865/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
23. Juni 2021

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hat sich mit den aus den Länderberichten (insb den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 und vom 30.08.2018, dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 16.12.2020, dem "EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018" sowie der "EASO, Country Guidance) hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers (junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann ohne Sorgepflichten und ohne besondere Vulnerabilität mit Berufserfahrung als Landwirt, Verkäufer und Schneider) auseinanderzusetzen.

Die in der EASO-Country Guidance enthaltenen Ausführungen, wonach hinsichtlich jener Gruppe von Rückkehrern, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, qualifizierte Umstände erforderlich sind, insbesondere im Hinblick auf Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person sowie Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans, um von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können, lässt das BVwG gänzlich unberücksichtigt. Das BVwG setzt sich in seiner Entscheidung dementsprechend auch nicht damit auseinander, ob der Beschwerdeführer, welcher nach eigenen Angaben mit seiner Familie Afghanistan im Kindesalter verlassen und seither außerhalb Afghanistans gelebt habe, unter diese in der EASO-Country Guidance beschriebene Gruppe von Rückkehrern fällt. Der VfGH verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass der Beschwerdeführer laut eigenen Angaben im Herkunftsstaat geboren und aufgewachsen ist sowie dort zumindest 12 Jahre gelebt hat. Das BVwG hat jedoch vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Feststellungen zum Alter und zum konkreten Verlauf der Flucht nicht hinreichend dargelegt, dass der Beschwerdeführer nicht dem in der EASO-Country Guidance beschriebenen Risikoprofil unterliegt. Indem das BVwG von einer zumutbaren Rückkehrsituation ausgeht, jedoch die aktuellen Länderberichte nicht in Beziehung zur Person des Beschwerdeführers setzt und sich somit nicht mit dessen konkreter Situation auseinandersetzt, hat es in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und damit seine Entscheidung mit Willkür belastet.

Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BVwG insbesondere damit auseinanderzusetzen zu haben, ob der Beschwerdeführer unter jene in der EASO-Country Guidance beschriebene Gruppe von Rückkehrern fällt, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben und für die deshalb qualifizierte Umstände erforderlich sind, insbesondere im Hinblick auf Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person sowie Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans, um von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können. Der VfGH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die vom BVwG in seiner Entscheidung angeführte Berufserfahrung vom Beschwerdeführer offenbar zumindest teilweise im Kindesalter erworben wurde.

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