JudikaturVwGH

Ra 2020/18/0516 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr. in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A M, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf Dietrich Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2020, L524 2137133 1/44E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein aus Mossul stammender irakischer Staatsangehöriger, stellte am 25. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der im ersten Rechtsgang mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 27. März 2019 im Beschwerdeverfahren vollinhaltlich abgewiesen wurde.

2 Mit Entscheidung vom 23. August 2019, Ra 2019/18/0188, wies der Verwaltungsgerichtshof eine gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision hinsichtlich Asyl zurück, behob das angefochtene Erkenntnis jedoch hinsichtlich der Nichtgewährung subsidiären Schutzes und der darauf aufbauenden Spruchpunkte wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

3 Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, das BVwG habe nähere Feststellungen zur aktuellen Sicherheitslage sowie zur sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion Mossul unterlassen. Es bedürfe einer nachvollziehbaren, auf aktuellen Länderberichten beruhenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob es dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Irak tatsächlich möglich wäre, seine Herkunftsregion auf sicherem und legalem Wege zu erreichen, und wie sich die aktuelle Sicherheits und Versorgungslage in der Herkunftsregion des Revisionswerbers darstelle.

4 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen, angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erneut als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

5 Begründend hielt das BVwG zusammengefasst fest, dass der Revisionswerber aufgrund der gegebenen Sicherheitslage in seine Heimatstadt Mossul zurückkehren könne, welche auch entweder von Bagdad oder von Erbil ausgehend sicher erreichbar sei. Alternativ stehe ihm eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Bagdad oder in der kurdischen Autonomieregion, etwa in Erbil oder Sulaimaniya, zur Verfügung.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 22. September 2020, E 2357/2020 8, ab. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2020, E 2357/2020 10, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

7 In der Folge wurde die gegenständliche Revision erhoben, zu deren Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht wird, dass sich das BVwG erneut nicht ausreichend mit der Sicherheitslage vor Ort und der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsstadt Mossul auseinandergesetzt hat. Zudem habe das BVwG eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Bagdad sowie in der Kurdischen Autonomieregion angenommen, obwohl dem Revisionswerber eine Ansiedlung in diesen Gebieten nicht möglich sei.

8 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

11 Im ersten Rechtsgang wurde das Erkenntnis des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Nichterteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden Spruchpunkte behoben, weil das BVwG seiner Entscheidung keine näheren Feststellungen zur aktuellen Sicherheitslage in der Herkunftsregion sowie zu deren sicheren Erreichbarkeit zu Grunde legte.

12 Im nunmehr angefochtenen Erkenntnis traf das BVwG zwar Feststellungen (im Wesentlichen lediglich) zur Versorgungslage in Mossul sowie zum familiären Umfeld des Revisionswerbers, ließ jedoch insbesondere erneut ausreichende Feststellungen zur Reiseroute und damit zur sicheren Erreichbarkeit seines Herkunftsortes vermissen. So moniert die Revision zutreffend, dass das BVwG lediglich eine exemplarische Aufzählung sicherheitsrelevanter Vorfälle einzelner Wochen auf der Strecke zwischen Bagdad und Mossul anführte, woraus sich jedoch bezüglich einer sicheren Erreichbarkeit keine nachhaltige und nachvollziehbare Einschätzung ableiten lässt.

13 Die Revision führt zudem zu Recht ins Treffen, dass das BVwG sich nicht mit der in den Stellungnahmen des Revisionswerbers vom 24. März 2020 sowie vom 13. Mai 2020 vorgebrachten Gefährdung auseinandergesetzt hat, die sunnitischen Arabern, die aus der ehemaligen Hochburg des Islamischen Staates (IS) stammten und kollektiv verdächtigt würden, mit dem IS verbunden zu sein oder diesen zu unterstützen, beim Passieren von Checkpoints bzw. Kontrollpunkten auf den Straßen von Bagdad nach Mossul drohen könne. Dies trifft auch auf die vom BVwG alternativ angenommene Einreisemöglichkeit über Erbil zu.

14 Auch sofern das BVwG hilfsweise erwog, dass dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Hauptstadt Bagdad oder in den Städten Erbil und Sulaimaniya in der Autonomen Region Kurdistan möglich und zumutbar sei, hat es wie die Revision zutreffend ausführt sein Erkenntnis mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, indem es sich nicht hinreichend mit dem vom Revisionswerber im Verfahren erstatteten Vorbringen auseinandergesetzt hat, dass ihm eine Ansiedelung in diesen Gebieten nicht möglich sei (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0578, mwN). So führte der Revisionswerber mehrmals an, dass er mehreren namentlich genannten Länderberichten zufolge in diesen Gebieten einen bzw. mehrere Bürgen aus der Nachbarschaft sowie Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar oder gar Einstellungszusagen benötige, was für ihn als sunnitischen Araber, der aus einer ehemaligen IS Hochburg stamme, nicht möglich sei.

15 Darüber hinaus hat der Revisionswerber auch darauf hingewiesen, dass die UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), zu der Einschätzung gelangen, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative in den kurdischen Regionen des Irak schon angesichts der anhaltend hohen Zahl vertriebener Bevölkerungsgruppen in der Region und der sich verschlechternden sozio ökonomischen Bedingungen als nicht zumutbar anzusehen sei. Auch mit diesem Berichtsmaterial hat sich das BVwG nicht ausreichend auseinandergesetzt (vgl. dazu VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0459).

16 Im Revisionsfall kann schließlich die Annahme einer zumutbaren (innerstaatlichen) Fluchtalternative auch in Bezug auf Bagdad nicht mit dem pauschalen Hinweis des BVwG, wonach der Revisionswerber ein junger, arbeitsfähiger und gesunder Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung sei, begründet werden, ohne sich mit den von ihm vorgebrachten Ansiedlungshindernisse spezifisch für Personen, die aus einem ehemalig vom IS besetzten Gebiet stammen, auseinanderzusetzen (vgl. dazu auch das zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 17. April 2020, S. 136).

17 Das angefochtene Erkenntnis war aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Februar 2021

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