Leitsatz
Auswertung in Arbeit
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 4.099,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen. Sie stellten am 26. Juni 2022 (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers und der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen) bzw am 22. August 2024 (hinsichtlich der Viertbeschwerdeführerin) Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, in der Türkei wegen seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit sowie aus politischen Gründen verfolgt zu werden. Zum einen sei er von der Polizei nach einem Einbruch in seinen Elektroladen verdächtigt worden, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) durch Material für Bomben zu unterstützen. Zum anderen habe er als Mitglied der Demokratischen Partei der Völker (HDP) an Demonstrationen und Konferenzen teilgenommen und sei dort als Sicherheitsbeamter tätig gewesen. Er sei deshalb von der Polizei befragt, geschlagen und belästigt worden. Auch Hausdurchsuchungen habe es gegeben. Zudem laufe in der Türkei gegen ihn ein Gerichtsverfahren, weil ihm der Staat Terrorismusunterstützung vorwerfe. Zum Beweis dafür legte der Erstbeschwerdeführer Dokumente der Staatsanwaltschaft und einen Haftbefehl (in türkischer Sprache) vor. Er fürchte, wegen falscher Anschuldigungen von den türkischen Behörden verfolgt und inhaftiert zu werden.
2. Mit Bescheiden vom 29. Mai 2024 (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers und der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen) und vom 30. August 2024 (hinsichtlich der Viertbeschwerdeführerin) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen, stellte die Zulässigkeit der Abschiebungen in die Türkei fest und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise.
3. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit angefochtenem Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.
Soweit für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevant, führt das Bundesverwaltungsgericht aus, es sei glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer Mitglied der HDP sei. Eine hochrangige Parteimitgliedschaft sei ihm aber nicht zugekommen. Seine Angaben in Bezug auf ein anhängiges Gerichtsverfahren seien teils widersprüchlich und nicht glaubhaft. So habe der Erstbeschwerdeführer weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgebracht, dass ein Gerichtsverfahren anhängig sei; erst vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl danach befragt, habe er dies bejaht. Gegen die Glaubhaftigkeit spreche auch, dass der Erstbeschwerdeführer zunächst angegeben habe, dass es für ein Gerichtsverfahren keine Beweise gebe. Erst auf Nachfrage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl habe der Erstbeschwerdeführer gemeint, er könne einen Anwalt beauftragen, Informationen von türkischen Gerichten einzuholen. Der sodann mit der Beschwerde vorgelegte Haftbefehl samt Ladung der Staatsanwaltschaft belege zwar ein Ermittlungsverfahren, nicht jedoch eine strafrechtliche Verurteilung des Erstbeschwerdeführers. Auch in der mündlichen Verhandlung habe der Erstbeschwerdeführer ein anhängiges Gerichtsverfahren nie erwähnt. Insgesamt sei ein politisch motiviertes Verfolgungsinteresse der türkischen Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Erstbeschwerdeführer damit nicht erkennbar, sodass eine tatsächliche Verurteilung bzw die Verhängung einer Haftstrafe äußerst unwahrscheinlich erscheine.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Bei Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die staatliche Strafjustiz ist bei der Prüfung nach §3 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) zu klären, ob rechtsstaatlich legitime strafrechtliche Verfolgung ("prosecution") vorliegt oder es sich um Verfolgung aus einem der Gründe des Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ("persecution") handelt. Dabei kommt es entscheidend auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung sowie die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an (s VfGH 25.6.2014, U433/2013; 8.6.2021, E4123/2020; vgl auch VwGH 29.8.2022, Ra 2022/18/0110, mwN). Für die Beurteilung der Asylrelevanz einer staatlichen Strafverfolgung ist festzustellen, welches tatsächliche Verhalten vom Strafgericht als erwiesen angenommen wurde, welche Straftatbestände (einschließlich ihrer Strafdrohung) auf Grund dieses Verhaltens als erfüllt angesehen wurden und welche Sanktion dafür jeweils verhängt wurde. Erst diese Feststellungen bilden die Grundlage für die Beurteilung, ob die verhängten Sanktionen für die als erfüllt angesehenen Straftatbestände verhältnismäßig sind (s VfGH 8.6.2021, E4123/2020; vgl auch VwGH 29.8.2022, Ra 2022/18/0110, mwN).
3.2. Im vorliegenden Fall lag dem Bundesverwaltungsgericht zwar noch kein Urteil eines türkischen Strafgerichtes gegen den Erstbeschwerdeführer vor. Das Bundesverwaltungsgericht stellt jedoch auf Grund des vorgelegten Haftbefehls samt Ladung der Staatsanwaltschaft fest, dass ein Ermittlungsverfahren liefe.
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz in diesem Punkt damit, dass der Erstbeschwerdeführer ein anhängiges Gerichtsverfahren nicht glaubhaft machen habe können und eine strafrechtliche Verurteilung des Erstbeschwerdeführers durch die vorgelegten Dokumente nicht belegt sei.
3.4. Damit verkennt das Bundesverwaltungsgericht, dass eine bereits erlittene Verfolgung keine Voraussetzung für die Asylgewährung ist. Maßgeblich ist vielmehr die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht im Rahmen einer Prognoseentscheidung (vgl VfGH 18.9.2023, E944/2023; sowie jeweils vom selben Tag, E1167/2023 und E2019/2023). Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (s zB VfGH 18.9.2023, E944/2023, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher eine drohende Verfolgungsgefahr nicht bloß mit dem Hinweis verneinen dürfen, dass derzeit noch keine Verurteilung des Erstbeschwerdeführers erfolgt sei, ohne zu prüfen, womit er bei einer Rückkehr in die Türkei voraussichtlich rechnen müsste (vgl etwa bereits VfGH 17.9.2024, E624/2024, mwN).
3.5. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht jegliche Ermittlungstätigkeit zum Inhalt der vorgelegten Dokumente durch den Erstbeschwerdeführer unterlassen, indem es keine Übersetzung dieser Dokumente in Auftrag gegeben hat, die die strafrechtliche Verfolgung des Erstbeschwerdeführers im Herkunftsland nachweisen sollten (vgl dazu VfGH 16.9.2013, U784/2013; 25.6.2014, U433/2013; 22.9.2020, E423/2020). Das Bundesverwaltungsgericht wäre gehalten gewesen, den Tatvorwürfen der türkischen Strafverfolgungsbehörden nachzugehen und sich mit der aktuellen Verfolgungsgefahr auf Grund der dem Erstbeschwerdeführer vorgeworfenen Taten auseinanderzusetzen. Dies erfordert, die konkreten Tatvorwürfe festzustellen (VfGH 11.6.2024, E3904/2023 ua; vgl auch VfGH 26.6.2024, E1754/2024).
3.6. Das Bundesverwaltungsgericht wäre überdies gehalten gewesen, sich nachvollziehbar mit den Länderfeststellungen auseinanderzusetzen, denen zufolge die Missachtung grundlegender Verfahrensgarantien in der Türkei bei Fällen von Terrorismusverdacht zu einem Grad an Willkür geführt habe, der das Wesen des Rechtsstaates gefährde (vgl VfGH 26.2.2024, E3982/2023; 26.6.2024, E1754/2024, mwN).
4. Somit hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage grob verkannt und es verabsäumt, in entscheidungswesentlichen Punkten ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu führen. Zudem hat es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen, die konkreten Tatvorwürfe festzustellen, womit eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die konkreten Gründe für die Strafverfolgung in einem Konnex zu einem der in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannten Konventionsgründe stehen, unterblieben ist. Das angefochtene Erkenntnis ist daher mit Willkür belastet.
5. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend die Zweit, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen durch (VfSlg 19.671/2012, 19.855/2014; VfGH 8.6.2021, E4570/2020 ua).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 523,20 sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 960,– enthalten.